Alle reden vom Wetter. Die Klimarevue - Rainald Grebe bewitzelt die Gase des Bösen
Lob des Bärenfells
von Ralph Gambihler
Leipzig, 13. November 2008. Im Sinne der Klimaneutralität, so ist zu lesen, achtet das Centraltheater Leipzig auf den Umweltschutz und spart Energie. Der Zuschauer soll diese Bilanz nicht stören. Auch er wird gebeten, etwas gegen die Erderwärmung zu tun. Was nun im konkreten Fall bedeutet, dass er im Pulk am Einlass steht. Dort nämlich wird man an zwei Tischen aufgefordert, Ablass zu erkaufen von den Sünden eines Abends mit Rainald Grebe.
Pro Mann und Nase macht das 18 Cent. So viel kostet ein Zertifikat der Bonner-Firma CO2OL, die im Centraltheater derzeit das Ablass-Monopol innehat und dafür, wie sie beteuert, in Panama Bäume pflanzen lässt. Natürlich stimmt die Bilanz am Ende nicht. Auch an den Tischen des guten Klimagewissens gibt es finanzneutrales Wegschauen und Vorbeimogeln.
Mit anderen Worten: Das Spiel mit dem Schuldgefühl beginnt schon im Foyer. Die Fortsetzung auf der Bühne dauert rund zwei Stunden. Rainald Grebe hat dazu eine "Klimarevue" arrangiert, die man sich als Parodie auf den Schulterschluss von Unterhaltung und Weltverbesserung vorstellen muss. Er schlüpft dazu in die Garderobe eines Showmasters für eine massenkompatible Prime-Time-Harmlosigkeit.
Keine Katastrophe ohne Dialektik
Grebes Platz ist leicht erhöht. Auf halber Show-Treppe hat er seine Kommandozentrale mit Keyboard. Dort moderiert er die musikalischen Einlagen und plaudert mit Klaus-Dieter, dem kleinwüchsigen "Energieberater" aus Aschersleben. Am Anfang wird natürlich wortreich der Weltuntergang beschworen. Der geht ungefähr so: Im Jahr 2020 sind die Pole eisfrei, der Meeresspiegel ist sechs Meter gestiegen, Shanghai und New York City stehen unter Wasser. Sibirien, aufgetaut und zur globalen Kornkammer gereift, muss mit Stacheldraht vor dem Ansturm des um sich greifenden Elends geschützt werden.
Aber keine Katastrophe ohne ihre Dialektik. Die Gase des Bösen haben ihre angenehmen Seiten. Venedig und Brandenburg beispielsweise leben neuerdings vom Tauchtourismus. Noch besser aber geht es dem "sonnigen, sonnigen" Sachsen, wo nun Chianti aus Chemnitz und Bordeaux aus Bautzen getrunken wird. Auch eine Finca in Grimma ist möglich – und allerlei mehr, was Stab- und Schüttelreim hergeben.
Die wichtigste Zutat des Abends ist das Gefühl der Betroffenheit, das die Zuschauer mitbringen. Mit ihm lässt sich schön spielen. Die direkte Attacke auf den Mainstream, der intellektuelle Kracher auf Kosten des gemeinen Geschmacks, mithin all das, was den Comedian Rainald Grebe bekannt und beliebt gemacht hat, wurde gewissermaßen von der Oberfläche in den doppelten Boden verlegt. "Alle reden vom Wetter" ist damit weniger bissig und gallig als beispielsweise das bollernde 68er-Programm, mit dem Grebe ganze Säle zum Kochen bringt. Es ist mehr der subversive Akt im Schein des guten Willens als die Pointenparade mit ihren Hüpfern in die verquere Logik.
Euphorie in der Bronzezeit
Der Showmaster als Klima-Therapeut, die Background-Mieze als Frischfleisch im Dienste des One-World-Gefühls – das Entertainment ist gewiss ein dankbares, aber eben auch leichtes Opfer der Satire. Sobald man das Arrangement durchschaut hat, verliert der Abend ein gutes Stück seiner Fallhöhe. Dafür hat er schöne Momente. Wenn etwa der absonderlich-komische Peter René Lüdicke, ein Darsteller aus dem neuen Leipziger Ensemble von Sebastian Hartmann, angeseilt über der Bühne hängt, um im Zuge eines Zurück-zur-Natur die "Euphorie in der Bronzezeit" auszurufen, und wenn das Lob des Bärenfells, das Lüdicke dabei krächzt, in der nächsten Szene bildlich überzeichnet wird, indem ein ziemlich großes Mammut an seiner Stelle baumelt, ist ein solcher Moment gekommen.
In der Tendenz lebt der Abend von den Effekten, die er vorführt und intellektuell konterkariert. Das größte Hallo erzeugt dabei ein sagenhaft riesiger Luftballon mit Globus-Anmutung, der auf der Bühne Mikrofone umschmeißt und dann über den Händen des Publikums die Reise durch den Saal antritt. Mancher Witz verdankt sich begrifflichen Neuschöpfungen. Die Bauernhofhälfte oder der Umwelthistoriker etwa. Die werden womöglich den Weg in das Repertoire der Katastrophen-Satire finden. Alles in allem: viel nette Weltuntergangs-Humorfabrikation, viel CO-zwei-drei und Musik von der personell verstärkten "Kapelle der Versöhnung", die ihre Wandlung zur energiesparenden Unplugged-Combo tapfer durchsteht
Alle reden vom Wetter. Die Klimarevue
von Rainald Grebe
Uraufführung
Regie: Rainald Grebe, Bühne: Jürgen Lier, Kostüme: Janna Skroblin, Musikalische Einstudierung und Bearbeitung der Chöre: Jens-Karsten Stoll.
Mit: Markus Baumgart, Anna Blomeier, Martin Brauer, Rainald Grebe, Peter René Lüdicke, Emma Rönnebeck, Anita Vulesica.
Premiere am 12. November 2008
www.schauspiel-leipzig.de
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Gestern war es wieder ziemlich voll und die meisten fanden es wohl gut, wie der Applaus bezeugte.
Wenn da nicht die guten Musiker und die sich sehr nett bewegenden Backgroundsängerinnen gewesen wären, wäre es für mich eher langweilig geworden. Warum sitzt der Herr Grebe da eigentlich auf so einem ollen Bürostuhl herum und warum hockt der Gitarist die ganze Zeit auf dem Boden? Ein wenig mehr Dynamik und Bühnenpräsenz wäre schön gewesen.
Egal, den anderen hat´s gefallen und das Stück kommt gut an - ist doch auch was Schönes.