Immer in die gleichen Fallen

von Andreas Klaeui

Zürich, 14. November 2008. Schön kühl ist das und von einiger Eleganz. Des Gedankens wie der Form. Barbara Webers "Hair"-Panorama zur Eröffnung konnte – bei aller offensichtlichen Spiellust des Ensembles – im Neumarkt-Saal noch nicht die Direktheit und die Frische frühere "Unplugged"-Produktionen auf weniger großen, weniger etablierten Bühnen entfalten. Jetzt, auf der kleinen Bühne an der Chorgasse, stimmt alles prächtig zusammen. Barbara Weber versetzt Frischs Biografie-Spiel in zeitlose Modernität. Auch wenn das Setting auf die sechziger Jahre verweist, in der Ausstattung, in gelegentlichen Anspielungen, selbst ein wenig in der Spielweise.

Doch gerade dieser Retro-Chic aus den Sixties ist ja nun ein urbaner Klassiker. Ausstatterin Madlaina Peer hat sich für die Schweizer Variante entschieden, "die gute Form": konstruktiv-unterkühlt. Wie Herr Kürmann, der sein Leben noch einmal konstruieren darf, und dabei doch nicht aus seiner Haut fahren kann und nur immer in die gleichen Fallen und Muster tappt.

Provisorische Lebensentwürfe

Der "Registrator", der ihm die neuerliche Lebenswahl möglich macht, der Spielleiter, "registriert" seine unentschiedenen Versuche schriftlich mit Hermes Baby und akustisch per Magnettonband und zieht im übrigen die Fäden des biografischen Theaterspiels wie der Regisseur einer Bühneninszenierung. Über dreißig Rollen hatte Frisch einst vorgesehen. Hier sind's noch drei. Alicia Aumüller spielt Antoinette, Kürmanns Lebensfrau, und alle weiteren weiblichen Rollen, Jörg Koslowsky den Registrator und die anderen männlichen Figuren, Sigi Terpoorten den Kürmann.

Barbara Weber arbeitet mit Reduktion und kleinen Verschiebungen, sie konzentriert sich auf die Beziehungskonstellationen, Kürmann und die Frauen. Das bedeutet allerdings, Max Frischs politische Nebenschauplätze weitgehend außer Acht zu lassen. Historische Stichworte bleiben Reminiszenzen. Umgekehrt ist dies in unseren Tagen der ubiquitären provisorischen Lebensentwürfe und multiplen Beziehungsprojekte gewiß nicht die fernliegendste Wahl.

Biografisches Schlamassel

Und was die drei Darsteller aus dem Kammerspiel herausholen, ist schlichtweg überwältigend. Das blitzt nur so und funkelt vor szenischem Witz, vor Brillanz, mit Kabinettstücklein wie dem ausschweifenden Lebensmittelkatalog, zu dem sich die dürren Diätvorschriften von Kürmanns Arzt auswachsen, Jörg Koslowsky geht da hinreißend auf in einer Enzyklopädie alles Verbotenen.

Alicia Aumüller und Sigi Terpoorten stehen ihm nicht nach in Verwandlungsfreude und spielerischem Esprit. Seien es die unterschiedlichen Frauenfiguren, die entschlossene Antoinette, die frivole Helen, die halbseidene Krankenschwester; sei es der unfrohe Kürmann in seinem biografischen Schlamassel: sie erspielen jeder von Frischs Modellfiguren wenn man so sagen will: ihre je eigene Biografie.

Ganz unangestrengt ist das. Und, wie gesagt, von großer Eleganz. Gleich zwei Frisch-Dramen sind ja dieser Tage auf Zürcher Bühnen zu sehen, im Schauspielhaus und im Neumarkt. Verglichen mit Matthias Fontheims "Andorra", das auf der großen Pfauen-Bühne seinen Lehrmodellcharakter nicht ablegen kann, hat das kleine Kammerspiel im Neumarkt in dieser Frisch-Trophy klar den Punkt verdient.

 

Biografie: Ein Spiel
von Max Frisch
Textfassung von Ralf Fiedler
Regie: Barbara Weber, Bühne und Kostüme: Madlaina Peer, Musik: Michael Haves. Mit: Alicia Aumüller, Jörg Koslowsky, Sigi Terpoorten.

www.theaterneumarkt.ch

Mehr über Stücke von Max Frisch, die in dieser Spielzeit eine Renaissance erleben: Am Berliner Maxim Gorki Theater inszenierte Armin Petras mit Ödipus auf Kuba eine Variation von Frischs Roman Homo Faber. Matthias Fontheim inszenierte, ebenfalls in diesem November, Frischs Andorra im Zürcher Schauspielhaus.

 

Kritikenrundschau

Frischs "dramatische Versuchsanordnung", schreibt Christopher Schmidt in der Süddeutschen Zeitung (17.11.2008), sei eigentlich nur "als steile Farce" spielbar. Barbara Weber allerdings übernehme für ihre "Böse-Mädchen-Inszenierung" das Motiv der Zeitreise. Bis ins "perfekte Detail" beschwöre die Aufführung "die Sixties als eine Epoche", in der "das intellektuelle Party-Girl bei Adorno doktoriert, marxistische Kybernetiker hochrangige Professuren bekleiden und nukleare Bestrahlung noch eine Therapie war". Und, das der eigentliche Kunstgriff, aus Antoinette mache Weber einen "Racheengel von sündigster Unschuld" und entlarve so "Frischs Männerphantasie". Denn erst, "wenn eine Frau", anders als Frisch es vorsah, "nicht mehr gut und edel sein muss", so Schmidt, seien "die Machtverhältnisse egalisiert". Weber inszeniere das "scheinbar arglos", ändere "kein einziges Wort am Text", aber "das ganze Stück": die "Sensation" des nur einstündigen Abends.

 

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