System der Angst

18. Februar 2022. Die Schriftstellerin Ines Geipel verbindet in "Umkämpfte Zone" persönliche Erinnerungen einer Familie aus dem Osten mit den großen Umbrüchen der deutschen Geschichte. Kathrin Mayr inszeniert den Stoff am Hamburger Monsun Theater. Hier, tief im Westen, kommt er gerade zur rechten Zeit.

Von Falk Schreiber

 

Ines Geipels „Umkämpfte Zone“ in der Regie von Kathrin Mayr am Monsun Theater Hamburg © G2 Baraniak

18. Februar 2022. "Ich frage mich, warum wir über all das nie gesprochen haben. Woher wir kommen, wer wir sind?" Robby hat einen Hirntumor, nach und nach löst sich seine Erinnerung auf. Und für ihn erinnert sich seine Schwester: an die Kindheit in der DDR, an den Zusammenbruch des Staates, an die Wiedervereinigung, an die Baseballschlägernazis in den Neunzigern und an Pegida in der Gegenwart. Schließlich: an das, woher wir kommen. An den Großvater, der bei der SS war, an den Vater, der fürs Ministerium für Staatssicherheit spionierte. "Identitätsgeschichte Ost", heißt es an einer Stelle in Clemens Mädges Dramatisierung von Ines Geipels Essay "Umkämpfte Zone", "Angstsystem DDR" an einer anderen, und Vanessa Czapla drischt dazu wüst auf ein Schlagzeug ein.

Mädge ist nicht der erste Theatermacher, der den Reiz von Geipels 2019 erschienenem Buch für die Bühne entdeckt, schon 2020 inszenierte Armin Petras eine eigene Fassung (von der Örtlichkeit her passend) in Cottbus. Aber wo Petras ein vielköpfiges Bestiarium ostdeutscher Politpsychologie auffuhr, reduziert Mädge die Handlung auf den Erinnerungsraum der Erzählerin: Aufgeteilt auf die drei Schauspielerinnen Vanessa Czapla, Julia Nachtmann und Julia Weden jagt der Text durch ihre Konstruktion von Vergangenheit, bis zur abschließenden Frage "Was war sie denn nun, die DDR?". Antwort gibt es keine, und vielleicht ist das der große Pluspunkt von Kathrin Mayrs Inszenierung am Hamburger Off-Theater Monsun: dass das alles fragmentarisch bleibt, eine unzuverlässige Erinnerung, die es sich dann auch trauen darf, absolute Wahnsinnssätze in den Raum zu stellen. "Zu 2022 gehört 1933", das ist so ein kaum auszuhaltender Satz, aber weil Weden ihn mit einem lakonischen "Vielleicht hat mein Verdrängen ja eine Funktion, die nicht nur negativ ist?" kontrastiert, steht er da und hat seine Berechtigung. Vielleicht.

Abwechslung im Immergleichen

Der Preis für diesen fragmentarischen Zugang: Der Abend ist durch und durch spröde. Meist sprechen die drei Darstellerinnen in Richtung Publikum, und dass sie dabei all ihr schauspielerisches Können aufbringen, dass sie innerhalb von Sekunden von kindlicher Freude zu Aggression und von dort zu tiefer Traurigkeit switchen, ändert nichts daran, dass dieses Spiel optisch wenig bietet. Mal gibt Czapla einen Rhythmus am Schlagzeug vor, mal flimmern abstrakte Zeichen, kurze Erinnerungsfetzen, weißes Rauschen über Francoise Hüsges’ Bühneninstallation (Video: Frederik Werth), das sorgt für eine gewisse Abwechslung, die freilich eine Abwechslung im Immergleichen ist. Die Erinnerung der Protagonistin lässt einen nicht an sich ran, und so wenig lässt einen diese Inszenierung an sich ran. Immerhin: konsequent.

Überhaupt muss man bei aller Kritik feststellen: Mayrs Inszenierung will künstlerisch etwas, und sie besitzt eine ästhetische Konsequenz, mit der sie dieses Wollen durchzieht. Der Abend ist stark, gerade weil er sich der harmonischen Auflösung verweigert. (Nur viel länger als 90 Minuten hätte er nicht dauern dürfen.)

Ein Lebenszeichen

Gerade angesichts der widrigen Bedingungen, denen die Off-Szene derzeit ausgesetzt ist, beeindruckt diese ästhetische Konsequenz. Zumal das 1980 gegründete Monsun Theater, immerhin die traditionsreichste Off-Bühne Hamburgs, unter verschärften Problemen zu leiden hat: Nicht nur, dass die Pandemie das freie Theater insgesamt schwer getroffen hat, das Monsun steckt auch noch seit Jahren in einem vertrackten Sanierungsverfahren, das die Bühne im Ausgehviertel Ottensen unbespielbar macht. "Umkämpfte Zone" ist die erste Eigenproduktion, die als Hybridpremiere sowohl online als auch in Präsenz in der endlich gefundenen Ausweichspielstätte aufgeführt werden kann, einer unweit vom eigentlichen Standort befindlichen Lagerhalle. Und die Inszenierung macht das Beste aus dieser misslichen Situation: Sie erzeugt eine überregionale Wahrnehmung für ein Theater, das gerade nichts nötiger hat als solch eine Wahrnehmung, für ein Theater, das verzweifelt ein Lebenszeichen senden muss, "Hallo, wir sind noch da!". Dass Mayr einen allerdings darüber hinaus fordert, dass sie sich nicht anbiedert, dass sie sich traut, die Unversöhnlichkeit ihrer Geschichte in eine ebenso unversöhnliche Ästhetik zu übertragen, das macht "Umkämpfte Zone" zu einem wirklich großen Theaterabend. Gerade weil dieser Abend alles dafür tut, dass man ihn eigentlich nicht mag.

 

Umkämpfte Zone
von Clemens Mädge nach dem Roman von Ines Geipel
Regie: Kathrin Mayr, Bühne/Bildregie/Produktionsleitung: Francoise Hüsges, Kostüme: Marie-Luise Otto, Videodesign: Ferderik Werth, Dramaturgie/Sounddesign: Clemens Mädge.
Mit: Vanessa Czapla, Julia Nachtmann, Julia Weden.
Premiere am 17. Februar 2022
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

http://monsun.theater

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