Spiel des Lebens - Residenztheater München
Wind säen, Sturm ernten
9. Mai 2022. Zum Vordenker einer rechten, antidemokratischen Jugendbewegung wird der Philosoph Ivar Kareno. Erfunden hat ihn in den 1890ern Knut Hamsun, der später mit dem Nobelpreis ausgezeichnete und noch später selbst rechts geneigte Autor, in seiner "Kareno-Trilogie". Am Residenztheater München inszeniert Stephan Kimmig die Dramen temporeich mit einem formidablen Ensemble – und hat sich Gesten und Gänge offenbar bei Groucho Marx und Jacques Tati geborgt.
Von Thomas Rothschild
9. Mai 2022. "Er war ein Krieger, ein Krieger für die Menschheit und ein Verkünder des Evangeliums vom Recht für alle Völker. Er war eine reformatorische Gestalt von höchstem Rang und sein historisches Schicksal war es, in einer Zeit beispielloser Rohheit wirken zu müssen, der er schließlich zum Opfer fiel." Von welchem renommierten Schriftsteller außerhalb Russlands könnte man sich vorstellen, dass er derlei in einem Nachruf auf Wladimir Putin schriebe? Der Norweger Knut Hamsun hat es so formuliert – in seinem Nachruf auf Adolf Hitler.
Läuterung oder ein Sieg des Opportunismus?
Ob man Künstlern, die mit Diktatoren und Kriegstreibern sympathisieren, zu Öffentlichkeit verhelfen solle, ist eine Frage, die nicht erst mit dem Angriff auf die Ukraine laut wurde. Knut Hamsun, immerhin ein Nobelpreisträger wie Luigi Pirandello, gehörte zu jenen Schriftstellern, deren Werke viele wegen ihrer Nähe zum Faschismus zwar nicht verbieten, aber auch nicht unbedingt fördern wollten. Wenn man sich dieser durchaus begründbaren Entscheidung anschließt, sollte es einem immerhin zu denken geben, dass es just der über jeden Verdacht der Rechtslastigkeit erhabene Peter Palitzsch war, der zur Rehabilitierung Hamsuns beigetragen hat, indem er in der Spielzeit 1977/78, neben Brechts "Tagen der Kommune", die von Peter Kleinschmidt bearbeitete und auf weniger als ein Drittel des Gesamtumfangs gekürzte sogenannte Kareno-Trilogie, bestehend aus den Dramen "An des Reiches Pforten", "Das Spiel des Lebens" und "Abendröte", inszenierte.
Hamsun schrieb die drei Stücke über den fiktiven Philosophen Ivar Kareno kurz vor dem Ende des 19. Jahrhunderts. Sie erstrecken sich über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten und setzen ein im Bann von philosophischen und politischen Strömungen, die damals, auch in der Literatur, virulent waren. Historisch betrachtet ist Hamsun damit nicht so sehr weit entfernt von Nietzsche oder Dostojewskis Raskolnikov. Was Kareno gleich zu Beginn an Vernichtungsphantasien von sich gibt, würde jedem Faschisten der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts gut zu Gesicht stehen. Zunehmend aber wird die Trilogie zu einem "Besserungsstück", in dem Kareno seine Überzeugungen revidiert. Wie passt das zu Hamsuns Biographie? Ist Karenos Wandlung als vorbildlich oder als Verrat zu bewerten, wie die vorausgegangene Anpassung seines Kollegen Carsten Jerven? Handelt es sich um eine Läuterung oder um einen Sieg des Opportunismus über die antidemokratische Redlichkeit? Eignet sich einer als "Held", der zu richtigen Einsichten erst gelangt, wenn er selbst Opfer seiner Verfehlungen wird?
"Legt eine Mine unter das Alter"
Die Figuren der Trilogie vertreten, nicht unähnlich den Protagonisten bei Ibsen (den Hamsun ablehnte) oder Schnitzler, ideologische Positionen, die deutlich umrissen und gegen einander abgegrenzt sind. Sie liefern sich Rededuelle und auch diffuse Dialoge, die gelegentlich zur holzschnittartigen Vereinfachung tendieren und den Zuschauer zur Stellungnahme herausfordern. Wiederholt werden die jeweils vertretenen Ansichten weniger von den sozialen Bedingungen ihrer Repräsentanten als vom Alter des Sprechenden abhängig gemacht. Dabei gibt es für Hamsun zunächst eine Affinität zwischen faschistischer Radikalität, Unkorrumpierbarkeit und Jugend. In einer Art Prolog predigt Ivar Kareno: "Legt eine Mine unter das Alter, säubert den Sitz und nehmt seinen Platz ein. Denn euer ist die Macht und die Ehre in Ewigkeit." Das Feindbild liefert der "liberale" Professor Gylling, den Stephan Kimmig in seiner aufs Tempo drückenden Münchner Inszenierung nur per Brief zu Wort kommen lässt.
Diese Inszenierung lebt von einem durchweg formidablen Ensemble. Max Mayer spielt den Ivar Kareno als hochnervösen narzisstischen Charakter auf der Kippe zur Karikatur. Kimmig ordnet ihm wie den übrigen Figuren artifizielle Gesten und Gänge zu, die er bei Groucho Marx oder Jacques Tati entlehnt haben könnte. Großartig verschiebt Oliver Stokowski seinen Unternehmer Otermann (körper)sprachlich in den Bereich des Absurden. Was da um Kareno herum und mit ihm abläuft, gleicht einem Fiebertraum an der dramengeschichtlichen Bruchlinie zwischen Strindberg und Jarry.
Warum wird einer Faschist?
Die drei Stücke der Trilogie unterscheiden Kimmig und seine Bühnenbildnerin Katja Haß durch Räume. Wird im ersten Teil auf einem schmalen Streifen vor einer weißen Wand und im zweiten Teil in einer kargen, von Nebelschwaden durchwehten weitläufigen Konstruktion mit Grasbüscheln posiert, so dient im dritten Teil die Andeutung eines bürgerlichen Wohnzimmers mit ausgestopften Tieren auf Rädern für die Suggestion des spießigen Milieus, in dem Kareno angekommen ist.
Hilft Knut Hamsun beim Versuch, zu verstehen, warum heute junge Menschen so denken wie der junge Ivar Kareno? Und gibt es eine Möglichkeit, sich davon loszusagen? In einem klugen Beitrag zum Programmbuch antwortet der Dramaturg Ewald Palmetshofer mit einem entschiedenen, wenn auch skeptischen Ja. Warum wird einer Faschist? Es ist keine belanglose Frage. Wer sich von Hamsun eine Antwort erhofft, muss vier Wochen warten. Die nächste Vorstellung findet am 5. Juni statt.
Spiel des Lebens
(Kareno-Trilogie: "An des Reiches Pforten" – "Spiel des Lebens" – "Abendröte")
von Knut Hamsun
aus dem Norwegischen von Maria Herzfeld und Christian Morgenstern
Regie: Stephan Kimmig, Bühne: Katja Haß, Kostüme: Anja Rabes, Musik: Michael Verhovec, Licht: Gerrit Jurda, Dramaturgie: Ewald Palmetshofer.
Mit: Max Mayer, Lisa Stiegler, Robert Dölle, Lukas Rüppel, Hanna Scheibe, Thomas Lettow, Oliver Stokowski, Liliane Amuat, Carl von der Recke, Johan von Ehrlich, Oskar Probst, August Marr, Christian Erdt, Patrick Bimazubute, Delschad Numan Khorschid, Tilly Marr, Silvia Pfleghar, Arnulf Schumacher, Niklas Mitteregger.
Premiere am 8. Mai 2022
Dauer: 2 Stunden 50 Minuten, eine Pause
www.residenztheater.de
Kritikenrundschau
In der reizvollen Grauzone zwischen Genie und Wahnsinn spiele Max Mayer seinen Ivar Kareno, so Teresa Grenzmann in der FAZ (11.5.2022). "Die in seltsamer Auswahl auf zweieinhalb Stunden gestraffte Münchner Fassung verfolgt das Charakterdrama jedoch nicht mit." Schon stilistisch trennen Regisseur Stephan Kimmig und Bühnenbildnerin Katja Haß die drei Stücke voneinander. "Was sie hier zusammenhält, ist auch im übertragenen Sinn nur ein rudimentäres Stahlgerüst in neutralem Weiß." Fazit: Zu Hamsun und der Darstellung "eines komplizierten modernen Menschen" findet Kimmig keinen überzeugenden Zugang.
Mathias Hejny von der Abendzeitung (10.5.2022) fragt sich, ob es überhaupt noch sinnvoll sei, das Werk eines bekennend nationalsozialistischen Autoren auf die Bühne zu bringen? "Dramaturg Ewald Palmetshofer antwortet in seinem Programmheftbeitrag mit einem klaren Ja und empfiehlt, ‚Hamsun gegen Hamsun‘ zu lesen, um den Kern des Faschismus zu erkennen. Regisseur Stephan Kimmig ist diesem Rat gefolgt und zu dem Ergebnis gekommen, dass dem Thema nur mit Satire beizukommen ist. Den vielen so guten Schauspielerinnen und Schauspielern am Residenztheater ist zu danken, dass Schlimmeres verhindert wurde.“ Max Mayer finde zwischen all dem Ulkigen eine Figur, die Aufmerksamkeit verdiene und diese auch fordere.
Egbert Tholl von der Süddeutschen Zeitung (9.5.2022) freut sich über einen "ungeheuer dichten Abend", "in welchem ein fantastisches Ensemble brilliert und am Ende der Zuschauer auf wundervoll schwebende Art zum eigenen Nachdenken aufgefordert wird". Die Hauptfigur Kareno als frühen Stellvertreter für Hamsuns spätere nationalsozialistische Haltung zu begreifen, griffe laut Tholl übrigens zu kurz. "Vielmehr, und das arbeitet Kimmig sehr schön heraus, macht sich Hamsun über beide Seiten lustig, den irren Rechten und das bürgerliche Lager, dem ein Wahlsieg wichtiger ist als Gesinnung."
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