Die Menschen werden entwöhnt

22. November 2021. Wieder Winter und ein neuer Theater-Lockdown naht. Die maue Impfquote hält die deutschsprachigen Lande in der Corona-Klemme. Es ist zum Verzweifeln. Aber für die Theater verschärft sich auch die Frage, was Bühnenkunst in und nach der Pandemie sein kann. Ein Kommentar.

Von Georg Kasch

Das Parkett des Berliner Ensembles zur Wiedereröffnung nach dem ersten Corona-Lockdown 2020 © David Baltzer / bildbuehne.de

22. November 2021. Jetzt schließen sie wieder. Österreich ist seit heute dicht. In Bayern dürfen die Theater nur noch ein Viertel ihrer Plätze belegen; steigt die Sieben-Tage-Inzidenz auf mehr als 1000, werden sie ganz geschlossen. Im ebenfalls besonders Corona-betroffenen Sachsen machen die Theater erstmal bis zum 12. Dezember zu. Aber glaubt irgendjemand ernsthaft daran, dass sich danach wieder die Türen öffnen, nur weil auf Schachbrettmuster umgestellt und 2G plus eingeführt wird?

Alle halbe Jahre wieder

Alles erinnert an den März 2020, an den Oktober 2020. Wieder legt Österreich vor, wieder folgen einzelne deutsche Länder. Wieder kommen die Maßnahmen zu spät, wieder läuft alles – diesmal vermutlich mit 2Gplus-Zwischenstufen – auf generelle Lockdowns hinaus. Nur ist diesmal noch klarer, dass es die politischen Entscheider:innen verbockt haben. Dass eine weitere Welle kommen würde, hatten Wissenschaftler:innen seit dem Sommer wiederholt angekündigt. Blöd nur, dass Wahlkampf war. Blöd auch, dass sich hierzulande niemand mit den Impfverweiger:innen und Verschwörungstheoretiker:innen anlegen will. Blöd übrigens auch, dass nicht mal an den Theatern im Front- und Backstagebereich alle geimpft sind, obwohl auch hier abzusehen war, dass nur die Impfung das Offenbleiben der Häuser sichern würde. Alle wussten, was uns mit einer Impfquote unter 85 Prozent erwartet. Niemand hat reagiert. Jetzt sind alle überrascht. Es ist zum Verzweifeln.

dtTartuffe aussen 1200 david baltzerAlles drängt nach draußen: Der Vorplatz des Deutschen Theaters Berlin im Sommer 2021 zur Open-Air-Inszenierung "Tartuffe" mit Außenbar © David Baltzer / bildbuehne.de

Bis aber alles geschlossen ist, hängen wir in der Luft. Wer soll eigentlich gerade Theaterkarten kaufen oder Theaterreisen planen, wenn unklar ist, ob die Häuser nächste Woche noch spielen? Ist es überhaupt verantwortlich, dieser Tage ins Theater zu gehen, wenn RKI-Chef Lothar Wieler dazu aufruft, doch bitte alle Menschenansammlungen zu meiden und wenn möglich zu Hause zu bleiben? Oder ist es gerade jetzt wichtig, als doppelt und manchmal schon dreifach Geimpfte die Kultur zu unterstützen und vielleicht auch noch ein paar prägende Erinnerungen zu hamstern, bevor wir alle wieder auf Streams und Netflix umsteigen?

Vier Aspekte der Theaterflaute

Es sieht also ganz danach aus, als ob wir demnächst – so wir nicht Kinder im Homeschooling betreuen müssen – Zeit haben werden, uns grundsätzliche Gedanken zu machen. Zum Beispiel, warum die Menschen im Sommer und Herbst nicht derart die Theater gestürmt haben, wie lange erhofft und erwartet. Hier schon mal ein paar Vorschläge:

A. Es gab keinen Tag X der alten neuen Freiheit. Stattdessen: Abstandsregeln, reduzierte Plätze, Unwirtlichkeit. Ob man nebeneinanderliegende Plätze erwischte oder die Chance auf einen Pausenwein hatte, ob man dank Einbahnstraßensysteme völlig unlogische Wege nehmen und wann genau man an welchem Eingang aufkreuzen musste, das unterschied und unterscheidet sich von Haus zu Haus und manchmal von Woche zu Woche. Was dabei zu kurz kam: Theater als gesellschaftliches Erlebnis. Man kann es auch als Eventpaket schmähen, wird damit aber dem Umstand nicht gerecht, dass Theater für viele Menschen ein Freizeitvergnügen ist, als Paar oder in der Gruppe, mit Wein in der Pause und Happen davor oder danach. Dass das unter den gegebenen Umständen kaum mehr möglich ist, darauf haben die Theater keinen Einfluss. Darauf, dass man trotzdem etwas möglich machen kann, schon. Eine Weinbar vorm Haus vielleicht? Besser jedenfalls, als alle in die Kantine zu schicken.

B. Die Publikumsstruktur. Ins Theater gingen und gehen insbesondere auch Menschen, die älter sind – und damit in einer Pandemie gefährdeter. Nicht alle von ihnen bleiben zu Hause. Aber ein guter Teil eben doch. Noch stärker als beim Sprechtheater sieht man das gerade in der Oper: Beim neuen "Ring des Nibelungen" an der Deutschen Oper Berlin waren nur zwei Drittel der Plätze besetzt; sowohl an der Staatsoper in München (die ja gerade zugemacht hat) wie der in Berlin bekam man zuletzt für fast alle Vorstellungen Karten an der Abendkasse.

C. Die Qualität. Ästhetisch ist Corona dem deutschsprachigen Theater eher schlecht bekommen. Wie sollte es auch anders sein? Wenn man Produktionen im luftleeren Raum eines Lockdowns probt, ohne zu wissen, wann und vor welchem Publikum sie Premiere haben wird, wird sich kaum Lust zum Risiko entfalten. Und wenn Produktionen nach der heißen Probenphase für Wochen und Monate eingefroren und dann innerhalb kürzester Zeit aufgetaut werden, wirken sie selten frisch. Oder wenn in Nullkommanichts ein Stoff mit Krankheitsmetapher aus der Schublade gezogen wird wegen der Pandemie-Bezüge, auch wenn das Bühnenbild für einen völlig anderen Stoff konzipiert wurde, dann wundert es nicht, wenn das Ergebnis viel zu kurz springt. Der Witz ist ja: Wenn ein Abend zieht, wird das Haus auch bei Vollbestuhlung und 2G oder gar 2Gplus voll! Wenn dasselbe Parkett je nach Inszenierung aber mal als vollbestuhlte 2G-Veranstaltung, mal als 3G mit Abstand verkauft wird, dann hat man schon den Verdacht, dass damit weniger den Ungeimpften ein Angebot gemacht als die Auslastung geschönt werden soll.

D. Die Menschen sind entwöhnt. Der Soziologe Hartmut Rosa argumentiert, dass der Hunger nach sozialen Kontakten bei Entzug nach einer Weile nachlässt. Hat man sich also erst mal an die Gemütlichkeit von Couch und Netflix gewöhnt, fällt es umso schwerer, sich wieder aufzumachen. Wenn das stimmt, dann müssten die Theater viel mehr machen als vor der Pandemie. Sie müssten in Nichtpublikumsforschung investieren, Einladungsgesten konzipieren, für die verschiedensten Publika Erlebnis- und Vermittlungspakete schnüren. Und natürlich Theater machen, das einen um den Finger wickelt, das nachhallt, nicht mehr loslässt. Ich weiß: Das Einfache, das so schwer zu machen ist, gerade in Corona-Zeiten. Aber es ist die einzige Möglichkeit, Theater über den überschaubaren Kreis eingefleischter Fans hinaus relevant zu halten.

Bis dahin gibt's nur einen Weg: die Impfpflicht. Denn erst, wenn sich die Krankenhäuser wieder leeren, werden sich die Theater wieder richtig füllen können.

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Kommentare  
Kommentar Lockdown: Hü und Hott
Viele traurige Wahrheiten, vieles seit längerer Zeit absehbar.

Den großen Publikumsschwund erlebe ich allerdings bisher nicht, im Gegenteil: in Berlin und Hamburg regelmäßig volle Säle bei Premieren und Repertoire-Vorstellungen. Dasselbe gilt für das Kino. Gerade auch viele ältere Menschen aus den "Risikogruppen" gehen weiterhin ins Theater.

Wenn die Theater wollen, dass sich das Publikum bei ihnen sicher fühlt, müssen sie aber auch einen Beitrag leisten. Im Spätsommer/Frühherbst das ständige Hü und Hott, ob Maske auch am Platz zu tragen ist. Das änderte sich teilweise im Wochentakt. Ich kann nicht mehr zählen, wie oft es vor der Vorstellung zu Diskussionen im Publikum kam, was denn nun eigentlich in diesem Theater an diesem Tag gilt.

Der nächste Punkt: Die herbsttypischen Hustenkonzerte, zu denen sich manche Vorstellungen entwickeln, verstärken das Sicherheitsgefühl auch nicht gerade. Gut, dass die meisten Theater angesichts steigender Inzidenzen dazu übergehen, die Maskenpflicht am Platz durchzusetzen, auch wenn das bei einem 5-Stunden-Castorf sicher nicht angenehm ist. Eine reine Empfehlung hilft hier offensichtlich wenig. Am vergangenen Wochenende lag die Masken-Quote bei geschätzt 1/3 im Schauspielhaus HH und bei 50 % im Thalia Theater. Ich verstehe jeden, der hier lieber zuhause bleibt und sich diesen zum Teil aus tiefster Lunge herausgerotzten Aerosol-Konzerten nicht aussetzen möchte.
Kommentar Lockdown: Zornig
Sehr geehrter Herr Kasch!
Ich bin ein aufmerksamer und interessierter Leser Ihrer Beiträge.
Aber:
Für wen schreiben Sie dieses Mal? Für den noch im Amte befindlichen Gesundheitsminister, dessen Untauglichkeit doch offen da liegt?
Die Pointe Ihres Beitrages liest sich doch so, als würden die Theater sich wieder ihrer Aufgabe erinnern und sich darauf besinnen, wenn wir uns alle impfen ließen
(ich bin dreimal geimpft und hatte keine Schwierigkeiten). Aber wenn ich die täglichen Veröffentlichungen lese, dann ist es gar nicht so sicher, dass ich mich trotz Impfung dennoch anstecke und zu Tode komme. Denn ich lese auch von der täglich steigenden Zahl an Neuerkrankungen und von Todesfällen, ich habe noch nie gelesen, wieviele Menschen genesen und als gesund entlassen worden sind.

Sie beschreiben den Ort der Geselligkeit Theater so, als wäre es eine gehobene Restauration mit "Tafelmusik", es ist viel von Weingläsern und "Bemmchen" die Rede (und wenn man das liest, bekommt man Hoffnung für die kleinen, viel angefochtenen Stadttheater - nicht zuletzt waren solche Erwägungen auch die der Gründer vor hundert Jahren und mehr).
Sie jammern und schreiben, es sei zum Verzweifeln. Das lese ich täglich in den öffentlichen Veröffentlichungen. Es ist doch aber eher, um zornig zu werden.
Es gibt kaum Vorschläge, was denn helfen würde. Die Politiker erklären immer noch, was sie schon vor Monaten erklärt haben, nämlich dass sie jetzt handeln müssten. Und der verlogene Freiheitsbegriff, der in unserem Lande obwaltet, gestattet jedem seine freiheitliche demokratische Meinung heraus zu posaunen und Unsicherheit zu verbreiten. Demokratie ist für eine solche Situation ungeeignet - "Halten zu Gnaden!" - klare und strenge und mit Strenge durchgesetzte Entscheidungen helfen. Und zur Leitungstätigkeit gehört, dass sich die mit der Leitung (nämlich durch Wahl) Beauftragten an einen Tisch setzen, kompetente Fachleute hinzuziehen und beraten, bis sie Entscheidungen gefunden haben (und rechtzeitig), die geeignet sind, das Geschehen zu beeinflussen und zu steuern (rechtzeitig !)
Unter dem, was in den letzten Monaten in unserem Lande nicht stattgefunden hat, aber hätte stattfinden sollen, finden sich sehr viele Themen, die auf das Theater gehören, und dann würde sich das Theater vielleicht wieder darauf besinnen, wofür es einmal "erfunden" worden ist (ein sehr frühes Stück - noch vor den "Persern" -, das leider nur sehr bruchstückhaft überliefert ist, wurde aus politischen Gründen verboten). Es gibt dazu auch brauchbare Stücke, auch ältere (eines fällt mir ein: "Kinder der Sonne" von Gorki).

Ich bin überzeugt davon, dass sich die Menschen nicht daran gewöhnen werden, zu Hause auf dem Sofa zu sitzen und Theater-Aufzeichnungen für Theater zu nehmen. Der Wunsch und die Sehnsucht nach gemeinsamem Erleben in einem großen Kreise ist unausrottbar.
Ich weiß nicht, woher der von Ihnen benannte Soziologe seine Kenntnisse nimmt, aber die Straßen und Plätze, die Restaurationen und Kinos und auch die Theater waren in den letzten Wochen gut und sehr gut gefüllt. Das ist freilich nur eine empirische Beobachtung. Aber es stimmt nicht, wenn Sie schreiben, die Vorstellungen des "Ringes des Nibelungen" in der Deutschen Oper waren nur zu zwei Dritteln besucht; ich war im ersten Zyklus und habe keine Lücken bemerken können (und für den zweiten könnte es doch vielleicht sein, dass sich die schlechte Qualität der Inszenierung und das Buh-Konzert nach der ersten "Götterdämmerung" schnell herumgesprochen haben).
(Ende des ersten Teils.)
Kommentar Lockdown: Vergnüglichkeit
Fortsetzung und Ende:

Sehr geehrter Herr Kasch!
Sie wünschen sich ein Theater, das Sie um den Finger wickelt (ich verstehe darunter man wird eingewickelt, also überlistet oder betrogen). Das wünsche ich nicht. Ich wünsche mir aber Vergnüglichkeit (im Brechtschen Sinne, wonach das Denken das Hauptvergnügen des Menschen ist), und ich wünsche so aufgewühlt und auf neue Gedanken gebracht zu werden, dass ich meine, ich könnte ohne die Beantwortung der aufgekommenen Fragen nicht mehr leben (so ähnlich steht das auch schon bei Max Frisch).

Die Pandemie wird das Theater ästhetisch nicht befruchten können, aber möglicherweise gewinnen wir noch Zeit zum Nachdenken darüber, was wir auch in unsteten Zeiten mit dieser schönen Erfindung der Menschheit anstellen können zum Nutzen der Erfinder.

Mit freundlichen Grüßen

Peter Ibrik

Berlin-Pankow
Kommentar Lockdown: Treffend
Sehr treffender Kommentar. Ich verstehe jede/n, der/die ob der Zustände verzweifelt. Leider. Irgendwie aber in der Tat auch unverständlich, wie jetzt Stücke herausgefeuert, verschleudert werden.
Vielleicht nochmal von vorn anfangen? Draußen spielen. Kurze Sachen. Auf der Straße. Zwei Menschen, ein paar Zuschauer - zündet die Magie noch, dass jemand jemand anderem etwas vormacht?
Kommentar Lockdown: vorspielen
Sehr geehrte Kly(tämnestra?)!
Bitte sagen Sie mir, wo denn Stücke herausgefeuert und verschleudert werden. Das klingt doch so, als würden Sie meinen, es wäre besser die Theater spielten gar nicht?
Es kommt nicht darauf an, in welcher Form vorgespielt wird. Da gibt es in der Tat vielerlei Möglichkeiten. Und es muss nicht von vorn angefangen werden: Die bestehenden Theaterhäuser sind doch in hohem Maße brauchbar, und die meisten Ensembles auch.
Die entscheidende Frage ist doch: Welchen Themen und Gegenständen widmet sich das Theater? Was ist so aufregend, dass es die Menschen ins Theater treibt?
Und sind die Regisseure bereit, den Stoff auszubreiten und nicht nur ihre egoistische Selbstdarstellung?
Ich bin überzeugt, dass es immer noch ein breites Interesse dafür gibt, "dass jemand jemand anderem etwas" vorspielt, vorspielt! (Vormachen hat leider den Anstrich von betrügen.) Man beobachte Kinder, auch kleine, beim Zuschauen und beim Vorspielen. Ich vermute, diese Talente werden durch "Erziehung" oft verschüttet - die Ursachen sind sehr unterschiedliche.
Thematisch brisantes und vergnügliches Theater wird seine Zuschauer haben.

Mit Grüßen
Peter Ibrik
Berlin-Pankow
Kommentar Lockdown: Wagnis
Sehr gut beobachtet und analysiert von Herrn Kasch. Herrn Köglers Beobachtungen (kein Zuschauer*innenschwund, Husten etc.) kann ich überhaupt nicht teilen, in München und Zürich war der Beginn der aktuellen Spielzeit immens zäh, sogar in Premieren war der Saal nicht (wie üblich) voll. Man muss leider tatsächlich viele Zuschauer*innen wieder ans Theatergehen gewöhnen. Aber wer sich ins Theater gewagt hat, bemerkte, dass durchaus viele spannende Inszenierungen zu sehen waren. Man kann nun nur hoffen, dass sich die (...), die sich immer noch nicht impfen lassen wollen, einen sozialen Ruck geben. Das gilt insbesondere für die Kolleg*innen am Theater selbst!
Kommentar Lockdown: Wer will?
So isses. Das aber wohl keine der drei Parteien der neuen Koalition das Gesundheitsministerium haben möchte, spricht Bände und lässt nichts Gutes vermuten...
Kommentar Lockdown: Feuer statt Asche
Es kann sein, ich glaube aber nicht, dass eine Impfpflicht tatsächlich viel an der treffend beschriebenen Lage ändert (schaden wird sie allerdings sicher auch nicht).

Aus meiner Sicht passiert gerade etwas ganz anderes, die Pandemie beschleunigt kurzfristig einen langfristigen, globalen Trend des Wandels in den Fragen: was ist Gesellschaft, wie funktioniert Versammlung? Und da ist das beschriebene Pausengetränk und -verhalten eine Ausprägung des Alten. Es ist eine schöne Sache, aber nicht entscheidend für's Theater.
Genauso wie Theater im Grundsatz die Infrastruktur, die wir mit teuer gebauten und teuer unterhaltenen Bauten, Betrieben, MitarbeiterInnen vorhalten, nicht notwendig braucht.

Wir sollten zusehen, dass wir unsere Energien nicht in die Anbetung der Asche, sondern in die Bewahrung des Feuers stecken. Wie soll Theater in den nächsten fünf, in den nächsten 20 Jahren funktionieren? In einer digitalen, globalen, schnellen, extrem vernetzten Welt? Wir sehen uns Filme, TV-Serien, inzwischen sogar Theaterstreams aus aller Welt an, beim Stückemarkt des Theatertreffens muss alles auf Englisch eingereicht werden. Ein Bekannter, der sonst beruflich jede Woche zu Besprechungen in ein anderes Land gereist ist, hat während der Pandemie genau 8 "physische" Besprechungen durchgeführt, alle in Deutschland, alles andere läuft über Videokonferenzen, Messenger, andere Kommunikationsformen. Natürlich wird auch er wieder mehr unterwegs sein, wenn das möglich wird, aber sehr viel weniger, auch weil im Moment schneller und effektiver die Dinge besprochen werden. Die Phase "pre-2020" ist vorbei und kommt nicht zurück.
"Versammlung" verändert sich gerade global, das Theater ist gut beraten nach 20 Monaten new normal das Lamentieren einzustellen und aktiv zukunftsorientiert zu arbeiten. Dafür hat es die Mittel und die Leute. Don't cry, work.
Kommentar Lockdown: ins Digitale
Feuer statt Asche. Ja, digitales Theater ist der Weg in die Zukunft. Auch Theater kommt an der Zukunft nicht vorbei. Will Theater gesellschaftspolitisch wirken und nicht nur das Bildungsbürgertum bedienen, dann muss das Theater ins Digitale, um mehr Menschen und neue Zuschauergruppen zu erschließen. Hoffentlich verpennt die Kultur nicht das, was Politik ständig verpennt.
Kommentar Lockdown: Live statt Digital
@ #8 und #9: Ich glaube wenn sich das Theater hauptsächlich ins Digitale verlegt, und im Digitalen seinen Kern verortet, dann ist es verloren. Da ist die Konkurrenz von Netflix und Co einfach zu groß. Mit Milliarden-Budgets kann das Theater nicht mithalten. Ich glaube eher der Weg der Zukunft muss radikal ins Lokale und Körperliche gehen: Theater als physische Versammlung von Menschen, die anderen Menschen gemeinsam am gleichen Ort etwas erzählen. Etwas, das ich nicht beliebig oft im Streaming-Service haben kann, sondern nur in meiner Stadt, mit meinen Schauspieler*innen-Ensemble vor Ort, von Regiseur*innen und Menschen hinter der Bühne gemacht, die auch von diesem Ort kommen, und nicht Dauerreisende sind. Die gesellschaftspolitische Utopie sehen ich nach zwei Jahren pandemiebedingter Isolation und Vereinsamung in der Nähe und Direktheit, nicht im Digitalen. Der digitale Bereich kann und muss bestimmt zusätzlich zum Ansprechen von Zuschauer*innen genutzt werden, Blick hinter die Kulissen, Entstehung einer Porduktion, Trailer, zusätzliche kurze Online-Leckerbissen, speziell entwickelte kurze Zusatzformate etc. Aber wenn das Theater überleben will, dann muss es als Alleinstellungsmerkmal etwas bieten, was Netflix und Co eben nicht bieten können - und das kann nur das co-präsente Live-Erlebnis von spielenden Menschen sein.
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