Schluss mit Düsternis, Regen, Nebel

2. Dezember 2021. Das "Nordwind"-Festival ist mittlerweile fest an Hamburg angedockt und rückt mit Postmigration, Postkolonialismus und Queerness näher an klassische Kampnagel-Themen heran. Zur Eröffnung beschwört Andreas Constantinou "Champions", und Mable Preach schmeißt eine "Hausparty".

Von Falk Schreiber

Duduzile Mathonsi in "Hausparty" von Mable Preach beim "Nordwind"-Festival © Marcelo Hernandez

2. Dezember 2021. Natürlich liegt es nahe, darauf hinzuweisen, dass zur Eröffnung des Festivals "Nordwind" im Hamburger Produktionshaus Kampnagel das Sturmtief "Daniel" Orkanböen durch die Hansestadt fegt. Aber: Genau darum geht es eigentlich nicht. Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard erzählt, wie "Nordwind" von Ricarda Ciontos vor 14 Jahren in Berlin gegründet worden sei, als Werkschau skandinavischer Theater-Avantgarde, und damals sei es tatsächlich noch sehr nordisch zugegangen: "Viel Düsternis, Regen, Nebel." In der Folge habe Ciontos "Nordwind“ einige Jahre als dezentrales Festival zwischen Berlin, Dresden, Bern und Hamburg organisiert. Mittlerweile ist es fest auf Kampnagel angedockt. Und hat dabei auch die klassischen Kampnagel-Themen verinnerlicht: Postmigration, Postkolonialismus, Queerness. Einzig die Entstehungsorte mancher eingeladener Produktionen verweisen noch auf Nordeuropa.

Wrestling und der Blick des Vaters auf den schwulen Sohn in "Champions"

Andreas Constantinou etwa hat seine theatrale Installation "Champions" ursprünglich Anfang 2020 im dänischen Aarhus entwickelt. Inhaltlich wallen aber keine Nebel mehr: Constantinou sitzt nackt in einem spartanisch eingerichteten Raum, zwischen altmodischem Grammofon, Stehlampe und Radio, und aus dem Off werden Gespräche zwischen Constantinou und seinem Vater, seiner Mutter und seiner Therapeutin eingespielt.

Zur Entstehungszeit des Stücks seien beide Eltern noch am Leben gewesen, erzählt der Künstler. Im Frühjahr allerdings starb der Vater an Covid, alleine, auf der Isolierstation, die Mutter starb einige Wochen später. Jetzt, bei der Wiederaufnahme, würde Constantinou zum ersten Mal die Stimmen seiner Eltern wieder hören, und als er das sagt, schluckt man erstmal. Hier macht sich jemand nackt, nicht nur körperlich, sondern vor allem emotional.

HausParty1 mandhlaAndreas Constantinou in "Champions" © Christoffer Brekne

Über lange Strecken geht es in den Gesprächen darum, dass der Vater unter der Homosexualität des Sohnes gelitten habe. Das ist berührend, weil man spürt, wie der alte Mann mit der Situation ringt, dann aber doch keine Lösung für sich findet und sich in eine verletzende Gefühlskälte zurückzieht. Gegenüber der Therapeutin erwähnt Constantinou, dass er mehrere queere Männer nach dem Verhältnis zu ihren Vätern befragt habe, und tatsächlich seien diese Verhältnisse nie gut gewesen – da beschleicht einen plötzlich die Vorstellung, dass das Stück offene Türen einrennt, dass es eben dazugehört, mit Vätern nicht über die eigene Homosexualität reden zu können, deal with it.

Aber dann ist "Champions" künstlerisch doch immer wieder sehr stark, hinter dem Performer flimmert eine Mehrkanal-Videoinstallation über die Wände, Bilder von einem Wrestling-Kampf, die genau die harte Körperlichkeit zeigen, die der Vater sich wohl für seinen Sohn gewünscht hatte, diese aber in eine stark sexualisierte Sinnlichkeit transformieren. Und man ist versöhnt: Die Arbeit mag Allgemeinplätze bedienen, sie mag auf einem ungewohnten Authentizitätspathos aufgebaut sein, aber solange sie dabei gleichzeitig künstlerisch stimmig und berührend daherkommt, nimmt man das gerne hin.

"Hausparty" mit Drag und Sklavenbefreiung

Die eigentliche Festivaleröffnung besorgt dann allerdings Mable Preach. Die auf Kampnagel extrem präsente Regisseurin, Choreografin, Kuratorin und Netzwerkerin hat eine "Hausparty" als Eröffnung organisiert, ein Prinzip, das der Vogueing-Ballroom-Szene im New York der 1960er entstammt, in dem einzelne "Houses" (im Sinne sozial-künstlerischer Lebensgemeinschaften) Programmpunkte beisteuerten. Im Grunde ein bunter Abend, nur konsequent in Drag.

Hausparty2 1200 Marcelo Hernandez uHouse Of Brownies bei der "Hausparty" von Mable Preach & Friends © Marcelo Herandez

Die "Houses", die hier zusammenkommen, entstammen einerseits dem "Nordwind"-Space, mit Kurzauftritten etwa von Vanasay Khamphomalla (Tours) oder von Duduzile Mathonsi (Oslo), die einen Ausblick auf die kommenden Festivaltage geben. Und andererseits aus den Spaces von Kampnagel sowie der umtriebigen Preach selbst. Dass es nicht ausschließlich darum geht, hier einen schönen Abend zu verbringen, stellt die Organisatorin gleich zu Beginn klar, indem sie Donna Kate Rushins unversöhnliches Gedicht "The Bridge Poem" (1981) vorträgt: "I've had enough / I'm sick of seeing and touching / Both sides of things / Sick of being the damn bridge for everybody." Es geht nicht um die billige Versöhnung, es geht um Differenz. Und dass Drag seine subversiven Ursprünge in der Befreiung von der Sklaverei hat, durchzieht als Motiv den gesamten Abend, indem immer wieder auf den US-amerikanischen Schwulenaktivisten William Dorsey Swann (1858–1925) Bezug genommen wird.

Solidarisch und atemberaubend cool

Das ist klug und unterhaltsam. Und es bringt die Theaterkritik an die Grenzen ihrer Mittel: Wie soll man eine "Hausparty" künstlerisch oder gesellschaftlich einordnen? Einerseits hat man es mit einer performativen Aktion zu tun, andererseits liegt es in der Natur der Sache, dass der Charakter des Abends im Minutentakt wechselt. Klar, man kann von den perfekten Tanzmoves von House Of Brownies begeistert sein. Man kann über den schlagerhaften Deutschpop von FAYIM die Nase rümpfen (und dabei übersehen, dass der Song "Entfernter Verwandter" genau die brüchige Solidarität beschreibt, die eine queere Person of Color aushalten muss: "Ich wünsche dir alles Gute, my brother"). Und man kann den Mut bewundern, mit dem Bilal Gaidenko den aufgeheizten Saal ausbremst und ein Gedicht vorträgt. Nur verpasst man dabei haarscharf, um was es Preach hier geht.

Aber um was geht es? Darum, eine gute Gastgeberin zu sein, für die Party, klar, aber auch im Sinne eines Festivals, das Künstler*innen von außerhalb eingeladen hat, und bei denen man sich wünscht, dass sie sich willkommen fühlen. Darum, Solidaritäten zu konstruieren, Bezüge herzustellen, Unterschiede auszuhalten. Und darum, dabei atemberaubend cool auszusehen.

Champions
von Andreas Constantinou
Choreografie & Regie: Andreas Constantinou, Co-Regie: Dagamara Bilon, Bühne: Jeppe Cohrt, Andreas Constantinou, Videodesign: Christoffer Brenke, Sounddesign: Jeppe Cohrt, Dramaturgie: Jeppe Nissen, Psychologie & Dramaturgie: Kristine Graugaard, Wrestling-Training: Mikkel Wind, Creative Producer: Kirstine Marie Bauning.
Mit: Andreas Constantinou, Aris Papadopoulos, Jesper Holm Hermansen.
Dauer: 35 Minuten, keine Pause

Hausparty
von Mable Preach & Friends
Mit: One Mother (FATHOEBURGER, Don Jegosah, €uro€y€s, jinO.o), House of Brownies, Mandhla, JADA & sarah.zania, DJ WAXS, Benson A’kuyie, Isaac Gordon Jr., FAYIM, Bilal Gaidenko, Saliou, Obed Owusu, Danny Banany, Vanasay Khamphomalla, Duduzile Mathonsi, Am Ertl, Marvin Iglesias.
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, keine Pause

www.kampnagel.de

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