Kontextbrei

29. Mai 2022. Sie sind überall und sie bestimmen auch dein Leben: Fake News. Yael Ronen lädt mit ihrem neuen Stück in den Maschinenraum der Produktion von alternativen Fakten und Meinungsmanipulation ein.

Von Esther Slevogt

"Operation Mindfuck" in der Regie von Yael Ronen am Maxim Gorki Theater Berlin © David Baltzer/bildbuehne.de

29. Mai 2022. Aha, das ist es also. Es ist die heillose Sehnsucht der Menschen nach Sinn, der sie aus den chaotischen und keiner nachvollziehbaren Ordnung folgenden Phänomenen der Gegenwart immer wieder geschlossene Sinngebäude konstruieren lässt, die sie für die Wirklichkeit halten. Die aber letztlich eben nichts weiter als Konstrukte sind. Konstrukte, die sich dementsprechend auch manipulieren lassen. Etwa in dem man gezielt Fakes und Desinformation einsetzt, aus denen sich die Leute dann selbst ihr Weltbild zimmern können. Dumm, wie sie eben sind.

Fake News und Verschwörungstheorien

So in etwa legt die sinistre wie dominahafte Trollfabrikdirektorin Erin (Orit Nahmias) dem Neuzugang im Team Alice die Grundlage ihres Geschäfts dar, das Gegenstand des neuen Theaterabends von Yael Ronen am Berliner Gorki Theater ist. "Operation Mindfuck" ist die Angelegenheit überschrieben, die zu einem Ausflug in den Maschinenraum von Fake News, Alternative Fakts und Verschwörungstheorien einlädt. Wir treffen also die beiden naiven Schönheiten Alice (Aysima Ergün) und Maze (Maryam Abu Khaled), die an der UdK (wahrscheinlich – hahaha – Szenischen Schreiben und Kulturjournalismus) studieren. Plötzlich verschwindet Maze aus Alices Leben. Als sie (mit einer teuren neuen Handtasche am Arm) wieder auftaucht, berichtet sie der Freundin von dem tollen neuen Job bei Erin. Hier wird Alice die Freundin bald übertrumpfen, was das Infiltrieren sozialer Medien mit manipulierten Informationen betrifft. So fängt alles an.

Titel: Operation Mindfuck. Autoren: Yael Ronen, Dimitrij Schaad. Regie: Yael Ronen. Buehne: Magda Willi. Kostueme: Amit Epstein. Video: Stefano di Buduo. Licht: Arndt Sellentin. Dramaturgie: Probst, Ersoy, Szodruch. Ort: Maxim Gorki Theater Berlin. Urauffuehrung: 28. Mai 2022. no model release. Spielerinnen: Maryam Abu Khaled / Maze und Aysima Erguen / Alice u.a..Engl: theatre, actor, actress, videocopyright: david baltzer / bildbuehne.deMaryam Abu Khaled als Maze und Aysima Ergün als Alice in der Spiegelbühne von Magda Willi © David Baltzer/bildbuehne.de

Magda Willi hat einen verspiegelten Guckkasten gebaut, in dem sich – passend zum Thema des Abends – psychedelische und andere Projektionen aus dem Videodesign von Stefano di Buduo immer wieder zu wahnhaft wuchernden Bildsystemen ausbreiten, manchmal bis in den Zuschauer:innenraum hinein. Über diese Bühne jagt Yael Ronen in den folgenden anderthalb Stunden dann ein paar typenkomödienhaft zusammengezimmerte Figuren, die uns hier unten im Zuschauer:innenraum nahebringen sollen, wie die Benutzeroberflächen entstehen, die wir für die Wirklichkeit halten.

Desinformation statt Information

Bei ihrem Ausflug in die Thematik holen Yael Ronen und ihr Koautor Dimitrij Schaad weit aus: angefangen mit Johann Adam Weishaupt, der in den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts in Ingolstadt den Geheimorden der Illuminaten gründete bis hin zu dem Entstehen von Verschwörungstheorien aus dem Geist der Popkultur der 1960er und -70er Jahre, die eigentlich eine paranoid gewordene Gesellschaft auf die Schippe nahmen – wie das Autorenduo Robert Anton Wilson und Robert Shea in seiner Romantrilogie "Illuminatus!". Figuren wie Kennedy-Mörder Lee Harvey Oswald laufen ebenso kurz durchs Bild, wie Verschwörungstheoretisches zum Kind angedeutet wird, das auf der Kinderschokoladen-Packung abgebildet wird. Auch der "Pimmel-Pianist" kommt vor, der dereinst Dieter Bohlen narrte – ein Talent, das bis zum Ausbruch des Ukraine-Krieges übrigens auch Präsident Wolodymyr Selenskyj nachgesagt wurde. So konkret aber wird der Abend nie. Gemäß der Prämisse von Troll-Chefin Erin sollen solche Assoziationen und Zusammenhänge ja erst in den Köpfen des Publikums entstehen. Desinformation statt Information. Kontextbrei statt Analyse.

Titel: Operation Mindfuck. Autoren: Yael Ronen, Dimitrij Schaad. Regie: Yael Ronen. Buehne: Magda Willi. Kostueme: Amit Epstein. Video: Stefano di Buduo. Licht: Arndt Sellentin. Dramaturgie: Probst, Ersoy, Szodruch. Ort: Maxim Gorki Theater Berlin. Urauffuehrung: 28. Mai 2022. no model release. Spielerin: Aysima Erguen / Alice u.a..Engl: theatre, actor, videocopyright: david baltzer / bildbuehne.dePsychedelische Videoprojektionen von Stefano di Buduo © David Baltzer/bildbuehne.de

Im Laufe des Abends tritt auch noch ein gewisser Max (Taner Şahintürk) in Erscheinung, der auf das Casting von Schießbudenfiguren spezialisiert ist, aus denen er dann führende Politiker:innen formt. Um die Dummheit des Volkes, das auf solche Figuren hereinfällt, noch mal extra zu unterstreichen, kriegt diese Figur – von Till Wonka mit Hingabe gemimt - noch eine wischmopphafte Perücke aufgesetzt, mit der er dann vor einem Greenscreen so tut, als spräche er live aus einem Katastrophengebiet.

Dünn

Insgesamt nervt zunehmend die augenzwinkernde Kumpelhaftigkeit, mit der es sich der Abend in seinen dünnen Befunden gemütlich macht. Tatsächlich wirken die Macher:innen am Ende selbst wie Gefangene eines Weltbildes, das sie gerade noch auf die Schippe nehmen wollten. Alle Politiker:innen sind Marionetten finsterer Mächte. Was wir für Nachrichten halten ist nichts als Fälschung und Manipulation. Im Grunde aber wird uns hier die Welt damit genauso vorgeführt, wie sie sich das kleine Fritzchen (von der AfD?) vorstellen mag.

 

Operation Mindfuck
von Dimitrij Schaad und Yael Ronen
Regie: Yael Ronen, Bühne: Magda Willi, Kostüme: Amit Epstein, Musik: Yaniv Fridel, Ofer Shabi, Videodesign: Stefano di Buduo, Licht: Arndt Sellentin, Dramaturgie: Clara Probst, Yunus Ersoy, Irina Szodruch.
Mit: Maryam Abu Khaled, Taner Şahintürk, Till Wonka, Aysima Ergün, Orit Namias.
Premiere am 28. Mai 2022.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.gorki.de

Kritikenrundschau

Die Erzählstränge würden die gängigen Mechanismen unserer digitalen Gesellschaft nur wenig zuspitzen, meint Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (29.5.2022). "Der Abend fühlt sich wie der deutlich zu lang geratene Was-bisher-geschah-Vorspann einer überkandidelten Netflix-Serie an, die dann aber ohne Fortsetzung bleibt, weil der Writersroom gepatzt, die Geschichte aus Versehen schon auserzählt und dabei alle Pointen und lustig gemeinten Stellen gespoilert hat, bevor das Spiel beginnen kann."

Ronen und Schaad hätten aus dem Verschwörungs-Thema eine funkensprühende politische Boulevard-Komödie gestrickt, so Fabian Wallmeier für rbb24 (29.5.2022). Der Abend "ist eine kaum 80 Minuten kurze Hochdruck-Komödie mit so vielen Gags und Ideen, dass man nicht überall die ganz feine Analyse erwarten darf."

"Operation Mindfuck" sei kein Abend, der über Verschwörungstheorien aufkläre, sondern sie vor- und somit ad absurdum führen will, schreibt Christine Wahl im Tagesspiegel (29.5.2022). "Erkenntnisgewinn steht mithin nicht im Vordergrund. Stattdessen gibt es viel zu lachen – jedenfalls für Freunde des Hardcore-Humors."

André Mumot erkennt für Deutschlandfunk Kultur (28.5.2022) in der Inszenierung ein neues Genre: die zeitkritische Theaterkomödie. „Es ist eine reine Komödie, ein satirischer, eigentlich schon fast kabarettistischer Abend, der einen lauten Humor entfacht."

Von einer "kabarettistischen, grellen Farce" spricht Eberhard Spreng in der Sendung "Kultur heute" vom Deutschlandfunk (29.5.2022). "Bis zum Unternehmen Cambridge Analytica, das via Facebook die Trump-Wahl manipulierten, reicht der Aufklärungsimpetus der Aufführung, bis zu Putins Trollfabriken aber doch nicht." Auch der Versuch, von der subkulturellen Bewusstseinserweiterung der 1960er und -70er Jahre eine Verbindung zu massenhafter digitaler Manipulation heute zu schlagen, bleibt aus Sicht dieses Kritikers leider in Ansätzen stecken. So sei "Operation Mindfuck“ brillant gespieltes Entertainment, das aber das Niveau der vorangegangenen Arbeit "Slippery slope" nicht erreiche.

Das Stück sei "keine scharfsichtige Satire auf Medien und Öffentlichkeit", sondern "tanzt eher über die juckenden und schmerzenden Stellen" hinweg, "um mit großer Lust am Absurden Verschwörungserzählungen in wenigen Sätzen hinzupinseln, in denen anders als in der Realität Schuldige leicht auszumachen sind", schreibt Katrin Bettina Müller in der taz (1.6.2022). "Der Wahnsinn der Gegenwart vibriert in den Sätzen, etwas leuchtet auf, das sich an die kritische Vernunft richtet, aber bevor man es festnageln könnte, rutscht schon der nächste Kalauer darüber."

Kommentare  
Operation Mindfuck, Berlin: Leider enttäuschend
Sie könnten ein Dream Team sein: Gorki-Hausregisseurin Yael Ronen, die mit ihren hochtourigen, mit autofiktionalen Anekdoten spielenden Polit-Komödien ihr eigenes Genre geschaffen hat, und Dimitrij Schaad, ehemaliges Aushängeschild des Gorki-Ensembles, der hier als ihr Co-Autor fungiert, aber leider nicht mehr selbst auf den Brettern seines langjährigen zweiten Wohnzimmers steht. Auch die Themenwahl ist vielversprechend: Trollfabriken, Fake News und Verschwörungstheorien sind höchst relevante Probleme, die die Stabilität unserer Demokratie herausfordern.

Um so enttäuschender ist, dass „Operation Mindfuck“ ein flacher, banaler Abend geworden ist. Einfall reiht sich an Einfall, aber Ronen/Schaad erreichen mit ihrem fünfköpfigen Ensemble nicht mal das Niveau einer unterhaltsamen Nummernrevue. Dafür hat der Abend auch zu viele handwerkliche Schwächen. Aysima Ergün und Maryam Abu Khaled starten als Neu-Einsteigerinnen in der Trollfabrik von Erin (Orit Nahmias) noch mit hübschem Comedy-Tempo, aber die skurrilen Ideen des flachen Plots werden immer abgedrehter. Es wirkt so, als hätte sich das Team bei den Proben und in der Kantine die Bälle zugespielt und jeder durfte noch eins draufsetzen, nichts wurde verworfen, alles einfach aneinandergereiht. Drei Dramaturginnen werden auf dem Abendzettel genannt, davon ist aber wenig zu spüren. Eine Stadtthester-Produktion, die in wenigen Wochen erarbeitet wird, muss ja nicht gleich den Schliff einer im Writers´Room ausgetüftelten Hochglanz-Serie eines Streaming-Anbieters haben. Aber dieses Ergebnis ist doch sehr enttäuschend.

Deshalb muss ich Esther Slevogt und Ulrich Seidler zustimmen.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2022/05/29/operation-mindfuck-gorki-theater-kritik/
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