Als Obama weiß wurde

13. November, 2021. Mithu Sanyals vieldiskutierter Roman bündelt humorvoll akademische Diskurse der letzten zehn Jahre. Nun adaptiert Kieran Joel den Stoff für die Bühne.

Von Martin Krumbholz

Gottheit Kari (Serkan Kaya) am Chillen © Sandra Then

13. November, 2021. Da wäre zum Beispiel die Sache mit Barack Obama. Seine Mutter war weiß, er wuchs in einer weißen Familie auf, besuchte eine weiße Eliteuniversität, ja, er hat "verdammt noch mal" im White House gewohnt. Und jetzt kommt’s: "Was muss man noch machen, um weiß zu sein?" Die das sagt, soviel ist klar, ist eine Sophistin reinsten Wassers. Ihre "Beweisführung“ ist nicht nur amüsant, wie das ganze Buch von Mithu Sanyal amüsant ist, sie führt auch direkt in den Kern des Romans. Die These von Saraswati, Professorin für postkoloniale Theorie an der Heine-Universität Düsseldorf, lautet nämlich: Der frühere Präsident der USA hat sich erstens seine Hautfarbe ausgesucht, und, zweitens und vor allem: Diese, die Hautfarbe, ist ganz unwichtig. Sie ist ein Konstrukt, wie jede Rassifizierung ein Konstrukt und ein politisches Instrument ist. Man hat dagegen aufzubegehren.

Wer weiß, was weiß heißt

"Identitti“, der Roman von Mithu Sanyal, ist sehr erfolgreich, weil er Debatten der letzten zwanzig Jahre bündelt und gewissermaßen zu einem Satyrspiel zuspitzt (nicht zu einer Satire, denn die Identitätsdiskurse an sich nimmt die Kulturwissenschaftlerin Sanyal, die ihrerseits an der Heine-Uni lehrt, sehr ernst). Der Plot: Saraswati (benannt nach einer hinduistischen Gottheit) ist, wie gezeigt, eine scharfsinnige, prominente, beliebte Professorin, auf deren Agenda struktureller Rassismus ganz oben steht. Sie firmiert als eine genuine Inderin, bis sich herausstellt, dass sie in Wahrheit Sarah Vera Thielmann heißt und weiß ist. Die Identität als Person of Colour ist ein Fake, eine Wunsch-Identität, siehe oben. Saraswatis Enttarnung löst einen Skandal aus, einen Shitstorm erster Güte. Namentlich ihre Lieblingsstudentin Nivedita, die sich als Bloggerin Identitti nennt, ist bis ins Innerste erschüttert. Ihre Enttäuschung, ihre eigene "Identitätskrise“ bildet das Fleisch des Romans.

Identittivon Mithu Sanyal — Uraufführung am 12. November 2021 — Schauspielhaus, Kleines Haus Regie: Kieran JoelBühne: Justus SaretzKostüm: Katharina Sook WiltingMusik: Lenny MockridgeVideo: Sebastian PircherLicht: Thomas KrammerDramaturgie: Lynn Takeo MusiolAuf dem Bild: Cennet Rüya Voß, Friederike Wagner, Serkan Kaya, Leila Abdullah Foto: Sandra ThenDie charismatische Professorin (Leila Abdullah) bei dem, was sie am besten kann: überzeugen © Sandra Then

Der Hype um das Buch, der lokale Hintergrund sind natürlich Gründe für das Düsseldorfer Schauspielhaus gewesen, "Identitti“ auf die Bühne zu bringen. Nur: Wie macht man's? Wo ist der Dreh, der das komplexe Ding bühnentauglich macht? Denn, auch das ist nicht zu übersehen, es handelt sich um ein ziemlich akademisches Buch. So amüsant es über weite Strecken ist, Sanyal vertraut sich doch auch einem Jargon an, dessen Sperrigkeit sich in X Twitterbeiträgen in aller Welt nicht verflüssigt, sondern eher verfestigt hat. Man muss sich da ein bisschen auskennen, um den Charme des Diskurses würdigen zu können. Sonst versteht man nämlich nur Bahnhof.

Oh Gott(heit)!

Die Düsseldorfer haben also Sanyal gebeten, selbst eine Bühnenfassung zu schreiben. Das war vielleicht gar nicht mal der beste Weg, denn einen zweiten Blick schafft man so nicht, obwohl die Autorin die Aufgabe auch nicht schlecht gelöst hat. Sie benutzt eine Nebenfigur, die Göttin Kali, eine groteske, vielarmige, blau angemalte Gestalt (Serkan Kaya), um einen szenischen Hotspot zu schaffen, der Aufmerksamkeit bindet, wenn der Diskurs zu abstrakt zu werden droht. Kali ist zugleich Nivedita-Einflüsterin und Sex-Guru. Denn in einer Nebenhandlung löst sich Nivedita gerade von ihrem Liebhaber Simon ab, den Joscha Baltha leider schlimm verzappelt.

Identittivon Mithu Sanyal — Uraufführung am 12. November 2021 — Schauspielhaus, Kleines Haus Regie: Kieran JoelBühne: Justus SaretzKostüm: Katharina Sook WiltingMusik: Lenny MockridgeVideo: Sebastian PircherLicht: Thomas KrammerDramaturgie: Lynn Takeo MusiolAuf dem Bild: Serkan Kaya, Fnot Taddese Foto: Sandra ThenEin schönster Moment im Buch: die Enthüllung, dass Niveditas "imaginäre Freundin" Kari auch für andere sichtbar ist (Serkan Kaya, Fnot Taddese) © Sandra Then

Weit mehr fällt eine Besetzungsidee ins Gewicht, von wem auch immer sie stammt, nämlich Saraswati doppelt auftreten zu lassen, in einer blonderen (Friederike Wagner) und einer dunkleren Version (Leila Abdullah). Diese Idee leuchtet weder ein, noch funktioniert sie, wenn die beiden etwa abwechselnd, synchron oder gestaffelt sprechen. Das ist schlicht nur Bühnen-Murks.

Highlights und Hotspots

Saraswati braucht man nicht zu verdoppeln, um (diesmal) einen intellektuellen Hotspot zu schaffen, von dem eine Faszination ausgeht. Die Argumente der Professorin sind ja oft bestechend. Warum, fragt sie etwa, sei es zwar in Ordnung, das Geschlecht zu transzendieren, aber eine so offensichtlich konstruierte Kategorie wie "race“ für fester und unnachgiebiger zu halten als "sex“? Es gibt Gegenargumente, ja, natürlich, aber am Ende hat der ganze Skandal womöglich nicht die Dimension, den die Empörungswütigen im Netz draus machen. Zu lösen ist der Konflikt ohnehin nicht.

Lichtblick der Aufführung unter Regie von Kieran Joel ist jedoch nicht Saraswatis Brillanz, sondern Cennet Rüya Voß, deren Ernst, Pathos, Emphase, Leidenschaft aus der Studentin Nivedita eine glaubhafte und liebenswerte Person machen. Das ist mehr wert als aller möglicher indisch angehauchter Bühnenzauber. Vergessen wir nicht, Althusser zu zitieren, wie es Saraswati und Mithu Sanyal tun. "Eindeutigkeit", sagt der alte weiße Mann, "Eindeutigkeit ist eine primäre Eigenschaft von Ideologie.“ Wohl bedenkt’s!

Identitti
von Mithu Sanya
Regie: Kieran Joel, Bühne: Justus Saretz, Kostüm: Katharina Sook Wilting, Musik: Lenny Mockridge, Video: Sebastian Pircher, Licht: Thomas Krammer, Dramaturgie: Lynn Takeo Musiol.
Mit: Cennet Rüya Voß, Leila Abdullah, Friederike Wagner, Amina Merai, Fnot Taddese, Mehdi Moinzadeh, Serkan Kaya, Joscha Baltha.
Uraufführung am 12. November 2021
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.dhaus.de

Kritikenrundschau

In der Westdeutschen Zeitung (15.11.2021) schreibt Michael-Georg Müller: Ein "schrilles Spiel mit knalligen Rock-Songs eines vierarmigen Teufels" und "digital eingeblendeten Blogger-Beiträgen" entfache die Inszenierung, "amüsant, dauerhaft erregt und mit sehr viel Klamauk" in Szene gesetzt von Kieran Joel. Doch ob sich diese "Bühnen-Revue" über "Geschlechter- und ethnische Identität" für einen Theaterabend von gut zwei Stunden eigne, bleibe fraglich. Denn vieles wirke "künstlich aufgeregt" und mit "viel Theorie überfrachtet". Warum die Saraswati von zwei Darstellerinnen gespielt werde, bleibe unklar, zumal die "Brillanz der Argumente" über "Race", Sex und transzendierende Geschlechter nicht zu schlagen sei, da hätte auch eine Schauspielerin ausgereicht. Die stärkste Leistung biete Hauptdarstellerin Cennet Rüya Voß, sie mache aus Nivedita streckenweise eine glaubhafte Figur – "voller jugendlich naiver Verehrung für ihre Professorin, voller aufbrausender Leidenschaft und Pathos".

In der Rheinischen Post schreibt Regina Goldlücke (14.11.2021): In einem ausgiebigen Diskurs würden die wichtigsten Argumente als Mithu Sanyals Buch aufgegriffen und beleuchtet. Vieles klinge vernünftig und nachvollziehbar, ufere aber aus. Die Debatten der Studentinnen um "korrekte Begrifflichkeiten und ihre Auslegung" gerieten "arg kopflastig, das erfordere Geduld. Doch besonders in den Auftritten der Göttin Kali, gespielt von Serkan Kaya, bekomme die Inszenierung "erquickenden Spielwitz". Was sei die Erkenntnis? Der gute Wille, notwendige Debatten zu führen und "heikle Begriffe" nicht leichtfertig zu verwenden, sei sicher vorhanden. Aber das werde nicht ausreichen, wo Menschen wegen ihrer Hautfarbe oder Herkunft sich geschmäht und ausgegrenzt fühlten.

Der Übergang aus der epischen in die dramatische Gattung bewirke einen Energieaustausch, schreibt Patrick Bahners in der FAZ (15.11.2021). „Gelehrte Anspielungen triggern karnevalistische Späße, und alle Längen des vielleicht allzu gut gebauten Romans haben sich verflüchtigt.“ Und weiter: „Wie der gepflegte Roman zum knalligen Stück wird, so handelt ‚Identitti“ in beiden Inkarnationen davon, dass sich im Erkenntnisstreben ein Wille zur Expression Geltung verschafft. Er ist der Schlüssel zu allen Mythologien der Hybridwesen, Trickster und erotischen Seitenwechsler, die in diesem höchst idealistischen, also urdeutschen Campusroman beschworen werden.“

„Wenn man Theater als Lüge deklariert - wahrlich kein taufrischer Ansatz -, dann zieht man eine Sicherung ein, die es allen Beteiligten erleichtert, sich jederzeit von dem, was sie zeigen, zu distanzieren. Das nimmt in Düsseldorf zum Teil geradezu rührende Formen an“, schreibt Alexander Menden von der Süddeutschen Zeitung (15.11.2021). Im Kern sei "Identitti" ein gigantischer Diskurs. „Und zwar fraglos einer, der die Komplexität der Themen ethnischer Identität und Rassismus keineswegs umgeht.“ Doch gerade die Ernsthaftigkeit, mit der diese angegangen würden, reibe sich an der entschlossenen Albernheit eines Großteils der Inszenierung. Die letzten erstaunlich konventionell-psychologischen Szenen schafften es dann trotz all der vorangegangenen Distanzierungsarbeit auch nicht, die Überschreitung der Grenze zum Gefühlskitsch vollständig zu vermeiden.

Kommentare  
Identitti, Düsseldorf: Subjektposition des Kritikers
(...)
Ich schätze Herrn krumbholz eigentlich sehr. Finde aber dass er sehr am Abend vorbei gekuckt hat. Und würde vermuten dass das damit zusammen hängt dass Seine Subjekt Position so weit weg liegt von allen dieser Protagonistinnen dass ich wirklich glaube seine Besetzung als der besprecher dieser Premiere ist ungünstig. Ein bisschen mehr Feingefühl hätte ich mir da schon von der Redaktion gewünscht. Oder ist das wieder ein Wurf a la „wenn das Theater mir nicht erklären kann was es von mir will dann ist es gescheitert“ wie sie sie gerade am Hamburger Schauspielhaus führen?!
Ich bitte sie. Wir sind doch alle Kollegen!
Identitti, Düsseldorf: vertane Chance
Liebes White theatre

wo finden Sie genau, hat Krumbholz vorbeigekuckt? Im Gegensatz zu Ihnen beschreibt er sehr genau einzelne Aspekte des Abends und des Romans und seiner Umsetzung. Das ist die Aufgabe einer Rezension. Nur weil das insgesamt eher negativ ausfällt, dem Kritiker ein gesinnungspezifisches Urteil zu unterstellen aufgrund seiner whiteness, ohne konkrete Belege und Begründungen oder Argumente, das ist genau das, was wir nicht mehr gebrauchen können. Und übrigens geht es genau darum in Identitti. Haben Sie den Abend überhaupt gesehen? Die Inszenierung kann sich nicht entscheiden zwischen Musical (wozu die Songs?), und den Argumentationssträngen, die Spieler*innen stehen je länger der Abend dauert desto hilfloser auf der Bühne, von der Regie allein gelassen, ohne Form in einer Realismusbühne, im bebildernden Beamer-Gewitter. Aber der Abend bleibt bestenfalls äusserlich, tut nicht weh, verletzt nicht mal im Ansatz. Der an sich wichtige Diskurs wird banalisiert und verpufft in allerlei lustigen und sattsam bekannten (Mitmach-)Theater-Einlagen. Das braucht kein Mensch. Allein die Spielerin der Nivedita lässt einen inneren Kampf, Widerspruch und Zweifel spüren. Schade um die vertane Chance.
Identitti, Düsseldorf: differenzierter
Liebe/r Blue,

ich verstehe "White theatre" vielmehr so, als sei Martin Krumbholz - whiteness hin oder her - womöglich nicht tief genug in der Materie, um diesen Abend differenzierter zu analysieren. Das ist okay, man muss und kann ja auch nicht in jedem Thema Experte sein, aber ich teile den Leseeindruck, dass es hier vielleicht Sinn gemacht hätte, jemand anderen zu schicken.
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