Wir Giftmörder der Natur

11. April 2022. Wer für Joseph Haydns Oratorium kommt, wird hier womöglich nicht ganz glücklich. Bernhard Lang (Musik) und André Bücker (Regie) biegen "Die Schöpfung" zum Abgesang um: "Das Ende der Schöpfung". Und Dietmar Dath durchstößt die Musik mit schonungslos penetranten Spielszenen. Aber wie könnte es auch erbaulich sein in Zeiten der Klimakrise?

Von Martin Jost

"Das Ende der Schöpfung" frei nach Josef Haydn am Staatstheater Augsburg © Jan-Pieter Fuhr

11. April 2022. Während gerade an allen Ecken der Weltuntergang beginnt, wäre es mindestens naiv, Haydns Hurra-Oratorium "Die Schöpfung" ganz unkommentiert zu zeigen. Das originale Libretto endet vor dem Sündenfall, da ist noch alles eitel, fromm und gut. Na klar, möchte man da reinschlagen.

Es holen zum Schlag aus: Komponist Bernhard Lang, der Augsburger Staatsintendant André Bücker und Schriftsteller Dietmar Dath. Die ersten beiden Teile von Haydns "Schöpfung" hören wir größtenteils im Original, wobei Dietmar Daths doppelbödige Spielszenen die Rezitative ersetzen. Den dritten Teil hat Bernhard Lang neu komponiert. Statt einer Feier der Krone der Schöpfung und dem finalen "Amen" hören wir einen Abstieg in die Dunkelheit, die Rückkehr ins Chaos, aus dem der Schöpfer ursprünglich geschöpft hatte.

Haydn im Amazon-Lager

Die Schöpfung ist am Staatstheater Augsburg ein Amazon-Lager. Felix Weinolds Bühne prägen zwei riesige Regale auf der linken Seite. Genau wie die langen Leitern, die gelagerten Boxen, wie überhaupt die ganze Bühne sind die Regale glatt und makellos und weiß wie LED-Licht. Weiß vom Scheitel bis zur Sohle sind auch die Engel Young Kwon (Bass), Pascal Herrington (Tenor) und Jihyun Cecilia Lee (Sopran). Letztere singt bei der Premiere erkältungsbedingt nicht selbst, sondern bewegt die Lippen zu den Stimmen von Katja Stuber und Evgeniya Sotnikova.

EndederSchoepfung2 1200 Jan Pieter Fuhr uLichtgestalten des Gummi-Futurismus: Pascal Herington, Young Kwon und Jihyun Cecilia Lee als Engel © Jan Pieter Fuhr

Solist:innen und der 40 Sänger:innen starke Chor haben dauernd etwas zu spielen, ob sie nun die Boxen in den Regalen auf ihre bunten Seiten drehen, die perfekten Quader auspacken oder zum Lobe des Herrn eine Polonaise tanzen. Von den weißen Gummistiefeln über die grünlichen OP-Kittel zu den weißen Handschuhen feiern Lili Wanners Kostüme einen Gummi-Futurismus wie in den Sechzigerjahren.

Überbordendes Gesamtkunstwerk

Obwohl Bühne und Requisiten an einen Reinraum erinnern, ist der Abend ein maximalistisches Gesamtkunstwerk. In einem riesigen Bullauge läuft ständig Videokunst von Florian Schuster. Kalligrafien lösen sich auf und während sie versinken, erscheint neue Schrift an der Wand. Später wuchert hier eine riesige Petrischale im Zeitraffer zu. Das Licht von Marco Vitale ist hyperaktiv: Es belebt die Regale im Takt der Musik, schafft Stimmungen und Kontraste und einmal schwenken alle Scheinwerfer aufs Publikum und blenden uns, als der "Schöpfer" Deibel Deus (Nadine Quittner) sich von uns Menschen wünscht, dass wir seine Schöpfung mal eine Zeit in Ruhe lassen.

Durch viele Szenen tanzt Adriana Mortelliti ihre eigene Choreografie. Einmal ist sie als Gorilla wie in Kubricks "2001: Odyssee im Weltraum" verkleidet. Später trägt sie einen Kugelbauch und gebiert ein Kind. Es gibt zu jeder Zeit mehr zu sehen, als sich erfassen lässt. Und dazu braucht man den Blick noch nicht einmal ins Orchester abschweifen lassen, das – der Graben ist nicht besonders tief – auf Augenhöhe mit der ersten Reihe sitzt.

Vorgeschmack auf das Ende der Welt

Dann schmiert die Musik plötzlich ab, wird elektronisch verzerrt und heult nur noch als Artefakt im Hintergrund: Auftritt Hanna Eichel als Herr Wer und Paul Langemann als Frau Wie jeweils als grelle Pompons verkleidet, sowie Nadine Quittner als Deibel Deus, der im Abendkleid oder Businesskostüm die Welt erschafft. Herr Wer und Frau Wie gehen auf Hüpfbällen der Frage nach, was durch die neue Schöpfung zerstört wurde, denn die Welt ist ja nicht im luftleeren Raum entstanden.

Der neugierige Herr Wer reist in die Zukunft – das ist unsere Gegenwart, "der letzte Moment, wo sie es selber schaffen könnten". Er berichtet vom Vorgeschmack auf das Ende der Welt, das er in einer Schlange auf einer Postfiliale bekommen hat. In weiteren Spielszenen lädt der Autor seinen Zorn über eine völlig überschätzte Whiskymarke ab, dann outen sich die drei abwechselnd als Autor oder Autorin, die die eigentliche Schöpferin dieses Moments sei.

EndederSchoepfung3 1200 Jan Pieter Fuhr uPascal Herington, Young Kwon, Adriana Mortelliti und Jihyun Cecilia Lee © Jan Pieter Fuhr

"Sieben sehr böse Bilder von den Verhältnissen zwischen dem Geschaffenen und dem Zerstörten" hat Dietmar Dath die Szenen überschrieben. Ihre Bosheit liegt im Grunde darin, dass sie dauernd die schöne Musik unterbrechen, finden drei Damen mit Hut, die nach der Premiere draußen auf die Straßenbahn warten. Daths Texte sind weniger philosophische Argumente, denen man folgen kann, als vielmehr Gedanken-Listen und die dauernde Erinnerung, dass wir wieder nicht genug gelesen haben. Die Dialoge brechen sich selbst durch Komik, wie sie ihrerseits "Die Schöpfung" penetrant brechen.

Licht fällt aus

Die letzte gute halbe Stunde gehört Bernhard Langs Musik, die der Komponist "The End of Creation. Anthropocene" nennt. Im Anthropozän, dem Erdzeitalter, in dem der Mensch die Erde spürbar verändert hat, erscheint er weniger als "König der Natur", sondern vielmehr als ihr Giftmörder. Die Kostüme von Chor und Sängern sind nun lackschwarz. Herr Wer und Frau Wie, in diesem Teil stumm, tragen Beige in Beige, bevor sie sich im Hintergrund bis auf die hautfarbene Unterwäsche ausziehen und sich selbst in Leichensäcken auf den Regalböden verstauen.

Das Ende der "Schöpfung" ist das Gegenstück zu Haydns Es-werde-Licht-Akkord. Das Orchester hat sich um eine Harfe, Synthesizer und mehrere Schlagwerker verstärkt. Wir erkennen noch Haydn-Fetzen, aber erleben gleich darauf ihre Dekonstruktion. André Bücker hat das Libretto aus Texten von Lord Byron und Jean Paul collagiert: "Der Krieg,/ Der eine Zeitlang aufgehört,/ Begann von Neuem." Die tiefen Blechbläser deklamieren mit Bass Young Kwon: "Willst du leben,/ Musst du töten." Wenn das ganze Orchester eine dissonante Fläche aus Dunkelheit spielt, vibriert der Boden. Am Ende geht ganz langsam das Licht aus, begleitet von der immer leiser werdenden Pauke. "Theater sollte uns mal wieder aufmuntern", findet eine Dame mit Hut an der Straßenbahn. Eben nicht.

 

Das Ende der Schöpfung
Szenisches Oratorium von Joseph Haydn & Bernhard Lang
Libretto
I. John Milton
II. André Bücker nach Lord Byron und Jean Paul
Dialoge von Dietmar Dath
Inszenierung: André Bücker, Musikalische Leitung: Ivan Demidov, Bühne: Felix Weinold, Kostüme: Lili Wanner, Puppenbau: Kerstin Dathe, Video: Florian Schuster, Live-Elektronik: Jürgen Branz, Licht: Marco Vitale, Choreografie: Adriana Mortelliti, Dramaturgie: Vera Gertz, Sophie Walz.
Mit: Jihyun Cecilia Lee (Sopran), Pascal Herington (Tenor), Alejandro Marco-Buhrmester / Young Kwon ( Bass Bariton), Hanna Eichel, Paul Langemann, Nadine Quittner, Adriana Mortelliti und dem Opernchor des Staatstheater Augsburg, Extra-Chor des Staatstheaters Augsburg, Augsburger Philharmoniker.
Dauer: 3 Stunden, eine Pause
Premiere am 10. April 2022

staatstheater-augsburg.de

 

Interessiert an Essays und Arbeiten zum Thema Klimakrise und Anthropozän? Dann finden Sie einschlägige Texte im Top-Themenschwerpunkt Klima.

Kritikenrundschau

"Neukomposition ist der Kern dieses Musiktheaters", schreibt Andreas Pernpeintner in der Süddeutschen Zeitung (online 11.4.2022). Dass Komponist Bernhard Lang Haydns Werkteile Nr. 1 und 2 mit elektronischer Klangverfremdung durchwirkt und einen neuen dritten Teil (anstelle des Garten Eden) angefügt habe, sei "ein Werkkonzept, das keine Schonkost ist". Nach der Pause weiche das Bunte der Düsternis. "Das klingt grausig beängstigend und ist fröstelnd gut komponiert. Der Mensch zerstört sich und seine Welt selbst. Zurück bleiben ein Mann und eine Frau, die sich in Leichensäcke einpacken."

Schlüssig und beklemmend sei diese musiktheatralische Neuschöpfung, schreibt Renate Baumiller-Guggenberger in der Bayerischen Staatszeitung (14.4.2022). Dietmar Daths Dialoge unterbrächen das musikalische Geschehen "frech" und mit "erkenntnisphilosophischem Augenzwinkern". "Virtuos und körpersprachlich kommentierte Tänzerin und Choreografin Adriana Mortelliti den verhängnisvollen Lauf, den Geschichte und Geschöpfe nahmen."

Iris Steiner vom Orpheus-Magazin (4/2022) schreibt, Bernhard Lang gelinge beeindruckend die gebotene ehrerbietende Annäherung an Haydn, "gleichzeitig schreibt er ihn stilistisch souverän fort und schafft unterschwellige Anbindungen, ohne sich mit Zitaten anzubiedern". Das Setting wirke wie ein psychedelisches Szenario aus einer Retro-Science-Fiction der siebziger Jahre – erstaunlich stimmig zum alttestamentarischen Oratorientext. "Das ist auch die große Stärke dieser Produktion: Man ignoriert gekonnt das Raum-Zeit-Kontinuum und fügt mit erstaunlichen Ergebnissen zusammen, was nicht zusammengehört."

Ein "kreatives Chaos" hat Jesko Schulze-Reimpell erlebt, wie er im Donaukurier (14.4.2022) schreibt. Dass der Abend trotz seiner disparaten Teile gelinge, liege "zum Teil an den geistreichen Dialogen des Schriftstellers Dietmar Dath und an Bückers geschickter Regie".

 

 

 

Kommentar schreiben