Der andere Gründgens

22. Januar 2022. Barbara Bürk und Clemens Sienknecht sind für Liederabende auf Basis literarischer Vorlagen bekannt. Ihre neue Show am Schauspielhaus Hamburg widmen sie einem der größten Künstler des 20. Jahrhunderts. Einziges Problem: Niemand kennt ihn.

Von Falk Schreiber

"Günther Gründgens - Ein Leben, zu wahr, um schön zu sein" am Schauspielhaus Hamburg © Matthias Horn

22. Januar 2022. Es ist gemein, wenn jemand alles kann. Günther Gründgens zum Beispiel: Dichter, Schauspieler, Komponist, Filmstar, Musikinstrumenterfinder. Und im Gegensatz zu seinem Namensvetter Gustaf in der Nazizeit kein Mitläufer. Wobei letzteres Günthers Karriere freilich beendete. Die Versuche, im amerikanischen Exil künstlerisch Fuß zu fassen: zum Scheitern verurteilt. Nach dem Krieg: Abdriften in esoterische Kreise. 1972 verliert sich seine Spur, heute kennt Günther Gründgens niemand mehr.

Einzig ein skurriler "Klub der Freunde von Günther Gründgens" hält die Erinnerung an das Multitalent hoch, und weil dieser Klub ausschließlich aus konsequent Unverstandenen besteht, hat sich auch hier nach und nach eine gewisse Kauzigkeit durchgesetzt. Man trifft sich also in der Gorch-Fock-Halle in Finkenwerder, man spielt die alten Lieder, man richtet einen Festakt aus zum 50. Todestag des Verehrten. "Über keinen Künstler wurde weniger gesprochen als über Günther Gründgens", sagt Angelika Richter mit bebender Stimme. "Und das bis heute." Und deswegen wird heute umso mehr über ihn gesprochen.

Der große Unbekannte

Günther Gründgens existierte nie. Barbara Bürk und Clemens Sienknecht widmen dem fiktiven Künstler einen ihrer schon mehrfach erprobten Liederabende am Hamburger Schauspielhaus, in denen eine Gruppe gar nicht mal uncooler Verlierertypen eine Handlung mit halb schräg, halb liebevoll dargebotenen Hits ausschmückt, Musiktheater, das von Christoph Marthaler gelernt, längst aber eine ganz eigene Ästhetik entwickelt hat. Zudem zeichnen Bürk und Sienknecht hier das Bild einer Gemeinschaft, die sich langsam abschottet von der Gesellschaft. Diese Gründgens-Fans, Michael Wittenborn (Ehrenmitglied auf Probe), Sandra Gerling (Erster Schriftführer, in solch einer Welt legt man Wert auf den Gebrauch des generischen Maskulinums), Yorck Dippe (Zweiter erweiterter Vorstandsvorsitzender) und Jan-Peter Kampwirth (Freiwilliges Soziales Jahr Kultur), das könnte auch eine Sekte sein, wie sie Signa immer wieder am Schauspielhaus inszenieren, und bei der irgendwann tatsächlich etwas Böses passiert. Könnte sein. Noch aber passiert nichts Böses. Noch werden Witze gemacht.

Das Problem bei "Günther Gründgens – ein Leben, zu wahr um schön zu sein“: Der Abend ist nicht witzig. Er ist bemüht.

Gruendgens2 Matthias Horn UDas musizierende Ensemble im Bühnenbild von Anke Grot © Matthias Horn

Es werden also Lieder gesungen, bekannte Hits, die inhaltlich konsequent auf Gründgens umgedichtet werden. XTCs Making Plans for Nigel wird zu "Making Plans for Günther", Queens Under Pressure basiere, so behauptet Wittenborn, auf einem frühen Gedicht von Gründgens, leider kenne den daraus entstandenen Song heute niemand mehr. Tatsächlich beruht ein Großteil der Gags darauf, dass in den Text immer wieder der Name Günther eingeflochten wird, am deutlichsten bei der Aufzählung seiner größten Bühnenerfolge: "Ein Günthernachtstraum". "Günther, Dene, Voss". "Peer Günther", als Gastspiel in Günthersloh. Und das sind noch die gelungeneren Günther-Wortspiele.

Keine Fallhöhe

Bislang beruhte der Erfolg von Bürk und Sienknecht am Schauspielhaus darauf, dass eine Fallhöhe auftrat zwischen der hohen Literatur, auf die sich ihre Arbeiten bezogen, "Effi Briest", "Anna Karenina", "Die Nibelungen", und der Umsetzung als einerseits liebevolle, andererseits armselige Liederabende. "Günther Gründgens" aber hat keine Fallhöhe, weil der Abend erstmals nichts zu erzählen hat: Auf der inhaltlichen Ebene geht es ausschließlich um die Biografie einer Figur, bei der von Anfang an klar ist, dass sie (nicht einmal gut) erfunden ist. Was nicht heißen soll, dass "Günther Gründgens" auf der Bühne nichts hergebe.

Deutsches SchauSpielHaus Hamburg: „Günther Gründgens – ein Leben, zu wahr, um schön zu sein“ Musikalischer Festakt von Barbara Bürk und Clemens SienknechtRegie: Barbara Bürk und Clemens Sienknecht. Bühne und Kostüme: Anke Grot. Premiere am 21.1.2022 im SchauSpielHaus. Foto: Angelika Richter, Jan-Peter Kampwirth, Clemens Sienknecht, Sandra Gerling, Michael Wittenborn, Yorck Dippe © Matthias Horn, 2022. Die Bilder dürfen im Rahmen der Ankündigung und Berichterstattung unter Nennung des Copyrights honorarfrei genutzt werden. Bitte senden Sie uns ein Belegexemplar an presse[at]schauspielhaus.de. Kontakt zum Fotografen: Matthias Horn.0171 5438029 / matthias@hornphotography.deIm Vereinsheim: Angelika Richter, Jan-Peter Kampwirth, Clemens Sienknecht, Sandra Gerling, Michael Wittenborn, Yorck Dippe © Matthias Horn

Schauspielerisch bietet die Aufführung hübsche Miniaturen: Es ist ein Vergnügen, Kampwirth dabei zuzusehen, wie er jedes Requisit umschmeißt, an dem er vorbeiläuft. Wenn Wittenborn Gründgens' biografische Daten runterleiert, dann hat das eine große Melancholie. Und wenn Richter Bronski Beats Smalltown Boy ins Mikro heult, dann spürt man herzzerreißende Leidenschaft. Überhaupt ist die Produktion musikalisch ein Genuss – die Songs sind toll arrangiert, und wenn Sienknecht mit Bass, Gitarre, E-Drums und Loopbox Achtziger-Coolness performt, dann hört man, was das Format Liederabend zu leisten im Stande ist. Und Anke Grots detailgenaue Ausstattung, die riesigen Brillen, die Schlaghosen und die heruntergekommene Bühnenspießigkeit wurden hier noch gar nicht genug gelobt.

Aber dann knallt wieder ein Günther-Wortspiel in die Inszenierung, und der Zauber ist vorbei. Gründgens habe an einem "Güntherwertigkeitskomplex" gelitten, wussten Sie das schon? Gute Güte.

Wie wenig der Abend fokussiert ist, hört man im Reenactement einer avantgardistischen Komposition des Alleskönners. Die Flöte zittert, das Theremin wimmert, das Becken zischelt, und Rainer Böddeker (als Stargast "Guido Gründgens", Günthers Großneffe) singt: "Das verirrte Kind und der Leuchtkäfer". Und da erinnert der liebevolle Liederabend plötzlich an den stockreaktionären, kunstfeindlichen "Hurz!"-Sketch von Hape Kerkeling. Aber dass Bürk und Sienknecht sich in dieser Nachbarschaft wohl fühlen würden, das will man doch nicht glauben.

 

Günther Gründgens – ein Leben, zu wahr, um schön zu sein
Musikalischer Festakt von Barbara Bürk und Clemens Sienknecht
Regie: Barbara Bürk, Clemens Sienknecht, Bühne und Kostüme: Anke Grot, Licht: Rebekka Dahnke, Dramaturgie: Sybille Meier.
Mit: Yorck Dippe, Sandra Gerling, Jan-Peter Kampwirth, Friedrich Paravicini, Angelika Richter, Clemens Sienknecht, Michael Wittenborn und: Rainer Böddeker, Olaf Rausch
Premiere am 21. Januar 2022
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.schauspielhaus.de


Kurze Ausschnitte aus der Produktion gibt's im Vorbericht im "Hamburg Journal" des NDR.

Kritikenrundschau

Für Stefan Grund von der Welt (22.1.2022) "handelt es sich bei diesem musikalischen Theaterabend um nicht mehr und nicht weniger als einen grandios gespielten, urkomischen, zweistündigen Festakt". Die "Textfassung von Barbara Bürk ist herrlich versponnen und wahrhaft lustig", lobt der Kritiker und hebt insbesondere den "überragend performenden Clemens Sienknecht" hervor, "den man vom ersten Auftritt an nur anstarren kann – so selbstverständlich lebt er seine Persiflage auf Fremdschämauftritte. So wird aus Kleinkunst Großkunst. So wie Sienknecht changiert, chargiert und schillert der bunte Abend, diese Revue zu Ehren der Kunst, aus einem Elefanten eine Fliege zu machen."

Peter Helling schreibt auf ndr.de, der Website des NDR (online 22.01.2022 09:30 Uhr):m Die Bühne habe "den Charme einer Schulaula, irgendwo in der Provinz", alles sei "over the top" und "ein bisschen billig". Der Abend sei ein "großer hochmusikalischer Blödsinn". Das Stück habe "die grellen Posen, Kostüme und Frisuren einer Fernsehshow der 70er Jahre, inklusive herrlich doofer Werbepausen". Bleibe die Frage: "Wieso das Ganze? Denn gespielter Witz reiht sich an gespielten Witz." Daraus werde aber noch kein guter Theaterabend, "der mehr wäre als eine musikalisch hervorragende Nummernrevue".

Kommentare  
Günther Gründgens, Hamburg: Hurz stockreaktionär und kunstfeindlich?
Wer Hape Kerkelings genialen und mutigen "Hurz"-Klassiker als "stockreaktionär, kunstfeindlich" kritisiert, sollte damit leben können, selbst als elitär und humorlos kritisiert zu werden. Oder sich zumindest darüber im klaren sein, dass das Elitär-Humorlose im Musikbetrieb der "Modernen Musik" nicht nur das Bild des vorgehaltenen Spiegels, sondern auch die Grundlage dafür ist, dass "Hurz" so grandios funktioniert.
Schreibe ich als Freund der "Modernen Musik", der ich mich trotzdem über "Hurz" erleichtert freuen konnte.
Ein bisschen Distanz tut manchmal gut. Und lachen...
Günther Gründgens, Hamburg: ausgereizt
Als Musikkabarett hat der zweistündige Abend durchaus seinen Reiz. Das Ensemble jongliert mit Stilen und Genres, parodiert Hits, jagt von Ohrwurm zu Ohrwurm. „Reich mir die Hand mein Leben“, „Angie“, „Je t´aime“, kaum ein bekannter Song ist davor sicher, in dieser Revue aufgespießt werden. Oft ist der Gesang der Gründgens-Fans bewusst dilettantisch, aber Angelika Richter performt die „Small Town Boy“-Ballade und erreicht immerhin eine 7-8 auf der Mehmet Ateşçi-Skala.

Zwischen den einzelnen Songs dieses Liederabends hängt der Abend aber zu oft dramaturgisch durch: kleine Sketche werden aneinander gereiht, zünden jedoch nur selten, da der Running gag der „Günther“-Wortspiele zu Tode geritten wird. In zu vielen Variationen versucht das Team, die eine Grundidee wie eine Zitrone auszupressen. Von „Peer Günther“ bis „Günthersloh“ wird kaum ein Kalauer ausgelassen, mit dem die Gründgens-Combo das Publikum traktiert.

Das Dilemma dieser Erfolgsreihe: Als Musikkabarett funktionierte die Reihe wohl selten so gut wie diesmal. Das Spiel mit den Genres macht Spaß und streckenweise ist es musikalisch sogar ein Genuss, wie Falk Schreiber schrieb. Aber das Format stößt auch langsam an seine Grenzen. Die Ideen scheinen ausgereizt. Zu oft ist der Abend nur um Skurrilität bemüht, aber nicht witzig, wenn er sich an der Kunstfigur Günther Gründgens abarbeitet.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2022/01/24/gunther-grundgens-schauspielhaus-hamburg-kritik/
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