Es war warm und die Hügel wieder grün

19. März 2020. Der Autor Bonn Park führt seine Stücke normalerweise in eigener Regie auf. Seine Zukunftsschau "Jugojugoslavija", die er 2020 in Belgrad herausbrachte, inszeniert jetzt die begnadete Komödiantin Anita Vulesica in deutschsprachiger Erstaufführung. Als genüsslich galliges Endspiel zur Klimaapokalypse.

Von Claude Bühler

Bonn Parks "Jugojugoslavija" in der Regie von Anita Vulesica an den Bühnen Bern © Florian Spring

19. März 2022. Erstaunlich, dass es in unseren Nostalgie-sehnsüchtigen Jahren, in der popkulturelle Wiedergänger wie "Wetten, dass …" oder "Abba" auf den Frontseiten landen, fast eineinhalb Jahre dauerte, bis sich eine deutschsprachige Bühne Bonn Parks Retrotopie vornahm – zumal der mehrfache Theaterpreisträger mit seinem Stück präzis unsere aktuelle Befindlichkeit auf der Schwelle zwischen Utopie-Wünschen und Dystopie-Ängsten trifft.

Unverkennbar nimmt er Präsident Titos umstrittene Jahre der jugoslawischen Republik von 1945 bis 1992 als Blaupause, um gewichtige Themen auf globalem Terrain zu verhandeln. Park schickt vier Menschen ins Jahr 2109 und lässt sie sich an unsere, die "schlimmsten" Jahre erinnern: 2020, 2021... Gerade 2022 sei von Krankheiten, Hass, Krieg, Vernichtung geprägt gewesen – ein für das Theaterpublikum, das die Newsbilder aus der Ukraine, aus Covid-Intensivstationen frisch im Kopf hat, frappierendes Erlebnis; Park hatte das Stück 2020 im Belgrader Schauspielhaus uraufgeführt.

Der harmonische Weltstaat

Die Vier werden enthusiastischer: Nach einer 20-jährigen Eiszeit im 2045 kam ES in die Welt, ein Wesen "mit sanften Augen, das niemand beschreiben konnte". Es zog um die Welt, schmolz das Eis und gewann Milliarden Menschen zu seiner Nachfolge. "Von da an ging alles nur noch aufwärts. Alle Probleme waren gelöst. Es war warm und die Hügel wieder grün. Alle Völker und Tiere vereint in einer Nation." Eine Epoche der "Politik der Freundschaft" sei angebrochen: "Uigurien und China", die USA, Jemen, "Israel und Palästina" seien in einem Weltstaat aufgegangen.

JugoJugoSlavia 3C FlorianSpring.jpgHarmonisch wie Hundewelpen: Isabelle Menke, Stéphane Maeder, Kilian Land und Genet Zegay erwarten das Zeitalter der Freundlichkeit © Florian Spring

"Man fing an zu streiten und sah in die Augen von ES, und man hörte sofort auf zu streiten, weil sie so traurig und enttäuscht waren, wie ein Ozean aus verlassenen Hundewelpen.“ Man ahnt bereits, dass hinter der gewaltigen Prätention eine dunkle Realität steht. Eine Minderheit, "die Unzufriedenen", grenzt sich ab. Man unterschiebt ihnen böse Absichten, aber sie töten offenbar auch Menschen. Einige dieser Unzufriedenen verschwinden in einem "Zentrum der angenehmen Umstände".

Ein Kinderchor preist Gleichheit und Freundlichkeit

Park führt uns aufs Glatteis. Er entwirft eine Gesellschaft, die etwa explizit den Selbstzweifel feiert, an deren Schulen das Verlieren in Debatten gelehrt wird. Eine 84-jährige, völlig untrainierte Eisläuferin wird bei den olympischen Spielen zugelassen und dort vom Publikum bejubelt. Ein Kinderchor singt von "Gleichheit, Freundlichkeit, Frieden und Liebe". Er packt uns bei unseren Wünschen nach gesellschaftlicher Einigkeit für das Gute – und sagt dann, es gibt Unzufriedene. Man mag dabei an Klimaleugner, AFD etc. denken oder an Leute, deren Widerstände man eher akzeptiert. Park wirft hier mit Hilfe des Rückblicks aus der Zukunft grundsätzliche Fragen auf.

Jugojugoslavija nimmt ein schlechtes Ende. Die Formulierung "Eine Gruppe militanter Separatisten verübte einen Anschlag auf unseren ES" könnte aktuell aus autokratischen Nachrichtenkanälen stammen. In "Nova Jugojugoslavija" gilt das Misstrauen als Doktrin. Böse dreinschauende Kinderköpfe füllen die Videoscreens: Sie mahnen unweigerlich an Putin. Später wird von einem "Nuklearmonat" geredet.

Komisches Endspiel

Aus Parks beinahe körperlosem Gedankentheater gestalteten Regisseurin Anita Vulesia und Dramaturgin Felicitas Zürcher ein komisches Endspiel. In einer meterdick gebunkerten, öde geplättelten Badestube putzen die vier Menschen kleinste Fleckchen, richten hochkonzentriert-debil die Fußstützen, um sich irgendwann euphorisch in ihr kollektives Spiel zu werfen: Sich lebhaft an die erwähnten Begebenheiten erinnern, sie nachstellen, sich dabei anfeuern. Um den Eindruck zu verstärken, dass es sich um letztverbliebene Untote handelt, spielen sie die Eingangsszene sogar mehrfach im Loop.

JugoJugoSlavia 1C FlorianSpringWaschraum des Totalitarismus: die Ausstattung in der Bern Vidmar-Halle stammt von Henrike Engel © Florian Spring

Parks heiter-traurige, aber zart hoffnungsschimmernde Erörterung wird eine Tragikkomödie mit bitterem Abgang – sehr zum Gaudi des Publikums, das über Parks fantastische Exkurse auch deshalb lacht, weil hier eine gewitzte Vierergruppe fulminant aufspielt. Die Textbälle fliegen und werden weitergeschlagen. Die Naivität in den Gesten, im Gesicht ist gerade bei Isabelle Menke anrührend. Stéphane Maeder punktet mit seinem homerischen Gelächter.

Hier wackelt nichts, alles ist sorgfältig durchgearbeitet. Stille gibt es nur, wenn "draußen" wieder mal eine Explosion dröhnt – und die Angst fühlbar wird, die die Leute antreibt, ihre Leere mit der Gruppenaktivität zu füllen, etwa mit genüsslichem Plantschen im leeren Bassin. Was bei dem Spaß zu kurz kommt: Parks Mehrdeutigkeit, die zur Betrachtung anregt und sich Ausgefertigtem widersetzt.

 

Jugojugoslavija
von Bonn Park
Regie: Anita Vulesica, Ausstattung: Henrike Engel, Musik: Friederike Bernhardt, Choreografie: Mirjam Klebel, Video: Monja Lalotra, Licht: Patricia Zwahlen, Dramaturgie: Felicitas Zürcher.
Mit: Kilian Land, Stéphane Maeder, Isabelle Menke, Genet Zegay und dem Kinderchor Singschule Köniz.
Premiere am 18. März 2022
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause

www.buehnenbern.ch

 

> In unserer Video-Reihe "Neue Dramatik in 12 Positionen" sprach Bonn Park im Mai 2021 über sein Schreiben.

 

Kritikenrundschau

"Früher war sowieso alles besser. Sagt jedenfalls die Jugoslawien-Nostalgie, der Autor Bonn Park mit seinem Werk ein Denkmal setzt, das er mit Hilfe seiner Ausstatterin ad absurdum führt," schreibt Valeria Heintges im St. Galler Tagblatt (20.3.2022). Die Schauspieler:innen Menke, Zegay, Land und "mit Abstrichen" Mäder gäben alles. Das sei "amüsant anzusehen, auch wenn die Analogie zu all den Diktatoren, die ihrem Volk gewaltsam vorgaukeln, in der besten aller möglichen Welten zu leben, einen in diesen Tagen mühsam schlucken lässt. Problematisch ist das Ende, das bei Park mickrig im Popsong versickert und bei Vulesica in die Sprachlosigkeit driftet."

In der Berner Zeitung (21.3.2022) findet Johanna Nowotny, dass alle Darsteller:innen "höchst überzeugend und dynamisch" spielten, und die Choreographien "fesselnd" anzusehen seien. Doch: "So kurzweilig das alles geschrieben und inszeniert ist, so bleibt doch die Frage, was es eigentlich soll", schließt die Rezensentin an. Die Bruchstellen des Traums, den Bonn Park austelle, bleiben für die Kritikerin "sehr stereotyp", der Befund des Stückes nicht besonders "differenziert und originell". Allerdings, so überlegt die Autorin, solle man das dem Text vielleicht nicht zum Generalvorwurf machen: Anstatt Alternativen zu entwickeln, lege Bonn Park "den Finger in die Wunde". Und dies sei in der "präzisen" Inszenierung "fulminant" anzusehen.