Strampeln für die Lieferpizza

10. April 2022. Knochenjobs und Käsejobs. Mit "Cheese War" erzählt Lubna Abou Kheir aus der Welt der Pizza-Lieferdienste. In eindrücklich gebrochenem Deutsch. Jessica Glause hat die "systemrelevante Groteske" am Theater Neumarkt Zürich herausgebracht.

Von Valeria Heintges

"Cheese War" von Lubna Abou Kheir am Theater Neumarkt Zürich © Cristiano Remo

10. April 2022. Die einen sitzen auf dem Sofa und wollen sich einen schönen Abend machen. Also bestellen sie sich eine Pizza. Die anderen rackern bis zum Umfallen und werden dabei ständig von Chefs drangsaliert, die wiederum von Chefs drangsaliert werden. Prinzip Radfahrer: Nach unten treten, nach oben buckeln. Diese anderen machen Pizza im Rekordtempo: 30 Sekunden von der Bestellung bis das Ding in den Ofen landet. Andere fahren die Pizza zur Kund:in. Für die zweite Gruppe ist es Megastress und totale Ausbeutung. It’s the economy, stupid. Das weiß jeder, der es wissen will. Und bestellt sich halt die Pizza mit schlechtem Gewissen und grossem Trinkgeld. Oder gar nicht.

Nur die "Toppings" muss man kennen

Mehr ist eigentlich nicht zu sagen. Höchstens noch, dass das System der Fast-Food-Branche darauf beruht, dass die Mitarbeiter:innen immer wechseln. Denn nur so geben sich alle die größte Mühe zu bleiben. Und dass viele Ausländer:innen in den Jobs arbeiten. Weil man dabei nicht viel sprechen können muss. Nur die "Toppings" muss man kennen: Speck, Zwiebeln, Ananas, Salami. Und Käse natürlich.

So, mehr ist jetzt aber dazu wirklich nicht zu sagen.

Bloß noch, dass das Theater Neumarkt ein Stück auf die Bühne gebracht hat, dass genau das zur Sprache bringt und ein bisschen Systemkritik übt. Nicht mehr, leider. Aber auch nicht weniger. Ist ja auch schon mal was, wenn sich viele Zuschauer:innen beim nächsten Mal vielleicht ein paar Gedanken machen, ehe sie ihre Pizza bestellen. Oder was immer es ist, was wir alle so bestellen.

Cheese War 1 CristianoRemo uDüstere Stimmung in der funkelnden Servicewelt: Mara Widmann (im Vordergrund) auf der Bühne von Mai Gogishvili © Cristiano Remo

Lubna Abou Kheir weiß, wie es ist im Pizzaservice. Sie hat selbst dort gejobbt, als sie aus Syrien in die Schweiz kam. Da hatte sie schon einen Studienabschluss Dramatisches Schreiben in der Tasche, aber leider versteht in der Schweiz kaum einer Syrisch. Ihr Stück "Gebrochenes Licht", ebenfalls am Theater Neumarkt, sprach sehr poetisch über die Probleme Geflüchteter in einer teils gebrochenen und falschen Sprache. Die behält sie auch für "Cheese War" bei. "Viele Leute suchen eine Chance für dich ein Paradies zu machen", heißt es etwa. Oder. "Damit Sie gute Qualität immer haben, deswegen in der Schweiz haben wir immer wieder neue Migranten, die Chance suchen, aber bleibt wer blöd und stark ist." Das klingt fremd im Ohr, beißt sich zuweilen fest mit neuen Wendungen und Zusammenhängen. Das läuft sich aber auch irgendwann tot und nervt, wenn man die Sätze gar nicht mehr versteht.

Groteske in Gold

Doch ist das große Ganze ja klar: Da arbeiten fünf im Bestellservice "Monopoly" (soviel zur Feinsinnigkeit des Abends und des Stücks). An der "Makeline" formen sie Teig und belegen ihn mit den bestellten Zutaten. Und wenn mal Käse fehlt, dann gibt es "Cheese War". In der Ausstattung von Mai Gogishvili ist vieles Gold und die Bühne mit glänzenden und spiegelnden Pizzaschachteln quasi gefliest. Auch der Boden spiegelt und die Pizzaschachteln, die sich die fünf Schauspieler:innen für den Prolog vor das Gesicht halten.

Cheese War 2 CristianoRemo uGute Miene zum bösen Pizzaliefergeschäft: Brandy Butler im Vordergrund © Cristiano Remo

Pizzen sieht man allerdings nicht, denn Regisseurin Jessica Glause setzt auf Abstraktion und Überhöhung und will eine "eine systemrelevante Groteske" abliefern. Grotesk übersteigert ist hier vieles, wenn zu zackigen Beats gesungen wird, einer der Ausländer im früheren Leben "Premierminister in Afghanistan" war, die Mitarbeitenden als Tomate oder Ananas auftreten oder Brandy Butler als schnellste Mitarbeiterin in goldener Schleppe erscheint, an deren Ende dann doch einmal eine große Pizza zu sehen ist. Aber grotesk übersteigert wird der Inhalt ja nur noch flacher und undifferenzierter.

Choreographien aus der Arbeitswelt

Die Schauspieler:innen agieren meist im Kollektiv, sprechen oder singen im Chor, bewegen sich oder tanzen synchron. Das Bestücken einer Pizza kann choreographiert werden und dabei auch noch komisch aussehen. Doch zeigen sie immer mehr Gesicht, formen sich zu Charakteren: Etwa zum Areamanager Senf (quirlig: David Gottlieb), der natürlich selbst ordentlich gedeckelt wird. Zur neuen Ausländerin Slanda (Yara Bou Nassar), zur sehr ehrgeizigen Merum (herausragend Mara Widmann) und zum tolpatschigen Mitarbeiter (Jakob Leo Stark). Sie erzählen uns Geschichten aus ihrer Arbeitswelt und stapeln dabei immer mehr Papp-Pizzaschachteln auf die Bühne zu gefährlich schwankenden Türmen, bis die dann doch irgendwann kippen.

Überhaupt geben sich Glause und ihre engagierten Akteur:innen größte Mühe, mit spritzig gebauten Choreographien und Szenen über den dünnen Text hinwegzutäuschen. Es gelingt ihnen nur sehr bedingt. Einmal wird auch eine glitschig-klebrige Masse geworfen, die Käse sein soll. Spätestens in dem Moment ist aber dann wirklich alles Käse.

 

Cheese War
Eine systemrelevante Groteske von Lubna Abou Kheir
Regie: Jessica Glause, Bühne/Kostüme: Mai Gogishvili, Musik: Joe Masi, Dramaturgie: Julia Reichert.
Mit: Brandy Butler, David Gottlieb, Yara Bou Nassar, Jakob Leo Stark, Mara Widmann.
Premiere am 9. April 2022
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.theaterneumarkt.ch

 

Kritikenrundschau

Das Vorgängerstück von Lubna Abou Kheir war für Julia Stephan vom St. Galler Tagblatt (11.4.2022) das "Theaterhighlight der Saison", in dem "die Figuren über Migrationserfahrungen in einem fast märchenhaften Ton, der die harte Realität auf ein anderes Level hob", sprachen. "Das gebrochene Deutsch, für das sich die Autorin behelfsmässig mit Brocken Englisch aushilft, funktioniert auch in der Groteske um den Pizzalieferdienst", schreibt Stephan. "Regisseurin Jessica Glause folgt der Tonalität des Textes, der mit spitzem Humor die skandalösen Arbeitsbedingungen in eine groteske Musik-Choreografie verwandelt." Gleichwohl könne die Inszenierung und ihr "Slapstick" nicht "darüber hinwegtäuschen, dass der Belag der Story etwas mager ist. Am Ende des Abends zieht der Käse lange Fäden."

Hier werde ein Zustand demonstriert. "Eine mit Absicht in der Schwebe gehaltene, allseitige Unzufriedenheit, weil die Macht erst in einer ominösen Omnipotenz ihre Allmacht erfährt. Unerheblich, ob sie von einem realen Menschen oder einer künstlichen Intelligenz ausgeht. Das täglich systematisch vermittelte Wissen, Spüren und Erleben der eigenen Austauschbarkeit besorgt die umfassende Unsicherheit, aus der heraus jede Anordnung geschluckt wird“, schreibt Thierry Frochaux von der P.S. Zeitung (14.4.2022).

Andreas Klaeui vom SRF (12.4.2022) sah eine schnelle, witzige Revue. An Erkenntnissen sei der Abend jedoch arm, er biete eher Einblicke als Einsichten. Auch der Text setze mehr auf Form als auf Vertiefung und Entwicklung. Der Kritiker lobt allerdings die Sprache der Autorin, diese habe eine eigene Poesie.

 

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