Glutofen des Makabren

17. April 2022. Der Mann lässt die Brandstifter in sein Haus, obwohl er von Anfang an weiß, dass sie es anzünden wollen. Und das am Ende auch tun. Das ist in etwa die Geschichte, die Max Frischs berühmtes Stück erzählt. Sapir Heller hat es in Regensburg packend und übermütig, aber auch Angst machend inszeniert.

Von Christian Muggenthaler

Sapir Heller inszeniert "Biedermann und Brandstifter" von Max Frisch am Theater Regensburg © Martin Kaufhold

17. April 2022. "Paulinchen war allein zu Haus, Die Eltern waren beide aus." So beginnt im Struwwelpeter eine Erzählung, die die Gefährlichkeit im Umgang mit Feuer demonstrieren soll. Und dessen Arglist der scheinbaren Harmlosigkeit. So liegt es gar nicht so fern, dass auch Sapir Hellers Inszenierung von Max Frischs "Biedermann und die Brandstifter" ziemlich struwwelpetrig daherkommt.

Schrill wie mit Sirenenklang gefüttert, ausgesucht grotesk bis in die Überzeichnung von Gebärden hinein und überhitzt wie ein Glutofen des Makabren, atmet die Inszenierung die diabolischen Röst-Aromen des von Max Frisch womöglich Gemeinten: Eigentlich ist das rückgratlos-wohlwollende Hereinholen der ihm feindlich Gesinnten ins eigene Haus, um es ganz offensichtlich zu zerstören, so absurd, dass man andauernd nur lachen müsste (und in dieser Inszenierung auch ausgiebig darf). Wenn es nur nicht ebenso offensichtlich andauernd tatsächlich geschähe. Denn das "Lehrstück ohne Lehre" besitzt eine so dauerhafte Aktualität, dass man irgendwann mittendrin in dieser Inszenierung auch ernsthaft Angst bekommen kann.

Bürgerliche Selbstverblendung

Sapir Hellers Erzählweise rückt das Stück weitest möglich weg von allem Realismus, meidet weitest gehend Anspielungen auf die Gegenwart und schafft es gerade deshalb, diese Angst aufkommen zu lassen – weil die Dauerhaftigkeit der bürgerlichen Selbstverblendung angesichts der Erfahrungen aus der Vergangenheit, der Bedrängnisse der Gegenwart und der Aufgaben für die Zukunft so vollkommen zeitlos irre ist.

Das Angebot der Regisseurin ist es folglich nicht, aus dem Text heraus auf irgendetwas zu verweisen, sondern in ihn hinein, in seinen beunruhigenden Kern. In sein Schräges, Schrilles, Absurdes – und verdammt Wahres. Sie ist so weit weg von allem Realismus, dass er durch die Hintertür schon wieder hereinlurt. Und zwar im Zusammenhang mit dem Selbstmord des von Biedermann böse geschassten Knechtling unter dem Gashahn: Bei ihr bekommt dessen Witwe Worte, die um jüdische Erfahrungen mit Geschichte in Deutschland kreisen, um das mythische Wesen des Golem und um Rache.

Biedermann HeiseHermannNievelsteinHaakeQuestHoffmann FotoMartinKaufholdGemütlich beim Gänsebraten: Silke Heise, Gerhard Hermann, Gero Nievelstein, Michael Haake, Philipp Quest, Marlene Hoffmann © Martin Kaufhold

Da wird schnell klar, dass das schiere Mitläufertum das eigentliche Schurkentum ist. Also sitzen hernach die Macher-Schurken von der einen und die Ermöglicher-Schurken von der anderen Seite ganz gemütlich beim Gänsebraten zusammen, was Heller in einem Wechselspiel aus Freeze und Rede so absurd gestaltet, dass auch hier jegliche eingenommene Position sofort fremd und falsch wirkt.

Am Ende lodert's

Das macht diese Inszenierung andauernd: Der Handlung den Boden wegziehen. Ihr Logik und Glaubwürdigkeit und Deutbarkeit rauben. Die gibt’s halt nicht, wenn Haltung fehlt. Am Ende lodert's: ein flackerndes Lichtspiel. Verbrannt ist alles ganz und gar. Das ist schon deshalb kein Wunder, weil die Bühne (Ausstattung: Valentina Pino Reyes) aus leicht brennbarem Material besteht; Papier, Pappe, Holz. Sie wird zwischendrin – quasi als Aufwärmübung – eh schon ein wenig verhackstückt, etwa wenn Marlene Hoffmann als Dienstmädchen Anna über die Bühne rockt und Girl On Fire singt, ein wutgesättigtes Solo der einzigen, die die Wirklichkeit wahrnimmt, aber permanent unter der Wahrnehmbarkeitsschwelle agiert.

Biedermann Nievelstein FotoMartinKaufholdGleich knallt's: Biedermann (Gero Nievelstein) © Martin Kaufhold

Die Musik übernimmt in dieser Inszenierung ohnehin die Oppositionsrolle, Juri Kannheisers Loops erzeugen die Kraft des klanglichen Katastrophen-Kommentars, Kristóf Gellén spielt als Chorführer Slide-Gitarre und warnt. Er tut dies sehr eindringlich. Dass die Frauen des Ensembles sich immer wieder mit zum Chor gesellen, dass ihre Mikrofone eigentlich Schläuche von Feuerlöschern sind, dass Gelléns Frack so angekokelt ist, als habe er schon mindestens zehn Feuer hinter sich, das alles spricht vom sich rundenden Phantasie-Tumult eines kurzweiligen Abends.

Übermut als Brandbeschleuniger

Gero Nievenstein zeigt Biedermann süffisant als billigen Moderator seiner selbst, immer ein bisschen schmierig durch die Handlung schnürend. Silke Heise als seine Frau Babette ist eine regelrechte Wiedergängerin des Zündel-Paulinchens mit einer so heillosen Naivität, als sei sie nicht ganz von dieser Welt. Philipp Quest und Gerhard Hermann sind als Ringer Schmitz und Kellner Eisenring derart bestens gelaunte Attentäter, dass ihr purer Übermut schon brandbeschleunigend zu wirken scheint. Und Michael Haake zeigt als Polizist, Dr. phil. und Witwe Knechtling seine starke Wandlungsfähigkeit.

 

Biedermann und die Brandstifter
von Max Frisch
Regie: Sapir Heller, Bühne und Kostüme: Valentina Pino Reyes, Musik: Juri Kannheiser, Licht: David Herzog, Wanja Ostrower, Dramaturgie: Laura Mangels.
Mit: Gero Nievelstein/Ben Daniel Jöhnk, Silke Heise, Marlene Hoffmann, Philipp Quest, Gerhard Hermann, Michael Haake, Kristóf Gellén.
Premiere am 16. April 2022
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.theater-regensburg.de

Kritikenrundschau

Heller gelinge eine "kurzweilige und süffige Inszenierung", so Peter Geiger in der Mittelbayerischen Zeitung (19.4.2022). Die Geschichte wirke wie unserer Zeit auf den Leib geschneidert. Geiger beschreibt sie als "krawallig", meint das aber offensichtlich positiv und lobt die Schauspieler:innen ausdrücklich.

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