Wut liegt in der Luft

30. April 2022. Zum allerersten Mal: Sieben junge Laien treffen am Düsseldorfer Schauspielhaus auf fünf Profis, aus den Ensembles des Erwachsenen- und des Nachwuchs-Spielplans. Mit der Regisseurin Joanna Praml diskutieren sie in "Making of Shakespeare" verschiedene Perspektiven darauf, wie man die Stücke des britischen Dramatikers heute inszenieren könnte und sollte.

Von Martin Krumbholz

"Making of Shakespeare" © Thomas Rabsch

30. April 2022. Die beste Nachricht über diesen denkwürdigen Abend am Düsseldorfer Schauspielhaus ist die: Endlich wieder ein volles Haus! Nach Monaten oder Jahren der Dürre, der Abstände, der gähnenden Leere im Parkett schwappt endlich eine volle Woge der Sympathie von unten nach oben: Los geht's! Eine gemeinsame Inszenierung von Schauspiel, Jungem Schauspiel und Stadt:Kollektiv (der früheren Bürgerbühne) ist angekündigt – ein Experiment. Und wenn die vierzehnjährige Alrun ganz allein mit ihrer Merci-Schokoladenschachtel vor dem Eisernen Vorhang steht, bebend vor Vorfreude, dann denkt man: Ja. Das wird was. Making of Shakespeare.

Wut auf das Risikoprojekt

Sieben junge Laien treffen auf fünf Profis, gemischt aus den Ensembles des Erwachsenen- und des Nachwuchs-Spielplans. Zum allerersten Mal ist das so. Nicht ganz ausgewogen das Verhältnis, aber gut. Und dann, plötzlich, entfaltet sich auf der Bühne eine ungeheure Wut. Die liebenswerte Minna Wündrich ist gar nicht einverstanden mit diesem "Risikoprojekt", das sei das Schlimmste, das ihr je begegnet sei. Ähnlich Hanna Werth, die sich völlig zu Recht als einen "netten" Menschen beschreibt, der so etwas wie das Monster Caliban im "Sturm" auf gar keinen Fall spielen könne, ein No-Go (das wiederum natürlich zu Unrecht, warum sollte sie es nicht können?). Man begreift nicht recht, woher diese Wut eigentlich kommt, die sich wie ein Flächenbrand ausbreitet. Liegt es an der "Orga", wie es heißt, daran, dass die Jungen Schauspieler morgens Doppelvorstellungen spielen und nicht probieren können? Aber was geht uns, das Publikum, das an?

Making of Shakespeare 2 ThomasRabsch uProbieren Shakespeare aus, ob er noch sitzt: Jonathan Gyles, Adrian Geulen, Jonas Friedrich Leonhardi, Minna Wündrich, Henrik Zuber © Thomas Rabsch

Natürlich ist hier mengenweise selbstreferenzielle Ironie im Spiel, aber man fragt sich doch: Wollen etwa die Profis den jungen Leuten mit Gewalt die gute Laune verderben? Aber warum bloß? Dass Krieg ist und Corona auch noch nicht vorbei, wissen die jungen Laien selbst. Jonas Friedrich Leonhardi hält sich diplomatisch zurück, ähnlich die Jungen Schauspieler Noemi Krausz und Jonathan Gyles.

Man wird sich auf nichts einigen können

Es folgt im Grunde eine nicht mehr endende Exposition: immer neue Anläufe zu etwas, das dann doch nicht passiert (ein "Get together" mit dem Publikum); teils larmoyante, teils wütende, jedenfalls längliche Diskussionen; auf die zunächst leere Bühne stürzen später einmal Zugbrücken; aber der Ton ist gesetzt, man wird sich auf nichts einigen können. Schon gar nicht auf das Stück, das man spielen (oder dekonstruieren) könnte. Es gibt dann ein bisschen "Romeo und Julia", ein wenig "Sturm". Vor knapp sechs Jahren, am Beginn der Intendanz von Wilfried Schulz, hat dieselbe Regisseurin Joanna Praml den "Sommernachtstraum" mit Laien furios dekonstruiert und ebenso furios wieder zusammengesetzt. Mit den einfachsten Mitteln. Was ist inzwischen geschehen? Woher diese Frustration, dieses Versagen dramaturgischer Kraft und Inspiration?

Making of Shakespeare 4 ThomasRabsch uHenrik Zuber, Emir Özdemir, Adrian Geulen, Hanna Werth, Isoken Iyahen in "Making of Shakespeare" © Thomas Rabsch

Es fehlt im Lauf des Diskurses nicht die bis zum Überdruss wiederholte Klage über die angeblich so katastrophalen Frauenbilder in der klassischen Literatur. Als hätte nicht gerade Shakespeare die allertollsten Frauen erfunden, die mit ihrem Charme, ihrer Erfindungsgabe, ihrer Klugheit, ihrer Verwandlungsfähigkeit die Männer regelmäßig an die Wand spielen. Wäre Shakespeare das Genie, das er nun mal ist, wenn er die Hälfte der Menschheit notorisch unterbelichtet hätte? Und selbst der Neid auf die politischen Debatten, die tatsächlich öfter von Männern geführt werden, ist eigentlich entbehrlich, wenn man sich ansieht, wie all diese Wortgefechte systematisch ins Desaster, in Tod und Vernichtung führen. Hier hat sich ein Stereotyp verselbständigt, wird von Mal zu Mal weitergereicht und unbemerkt selbst zu dem Klischee, das es doch attackieren wollte.

Sehgewohnheiten sind längst flexibel

Vielleicht sei es uns, dem Publikum, nicht bewusst, meint Minna Wündrich einmal, dass wir mehr Einfluss auf die Spielpläne hätten als sie. Man weiß ja nicht, welchen Spielplan Wündrich aufstellen würde, aber das Publikum hat im Allgemeinen einen ganz guten Instinkt: Es will Stücke sehen, die funktionieren. Da mag zuweilen Trägheit im Spiel sein, ja, aber die in den Theatern vertretene kritische Öffentlichkeit ist womöglich längst weiter und aufgeklärter, als manche(r) glaubt. Sehgewohnheiten sind flexibel, zumal sie in Theatern trainiert werden. Und selbstverständlich darf eine junge Schwarze die Königstochter Miranda im "Sturm" spielen, warum denn nicht? Es geschieht und wird in Zukunft noch viel öfter geschehen. Solche Klagen (die man jungen Laien nicht vorwerfen sollte, aber doch den Verantwortlichen) verstärken nur ein Gefühl der Frustration, statt den Status quo einfach durch Praxis auszuhebeln. Niemand wird es verübeln (die es tun würden, gehen ohnehin nicht ins Theater)!

Man muss schon zugeben: Die Jüngsten sind hier und heute die Besten. Der erst zwölfjährige Gustaf kann ohne weiteres den weisen Prospero spielen. Jetzt den Anfang, in fünfzig Jahren den Rest.

 

Making of Shakespeare
Eine gemeinsame Inszenierung von Schauspiel, Jungem Schauspiel und Stadt:Kollektiv.
Regie und Text: Joanna Praml, Text: Dorle Trachternach, Bühne: Jana Denhoven, Kostüm: Franziska Sauer, Musik: Hajo Wiesemann, Licht: Konstantin Sonneson, Dramaturgie: Robert Koall, Birgit Lengers.
Mit Adrian Geulen, Alrun Juman Göttmann, Jonathan Gyles, Isoken Iyahen, Noemi Krausz, Jonas Friedrich Leonhardi, Carolin Müller, Emir Özdemir, Gustaf Steindorf, Hanna Werth, Minna Wündrich, Henrik Zuber.
Premiere am 29. April 2022
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.dhaus.de

Kommentare  
Making of Shakespeare, Düsseldorf: Frenetische gefeiert
Ich war gestern auch in der Premiere, die nicht nur gut besucht war, sondern auch - zu recht! - frenetisch mit standing ovations gefeiert wurde. Das zeigt, dass das Publikum die verschiedenen Ebenen in ihrer Komplexität verstanden hat, anders als leider der schlechtgelaunte Kritiker. Die Zuschauer haben auch den Humor unter der "Frust"-Oberfläche gefeiert und das zentrale Thema - die Liebe zum Theater als Möglichkeitsraum - begriffen. (...)

(Anm. Red.: Teile des Beitrags entsprechen nicht den Kommentarregeln auf nachtkritik.de und sind gestrichen.)
Making of Shakespeare, Düsseldorf: Phantastich, grandios, mitreißend
"Phantastisch! Grandios! Theater, dem elisabethanischen Großmeister würdig. Mitreißend und hinreißend und ... ach was : Wann gab es denn 'Standing Ovations' schon beim ersten Applaus? Hier verdient beim Abend mit den drei Ensembles des Schauspielhauses: D`haus, Junges Schauspiel, und den sogenannten Amateur:innen der 'Stadt:Kollektiv' mit 'Making of Shakespeare' . Regisseurin Johanna Praml und Dorle Trachternach haben den Text verfasst, und der geneigte Zuschauer bekommt bei dieser Uraufführung gleich den Wunsch, beim Theater mitzumachen. Und Shakespeare – sowieso. (...) sie spielen gegen den Krieg, der da draußen tobt, gegen den Hass, gegen den 'Sturm', der hier die Corona-Zeit ist. Dazu die Musik: Am Klavier, am Saxophon, an der Gitarre zeigt Jonathan Gyles (Junges Schauspiel) sein Talent, dazu spielt Noëmi Krausz auf dem Cello . Und wenn Hanna Werth singt, stoppt die Welt ein bißchen. Und dann stehen sie alle da, in einer Reihe, haben zusammen gespielt, haben die Kraft der Phantasie, des Theaters gezeigt, alle zusammen aus drei Ensembles, wundervoll, 'es ist ein Wunder', sagt Minna, Theater eben, und dann der Jubel, das Aufstehen, der Applaus."
Ganze Kritik:
https://www.neue-duesseldorfer-online-zeitung.de/kultur/artikel/making-of-shakespeare-oder-die-kraft-des-theaterspielens-2028.html
Making of Shakespeare, Düsseldorf: Geglückte Kollaboration
Auch ich war am Freitag bei der umjubelten Premiere im großen Haus und würde gerne als weitere Presse/Gegenstimme die Kritik der Westdeutschen Zeitung empfehlen:
Making of Shakespeare
"Fazit: Die Kooperation zwischen hauptberuflichem Ensemble und Düsseldorfs Stadt:Kollektiv (früher Bürgerbühne) funktioniert bei Pramls temperamentvollem Mix aus sprühender Unterhaltung und poetischer Träumerei, aus Party-Satire, Selbst-Ironie und ernsten Sujets. Nebenbei mutiert das Ganze zu einer Talentshow. Einige der Schüler haben Theater-Blut geleckt und werden nicht das letzte Mal auf der großen Bühne gestanden haben."
In einem Punkt möchte ich Herrn Krumbholz deutlich widersprechen, weil hier Genauigkeit wichtig ist: Die junge schwarze Spielerin hat nicht behauptet, dass sie nicht Miranda spielen darf, sie hat vielmehr aus ihrer persönlichen Erfahrung problematisiert, dass es leider noch immer nicht selbstverständlich ist, dass diese klassischen Rollen schwarz besetzt werden. Solche "Klagen" lapidar mit der Empfehlung wegzuwischen, man könne dieses Problem doch "einfach durch Praxis aushebeln" ist hoffentlich nur einfach naiv... Auf jeden Fall war die Inszenierung nicht nur sehr unterhaltsam, sie legt auch klug und selbstkritisch den Finger in einige Wunden - nicht nur im Theaterbetrieb.
Making of Shakespeare, Düsseldorf: Danke für die Kommentare
Hey Leute,
vielen lieben Dank für die lieben Kommentare. Ich und die anderen Schauspieler*innen, wie natürlich auch der Rest des Teams, haben sich sehr viel Mühe gegeben. Ich freue mich unglaublich, dass es so vielen Leuten so gut gefallen hat. Ich fühle mich seit dem auch unglaublich frei und viel Selbstbewusster. Der zweite Auftritt am 04.05.22 war auch ein großer Erfolg. Und dir Premieren Feier war natürlich auch unglaublich. Danke nochmal für die Kommentare und vielleicht sehen wir uns ja in Düsseldorf mal wieder.☺️
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