Spitze der Bewegung

8. März 2022. Heute ist Internationaler Frauentag. Aber wer feiert hier überhaupt? Sind wirklich alle Frauen gemeint und dabei? Und gibt's überhaupt etwas zu feiern?  Oder fließen hier bloß weiße Tränen durch patriarchale Täler?

 

Von Natasha A. Kelly

8. März 2022. Heute feiert Deutschland – allen voran Berlin – den Internationalen Frauentag. Wie Kleinkinder ihren Geburtstag zelebrieren vor allem weiße cis Frauen ihre noch nicht erreichte Gleichstellung mit dem weißen cis Mann. Doch genau hier liegt die Ursache einer Unwahrheit.

"sie feiern in weiß, wir trauern in schwarz" schrieb einst die afrodeutsche Poetin May Ayim in ihrem Gedicht "blues in schwarz weiß" (1) und kritisierte damit die Feierlichkeiten nach dem Mauerfall, zu denen Schwarze Menschen und People of Color nicht eingeladen worden waren. Stattdessen brannten unsere Häuser in Solingen, Mölln und Rostock Lichtenhagen. Doch Ayims Worte lassen sich auch auf die Frauenbewegung übertragen: Damals wurden Schwarze, jüdische, migrantische und im Exil lebende Frauen schlichtweg in Gleichstellungsfragen "weggedacht". An der Spitze der Frauenbewegung standen weiße, christliche, able-bodied, cis Frauen, die – bewusst oder unbewusst – die Kategorie 'Frau' homogenisierten und ausschließlich ihre eigenen politischen Forderungen in den Mittelpunkt stellten.

Von Schwarzen trans, non-binären, inter- oder asexuellen Frauen oder Frauen of Color war keine Rede. Schwarze lesbische Frauen und lesbische Frauen of Color schafften es, sich durch selbstorganisierte Gruppen wie LesMigras oder ADEFRA vom Rand der Bewegung Gehör zu verschaffen und sind noch heute aktiv. Gefeiert wurden die Internationalen Frauentage aber in weiß – 1/3 der Frauenbewegung feierte nicht mit.

Ein deutsches (Frauen-)Märchen

Blicken wir noch weiter zurück, dann ist es kaum vorstellbar, dass der erste Satz von Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes, "Männer und Frauen sind gleichberechtigt", zu Beginn der 1950er Jahre noch hart erkämpft werden musste. Zu einer Zeit, als die Kinder von Schwarzen US-amerikanischen Soldaten und weißen deutschen Frauen zwangsadoptiert und des Landes verwiesen wurden, kämpften weiße Feministinnen wie die Richterin Erna Scheffler am höchsten deutschen Gericht für Frauenrechte – in Anbetracht der rassistischen Staatsumstände können aber schon damals kaum alle Frauen mitgedacht worden sein.

NAC Illu Kolumne Kelly 2x2Der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer zeigte kaum Interesse. Er belächelte, dass Frauenrechtlerinnen wie Clara Zetkin bereits vier Dekaden zuvor international von sich Reden gemacht hatten. Das Ergebnis: 1911 wurde der erste Internationale Frauentag in Deutschland, Dänemark, Österreich, der Schweiz und in den USA begangen. 1918 folgte das Frauenwahlrecht in Deutschland, aber es sollte noch bis 1975 dauern, bis die Vereinten Nationen den 8. März zum offiziellen "Tag der Vereinten Nationen für die Rechte der Frau und den Weltfrieden" deklarierten. Bis dahin würden noch viele weiße Tränen durch patriarchale Täler fließen.

Über die Tatsache, dass die ehemalige DDR in Sachen Frauenrechte schon weiter fortgeschritten war und mit ihrem 1953 erlassenen "Gesetz über die Rechte der Frauen" den Alltag von Frauen und Müttern im Osten erleichterte, schweigt die bundesdeutsche Politik heute gerne hinweg. Erst 1994 wurde der zweite Satz des zweiten Absatzes des Artikels 3 des Grundgesetzes ergänzt: "Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin." Seitdem ist es Aufgabe des Staates, für faktische Gleichberechtigung zu sorgen. Damit wurde die Zielgerade erreicht und ein deutsches (Frauen-)Märchen zum Greifen nahe.

Nutzlos, schutzlos

Wäre da nicht Absatz 3 von Artikel 3, der in jüngster Zeit für Aufregung sorgte und ein Licht auf das alte Problem in der Frauenbewegung wirft: den Rassismus. Die Bekämpfung des strukturellen Rassismus wird im Gegensatz zur Bekämpfung des Patriarchats aber nur rudimentär zur Chef:innen-Sache erklärt, wenn die Ampelkoalition in ihrem Koalitionsvertrag jetzt fordert, den Rasse-Begriff im Grundgesetz zu ersetzen. Die Begründung: Das Wort sei rassistisch, schließlich könnten Menschen nicht in Rassen eingeteilt werden.

Jüngste Ereignisse an den ukrainisch-polnischen und polnisch-deutschen Grenzen zeugen aber vom Gegenteil: Menschen werden aufgrund ihrer phänotypischen Merkmale, nämlich ihrer dunklen Hautfarbe aufgehalten. Sie werden gezwungen, im Kriegsgebiet zu verweilen, weil ihr Leben nicht so viel wert zu sein scheint wie das weißer ukrainischen Bürger*innen, die nicht daran gehindert werden, vor Putins Krieg zu fliehen und sich in Polen und Deutschland in Sicherheit zu bringen.

Rasse ist das Endprodukt von Rassismus (und nicht umgekehrt) und so lange Menschen Rassegedanken hegen, brauchen wir den Begriff im Grundgesetz als Schutzkategorie. Er erlaubt auch die vermeintlich homogene Kategorie 'Frau' aufzubrechen und Schwarzen Frauen und Frauen of Color in ihrer Ganzheit zu sehen. Ohne die Kategorie Rasse in Absatz 3 von Artikel 3 bleibt auch Absatz 2 für Schwarze Frauen und Frauen of Color nutzlos. Denn unsere Unterdrückungserfahrungen sind spezifisch und nicht von der Geschichte des Rassebegriffs zu trennen, die weit über den Nationalsozialismus hinaus bis zurück in die Kolonialzeit reicht.

In der Machtmatrix

Aus einer Schwarzen feministischen Perspektive kann die Zukunft also nicht einfach einfach weiblich sein, wie es an Tagen wie diesem immer so schön heißt. Denn Vorstellungen von Weiblichkeit in diesem Land sind rassistisch, cis, heteronormativ, christlich und behindernd. Um das zu erkennen, brauchen wir Intersektionalität als Zukunftsperspektive, einen Schwarzen feministischen Ansatz, der wie eine Linse wirkt und erlaubt, von einer Meta-Ebene auf Diskriminierungen und ihre Überschneidungen zu schauen. Denn wir leben in einer Machtmatrix, von daher ist Unterdrückung nie eindimensional, sondern immer vielschichtig – sexistische Diskriminierungen auch!

 

(1) May Ayim "blues in schwarz weiss", Orlanda Frauenverlag Berlin, 1995.

 

Natasha A. Kelly ist promovierte Kommunikationswissenschaftlerin und Theatermacherin. In ihrer Kolumne "Die vierte Säule" schreibt sie über Kunst, Freiheit und andere Unwahrheiten.

Zuletzt schrieb Natasha A. Kelly, wie grüne Kulturpolitik wirklich grün werden kann.

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Kommentare  
Kolumne Kelly: Danke für diesen Satz
Ich würde mir die Freiheit nehmen, diese Kolumne auf ihren wesentlichen Satz zu entschmücken und ihn dankbar als kunstvoll umschriebens politisches Alleinstellungsmerkmal hierzulande leicht verändert wiederholen: "Rasse ist das Ergebnis von Rassismus und nicht umgekehrt." - Danke für diesen Satz.

Ansonsten:
1. Feiern kann man auch ohne Extra-Einladung, das gilt für alle Feier-Tage.
2. Kann man bitte das Thema Zwangsadoptionen allgemein auf politische Entscheidungen hin einmal weiter besprechen, wenn man damit persönliche Erfahrungen gemacht/gesammelt hat?
Danke.
Kolumne Kelly: fassungslos traurig
Liebe Frau Dr. Kelly, Ihre Ausführungen lassen mich fassungslos traurig zurück. Wenn Sie einen Satz schreiben wie "Vorstellungen von Weiblichkeit in diesem Land sind rassistisch, cis, heteronormativ, christlich und behindernd" - glauben Sie sich das selbst? (...) Warum eigentlich? Ich fände es schön, wenn Sie sich dieser Frage stellen würden, anstatt sich angesagter akademischer Schablonen zu bedienen. (...)
Kolumne Kelly: Einspruch
Eine Vielzahl gegenwärtiger sozialer Kämpfe basiert auf dem, was Michel Foucault die "Repressionshypothese" genannt hat. Bei dieser wird davon ausgegangen, dass es eine unterdrückerische, zerstörende, behindernde Macht gibt, die freie Entfaltung und Selbstbestimmung auf individueller wie kollektiver Ebene verhindert. Der Staat als Gewaltmonopol galt und gilt – je nach analytischem Schwerpunkt – als Ort, Subjekt oder Instrument dieser Macht.

Die gesellschaftliche Sicherung und Vermittlung von Herrschaft hat sich aber grundsätzlich verändert.

Sich als unterdrückte Einheit zu formieren, mag strategisch für bestimmte historische Situationen Kampfkraft mäßig sinn- und wertvoll sein. Es birgt aber einen weiteren der vielen Fallstricke, die die Repressionshypothese mit sich bringt:

Obwohl zwischen Einverständnis, Anerkennung, Hinnahme und einfachem Pragmatismus differenziert werden müsste, sollte doch nachvollziehbar sein, dass nicht in erster Linie oder gar ausschließlich repressive Maßnahmen (oder deren Androhung) zu diesen unterschiedlichen, gegenwärtige Verhältnisse stützenden Verhaltensweisen führen. Zweitens ist unabhängig von Empirie, also von der Zahl der Zufriedenen, zu bemerken, dass auch der theoretische Fokus sich auf andere Aspekte von Macht und Herrschaft richten sollte. Denn sie wirken tatsächlich, die Mechanismen kultureller Anerkennung und Distinktion, die Bourdieu beschrieben und die Diskurswucherungen, von denen Foucault gesprochen hat. Der Blick auf Fragen der Kollaboration, wie sie in feministischen Debatten im Anschluss an Simone de Beauvoir gestellt wurden, oder die Ausschlüsse, die auch Gegen-Mobilisierungen produzieren, wird durch das Festhalten an der Repressionshypothese verstellt.

Die Repressionshypothese fallen zu lassen heißt also, auch sich selbst fallen zu lassen - ohne den doppelten Boden konstruierter und zweifelhafter Gewissheiten agieren.
Kolumne Kelly: unsichtbare Linie
@Elisabet Vogler formuliert da einen runden und validen Gedanken. Bourdieu (und später die Kreise um Guatarri) werfen aber auch Fragen auf nach Machtsystemen, die in ihrem nur scheinbar autoritären und repressiven Gestus eben gerade NICHT die vielfach beschriebenen Herrschafts- und Beherrschungsroutinen zur (auch juristischen, hier aber: gesellschaftlichen) Anwendung bringen. Da verläuft eine Art blinde Linie im diesem Diskurs.
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