Dienstbotengeplänkel, Klopp-Drauf und Schmeiß-Weg

von Johanna Lemke

Halle, 26. November 2008. Einen sehr hübschen Weihnachtsmarkt hat Halle an der Saale. Zwischen Marienkirche und Rotem Turm gelegen, mit einer kleinen Schlittschuhlaufbahn, mitteldeutschen Spezialitäten und allem, was sonst noch dazu gehört. Trifft sich gut, denkt der Halle-Gast und schlendert mit einem kleinen Glühweinschwips zum Domplatz, wo in der Neuen Residenz "Stella" gegeben wird. Auch dieser Ort ist pittoresk: Ein gotischer Kirchenkomplex mit einem verwunschen wirkenden Innenhof, ein verwinkeltes Gebäude, wie geschaffen für ein klassisches Trauerspiel. Goethe in einem Festsaal mit Spitzbogenfenstern und Wandverzierungen zu spielen, das klingt fast zu einfach. Und es lässt sich nicht anders sagen: Es ist zu einfach.

Vorweihnachtsfreundliche Dreiecksbeziehung

Ein Raum, modelliert mit dem kompletten Repertoire an Lustspiel-Ästhetik: plüschige Sofas, filigrane Tischchen und feines Teeservice (Ausstattung: Christian Beck). Und genauso altbacken wird sich die gesamte Inszenierung der Thalia-Intendantin Annegret Hahn geben, vom ersten Satz bis zum letzten Seufzer. Was hier passiert, lässt sich eigentlich nur dank des zuvor eingenommenen Glühweins ertragen. Denn es beginnt ein biederes Kammerspiel allererster Güte, ein Klamauk-Abend, der fragen lässt, ob die Bürgernähe der kleinen Stadttheater vielleicht doch ab und zu falsch verstanden wird, wenn sie den Stücken jegliche Doppelbödigkeit raubt.

Der Plot ist denkbar schlicht: Cäcilie und ihre Tochter Lucie sind mittellos, sie lassen sich von der Baronesse Stella anstellen. Die beiden Frauen teilen ein Schicksal: Sie wurden von ihren Männern verlassen, sind durch die Erinnerungen bald Verbündete. Dann kehrt Stellas Geliebter Fernando zurück und siehe da, er ist auch Cäcilies verschollener Gatte. Weil Fernando sich in dieser Ménage à trois nicht entscheiden kann, kommt es zum unvermeidlichen, tragischen Finale.

Einst ein tollkühnes Moralexperiment

In Halle liegt davor viel Dienstbotengeplänkel und Durch-den-Saal-Gerenne, Teller zerscheppern und Haare werden gerauft, Slapstick-Einlagen halten das Publikum bei der Stange. All die Tiefen, die in dem Text stecken – Cäcilies Frustration, Stellas Naivität, Fernandos Fatalismus – sie verpuffen in den pointenlosen Kabbeleien der Figuren. Dabei war Goethes Stück von 1775 eigentlich ein Skandal: Nach der Uraufführung musste der Autor den Schluss abmildern, weil Goethe die Liebenden in einer Ehe zu dritt glücklich werden ließ. Die bürgerlichen Theaterstandards ließen diese Utopie nicht zu, Goethe schrieb den Text um, ließ Fernando und Stella sterben und Cäcilie als Tugendhafte ihr einsames Dasein fristen.

Von dem subversiven Sprengstoff der polygamen Beziehung, der dem Stück seinerzeit innewohnte, ist zwischen all den Zoten nichts mehr zu erahnen. Da flirtet Lucie mit ihrem heimgekehrten, ihr noch unbekannten Vater, da springt Stella den Geliebten in Strumpfhosen an. Die Verlorenheit der Einzelnen, die Kritik an der herrschenden Etikette – das alles ist müde Theorie auf dem Programmzettel. Das Premierenpublikum immerhin ist amüsiert. Und der Klamauk trägt den Abend auch streckenweise.

Endlos überdrehte Nebenrollen

Bloß ist "Stella" eben vor allem ein Trauerspiel – und gerade die tragischen Passagen gehen gründlich daneben. Die Monologe stehen wie Salzsäulen im Raum. Auf die verzweifelten Annäherungsversuche folgen sofort Trennungen, die in jeder Telenovela besser inszeniert würden.

Manchmal ein paar Regieversuche: Fernando (Florian Schmiemann) taucht im Tarnanzug auf, in seiner Verzweiflung zwischen den beiden Frauen bricht die Härte eines sozial verkrüppelten Soldaten durch. Aber auch diese Idee versickert, weil Heidemarie Schneider als Cäcilie so gar nicht auf die Drohungen reagiert und die Szene gänzlich unglaubwürdig macht.

Melina von Gagern ist als Stella der einzige Lichtblick, doch ihre Präsenz verliert sich in einem Gemenge aus Klopp-Drauf und Schmeiß-Weg. Die endlos überdrehten Nebenrollen geben den letzten Rest, so dass am Ende dieses lausigen Abends nur noch die Hoffnung auf einen letzten Glühwein bleibt. Der Weihnachtsmarkt war leider schon geschlossen.


Stella
von Johann Wolfgang von Goethe
Regie: Annegret Hahn, Ausstattung: Christian Beck.
Mit: Melina von Gagern, Heidemarie Schneider, Florian Schmiemann, Christina Papst, Enrico Petters, Conny Mews, Judith Nebel, Jan Kersjes, Emanuele Peters.

www.thaliatheaterhalle.de

 

Mehr aus dem Thalia Theater Halle: Zur Eröffnung der Saison 2008/09 liefen Matusche und BAADER Holst. Und wir haben Dirks Lauckes Silberhöhe gibts nich mehr besprochen, das im März 2008 in Halle uraufgeführt wurde.

 

Kritikenrundschau

In der "abgelebten Wohnlandschaft vor alpinem Horizont", in der Annegret Hahn ihre "Stella" stattfinden lässt, werde "von Anfang an mit voller Kraft getönt" und überlebe "längst nicht jedes Wort die heikle Akustik" der Neuen Residenz, schreibt Andreas Hillger in der Mitteldeutschen Zeitung (28.11.). Überhaupt werde irritierenderweise "eine Dynamik auf die Szene" gepumpt, "die der eher trägen Stimmung der ländlichen Szenerie massiv widerspricht", dem Ensemble aber offenbar "Halt bieten" solle, denn wann immer das Geschehen entschleunigt werde, spüre man "die Unsicherheit der Akteure in ihren Rollen". Nicht so jedoch die Hauptdarstellerinnen Heidemarie Schneider und Melina von Gagern, die als Stella auch Stille aushalten könne, Empfindsamkeit und Liebesgier gleichermaßen beherrsche. Florian Schmiemanns Fernando sei vornehmlich Projektionsfläche und am Ende "von beiden Frauen domestiziert". Insgesamt werde an diesem Abend "entschieden zu viel gelacht", während "die Tristesse auf der Strecke" bleibe.

 

Dienstbotengeplänkel, Klopp-Drauf und Schmeiß-Weg

von Johanna Lemke

Halle, 26. November 2008. Einen sehr hübschen Weihnachtsmarkt hat Halle an der Saale. Zwischen Marienkirche und Rotem Turm gelegen, mit einer kleinen Schlittschuhlaufbahn, mitteldeutschen Spezialitäten und allem, was sonst noch dazu gehört. Trifft sich gut, denkt der Halle-Gast und schlendert mit einem kleinen Glühweinschwips zum Domplatz, wo in der Neuen Residenz "Stella" gegeben wird. Auch dieser Ort ist pittoresk: Ein gotischer Kirchenkomplex mit einem verwunschen wirkenden Innenhof, ein verwinkeltes Gebäude, wie geschaffen für ein klassisches Trauerspiel. Goethe in einem Festsaal mit Spitzbogenfenstern und Wandverzierungen zu spielen, das klingt fast zu einfach. Und es lässt sich nicht anders sagen: Es ist zu einfach.

Vorweihnachtsfreundliche Dreiecksbeziehung

Ein Raum, modelliert mit dem kompletten Repertoire an Lustspiel-Ästhetik: plüschige Sofas, filigrane Tischchen und feines Teeservice (Ausstattung: Christian Beck). Und genauso altbacken wird sich die gesamte Inszenierung der Thalia-Intendantin Annegret Hahn geben, vom ersten Satz bis zum letzten Seufzer. Was hier passiert, lässt sich eigentlich nur dank des zuvor eingenommenen Glühweins ertragen. Denn es beginnt ein biederes Kammerspiel allererster Güte, ein Klamauk-Abend, der fragen lässt, ob die Bürgernähe der kleinen Stadttheater vielleicht doch ab und zu falsch verstanden wird, wenn sie den Stücken jegliche Doppelbödigkeit raubt.

Der Plot ist denkbar schlicht: Cäcilie und ihre Tochter Lucie sind mittellos, sie lassen sich von der Baronesse Stella anstellen. Die beiden Frauen teilen ein Schicksal: Sie wurden von ihren Männern verlassen, sind durch die Erinnerungen bald Verbündete. Dann kehrt Stellas Geliebter Fernando zurück und siehe da, er ist auch Cäcilies verschollener Gatte. Weil Fernando sich in dieser Ménage à trois nicht entscheiden kann, kommt es zum unvermeidlichen, tragischen Finale.

Einst ein tollkühnes Moralexperiment

In Halle liegt davor viel Dienstbotengeplänkel und Durch-den-Saal-Gerenne, Teller zerscheppern und Haare werden gerauft, Slapstick-Einlagen halten das Publikum bei der Stange. All die Tiefen, die in dem Text stecken – Cäcilies Frustration, Stellas Naivität, Fernandos Fatalismus – sie verpuffen in den pointenlosen Kabbeleien der Figuren. Dabei war Goethes Stück von 1775 eigentlich ein Skandal: Nach der Uraufführung musste der Autor den Schluss abmildern, weil Goethe die Liebenden in einer Ehe zu dritt glücklich werden ließ. Die bürgerlichen Theaterstandards ließen diese Utopie nicht zu, Goethe schrieb den Text um, ließ Fernando und Stella sterben und Cäcilie als Tugendhafte ihr einsames Dasein fristen.

Von dem subversiven Sprengstoff der polygamen Beziehung, der dem Stück seinerzeit innewohnte, ist zwischen all den Zoten nichts mehr zu erahnen. Da flirtet Lucie mit ihrem heimgekehrten, ihr noch unbekannten Vater, da springt Stella den Geliebten in Strumpfhosen an. Die Verlorenheit der Einzelnen, die Kritik an der herrschenden Etikette – das alles ist müde Theorie auf dem Programmzettel. Das Premierenpublikum immerhin ist amüsiert. Und der Klamauk trägt den Abend auch streckenweise.

Endlos überdrehte Nebenrollen

Bloß ist "Stella" eben vor allem ein Trauerspiel – und gerade die tragischen Passagen gehen gründlich daneben. Die Monologe stehen wie Salzsäulen im Raum. Auf die verzweifelten Annäherungsversuche folgen sofort Trennungen, die in jeder Telenovela besser inszeniert würden.

Manchmal ein paar Regieversuche: Fernando (Florian Schmiemann) taucht im Tarnanzug auf, in seiner Verzweiflung zwischen den beiden Frauen bricht die Härte eines sozial verkrüppelten Soldaten durch. Aber auch diese Idee versickert, weil Heidemarie Schneider als Cäcilie so gar nicht auf die Drohungen reagiert und die Szene gänzlich unglaubwürdig macht.

Melina von Gagern ist als Stella der einzige Lichtblick, doch ihre Präsenz verliert sich in einem Gemenge aus Klopp-Drauf und Schmeiß-Weg. Die endlos überdrehten Nebenrollen geben den letzten Rest, so dass am Ende dieses lausigen Abends nur noch die Hoffnung auf einen letzten Glühwein bleibt. Der Weihnachtsmarkt war leider schon geschlossen.


Stella
von Johann Wolfgang von Goethe
Regie: Annegret Hahn, Ausstattung: Christian Beck.
Mit: Melina von Gagern, Heidemarie Schneider, Florian Schmiemann, Christina Papst, Enrico Petters, Conny Mews, Judith Nebel, Jan Kersjes, Emanuele Peters.

www.thaliatheaterhalle.de

 

Mehr aus dem Thalia Theater Halle: Zur Eröffnung der Saison 2008/09 liefen Matusche und BAADER Holst. Und wir haben Dirks Lauckes Silberhöhe gibts nich mehr besprochen, das im März 2008 in Halle uraufgeführt wurde.

 

Kritikenrundschau

In der "abgelebten Wohnlandschaft vor alpinem Horizont", in der Annegret Hahn ihre "Stella" stattfinden lässt, werde "von Anfang an mit voller Kraft getönt" und überlebe "längst nicht jedes Wort die heikle Akustik" der Neuen Residenz, schreibt Andreas Hillger in der Mitteldeutschen Zeitung (28.11.). Überhaupt werde irritierenderweise "eine Dynamik auf die Szene" gepumpt, "die der eher trägen Stimmung der ländlichen Szenerie massiv widerspricht", dem Ensemble aber offenbar "Halt bieten" solle, denn wann immer das Geschehen entschleunigt werde, spüre man "die Unsicherheit der Akteure in ihren Rollen". Nicht so jedoch die Hauptdarstellerinnen Heidemarie Schneider und Melina von Gagern, die als Stella auch Stille aushalten könne, Empfindsamkeit und Liebesgier gleichermaßen beherrsche. Florian Schmiemanns Fernando sei vornehmlich Projektionsfläche und am Ende "von beiden Frauen domestiziert". Insgesamt werde an diesem Abend "entschieden zu viel gelacht", während "die Tristesse auf der Strecke" bleibe.

 

Kommentare  
Stella in Halle: zeitlos scharf
Für mich, ebenfalls extra angereist aus Berlin nach Halle, um die Premiere zu sehen, stellt sich die Frage, sollte die Autorin wirklich mit einem leichten? Glühweinschwips ins Theater gehen, um ein Stück zu sehen, von dem sie sich "seinerzeitigen subversiven Sprengstoff einer polygamen Beziehung" erhofft. Auch unsere Vorfahren waren nicht dumm und bieder, und Goethe schon gar nicht. Und was damals zum Skandal wurde, ist, wie heute, nicht immer das, worum die ganze Chose sich dreht. Um so bestaunenswerter ist es, wenn ein über 200 Jahre alter Text so entrümpelt und erspielt wird, daß sich seine Zeitlosigkeit und Schärfe heute auf dem Theater entblättert. Es geht in Stella nicht um Konventionen (das hat Goethe doch gar nicht interessiert) sondern um Liebe und deren Spielarten! Und um die Unmöglichkeit, zwischen Liebenden zu moderieren. Und wie anders als mit einem kräftigen und schmerzhaften Lachen sollte man sich diesem Thema heute nähern? Nein, lausig und altbacken scheint mir eher die Autorin in ihren Erwartungen, und nicht der Abend, zu sein, und wahrscheinlich wäre sie das schon zu Goethes Zeiten gewesen, hätte sie da gelebt und noch nicht gewußt, daß Goethe einmal Goethe! sein würde. Mein Tipp: eine Reise lohnt sich, denn hier findet Theater statt, daß amüsant und ergreifend ist, und keine Minute langweilig, also genau das, was Theater heute so selten, aber immer noch kann!
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