Scheißkerle und Empowerment

20. März 2022. Beim titelgebenden "Superbusen" handelt es sich um eine Popband, um die herum Paula Irmschler in ihrem Romandebüt eine schnodderige Coming-of-Age-Geschichte erzählt, die dort spielt, wo der Stoff nun uraufgeführt wurde: in Chemnitz.

Von Tobias Prüwer

"Superbusen" nach dem Roman von Paula Irmschler am Theater Chemnitz © Nasser Hashemi

20. März 2022. "Hält ein ICE in Chemnitz. Hahaha." In einem knappen Witz ist das Selbstbild der Chemnitzer Bewohner verpackt. Zumindest funktioniert die Zuschreibung hervorragend in "Superbusen", erntet diese Stelle mit die meisten Lacher. Dabei geht es in der Uraufführung in der dortigen Interimspielstätte Spinnbau gar nicht nur ums ehemalige Karl-Marx-Stadt. Denn Regisseurin Kathrin Brune wollte viel mehr erzählen aus Paula Irmschlers Roman. Das ist das Problem des Abends, aber auch sein Gewinn.

Gisela, ein ostdeutsches Mixgetränk

Die Inszenierung zerfällt in zwei thematische Blöcke, die kaum verschränkt werden. Der erste Teil ist eine Auseinandersetzung mit Chemnitz und der Chemnitzer untereinander. Im einst wichtigsten deutschen Industriezentrum kann man sich leicht abgehängt fühlen. Schlecht ist die Verkehrsanbindung. Zwar ist das Durchschnittseinkommen hier höher als in Leipzig, Chemnitz kommt in der überregionalen Wahrnehmung trotz Kraftclub bei weitem nicht an den Leipziger Coolnessfaktor heran. In der Zuckerbäckerbarock-Stadt Dresden interessiert man sich ohnehin nur für sich selbst.

Auch die nicht kleine, sehr aktive Neonazis-Szene kennt man nicht erst seit den Ausschreitungen 2018. Verschwunden ist sie seitdem auch nicht, wie derzeit die Gruppierung "Freie Sachsen" zeigt. All das streift die Inszenierung beziehungsweise ihre Ich-Erzählerin Gisela. In der Rückschau erzählt sie – der Name erinnert an ein ostdeutsches Mixgetränk –, wie sie zum Studieren in die Stadt kam und vom Plattenbaubrutalismus umfangen wurde. Es ist von Partys und Protesten die Rede. Ein bisschen Lokalstolz wird sichtbar, wenn berichtet wird, dass ein Chemnitzer Bauwerk für die Litfasssäule als Vorlage diente.

Superbusen 3 c Nasser Hashemi1Leben in Chemnitz, wo Kraftclub für Lokalstolz sorgt: Andrea Zwicky spielt Gisela © Nasser Hashemi

Und dann bricht der Stolz gleich wieder zusammen, weil sie sich fragt, warum sie das überhaupt erzählt. Dabei unterstützen Projektionen mit Fotos aus dem Stadtraum diesen Lokalteil. Die drei mal Spielenden meist Erzählenden – zwei Frauen und ein Mann – stellen gemeinsam und abwechselnd Gisela dar, wie der grüne Namenschriftzug auf ihren T-Shirts zeigt. Sie nutzen den ganzen Raum der freien Bühne, über die sich im hinteren Bereich drei Spielflächen aus Bierkisten ziehen. In deren Mitte stehen drei Musikerinnen, die die Liveband bilden.

Makertum und Menstruation

Dass lokale Selbstgespräch verläuft eher mäßig, weil es dann doch nur ums Gefühlige geht. Und oberflächlich bleibt. Man isst Knusperflocken und Nudeln mit Jagdwurstsoße, die Wende wird erwähnt, der "Nischel" natürlich auch. Das ist der Name für den überdimensionierten Karl-Marx-Kopf in der Innenstadt. Gisela ist eine Zugezogene, die nach dem Studium zur Weggezogenen wird – ausgerechnet nach Berlin. Außerdem ist dieser Teil eher monoton, weil weniger theatral. Die drei Spielenden sprechen wechselnd die Textflächen, alle Bewegungen sind reine Illustrationen.

Das bekannte Problem, wenn ein Roman, der nicht von Dialogen lebt, auf die Bühne kommt, entpuppt sich auch hier als Falle. Die Darstellenden entwickeln keine eigene Theatersprache, die Szenen sind so gut oder schlecht wie der aufgesagte Text. Eine eigenständige Übersetzung ins Theatrale wie etwa die Inszenierung von Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß in Dresden, die das ähnlich gelagerte Buch von Manja Präkels umsetzte, schafft die Regie nicht. Zumal die Stärke, eine Liveband zu haben, nicht ausgespielt wird. Da läuft tatsächlich einmal ein Lied aus Off, während die Musikerinnen sich wegducken.

Superbusen 1 c Nasser Hashemi1Leben in Chemnitz, wo der Nischel vulgo Karl-Marx-Kopf in der Innenstadt prangt: Clemens Kersten spielt ebenfalls Gisela © Nasser Hashemi

Ihre Chance nutzen sie im zweiten Teil, in dem auch das Schauspieltrio zu sich und einer Theaterform findet. Diesen Block kann man mit Frauwerdung, Emanzipation, Entdeckung von Weiblichkeit und junger Ausgelassenheit umschreiben. Es geht um Mackertum in der Musikszene, Menstruation und Masturbation, Abtreibung, Scheißkerle, Empowerment und hohle Feminismusphrasen, wenn es einer doch wirklich gerade schlecht geht. Das ist thematisch lose aneinandergereiht, manchmal weiß man auch nicht, wovon gerade geredet wird.

Die Kraft des Livemoments

Aber hier ist eine Spielfreude zu erleben, gibt es Theaterszenen, etwa wenn chorisch Uterusschmerzen geschildert werden oder die drei ein wenig wie die Beatles auf dem Albumcover über die Bühne staken. Und dann wird immer wieder getanzt. Die Band legt ein paar gute Einlagen hin, besonders beeindruckt ein Medley, das von Nirvana bis Echt reicht. In diesen Momente drückt sich das Lebensgefühl und Leiden einer jungen Frau aus und weil man dicht dran sitzt, berührt es.

Es keine große Theaterkunst, mit der Kathrin Brune Publikum und Kritik umgarnen will. Nach dem halbfertig wirkenden ersten Teil setzt sie auf die Kraft des Livemoments und die Energie der allesamt leidenschaftlich spielenden Menschen auf der Bühne. Das hat das Potential, auch bei weniger regelmäßigen Theatergängern das Feuer zu entfachen.

Superbusen
Popdrama nach dem Roman von Paula Irmschler
Bühnenfassung von Kathrin Brune
Uraufführung
Regie: Kathrin Brune, Bühne und Kostüme: Pia Wessels, Dramaturgie: René Rainer Schmidt, Video: Peter Roßner.
Mit: Magda Decker, Andrea Zwicky, Clemens Kersten.
Band: Jenny Kretzschmar, Heidi Enderlein, Kati Hollstein
Premiere am 19. März 2022
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.theaterchemnitz.de

 

Mehr lesen? Für nachtkritik.de betrachtete Paula Irmschler 2018 beim Theatertreffen Frank Castorfs achtstündige Faust-Inszenierung und befand: "Das Star Wars der Theaterleute". 

 

Kritikenrundschau

"Katrin Brune inszeniert 'Superbusen' in collagenartigen Fragmenten, als Bewusstseinsstrom. So entsteht ein so witziger wie melancholischer Remix aus Musik, Erzählung, Monolog, Dialog, Gesang - Popkultur im Theater. Wenn man den Originaltext nicht kennt, dürfte es vielleicht manchmal etwas schwer sein, den losen Fäden zu folgen, aber das tut der Kurzweiligkeit des Stücks keinen Abbruch", schreibt Johanna Eisner in der Freien Presse (20.03.2022).

Der linke, feministische Duktus wandere auf einem schmalen Grat zwischen wichtiger Zeitkritik und Klischee. "Die Hassliebe, die Chemnitz bei vielen gerade jüngeren Einwohnern hervorruft, wird in dem Stück fühlbar und mit einem warmen, durchaus hedonistischen Trotz geradezu gefeiert“, schreibt Marcel Pochanke in der Sächsischen Zeitung (22.03.2022)

 

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