Future Lab Festival – Schubert Theater Wien – Puppentheater zur Zukunft digitaler Kunst
Würstelstand im World Wide Web
21. Februar 2022. Das Wiener Schubert Theater, spezialisiert auf Puppenspiel für ein erwachsenes Publikum, erkundet im Rahmen des Festivals "Future Lab" die digitale Zukunft des Theaters.
Von Petra Paterno

21. Februar 2021. "Im Figurentheater erwecken wir tote Gegenstände zum Leben", sagt Simon Meusburger: "In der virtuellen Realität nehmen wir statt der Puppen eben Pixel." Der Intendant des Wiener Schubert Theaters, das sich seit mehr als zehn Jahren dem Puppenspiel verschrieben hat, präsentiert den Februar hindurch im sogenannten "Future Lab" einen dichten Spielplan aus Online-Inszenierungen, flankiert von zwei Gesprächsrunden, die Theatermacher, Medienkünstler, Gamer und VR-Techniker zusammenführen. Die Inszenierungen, die im Rahmen von Future Lab gezeigt werden, verknüpfen neueste Technologien mit dem uralten Handwerk des Figurentheaters.
Virtuelle Reise
"I sull wos Digitales mochen? Na geh bitte, lasst’s mi in Ruah!" In kantigem Wienerisch raunzt sich Resi Resch durch ihren ersten Online-Auftritt in der Miniserie "Ein Würstelstand auf Weltreise". Resch ist eine menschengroße Klappmaulpuppe, entwickelt und geführt von Puppenspielerin Manuela Linhsalm. Als Würstelbudenverkäuferin kommentiert sie gemäß ihres Nachnamens polternd ihre Reisen nach New York und Krakau (Folgen zwei und drei). Die Puppe reist virtuell, die Puppenspielerin bleibt hinter dem Blue-Screen verborgen; jede Folge dauert knapp 20 Minuten. Die Miniserie wird noch bis 26. Februar gestreamt.
Ein Wuerstelstand auf Weltreise © Schubert Theater Wien
Noch einen Schritt weiter geht die Bühne in Zusammenarbeit mit dem Virtual-Reality-Spezialisten Olivier Schaffer. In einem Pilotprojekt wurden vorerst fünf Szenen aus dem abendfüllenden Puppentheaterstück "Cirkus der Träume" mit VR-180-Grad-3D-Technolgoie gefilmt. Die jeweils rund fünfminütigen Beiträge lassen sich im Haus mit passender Brille erleben, als Ergänzung zum Live-Theater. Intendant Meusburger kann sich außerdem weitere Virtuelle-Realitäts-Interaktionen vorstellen. "Die VR-Technologie ermöglicht neue Theatererfahrungen", sagt Schaffer: "Es lassen sich ungewohnte Perspektiven einnehmen. Die Puppen kommen einem extrem nahe, überwinden gleichsam die Distanz zwischen Bühne und Zuschauerraum." Schaffer kann lange von der Parallelwirklichkeit via Technik schwärmen, die einen buchstäblich in fiktive Welten eintauchen lässt. "Bald werden VR-Brillen genauso zu unserem Alltag gehören wie Smartphones." Zunächst wird VR-Filmer Schaffer im Rahmen des zweiten Expert:innen-Gesprächs am 28. Februar aber sehr real am Podium zu erleben sein.
Chance und Inspiration
Johanna Pirker ist ebenfalls überzeugt davon, dass Gaming- und VR-Techniken beispiellose Erfahrungen und Interaktionen ermöglichen werden. Die Professorin für Game-Research und Virtual Reality an der TU Graz erblickt darin eine "Chance und Inspiration" für das Theater. Die Informatikerin war bereits am 17. Februar bei der ersten Ausgabe der "Future Talks" zu Gast im Schubert Theater. "Bei einer 360-Grad-VR-Erfahrung stehen Theater und Gaming vor ähnlichen Herausforderungen", sagt Pirker: "Wie fokussiere ich die Aufmerksamkeit des Publikums? Das Theater hat darin jahrhundertelange Expertise. Insofern sehe ich großes Potenzial für Kooperationen."
Pirkers Credo sind ohnehin neue strategische Partnerschaften zwischen Kunst und Technik, Theater- und Videospielfans. Die Film- und Gaming-Industrien sind bekanntlich seit geraumer Zeit eng verwoben – siehe "Matrix", "Assassin's Creed", "Arcane". Ist es also hoch an der Zeit für neue Techno-Expeditionen ins Reich von Shakespeare und Co? Pirker definiert Gaming jedenfalls als Kunstform, die gegenwärtig einen Demokratisierungsschub erlebt: "Die Tools sind zugänglicher geworden. Auch kleine Teams mit geringen Budgets können etwas auf die Beine stellen."
Screenshot aus "May.be 2.0"
Also ab ins Virtuelle. Im Schubert Theater wurde die Aufführung "May.be 2.0" mit Unterstützung der Plattform Mozilla Hubs in den virtuellen Raum versetzt (noch bis 24. Februar auf der Homepage zu besichtigen). Die Zuschauer betreten als Avatare das virtuelle Theaterfoyer und erkunden für die Dauer der rund einstündigen Vorstellung einzelne Räume, in denen abgefilmte Miniaturszenen zu sehen sind. Antike trifft Avatar, unter anderem in Form einer Begegnung mit Platons Höhlengleichnis.
Kleine Bühne, große Fragen
Für Alexander Kerlin schließlich wird es immer dann interessant, wenn sich die Auseinandersetzung mit Technik auf den Theaterinhalt niederschlägt. "Das Internet verändert Sehgewohnheiten und Erzählformen", sagt der Dramaturg und Mitbegründer der Dortmunder Akademie für Theater und Digitalität – und nennt Beispiele: "Fragmentierung, Loops, Samples, Mash-Ups." Kerlin wird am 28. Februar als Gast bei der zweiten Gesprächsrunde auf dem Podium Platz nehmen, zum "Future Lab"-Finale. "Die digitale Übertragung und Verarbeitung ist dermaßen schnell und zuverlässig geworden, so dass sich völlig neuartige Anwendungen für die Bühne ergeben. Die Technik kann ein gleichberechtigter Mitspieler sein." Zukunft findet statt. Bis Ende Februar in einer kleinen Wiener Kellerbühne, die sich den großen Fragen stellt.
Future Lab – Die Zukunft und das Theater
Ein Würstelstand auf Weltreise
Von und mit Manuela Linshalm
Regie 6 Text: Manuela Linshalm, Stephan Lack, Simon Meusburger, Puppen: Nikolaus Habjan, Manuela Linshalm, Marianne Meinl, Lisa Zingerle, Angelo Konzett, Videobearbeitung & Bildregie: Mathias Hradecsni, Angelo Konzett. Schnitt: Julia Braunegger, Technik: Marvin Schriebl, Musik: Heidelinde Gratzl
Spiel: Manuela Linshalm (als Gäste: Angelo Konzett, Luciana Oliviera-Sousa)
Premiere am 3. Februar 2022
Dauer: fünf Folgen à rund 20 Minuten
MAY.be 2.0
Regie, Text & Musik Simon Meusburger
Technik, Video & Animation: Mathias Hradecsni, Puppenbau & Ausstattung: Nazanin Mehraein, Michaela Studeny, Rodrigo Martinez, Melanie Möhrl, Claudia Six, Soffi Povo, Manuela Linshalm, Lisa Zingerle, Christoph Bochdansky, Angelo Konzett, Kai Anne Schuhmacher, Dramaturgie & Moderation: Jana Schulz, Assistenz Julia Braunegger
Spiel: Nazanin Mehraein, André Reitter, Michaela Studeny, Angelo Konzett, Andrea Köhler, Julia Braunegger, Simon Meusburger, Nini Gschwandtner
Video mit Puppenensemble “Theatererlebnis” Angelo Konzett & Julia Braunegger
Dauer: ca. 80 Minuten
https://schuberttheater.at
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