Ein ewiger Kreis

12. Februar 2022. Dreadlocks, Blackfacing, Minderheiten diskriminierende Kostüme: Phänomene, die in gegenwärtigen Debatten mit dem Konzept der kulturellen Aneignung verknüpft werden. Zwei Wochen vorm Start der närrischen Zeit schauen Joana Tischkau und ihr Ensemble sich die deutsche Karnevalskultur genauer an. Und das Lachen bleibt in der Kehle.

Von Theresa Schütz

Fragmente des Weißseins: "Karneval" am Theater Oberhausen in der Regie von Joana Tischkau © Katrin Ribbe

12. Februar 2022. Die Bühne ist durch aufgetürmte Bierfässer der "Königs Brauerei" verschlossen. Nach und nach arbeitet sich eine Gruppe Clowns, von elektronischer Klangkulisse begleitet, durch die Fässerwand hindurch – zuweilen grimassierend ins Publikum blickend. Den Feier-Auftakt liefert ein Auszug aus dem Karnevalslied Viva Colonia der Kölner Band Höhner. Dieses läuft klangverzerrt vom Band und wird von den Clowns lippensynchron performt. Darauf ein Bier! Nach dieser etwas zombiehaften Eröffnung bleibt ein weißer Clown mit Dreadlocks (Julius Janosch Schulte) zurück.

Eingelassener Notausgang 

Dieser Abend könnte dem:der einen oder anderen Karnevalist:in die Freude am Jeckentum vermiesen. Und das ausgerechnet in Oberhausen, nicht weit von der Hochburg des rheinischen Karnevals entfernt. Zwei Wochen vorm Start der närrischen Zeit nehmen sich Joana Tischkau und ihr Ensemble Fragmente deutscher Karnevalskultur vor. Und eröffnen mit der verschobenen Premiere "Karneval" zugleich das nach der Sanierung wiedereröffnete Große Haus.

Szenenwechsel. Vor einer Holzwand mit eingelassenem Notausgang tritt die verfremdete Stimme von Annegret Kramp-Karrenbauer durch eine Spielerin auf, die sich sorgt, dass mit der Kritik am Karneval "ein Stück Tradition und Kultur in Deutschland kaputt" gehe. Später wird die Stimme eines AfD-Politikers einfordern, dass Schüler:innen mehr deutsche Volkslieder lernen mögen; auch der CSU-Slogan "Damit Deutschland Deutschland bleibt" taucht in der Audiospur auf. Dazwischen gibt es verfremdete Cover-Versionen von Drafi Deutscher und Roberto Blanco, Karl Berbuers Karnevalshymne "Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien" von 1948 oder des Ballermann-Songs "Der Bass muss ficken" zu erleben. Letzteren mimt Joana Tischkau, die gemeinsam mit ihrer Choreografieassistentin Rahma Klein für den erkrankten Schauspieler Henry Morales eingesprungen ist, als Persiflage eines schmierig-selbstverliebten Machos in braunem Anzug.

karneval 3 C Katrin RibbeDie Jecken sind wenig amüsiert © Katrin Ribbe

Ein leitmotivisches Bindestück in diesem Referenz-Sammelsurium, ist die Verzahnung mit Disneys "Der König der Löwen". Schulte spricht Simba-Passagen und besetzt damit die Rolle des Löwenkindes, das nach dem Tod des Vaters flieht und später zurückgeholt wird, um seinen Platz als rechtmäßiger Nachfolger in der Tier-Monarchie einzunehmen. In den Playback-Szenen wird aus der Identitätssuche des Löwenkönigs die Identitätssuche des "Deutschländers", der sich endlich seiner Vergangenheit stellen müsse. Diesem "Deutschländer" wird zwischendurch noch Thomas Gottschalk in den Mund gelegt, wie er versucht, sich für seine Blackface-Verkleidung als Jimi Hendrix zu rechtfertigen.

Auf der weißen Prunksitzung

Dreadlocks, Blackfacing, Stereotype, Minderheiten diskriminierende Karnevalskostüme – alles Phänomene, die in gegenwärtigen Debatten mit dem Konzept der kulturellen Aneignung verknüpft werden. Darunter versteht man Vorgänge, bei denen Personen aus der Dominanzgesellschaft Elemente aus einer marginalisierten Kultur rücksichtslos übernehmen. Im Playback-Karneval wird das Thema Gegenstand einer (weißen) Prunksitzung – und direkt zum Verlachen und Nicht-Weiter-Ernst-Nehmen freigegeben.

karneval 2 C Katrin RibbeKönigreich der Verweise © Katrin Ribbe

Tischkau knüpft thematisch wie formal an frühere Arbeiten wie "The Blackest Black Show", "Colonastics" oder "Being pink ain't easy" an. Während sich Erstgenannte am Beispiel der "Mini Playback Show" mit der Produktion von rassistischen Klischees von Blackness in der Musikbranche beschäftigte, standen in den Folgearbeiten dekonstruierende Perspektiven auf Performanzen des Weißseins im Zentrum. "Karneval", Tischkaus Stadttheater-Debüt, hält der "weiß-deutschen" Dominanzgesellschaft einen Spiegel vor, indem Versatzstücke aus der Pop-, Schlager- und Karnevalskultur herausgegriffen, verfremdet sowie ihrerseits z.B. über Hip-Hop-Moves oder Tiermuster-Kostüme neu besetzt werden. Eine (Rück-)Aneignung einiger Aneignungen sozusagen.

Problematischer Universalismus

Wo Beyoncé kürzlich mit Black is king eine visuelle Überschreibung des "König der Löwen"-Stoffs im Sinne Schwarzen Empowerments veröffentlicht hat, greift "Karneval" im Sinne kritischer Weißseinsforschung vor allem den problematischen Universalismus im Circle-of-Life-Song auf: "Wir sind alle Teil dieses Universums / und das Leben / ein ewiger Kreis". Es sind solche liedgewordenen Narrative, die sich gut verkaufen und gut klingen, die aber letztlich – wie sich am Film-Plot und über ihn hinaus zeigt – nur den Lauf bestehender, ungleicher Machtverhältnisse naturalisieren. Bei diesem Karneval darf das Lachen ruhig mal im Halse stecken bleiben.  

 

Karneval
Regie & Konzept: Joana Tischkau, Bühne: Carlo Siegfried, Kostüme: Mascha Mihoa Bischoff, Künstlerische Mitarbeit / Dramaturgie: Anta Helena Recke, Musik: Frieder Blume.
Mit: Dori Antrie, Sophia Hankings-Evans, Nina Karimy a. G., Agnes Lampkin, Moses Leo, Henry Morales, Anna Polke, Julius Janosch Schulte.
Premiere am 11. Februar.2022
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.theater-oberhausen.de

Kritikenrundschau

An Einsatzbereitschaft mangele es dem Abend nicht, schreibt Alexander Menden in der Süddeutschen Zeitung (14.02.2022). Im Ergebnis sei "Karneval" dennoch eine "vergebene Chance". Es fehle dem Abend nicht nur an "Genauigkeit in der Umsetzung, sondern vor allem an inhaltlichem Biss", urteilt der Kritiker: "Man fühlt sich an das Studententheater erinnert - sympathisch, aber zahnlos."

"Die erste Inszenierung der vor Spielzeitbeginn angekündigten 'Saison der Uraufführungen' ist keineswegs so platt wie die unerbittliche Botschaft befürchten ließe", freut sich Ralph Wilms in der Neuen Ruhr Zeitung (13.2.2022). Jedenfalls sei der "inszenatorische Aufwand für einen Kübel Hohn gegen die 'weiß-deutsche Karnevalskultur' nach dem schunkeligen Auftakt ('Met ner Pappnas jeboore') erstaunlich feingliedrig", so der Rezensent, der gleichzeitig Joana Tischkaus "ansprechendes Bewegungstheater" lobt.

Der Karneval sei schon eine "dankbare Wahl" für die "Untersuchung und Anprangerung  von als rassistisch wahrnehmbaren Rücksichtslosigkeiten und Exklusionsmechanismen", schreibt Andreas Falentin in Die deutsche Bühne (13.2.2022). Dennoch gebe Tischkaus Inszenierung "teilweise Rätsel" auf: "In stärkerem Maße befremden die musikalischen Arrangements von Frieder Blume, bei denen überdies (zu) selten das Tempo variiert wird." Was bleibe, sei die "momentweiser Erschütterung" eines "in vielen Komponenten brillanten Theaters der Haltung und Wertung", mit dessen moralischer Dimension der Rezensent dennoch hadert.

 

 

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