In die Mitte gezielt

München, 5. Dezember 2021. Claus Peymanns Wiener Uraufführung von Thomas Bernhards "Heldenplatz" löste 1988 einen der größten Theaterskandale der Geschichte aus. Jetzt hat sich Falk Richter das Stück über Österreichs Nazi-Geschichte vorgenommen und um einen eigenen Befreiungs-Akt ergänzt.

Von Anna Landefeld

"Heldenplatz" © Denis Kuhnert

München, 5. Dezember 2021. Immer wieder, immer wieder – dabei war man sich doch so einig, so fest entschlossen über das "Nie wieder". In die düsterste Schwärze des Bühnenraumes dröhnen sie hinein, als böses, alles überwältigendes Echo, die "Sieg Heil!"-Rufe. Lauter, immer lauter. Dazu verkörnte Aufnahmen des menschengedrängten Heldenplatzes in Wien, das Meer der emporgereckten Arme, um den einfahrenden Adolf Hitler ekstatisch zu empfangen. Dagegengeschnitten Aufnahmen kahlgeschorener Fratzen, die immer noch durch die Innenstädte marschieren und immer noch Widerwärtiges rufen. Davor an einer langen, schwarzen Tafel eine Trauergemeinde. Zehn Menschen, die erstarrt sind, kalt von unten beleuchtet, die gerade ihren Vater zu Grabe getragen haben, jenen jüdischen Professor, der die Parolen, das ewige Unbehagen nicht mehr aushielt und sich aus dem Fenster stürzte. Spukhaft ist diese letzte Szene in Falk Richters Inszenierung von Thomas Bernhards "Heldenplatz" an den Münchner Kammerspielen, in der sich Vergangenes und Gegenwärtiges miteinander verschränken und beängstigend verschmelzen. 

Theaterskandal in Wien

Der "Heldenplatz" hat in Deutschland kaum eine Aufführungstradition. Wohl auch, weil es Thomas Bernhard damit ein ausgesprochenes Österreich-Stück schrieb, zu einem Zeitpunkt, an dem sich der "Anschluss" zum 50. Mal jährte und die Affäre um Kurt Waldheim eine erste tiefgreifende Debatte um die Vergangenheit Österreichs in der Zeit des Nationalsozialismus ausgelöst hatte. Die Uraufführung 1988 unter der Regie von Claus Peymann im Wiener Burgtheater ist bis heute einer der größten Theaterskandale der Geschichte.

Dieses erblastigen Werks hat sich Falk Richter nun angenommen. Ungewöhnlich ist das für ihn, der doch als Autor immer so eng mit dem Zeitgeistigen verwebt ist, dessen Stücke so nah an der Gegenwart dran sind, dass sie ihr fast vorauseilen. Richter lässt Bernhard aber Bernhard sein, dazu sind seine Analysen zum Faschismus, zum Antisemitismus, zur konservativen-bürgerlichen Mitte, zur Politiker:innen-Kaste zu präzise, zu universal, zu unverzichtbar. Richter wäre aber auch nicht Richter, wenn er dem ganzen nicht auch noch seinen Kommentar mit einem dazwischengeschobenen selbstgeschriebenen Akt hinzufügen würde, womit er den "Heldenplatz" ins Jahr 2021 holt.

Fetischisierte Faschismus-Ästhetik

Erster Akt aber erstmal Bernhard. Er setzt wenige Tage nach dem Suizid des Professors Josef Schuster ein, der einst vor den Nationalsozialisten nach Oxford floh und Jahrzehnte später doch wieder in das Land zurückkehrte, aus dem er einst vertrieben worden war. Die Bühne, ein von schwarzen, raumhohen Straßenleuchten und roten Latexvorhängen gesäumter Raum. In der Mitte ein Fenster, jenes unglückliche Fenster vielleicht, aus dem der Professor in den Tod sprang. Davor ein schwarzer Haufen, verbrannte Kohlestückchen, jene Erde vielleicht, in der man ihn begraben hat. Ebenso zu Haufen aufgetürmt sind schwarze Lackschuhe. Von stählernen Seilen hängen Hemden, Anzüge. Kaltes Licht von den Seiten. Martialisch wirkt diese fetischisierte Faschismus-Ästhetik, die Bühnenbildner Wolfgang Meradi hier geschaffen hat.

Heldenplatz 1 DenisKuhnert uKatharina Bach © Denis Kuhnert

Dazu Alltagspalaver von Annette Paulmann als patente Haushälterin Frau Zittel und Herta, dem Hausmädchen, die Katharina Bach mit leichenhafter Apathie verziert. Die sind schon so ein Gespann. Grün, dienstbotinnenhaft sind sie uniformiert, blond frisiert das Haar.  So verbohren sie sich in die bernhardschen Zeilen: Geplänkel über englische Anzüge, Eheleben oder den Charakter des Verstorbenen kippt binnen weniger Halbsätze in Suaden über den Stumpfsinn und die Widerwärtigkeit des Untertanengeistes der österreichischen Bevölkerung. Dazu bügeln sie manisch-militärisch, aggressiv bürsten sie die unzähligen Schuhe, falten pedantisch Hemden – fast eine Stunde lang. Richter lässt sie das auskosten, gibt dem Bernhard-Text den Raum und auch die Zeit, die er braucht. Das ist nicht unbedingt angenehm, ein bisschen soll es einen schon auch quälen.

Collage des Widerwärtigen

Dazwischen immer wieder Videoprojektionen, als Störer, als Orientierungspunkte, damit keiner vergisst, worum es hier eigentlich geht. Dokumentarfilmer Lion Bischof hat die Aufnahmen zusammengesucht. Auf große Videoleinwände werden sie projiziert, eingefärbt in rot und schwarz, die NS-Aufmärsche, die BDM-Reigen, der Attentäter von Halle, die Hetzjagd von Chemnitz, Beate Zschäpes ausdrucksloses Porträt, aber auch die überlebensgroßen, überheblichen Gesichter von AfD- und CSU-Politiker:innen, aus deren Mündern Rassistisches und Antisemtisches schwallt über "Volk", "Vogelschiss" und den Tanz auf Gräbern. Es ist eine Collage des Widerwärtigen, die Richter und Bischof da erschaffen haben. Manchmal laufen die Aufnahmen in voller Lautstärke ab, manchmal legt sich ein dröhnender Industrieklang über sie, manchmal kommentieren die Aufnahmen einfach nur stumm den Bernhard-Text. Monumental ist das, lässt einen an Leni Riefenstahls Bildsprache denken, ohne sie aber zu verherrlichen.

Die Video-Ton-Collagen ebnen den Weg für Richters eigenen Zwischenakt, der sich sprachlich an Bernhard anschmiegt und dabei doch typisch Richter bleibt: Wütend, konkret, engagiert, klassischer Agitprop von einem Podest von der Bühne ins Mikro gebrüllt. Es ist eine Abrechnung, in der viel und alles drinsteckt: Vom NSU, über Hanau, Halle, QAnon, bis hin zu den "Querdenker"-Demonstrationen. Nur einer fehlt, der doch auch dazugehört: Ex-Politiker Sebastian Kurz. Dafür gibt es Medienkritik. Im Visier die Talkshows, natürlich, aber auch die Süddeutsche Zeitung, im Besonderen "irgendein Helmut", der seine antisemitische Attacke auf den Pianisten Igor Levit als Musikkritik tarnte.

Heldenplatz 3 DenisKuhnert uAnne Sophie Kapsner, Bernardo Arias Porras © Denis Kuhnert

Es ist die verschöngeistigte, bürgerliche Mitte, die Richter angreift, die die Parolen der Aufmärsche und Hetzjagden auf den Straßen salonfähig macht. Sein Akt ist ein Befreiungs-Akt voll notwendiger, angestauter rhetorischer Wut, der zeigt: Der "Heldenplatz" muss sein, denn er ist mitten unter uns.

Heldenplatz
Nach Thomas Bernhard – einer Fassung mit neuen Texten von Falk Richter
Regie: Falk Richter, Bühne: Wolfgang Menardi, Kostüme: Amit Epstein, Musik und Sounddesign: Matthias Grübel, Video: Lion Bischof, Lichtdesign: Jürgen Tulzer, Dramaturgie: Tobias Schuster.
Mit: Erwin Erwin Aljukić, Berndardo Arias Porras, Katharina Bach, Knut Berger, Thomas Hauser, Anne Sophie Kapsner, Annette Paulmann, Wolfgang Pregler, Wiebke Puls, Jeanette Spassova.
Premiere am 4. Dezember 2021
Dauer: 3 Stunden, eine Pause

www.muenchner-kammerspiele.de


Kritikenrundschau

Mit "hämmernder, eindrücklicher Ton- und Bildsprache, über Videos, Projektionen und Filmaufmärsche von alten und neuen Nazis" mache der Regisseur hier einen sehr großen Raum auf, schreibt Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung (5.12.21). "Aber den Bernhard-Zündstoff von einst hat das alles nicht", obwohl das Stück so "texttreu und geradezu brav" gespielt werde. "Es ist ein großer, tönender Aufwasch. Agitprop, Beschimpfung und Mahnung. Ein Angriff von links. Heftig, schäumend, ungerecht und berechtigt. Am Ende vor allem: erschlagend."

Kommentare  
Heldenplatz, München: unpassender Vergleich
Ich hege keine Sympathien für Sebastian Kurz und werde keine Träne vergießen, wenn er wegen nachgewiesener Korruption ins Gefängnis kommt. Aber ihn in einem Atem mit dem NSU und QAnon zu nennen, ist unangemessen, um nicht zu sagen: fahrlässig. Es verzerrt die Dimensionen und beschädigt die Seriosität der Besprechung.
Heldenplatz, München: ähm...
Ist das jetzt eine Kritik oder eine Nacherzählung?
Heldenplatz, München: sprachgewaltig
Fast wie zu Claus Peymanns Zeiten fühlt man sich während der ersten Stunde der „Heldenplatz“-Inszenierung der Münchner Kammerspiele. Schier endlos ist der Monolog der Zittel, der Haushälterin des jüdischen Professors, der Suizid begangen hat. Akkurat bügelt und faltet sie all die Hemden und Laken, dabei redet sie fast ohne Punkt und Komma auf die Herta (Katharina Bach) ein, schimpft über Graz und Neuhaus als Synonyme österreichisch-provinzieller Engstirnigkeit und mäht mit Thomas Bernhards Wortsalven auch die „Minna von Barnhelm“ im Theater in der Josefstadt nieder.

In diesem langen Monolog gibt es schon kleinere ironische Brechungen, die sich Paulmann als Grande Dame des Kammerspiele-Ensembles erlaubt, vor allem liefern die vereinzelt eingestreuten Videos von Lion Bischof einen Hinweis, worauf Falk Richter mit der in Österreich bei der Burgtheater-Uraufführung 1988 zum Skandal avancierten, in Deutschland kaum gespielten Stückausgrabung hinaus will. Markus Söder und Horst Seehofer werden mit manchen pointierten Aussagen aus dem Asyl-Streit mit Angela Merkel eingespielt, schnell werden Parolen von AfD-Scharfmacher*innen wie Alexander Gauland und Alice Weidel dagegen geschnitten.

Während der ersten halben Stunde nach der Pause verlässt Richter das Bernhard-Original und lässt ein Trio (Bernardo Arias Porras, Knut Berger, Anne Sophie Kapsner) zu einer Generalabrechnung mit den Liberalen und Konservativen, den bürgerlichen Milieus rechts der Mitte, ausholen. Richters zentrale These: hinter all dem bundesrepublikanischen, jahrzehntelang eingeübten Betroffenheitsduktus eines „Nie wieder“ klafft der Abgrund. In seinem Rundumschlag, der in seiner Schärfe dem Österreich-Bashing von Bernhard kaum nachsteht, wirft er der Union vor, dass die AfD „ausgekotztes“ Fleisch von ihrem Fleisch ist und einige Konservative, allen voran die Werte-Union, am liebsten gemeinsame Sache mit den Rechten machen wollen. Diese Abrechnung ist ähnlich sprachgewaltig wie einst „Fear“ an der Schaubühne, das mehrere Prozesse auslöste, versucht in kurzer Zeit aber zu viele Phänomene über einen Kamm zu scheren.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2021/12/29/heldenplatz-falk-richter-munchner-kammerspiele-kritik/
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