Kreuz und Queer

5. Februar 2022. Das Stück "Nur drei Worte" ("Three Little Words") der australischen Erfolgsdramatikerin Joanna Murray-Smith führt in Beziehungsabgründe und ist bestes Schauspieler:innenfutter. Jetzt hat Folke Braband das rasante Gesellschaftsstück inszeniert.

Von Steffen Becker

Bleib mir vom Leib! Curtis (René Steinke) und Tess (Lisa Wildmann) © Martin Sigmund

5. Februar 2022. "Nur drei Worte" ist eines dieser Stücke, die man aus dem Theatersaal mit nach Hause nimmt. Dort schaut man sich um und fragt sich, für welchen Einrichtungsgegenstand man selbst wohl dem Partner beziehungsweise der Partnerin an die Gurgel gehen würde.

Gefährdete Besitzansprüche

"Wir trennen uns", sind die drei Worte, die diese Gedanken provozieren. Sie fallen inmitten von etwas, was eigentlich als Feier des fünfundzwanzigjährigen Jubiläums einer Ehe gedacht ist. Die Stimmung auf der Bühne des Alten Schauspielhauses Stuttgart ist ausgelassen. Zu Beginn ist nicht abzusehen, dass man sich am Ende prügelt um so etwas Nutzloses wie einen Tantalus (diesen Gegenstand kann man in einem halb offenen Ausziehschrank nur erahnen – und muss daher an dieser Stelle erläutern, dass es sich um einen Karaffen-Gestell handelt).

Die sich da am Ende prügeln, das sind Tess und Curtis, die ihre besten Freundinnen eingeladen haben: Bonnie und Annie, deren Beziehung Regisseur Folke Braband als lesbisches Spiegelbild inszeniert: Zwei erfolgreiche Frauen, die sich von ihren Partnerinnen jeweils bewundern lassen wollen. Aber Tess, einer erfolgreichen Verlegerin, reicht es nicht mehr, sich ihrem Mann – einem Lehrer – überlegen zu fühlen. Sie will nicht mehr als Teil einer Einheit gesehen werden. Sie will wieder als Individuum strahlen – irgendwie und ohne abzusehen, was sie damit auslöst. Bonnie und Annie stürzen die drei Worte ebenfalls in die Krise. Bonnie sieht ihre Besitzansprüche gefährdet, Annie fragt sich, was sich bei ihnen ändern muss, wenn das nach außen so harmonische Freundespaar getrennte Wege geht.

Verlorenheit der Menschen

Was folgt, ist ein rasantes Kreuz und Quer von als Vermittlungsversuchen getarnten Ego-Trips. Die Inszenierung geht unter die Oberfläche einer Scheidungskomödie und greift auch die Anspielungen des Textes auf patriarchale Verhältnisse nur nebenbei auf (die Lesben sind die wahren Heteronormativen!). Regisseur Braband legt das Augenmerk auf die Verlorenheit von Menschen, die mit sich unzufrieden sind, aber auch nichts Besseres mit sich anzufangen wissen. Seine Inszenierung braucht ein bisschen Anlauf, um dafür den richtigen Fokus zu finden. Zu Beginn dominieren lauter Ton und grobe Zeichnung: ein Lehrer wie Curtis hat auf der Bühne Cordjacke mit Ärmelschoner zu tragen.

Nur drei Worte 4 MartinSigmund uAm Ende brechen die Dämme: Natalie O’Hara, René Steinke, Lisa Wildmann und Julia Bremermann © Martin Sigmund

Aber rasch verschieben sich die Akzente: Im Stück selbst – Curtis (René Steinke) und sein Gegenstück Annie (Natalie O’Hara) finden ihre Eier (im übertragenen Sinne) und schauen auf einmal nach sich selbst. Auf der kargen Bühne von Stefan Morgenstern (eine in Rechtecke unterteilte Rückwand, einige Kisten und verschiedene Lichtfarben) kann der Regisseur das Auge gut auf Details lenken. Ein missverständlich ins Leere laufender Begrüßungskuss illustriert die Oberflächlichkeit der zelebrierten besten Freundschaft der Paare. Der beste Einblick in die Dynamik der lesbischen Beziehung sind die Blicke von Julia Bremermanns Bonnie, die zielsicher in ein Endgerät oder ins Publikum wandern, wenn sie zu (nicht mit) ihrer Frau spricht.

Boshafter Witz, einfühlende Inszenierung

Die größte Stärke der Inszenierung ist ihr Umgang mit den eigentlich unsympathischeren, dominanten Frauen. Bonnie und Tess (Lisa Wildmann) reagieren auf den Verlust von Kontrolle über Frau/Mann und Leben mit Um-Sich-Schlagen. Regisseur Braband lässt das aber nie in keifenden Slapstick ausarten. "Nur drei Worte" lässt den Schauspielerinnen Raum, die Unsicherheiten der Bestimmerinnen zu zeigen. Ohne Bloßstellung der Figuren, denen man sich als Publikum dadurch emotional nähert.

Diese Tiefenschärfe – gerichtet auf menschliche Beziehungsunfähigkeit – bei allem boshaften Witz mitfühlend inszeniert, die fühlbar gute Chemie der vier Schauspieler:innen, sind der eigentliche Höhepunkt von "Nur drei Worte". Das arg vorhersehbare Action-Ende (wie geht es wohl für das Objekt der Begierde, den Tantalus, aus?!) mitsamt zusammenfassender Ansprache bleibt im Rückblick auf den Abend eher Nebensache.


P.S.: Im Haushalt des Kritikers wäre im Scheidungsfall übrigens ein Bauernschrank der Kriegsgrund, der perfekt in eine Nische passt. Falls Du das liest: Wage es ja nicht!

 

Nur drei Worte
von Joanna Murray-Smith
Deutsch von Peter und John von Düffel
Regie: Folke Braband, Bühne und Kostüme: Stefan Morgenstern, Dramaturgie: Annette Weinmann.
Mit: Julia Bremermann, Natalie O'Hara, Lisa Wildmann, René Steinke.
Premiere am 4. Februar 2022
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, eine Pause

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Kritikenrundschau

"Gibt es ein Zurück, wenn man die Beziehungskiste namens Ehe mutwillig ins Aus steuert?" Fragen wie diese stelle Murray-Smiths "wortgewaltige Beziehungskomödie", schreibt Julia Lutzeyer in den Stuttgarter Nachrichten (7.2.2022). Regisseur Folke Braband inszeniere die Selbstzerstörung eines Paars als "eine Folge sich doppelt zuspitzender Szenen": "Während die einmal geschlagene Wunde weiter schwärt, wird immer deutlicher, dass die Liebe noch eine Chance hätte." Wie "Getriebene in eigener Sache" agierten dabei die Darsteller:innen: Lisa Wildmann sei eine auf Hochtouren laufende Tess, die ihren Aktionismus nicht mehr in den Griff bekom; René Steinke spiele den Curtis als einfühlsam und zugleich tief verletzt. Gut aufeinander abgestimmt seien Julia Bremermann als die jede Schwäche lax überspielende Bonnie und Natalie O’Hara als unterschätzte, aber wachsame Annie. Die beiden hielten "mühsam die Balance, um nicht mit in die Abwärtsspirale zu geraten". Dabei liege auch bei ihnen so einiges im Argen.

Mit Tempo und fokussiert aufs Wesentliche erzähle Folke Braband die spannende Beziehungsgeschichte, schreibt Arnim Bauer in der Ludwigsburger Kreiszeitung (7.2.2022). Dabei verzichte die Regie auf billige Effekte und Slapstickeinlagen und nutze "hervorragend die Möglichkeiten, die das kluge Stück bietet". Was wie eine dutzendfach variierte Ehegeschichte beginne, erweise sich "als eine sehr genau beobachtete, sehr fein gezeichnete, klug gebaute Story über menschliche Beziehungen, über Lebensgefühle unserer Zeit". Die vier Figuren wüssten vor lauter Sattheit und Zufriedenheit nicht mehr, was sie mit ihrem Leben anfangen sollten. Was sie hätten, wollten sie nicht (mehr), könnten sich "im Stile von trotzigen Kindern" aber auch keine Alternative vorstellen. Alle vier Rollen seien hervorragend besetzt, die Schauspieler:innen formten präzise ihre Charaktere und machten sie "ungemein greifbar".

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