Maria Stuart - Schauspiel Stuttgart
Die Macht der Ex
15. Mai 2022. Aktuell ist Schillers Königinnendrama "Maria Stuart" von 1800 nach wie vor: Zeigt es doch das unbedingte Ringen um den Machterhalt. Regisseur Michael Talke holt es in die heutige Zeit – mit Straßenkämpfen, Höllenschlundklängen und Schockeffekten.
Von Verena Großkreutz

15. Mai 2022. Sie geht auf ihren blauen Stilettos so sicher, als wären es Arbeitsstiefel. Josephine Köhler spielt Elisabeth mit böse blitzenden Augen, immer bereit zur giftigen Attacke. Ihr ständig sich einmischendes männliches Berater-Rudel hat sie meist fest im Griff. Schwächen? Darf sie gelegentlich äußerlich zeigen, wenn sie plakativ in gebeugter Körperhaltung ausharrt, als laste zu viel politisches Geschäft auf ihren Schultern: Als da wäre das Problem Maria Stuart, die sie seit 19 Jahren weggesperrt hat, weil sie ihre Macht gefährdet. Jetzt wächst Elisabeth diese prekäre Angelegenheit über den Kopf. Soll sie Maria ermorden oder lieber zum Tode verurteilen lassen?
Einsame Königin
Das zeigte auch die Premiere am Stuttgarter Schauspiel jetzt wieder: Wie aktuell Schillers Königinnendrama "Maria Stuart" von 1800 nach wie vor ist: dieses machterhaltende Lavieren Elisabeths, der einsamen Königin von England, ihr Zaudern und Aufschieben, statt eine klare Haltung zu demonstrieren, dieses Abwarten und Tee trinken, bis ihr das Wasser bis zum Halse steht. Bloß keine Verantwortung übernehmen für irgendwas. Erst recht nicht für den politischen Mord an Maria, der in diesem Stück verhandelt wird.
Die Stuttgarter Produktion von Schillers Meisterwerk hatte allerdings im Vorfeld, zur Halbzeit der Probearbeit, einen Bruch erlitten. Die britische Regisseurin Rebecca Frecknall erkrankte, Michael Talke sprang ein. Ein solch später Regie-Wechsel tut nicht gut, wenn das ursprüngliche Konzept nicht beibehalten wird. Talke übernahm zwar Bühne und Kostüme, brachte aber eine neue Strichfassung ins Spiel. Die Dialoge wurden gestrafft, doch es fielen auch bedeutende inhaltliche Aspekte unter den Tisch. Und überhaupt habe Talke einen ganz eigenen Abend inszeniert, ließ das Stuttgarter Schauspiel verlauten, auch was die Interpretation der beiden Protagonistinnen angehe.
Mädchenhafte Ex-Königin: Katharina Hauter, im Hintergrund: Matthias Leja © Katrin Ribbe
Aber gerade in letzterem liegt das Problem: Der stark auftretenden englischen Königin fehlt das ebenso starke Gegenüber. In Talkes Inszenierung verliert Maria Stuart – Ex-Königin von Schottland mit berechtigten Ansprüchen auf den englischen Thron – ihre Vergangenheit. Talke hat ihr die gesamte siebte Szene im letzten Akt weggekürzt, ihre große Beichte, in der sie unter anderem auch den Mord an ihrem Ehemann zugibt. Eine Szene, die zeigt, dass sich Maria im Laufe des Dramas entwickelt hat – im Gegensatz zu Elisabeth.
Das Brüllen eines Löwenbabys
Maria wirkt durch diese Beschneidung am Ende blass. Zudem muss Katherina Hauter sie mit pubertären Attributen, mädchenhaft, teils in durchsichtigem Unterkleidchen spielen. Im großen Königinnenaufeinandertreffen wirkt ihr Auftrumpfen gegen Elisabeth deshalb wie das Brüllen eines Löwenbabys. Talke stilisiert sie zum bloßen Opfer, zur Märtyrerin – dabei hat sie ja eigentlich selbst eine Menge Dreck am Stecken.
B-Movie-Horror und Straßenkämpfe
Der Bühnen- und Kostümbildner Oliver Helf hat "Maria Stuart" in die heutige Zeit geholt. Alles schick: Die in unterschiedlichen Tönen und Stilen gehaltenen Anzüge der Männer. Die Bühne als hermetischer Gefängnistrakt: Links und rechts Beton, zwei frontal verlaufende hohe Gitterwände, hintereinander montiert, dazwischen – doppelstöckig – Gänge, mit Leitern verbunden. Wird alles sehr dynamisch und lebendig bespielt. Dieses zu beiden Seiten abschließende Konstrukt schiebt sich während des Abends immer wieder langsam vor und zurück und gibt vorne mal mehr, mal weniger Spielfläche frei. Und geschickt gemacht: Immer wieder darf auch Volkes Stimme hineinbrechen in diesen hermetischen Ort – in Gestalt von Straßenkämpfen, die auf die Riesenleinwand hinter den Gitterstäben gebeamt werden. Mehrfach gibt es zudem merkwürdig surreale Effekte: Zu Höllenschlundklängen verzerren sich dann Gesichter, bewegt man sich in Zeitlupe. Wirkt ein bisschen so wie B-Movie-Horror. Als Schock-Effekt inszeniert auch Marias Hinrichtung: Auf der Bühne wird’s plötzlich zappenduster, und es knallt ungeheuer in die Ohren.
Ein hermetischer Ort: Boris Burgstaller, Josephine Köhler © Katrin Ribbe
Ins leicht Karikaturistische entgleitet so manche Aktion der männlichen Entourage, die ständig – in geschmeidigem Blankvers – auf die Königin einredet. Etwa Matthias Leja als Burleigh, schlauer Diensteiferer im Sinne der Interessen Englands. Hier nimmt er die finale Verbannung durch Elisabeth mit einem herablassenden Lacher zur Kenntnis. Auch Marco Massafra als ehrgeiziger, heuchlerischer, schwankender Leicester, der angesichts der Hinrichtung Marias reuige Einsicht zeigt, darf hier nicht freiwillig in Verbannung gehen, sondern auf Befehl Elisabeths – auch so eine nicht verständliche inhaltliche Änderung, die die finale Verlassenheit der Königin als selbstbestimmt interpretiert.
Ziemlich knallig und witzig inszeniert ist dagegen Mortimer, der Maria-Retter in spe, den Jannik Mühlenweg – in bonbonfarbenem Anzug – als wendigen, zur religiösen Ekstase neigenden, übergriffigen jungen Mann spielt, der schon vor seinem Suizid mit der Pistole herumfuchtelt. Eines ist sicher: Säße Maria nicht im Gefängnis, hätte sie Mortimer als Stalker an der Backe.
Maria Stuart
von Friedrich Schiller
Regie: Michael Talke, Bühne und Kostüme: Oliver Helf, Sounddesign: George Dennis, Lichtdesign: Jack Knowles, Dramaturgie: Christina Schlögl.
Mit: Josephine Köhler, Katharina Hauter, Marco Massafra, Boris Burgstaller, Matthias Leja, Till Krüger, Klaus Rodewald, Jannik Mühlenweg, Gábor Biedermann, Christiane Roßbach.
Premiere am 14. Mai 2022
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, keine Pause
www.schauspiel-stuttgart.de
Kritikenrundschau
"Michael Talke musste relativ kurzfristig als Regisseur einspringen. Aber letztlich stellt sich die Frage, wohin er mit seiner Inszenierung eigentlich wollte“, so Karin Gramling von SWR2 (16.5.2022). "(N)atürlich spielt Talke darauf an, wie schwer es Frauen auch heute in Machtpositionen noch haben. Aber letztlich zeigt die Inszenierung eher, egal ob Frauen oder Männer: Täuschen, aussitzen und intrigieren, den anderen die Schuld in die Schuhe schieben. Das alles gehört nach wie vor bei manchen zum politischen Geschäft. Insofern bleibt Schiller am Ende dann in jedem Fall aktuell, wie eh und je."
Es werde vor allem ein Problem dieses Trauerspiels ins Bewusstsein gerückt: "Es spielt in einer fremden Welt, mit der der Zuschauer heute zumindest fremdelt, vermutlich aber oftmals kaum noch etwas anfangen kann", so Arnim Bauer von der Ludwigsburger Kreiszeitung (16.5.2022). Die Werte und die Denkweisen der Figuren würden heute einfach antiquiert und aus der Zeit gefallen wirken. Die hier versuchte Aktualisierung sei "an den Haaren von sehr weit hergezogen und wirkt sperrig und fremd im Ambiente des Mittelalters". Wirklich gute Ideen suche man vergebens. "Zwar hat Talke ein prima Ensemble beisammen, aber das tut sich meist schwer, in diesem Rahmen zu glänzen."
"Hinter der Fassade gnadenloser Machtpolitik legt Talke am Stuttgarter Staatstheater die menschlichen Beweggründe der Frauen offen, die einander nicht nur mit harten Worten bekriegen", schreibt Elisabeth Maier in der Eßlinger Zeitung (16.5.2022). Sie sah eine "packende Regiearbeit". Vor allem die Rollenstudien der Königinnen würden überzeugen. Die Männer hingegen würden zu oft in die Überzeichnung verrutschen.
Nicole Golombek von der Stuttgarter Zeitung (16.5.2022) sah "(e)in hochdramatisches Kammerspiel". Michael Talke inszeniere das plausibel gestrichene Drama texttreu und psychologisch stringent. "Regie und Ensemble konzentrierten sich auf die Figurenkonstellationen und die Macht des kraftvollen Schillertextes. Es hätte Videoeinspielungen von Straßendemos gar nicht gebraucht; auch so gelingt es, den Bezug zum Hier und Heute, zu amtierenden Staatsschefs und Chefinnen deutlich zu machen."
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Tolle Interpretation und sie spielt keineswegs ein Opfer.
Das Herr Talke gerade die wichtige Beichte gestrichen hat, ist sehr unverständlich. Gerade um Elisabeth rum hätten Striche gut getan.
Hätte mir ein paar mehr Regieeinfälle gewünscht und das er mit einigen der Herren wie Burleigh hätte arbeiten können - müssen!
Maria hat es hiermit besonders schwer, schwerer als die teils überzeichneten Figuren der Entourage, doch man will es der sprachsouveränen Katharina Hauter nicht anlasten. Möglicherweise lässt die Inszenierung sie schlicht etwas im Stich, und Verena Großkreutz' Analyse ist mehr als plausibel.
Das brutalistische Bühnenbild funktioniert hervorragend, nur bleibt die Signifikanz im Gegensatz der Figurenabgänge durchs Parkett zu jenen späteren durch unsichtbare Wandtüren im Beton unverständlich.
Ein ausgezeichneter Programmheftbeitrag zu "Maria Stuarts Hate Speech" und den Spuren des Machiavellismus sei hervorgehoben, Autorin ist die Germanistin Uta Degner (2020).
Wo man aber Josephine Köhler gefunden hat … Die Elisabeth hat mir gar nicht gefallen !
Und Matthias Leja hat man auch schon besser gesehen. Peinlich die Karikatur die er da spielt!
Insgesamt aber doch sehenswert !
Marco Massafra überzeugt als leicester ! Und Katharina Hauter trägt durch den Abend !
Das Stück ist großartig und die Maria Stuart war toll. Allerdings habe ich nicht ganz verstanden, warum die anderen, fast ausschließlich, Klamauk gespielt haben. Boris Burgstaller hat Seine Figur sehr ernst genommen. Das war toll. Und auch Katharina Hauter hat toll gespielt ! Man hat jedes Wort geglaubt. Die Komik und das lustige Spiel der anderen Figuren hat mir überhaupt nicht gefallen .