Jetzt sprechen die Toten

25. Mai 2022. Die Gruppe Laokoon erzählt von einer IT-Firma, die ihren Kunden ein ewiges Leben in der Cloud verspricht. Doch Himmel und Hölle liegen hier nah beieinander.

von Andrea Heinz

"Keine Menschenseele" am Wiener Burgtheater © Susanne Hassler-Smith

25. Mai 2022. So sieht es also aus, das Jenseits im Jahr 2022: ein Serverraum. Es musste ja so kommen. Längst ist die Menschheit dabei, digitale Wesen zu erschaffen und Menschen auf diese Weise unsterblich werden zu lassen. Wobei, will man diese Schöpfungen aus artifiziellen neuronalen Netzen, will man Künstliche Intelligenzen wirklich als "Mensch" bezeichnen? Die Gruppe Laokoon, bestehend aus Cosima Terrasse, Moritz Riesewieck und Hans Block, hat zu derlei Phänomenen recherchiert und daraus das Stück "Keine Menschenseele" entwickelt, das nun am Kasino des Burgtheaters uraufgeführt wurde.

Auf der Bühne befindet sich der Serverraum der Firma Euphonia, gegründet von Peter (Philipp Hauß), der das Lebenswerk von Joseph Faber fortführen will, welcher – zumindest nach unserem heutigen, westlichen Wissensstand – der Erste war, der versuchte, Sprechmaschinen zu bauen, also die menschliche Stimme ohne daran hängenden Körper zu produzieren. Nutzt‘s nichts, schadet‘s nichts, würde man hierzulande sagen. Es haute nur bedingt hin, und auch bei Peter scheint es eher so mittel zu laufen: Die Serverkästen sind leer, von der Decke hängen heillos verknäuelte Kabel und ein verirrter Kronleuchter. Euphonia will Menschen digital am Leben erhalten, den Tod besiegen. Die Leistung der Firma besteht darin, aus den digitalen Hinterlassenschaften von Menschen eine Art Audio-Avatar zu machen.

Sie hören Stimmen

Peter selbst ist mittlerweile tot und leitet die Firma in Form seiner Stimme, was ihm aber genauso wenig gelingt, wie die Beziehung zu seiner Partnerin Anna zu retten, die halt doch lieber eine Stimme mit Körper dran möchte, als eine ohne, was man verstehen kann, da Anna selbst ihren Körper ja noch hat. In den anderen Serverkästen hausen Walter, Ella und Luziwuzi, alle vier tragen schwarze Lackhosen, die unterhalb des Knies O-Bein-artige Blasen bilden und wattierte, bunte Oberkleider. Wie ferngesteuert federn sie rhythmisch in den Beinen, als wären sie an eine Leitung angeschlossen.

Tatsächlich ist nicht ganz klar, ob sie noch Herr im eigenen Haus sind, wenn man Freud dafür zweckentfremden darf. Manchmal sind es die Figuren, die hier sprechen – bisweilen erklingen aber auch ihre entkörperlichten Stimmen ganz ohne ihr Zutun und die Figuren lauschen mal fasziniert, mal ungläubig. Manche der Stimmen, die etwa Dinge sagen wie "Quick leben ich" oder "Hier ist Luziwuzi, Euer ErzBlut der Sogschwämme", sind nicht in einem menschlichen Bewusstsein erdacht worden, sondern von der KI aus den digitalen Wolken gesogen, auch wenn nicht deutlich gemacht wird, welche Stimme wo herkommt.

UraufführungKEINE MENSCHENSEELEPremiere am 24.5.2022 im Kasinovon Laokoon (Cosima Terrasse, Moritz Riesewieck, Hans Block) EllaCaroline BaasPeterPhilipp HaußWalterHans Dieter KnebelLuziwuziLukas Watzl Unter Mitwirkung von Elisabeth Orth und Michael Heltau Text, Regie, Kostüme, Soundcollage/Musik: LaokoonBühne:Martin ZlabingerDramaturgie: Anika SteinhoffIn den Räumlichkeiten der Firma Euphonia © Susanne Hassler-Smith

Jede der Figuren steht jedenfalls für einen ganz bestimmten Aspekt des Themas: Ella (Caroline Baas) zeigt, wie man die neue Technik nutzen kann, um Menschen ideologisch zu manipulieren. Sie ist Klimaaktivistin, fiel während einer Besetzung vom Baum und steigt als untote Stimme zur neuen Galionsfigur der Bewegung auf. Sie übersetzt für ihre Follower*innen, was die Bäume uns zurufen und bringt schließlich scharenweise junge Mädchen dazu, sich für die gute Sache zu Tode zu hungern.

Eure Hoheit trollt

Walter (Hans Dieter Knebel) dagegen, an eine wahre Geschichte angelehnt, möchte der Tochter nach seinem Tod endlich mitteilen, dass sie adoptiert wurde – wobei sich herausstellt, dass sein Avatar nicht die ganze Wahrheit kennt. Luziwuzi wiederum, er erinnert an Zeitzeugenprojekte wie "Ich bin Sophie Scholl", ist der Wiedergänger von Erzherzog Ludwig Viktor, Bruder von Kaiser Franz Joseph I. Er entwickelt sich von der schwulen Identifikationsfigur zum fundamentalistischen Christen und Incel-Troll, wird schließlich von der Neuen Rechten gekapert.

Das ist nun alles verdammt viel Material (auch Wolfgang Petry taucht mal auf, der alte Schlager-Wiedergänger: "Verdammt war ich glücklich, verdammt bin ich frei!"), und an dieser Fülle leidet letztlich der Abend. Zwar bietet die Interaktion zwischen Stimmen und Spieler*innen schöne Momente, etwa, wenn gezeigt wird, wie die Avatare versuchen, zu lernen. Das feine Ensemble füllt die streng genommen leblosen Figuren mit Leben, wobei man hier besonders die beiden jungen Gäste hervorheben muss, Caroline Baas und Lukas Watzl. Aber am Ende steht ein Überangebot an Rechercheversatzstücken, an Gedanken-Impulsen einem Mangel an Anschauung gegenüber. Man spürt nicht wirklich, was das alles mit den Figuren macht, oder gar mit uns zu tun haben könnte, die Charaktere kommen einem wie unwahrscheinliche Fallbeispiele vor.

Prominenter Besuch

Die Gedankenansätze bleiben zudem recht konventionell und beinah banal: Dass es den vermeintlichen digitalen Fortschritt nicht ohne ideologischen, politischen oder neoliberalen Hautgout gibt, das hat mittlerweile wahrscheinlich auch schon unsere Großeltern-Generation verstanden. Lange vor seinem Ende hat der nicht mal zwei Stunden lange Abend sein Pulver verschossen, und zum Schluss wird es noch richtig billig: Ein gewisser "Didi in Fascho am See" kauft die Firma, um Flügel zu verleihen und wegen irgendwas mit Redefreiheit, nur Red Bull spricht man nicht aus (oder Elon Musk), weil de

r Didi immer so gern die Leute verklagt. Ambitioniert, aber verschenkt.

 

Keine Menschenseele
von Laokoon
Regie, Kostüme, Soundcollage/Musik: Cosima Terrasse, Moritz Riesewieck, Hans Block, Bühne: Martin Zlabinger, Stimm-Synthese: Michael Pucher, Licht: Norbert Gottwald, Dramaturgie: Anika Steinhoff.
Mit: Caroline Baas, Philipp Hauß, Hans Dieter Knebel, Lukas Watzl und den Stimmen von Elisabeth Orth, Michael Heltau und weiteren Ensemblemitgliedern.
Uraufführung am 25. Mai 2022
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause.

https://www.burgtheater.at/

 

Kritikenrundschau

Die vier wiederbelebten Gestalten der Zukunft gewinnen laut Margarete Affenzeller, die den Abend für den Standard (26.5.2022) bespricht, zwar nach und nach an Lebendigkeit, doch: "(...) ihr puppenhaftes Spiel erschöpft sich in seiner eigenen Thesenhaftigkeit und ist auf Dauer auch ein wenig fade anzuschauen", findet die Rezensentin. Die Mechanik der Humanoidfiguren habe anfangs zwar Witz, doch fehle es dieser streng retrofuturistischen Szenerie an einer Verbindung zum Lebendigen. So bleibe es alles in allem ein "abgekapseltes Spiel", resümiert die Autorin den Abend.

Firmen wie das fiktive "Euphonia" gebe es tatsächlich, erinnert Rezensentin Petra Paterno in der Wiener Zeitung (26.5.2022). Doch, schließt die Autorin an: "Im Theaterabend wird aus dem brisanten Thema bedauerlicherweise ein recht banales Trauerspiel." Die vier Schauspieler:innen arbeiteten sich "redlich durch die dürre Vorlage, die allzu simpel vor einer entfesselten Technologie warnt", urteilt Paterno.

Guido Tartarotti vom Kurier (25.5.2022) sah kein Theaterstück, sondern eher einen gespielten Essay. "Dennoch: Ein interessantes, der Spielstätte angemessenes Experiment."

"Von wem aber werden sie manipuliert?", sei die zentrale Frage zu diesen Figuren auf der Bühne, denn ihr Gerede scheine über lange Strecken nur davon abzulenken, meint Norbert Mayer in der Presse (26.5.2022, €). "Exzessiv und scharf" werde an dieser Frage vorbei gedacht. "Solch eine polyfone Cloud kann für Zuseher (oder Hörer) ganz schön anstrengend sein", schreibt der Rezensent. Zuvor schon wachse die Gefahr des Abschaltens, "da mögen sich die Vier noch so sehr ins Zeug legen." Leicht fasslich sei "die Chose" nicht, zudem "komplex, aber redundant", fasst Mayer den Abend zusammen.

 

 

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