Des Teufels Understatement

14. November 2021. Regisseur Georg Schmiedleitner zeigt den Shakespeare-Klassiker am Theater Regensburg als Analyse der Machtgeilheit und als gelungene grellbunte Studie über die Mechanik der Propaganda, wie sie aktueller nicht sein könnte.

Von Christian Muggenthaler

Alles glitzert, alles funkelt, tobsuchtsartige Farben im "Richrd III." in Regensburg, vorne gespielt von Guido Wachter in der Hauptrolle © Martin Sigmund

14. November 2021. Es ist eine Szene, ziemlich genau in der Mitte der Inszenierung am Regensburger Stadttheater platziert, in der endgültig klar wird, worum es hier vorrangig geht. Nicht um eine Königsgeblütsschlachtplatte, sondern um die Mechanik der gesellschaftspolitischen Verführungskunst. Um Eroberung der Macht mittels Eroberung der Sprache. König ist, wer sich die Entscheidungsgewalt darüber nimmt, was als wahr und was als falsch bezeichnet wird, was gut und was böse ist.

Die Szene: Richard III. und sein Noch-Gehilfe Buckingham triezen einen Bürgermeister mit ihrem guerillaartigen Umwertungsgeschwurbel so lange, bis dem schwindlig wird und er tatsächlich jegliche moralische Orientierung verliert. Lügen haben majestätische Beine, Richard ist auf dem Höhepunkt der Macht, tut so, als wolle er sie gar nicht, und wenn, dann nur zum Wohle aller.

Täuschungsmanöver der Mächtigen

Da bringen also Richard und Buckingham das Volk in der Person des Bürgermeisters auf ihre Seite, versprechen, was es so hören will und zwingen es, dem Usurpator zu huldigen. Weil sich Richard in sein Understatement einkuschelt, so tut, als würde er viel lieber beten als regieren, wird sein Machtanspruch plötzlich zum Desiderat vieler. Die Sehnsucht nach der Herrschaft eines Täuschers ist immer das Ergebnis eines groß angelegten, gut gemachten Täuschungsmanövers. Und das funktioniert nicht nur bei Shakespeare erstaunlich häufig und gut. Das Blut der Unterlegenen ist das Schmieröl dieses Erfolgs. Die gesamte Regensburger Inszenierung geht hinein in den Maschinenraum eines solchen gelingenden Machterwerbsmechanismus'.

So ging das, und so geht das heute noch. Das kleine Alleinherrscher-Einmaleins: Schaut nach bei Shakespeare. Die Leute saufen Propaganda wie Wüstensand das Regenwasser. Das regelrecht beglückte Hinnehmen des offensichtlichen Verarschtwerdens einerseits und die von völliger Empathielosigkeit unterfütterte Dreistigkeit andererseits funktioniert wie Lego.

Typ Charme-Bolzen

Das ist ein Herrschaftsmuster, das heute immer noch trägt, von den USA in Zeiten von Donald Trump bis zu osteueropäischen "illiberalen Demokratien". In der Bürgermeister-Szene hat Regisseur Georg Schmiedleitner das Publikum genau dort, wo er es haben will: im Wiedererkennen solcher Muster in der Gegenwart. Ohne auch nur ein einziges Mal mit einem Aktualisierungs-Fähnchen zu wedeln. Braucht’s nicht. Steht alles im Stück drin. Man muss nur hinschauen. Was die Regie hier macht.

Weshalb die Titelfigur in Regensburg auch kein Monster oder blindwütiger Psychopath ist, sondern ein wirklicher, richtiger, gar nicht mal so unangenehmer, ja regelrecht charmanter Mensch. Guido Wachter steht sehr bald erst einmal nackt da, damit man das auch begreift. Er macht das Publikum zum Richard-Versteher. Der Schauspieler gibt diesen blutbesudelten Tyrannen als großes Kind, als gut gelaunten Satansbraten. Er hat halt die Spielregeln des intriganten englischen Königshofs besonders gut verinnerlicht und setzt sie besonders radikal um; erfunden hat er sie nicht. Nur die eine Regel beherrscht er nicht: Füttere auch den Egoismus derer, deren Unterstützung du brauchst. Man kann sich nicht dauernd selbst die Hände schmutzig machen. Folglich wird er am Ende abgeräumt.

RichardIII AmelieMarieRicharz GuidoWachter FotoMartinSigmund 1 Rich und sein greller Spielkasten mit roter Neon-Showtreppe: Bühnenbild von Stefan Brandtmayr, Kostüme von Cornelia Kraske © Martin Sigmund

Diese Analyse der Machtgeilheit gelingt, weil Bühne und Kostüme das Stück aus seiner Historizität zupfen, ohne es in die Gegenwart hineinzupflanzen. Die Bühne (von Stefan Brandtmayr) wird dominiert von einem roten Laufsteg nach vorne und einem metallenen Dreh-Element, das mal die Anmutung eines großen Vogelkäfigs hat, mal ein Thronsaal ist und mal ein Gesicht trägt: Es ist der Spielkasten vom "Rich", wie ein Richard bei den coolen Jungs eben heißt. Der Spielkasten ist in andauernder Bewegung: Im Maschinenraum arbeitet's.

Das Stück ist inhaltlich überaus grell, und so sind es die Kostüme (von Cornelia Kraske) – und die Schminke auch. Diese Ausstattung ist die Antwort auf eine ganz einfache Frage: Was gibt es Grelleres als die Farb-Schattierungen der 1960er Jahre? Das Ansiedeln der Ausstattung im Stil jener Zeit unterstützt die Zeitlosigkeit der Inszenierung und zugleich ihre Aussagekraft: Alles glitzert, funkelt, prangt voll regelrecht tobsuchtsartiger Farben. Dieses Schrille, Unechte der modischen Begleitumstände übernimmt regelrecht die Blutrunst der Handlung: Das kann und darf doch alles nicht wahr sein?

Spiel-Dynamik

Ist es aber doch. Diese drei Stunden Shakespeare funktionieren auch so gut, weil dieses wirklich wundervolle Regensburger Schauspiel-Ensemble der Handlungsdynamik ihren Stempel mit großem Spielwitz aufprägt, ganz unaufgeregt, bis ins Detail souverän durchstrukturiert und mit einer regelrecht orchestralen Spiel-Dynamik, unterstützt von der Livemusik mit Bass und Gesang von Amelie-Marie Richarz. Michael Haake zeigt einen Buckingham mit spitzmündiger Devotheit, hinter der eine dunkle Wolke der Verschlagenheit dräut. Gerhard Hermann hat einen enorm komischen Auftritt als sehr eigen gewordener alter König Edward. Selten war Fluchen schöner als bei Franziska Sörensens Königin Margaret. Und so geht es weiter, Figur für Figur.

Am Schluss, Richard ist gefällt, gibt es einen Neuanfang. Eine Rede wird gehalten. Und wir hören: reinste Propaganda. Es geht halt immer so weiter.

Richard III
von William Shakespeare
Übersetzt und bearbeitet von Gabriella Bußacker und Jan Bosse
Regie: Georg Schmiedleitner, Bühne: Stefan Brandtmayr, Kostüme: Cornelia Kraske, Musik: Amelie-Marie Richarz, Kampfchoreografie: Franzy Deutscher, Licht: Wanja Ostrower, Dramaturgie: Saskia Zinsser-Krys.
Mit: Guido Wachter, Gero Nievelstein, Franziska Sörensen, Verena Maria Bauer, Katharina Solzbacher, Michael Haake, David Markandeya Campling, Thomas Weber, Gerhard Hermann, Kristóf Gellén.
Premiere am 13. November 2021
Dauer: 3 Stunden, eine Pause

www.theater-regensburg.de

Kritikenrundschau

So "unterhaltsam, wie eine Shakespeare-Tragödie nur unterhalt sam sein kann" sei diese "brilliante Inszenierung", findet Florian Sendtner von der Mittelbayrischen Zeitung (15.11.21). Guido Wachter spiele den Richard "irrlichternd und permanent elektrisiert". Vor lauter Lachen vergäße man fast aber nicht ganz, "worum es hier eigentlich geht: um Mord und Totschlag." Ein rundum stimmiger Abend, vermerkt der Rezensent. Und "Amelie-Marie Richarz wummernd-geläufige E-Bass-Gitarre gibt dem ganzen Wahnsinn einen unwiderstehlichen Drive."

Begeistert vom Ensemble, insbesondere von Richard-Darsteller Guido Wachter, zeigt sich Christian Muggenthaler in der Regensburger Zeitung (15.11.21): "Schauspielerisch ist das eine Meisterleistung: Richard als leidenschaftliches, großes Kind, das ein Mordsspiel spielt. Meisterlich spielt ein großartiges Schauspiel-Ensemble ihm zu." Es sei eine eine "dichte, dynamische, spannende" Inszenierung, die Dank des gelobten Schauspiels feinsinnig die "Wirkkraft der Manipulation" demonstriere. "Um die geht es insgesamt in dieser Inszenierung, die Shakespeare als Machtmechaniker zeigt: ein Studienseminar über den Weg zum Tyrannenthron."

Kommentare  
Richard III, Regensburg: Super Produktion
Super Produktion!!
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