Jurydebatte

22. Mai 2022. Die Kritiker:innen-Jury des Berliner Theatertreffens stellt sich zum Abschluss des Festivals der Kritik und diskutiert vor Publikum ihre Auswahl und was sie über den Stand des Gegenwartstheaters in Österreich, Schweiz und Deutschland aussagt. Der Livstream ist beendet.

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Die Jury des Theatertreffens 2022 © Berliner Festspiele

22. Mai 2022. Ein Jahr lang reisen sieben Kritikerinnen und Kritiker durch Österreich, Schweiz und Deutschland, um die zehn "bemerkenswertesten" Inszenierungen aus den deutschsprachigen Landen zum Berliner Theatertreffen einzuladen. Zum Abschluss des Festivals stellt sich die Jury selbst der Kritik und diskutiert vor Publikum ihre Sichtungserfahrungen, die Auswahl und was das 10er-Tableau über den Stand des Gegenwartstheaters aussagt.

Im Stream diskutieren: Matthias Balzer, Georg Kasch, Sabine Leucht, Petra Paterno, Katrin Ullmann, Sascha Westphal und Franz Wille.

Zu den Theatertreffen-Juror:innen:

Mathias Balzer, 1967 in Chur geboren, ist Mitbegründer und Redaktionsleiter des neuen Schweizer Online-Kulturmagazins Frida. Von 2017 bis 2021 war er Kulturredaktion der Südostschweiz. Vor seiner Tätigkeit als Kulturjournalist war er in verschiedenen Funktionen im freien Theater tätig. Von 2006 bis 2010, während der Intendanz von Markus Luchsinger, arbeitete er als Dramaturg am Theater Chur. Von 2014 bis 2019 war er Mitglied der Jury für die Schweizer Theaterpreise.

Georg Kasch, geboren 1979, studierte Neuere deutsche Literatur, Theaterwissenschaft und Kulturjournalismus in Berlin und München. Nach einem Volontariat in Nürnberg kehrte er 2010 nach Berlin zurück und ist seitdem Redakteur bei nachtkritik.de. Daneben schreibt er für Tageszeitungen wie die Berliner Morgenpost, Magazine wie Oper!, ZITTY und das Amnesty Journal und lehrt an Hochschulen in Berlin, München und Mainz. Er war u. a. Mitglied in der Jury für den Brüder-Grimm-Preis und für den Theaterpreis des Bundes.

Sabine Leucht, geboren 1966 in Neckarbischofsheim. Studium der Publizistik und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Freiberufliche Tätigkeit als Kulturjournalistin dort und seit 1998 in München, wo sie als Theater- und zunehmend auch Tanzkritikerin vor allem für die Süddeutsche Zeitung, taz, nachtkritik.de, Theater der Zeit und das Münchner Feuilleton schreibt. Diverse Jurytätigkeiten, zuletzt für die KinderStücke Mülheim (Preisjury 2016), das Kulturreferat München (Förderpreis Theater 2014–2018, Fach-Jury freie Kinder- und Jugendtheater seit 2019) und seit 2017 für den Bayerischen Landesverband für zeitgenössischen Tanz (BLZT).

Petra Paterno, geboren 1971 in Oberpullendorf/Burgenland. Studium der Theaterwissenschaft in Wien, Paris, New York. Seit 1997 Theaterkritikerin für diverse Medien, seit 2003 Redakteurin im Feuilleton der Wiener Zeitung, Schwerpunkt Theaterberichterstattung. Mehrjährige Jurytätigkeit etwa beim NESTROY-Preis sowie Beirätin für Darstellende Kunst.

Katrin Ullmann, 1971 in Heidelberg geboren. Studierte Germanistik und Kunstgeschichte in Hamburg. Seit 1998 freie Journalistin und Kritikerin unter anderem für Theater heute, nachtkritik.de, Tagesspiegel, taz, tanz, Deutschlandfunk Kultur und Die Zeit. 2011 bis 2015 sowie seit 2021 Jurymitglied der Hamburger Kulturbehörde, seit 2018 Jurymitglied des NPN.

Sascha Westphal, geboren 1971 in Dortmund. Studium der Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften, Germanistik und Geschichte an der Ruhr-Universität Bochum. Seit 1994 freiberuflich als Kulturjournalist und Kritiker tätig, u. a. für nachtkritik.de, Theater der Zeit und das Magazin kultur.west, dessen Redaktion er seit 2018 angehört. 2014 und 2019 war er Mitglied der Kritiker*innenjury des NRW-Theatertreffens.

Franz Wille, geboren 1960 in München. Studium der Theaterwissenschaft, Germanistik und Anglistik, Dr. phil. 1982–1986 Dramaturg am Theater der Freien Volksbühne in Berlin (Intendant Kurt Hübner). Seit 1990 Redakteur der Zeitschrift Theater heute.

 

Kommentare  
Theatertreffen Jurydebatte: Keine Illusionen
Eine interessante Diskussion. Was mich verblüfft und auch wieder nicht verblüfft (man sprach ja in eigener Sache), ist die Tatsache, dass die Behauptung, eine Entscheidungsfindung durch Mehrheiten sei für ein "Tableau" förderlich, unwidersprochen blieb. Das Verfahren ist zwar formal demokratisch, aber es führt stets zum größten gemeinsamen Nenner. Was vielleicht besonders bemerkenswert wäre, was eine Einzelne, ein Einzelner entdecken mag, was aber (noch) nicht konsensfähig ist, fällt dabei unter den Tisch. Das Neue, Radikale, Förderungsbedürftige und -würdige befindet sich oft am Rand, nicht im Zentrum. Das demokratische Prinzip übersieht es oft und wird ihm nicht gerecht. Fragt sich, ob Demokratie, für die Politik ohne Zweifel segensreich, für die Künste adäquat ist. Und wer nun fürchtet, Einzelne ohne Korrektiv würden ihre Macht missbrauchen: man kann, man sollte sie regelmäßig austauschen. Dann variieren auch die Vorlieben, die Überzeugungen, die Handschriften. Man gebe sich keinen Illusionen hin: auch die Zusammenstellung einer Kritiker*innenjury nimmt bereits vieles vorweg. So oder so: ein "objektives" Tableau können zehn Aufführungen, welche auch immer, nicht sein. Was kein Schaden sein muss. Man sollte es nur eingestehen.
Theatertreffen, Jurydebatte: Verwundert
Schon bei den Kommentaren zu "Humanistäää" war ich etwas verwundert: Kennen und verstehen die Leute Ernst Jandl so wenig? Jetzt fragte sich auch Frau Pasterno, ob die Berliner diesen besonderen Ton goutieren... Offenbar wissen die Profis nicht, dass wir anlässlich des Todes Ernst Jandls 2000 "jandls humanisten" am Berliner Ensemble zur Premiere brachten - mit 75 nahezu ausverkauften Vorstellungen. Allerdings schrieb Nachtkritik 12 Jahre später, es sei überholt und langweilig. Uns hat es immer viel Spiellust gebracht, und ich gratuliere Claudia Bauer&Co zu Ihrer Aufführung!
Theatertreffen Jurydebatte: Zu sehr in der Theaterbubble
Eine jüngere Jury wäre angebracht: Das jüngste Jurymitglied hat den Jahrgang '79.
Eine diversere Jury wäre spannend, mit mehr Abwechslung. Wieso war Franz Wille wieder mit dabei? Seit 1990 Theater heute, was für Interessen werden da vertreten? Wo sind die anderen, spannenden Blicke? Die Entscheidungsfindung, kann man alles nachvollziehen, aber was die Leute angeht und die Auswahl, das ist so intern, so Theaterbubble, mit Leuten, die Teil davon sind.
Theatertreffen Jurydebatte: Geschmacksurteile
Ein sehr guter Vorstoss. Franz Wille ist ein Funktionär eines Magazins mit sage und schreibe 15.000 Exemplaren, der seit 30 Jahren zu versuchen scheint, das umzusetzen, was er anscheinend bei Kurt Hübner glaubt gelernt zu haben: gebe Dich als Königsmacher, das gibt Dir selbst eine Bedeutung (...).
Ich empfehle Peter Kerns 9 Jahre alte hellsichtige Analyse: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buehne-und-konzert/krise-des-schauspiels-das-theater-schafft-sich-ab-1624830.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2. Zitat: " Wo der Wille ist, wird das Theater zur Ideologie." Und das in mindestens zwei öffentlichkeitswirksamen Jurys (TT u. Mülheim). Jurys von Festivals, die ausschliesslich von Mitteln der öffentlichen Hand getragen werden. Warum wird da nicht mal hingeschaut? Aus meiner Sicht zumindest sind die Geschmacksurteile Willes keine Zeugnisse freien sinnlichen Erkennens, sondern vielmehr absichtsvolle und durchaus ideologische Programmatik, Kulturpolitik eben, Funktionär eben. Warum darf der das eigentlich?

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Anmerkung der Redaktion: Diesen Kommentar veröffentlichen wir in gekürzter Form, da Teile davon gegen unseren Kommentarkodex verstießen. Der Kodex ist hier nachzulesen: https://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=12&Itemid=41
Theatertreffen Jurydebatte: Gewundert
Philip Tiedemann hat recht. Man muss sich schon darüber wundern, dass sich Frau Paterno darüber wundert, dass ein Autor in Berlin ankommt, der von einer deutschen Regisseurin an einem von einem Deutschen geleiteten Theater inszeniert wurde, dessen langjähriger Lektor Klaus Siblewski Deutscher an einem deutschen Verlag ist und der von den Mitgliedern der legendären Wiener Gruppe eher abgelehnt als akzeptiert wurde. Jandl ist so österreichisch wie Gomringer schweizerisch ist.
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