Showtime mit Schiller

18. Juni 2022. Kultur muss nicht enden, wo Spaß anfängt! Hausregisseur Jan Neumann verzichtet beim Open-Air-Spektakel des Deutschen Nationaltheaters Weimar auf gestelzte Schiller-Tonlage und inszeniert "Die Räuber" als packenden Mix aus Psycho-Thriller, Comedy, Melodram und Musical.

Von Harald Raab

"Die Räuber" in der Inszenierung von Jan Neumann in Weimar © Candy Welz

18. Juni 2022. Mit einer schwarzen Mercedes-Limousine fährt Maximilian Graf von Moor großkotzig in der Open-Air-Arena vor. Sohnemann Karl braust mit einem heißen Ofen von einem Motorrad herein und präsentiert später auch mal seinen nackten Arsch. Franz heißt die Kanaille; er gibt den smarten Showmaster, moderiert den bunten Abend routiniert. Amalia schmachtet Songs à la Nena. Sie tritt Franz in die Eier, als er sie vergewaltigen will. Die Power-Frau ans Publikum: "So macht man das, meine Damen!"

Auf dem Weimarer E-Werk-Kulturgelände sind Schillers Räuber losgelassen – und mischen des Dichters Vorlage munter und frech auf.

Die Ränke des Hedonisten

Ein dickes, fettes M prangt als Firmenlogo der Moors auf der Bühne. Franz im schwarzen Business-Anzug gibt seine Zeitgeist-Philosophie zum Besten – Moral war gestern, Erfolg ist heute alles: "Die Grenzen unserer Kraft sind unsere Gesetze." Der aalglatte Typ spinnt seine Intrigen meisterhaft, um dem Papa den vergötterten Sohn Karl madig und dessen Braut Amalia dem Bruder abspenstig zu machen. Hedonistische Selbstverwirklichung ist sein Lebensprinzip. Das Schicksal hat es nicht gut mit ihm gemeint: Zweitgeborener ohne Erbanspruch und ohne Glück beim weiblichen Geschlecht, vom Vater benachteiligt. Und immer wieder den Bruder Karl vor Augen, dem alles zugeflogen ist. Keine Aussicht, Chef der alteingesessenen Firma zu werden. Da kann einer schon auf die Idee kommen, dass die bestehende Familienordnung geändert werden muss – mit List und Tücke, Betrug und, wenn nötig, auch mit Mord. Das Ziel heiligt alle Mittel im Daseinskampf. The winner takes it all.

die raeuber 4 foto candy welzAussteiger aus dem Familien-Unternehmen: Krunoslav Šebrek als Karl Moor © Candy Welz

Party-Szene im Park – Bier aus der Flasche, auf dem Biertisch Karl Moor, Revoluzzer-Sprüche, Männlichkeitsgehabe. Karl faselt vom schlappen "Kastraten-Jahrhundert", diesem "tintenklecksenden Säkulum". Kumpel Spiegelberg schwärmt von größeren Heldentaten als Studentenstreichen, von der längst fälligen Umverteilung des Reichtums, Gewalt gegen Sachen und ihre Eigentümer. Er gibt den Einpeitscher im Stil eines Andreas Baader, Abenteurer und Hasardeur. Auf zum fröhlichen Widerstand gegen das verhasste System.

Ein bunter Haufen, mehr skurrile Pennertruppe als Revolutionsgarde, ist diese Räuberbande in den Böhmischen Wäldern. Ein Campingplatz mit Iglo-Zelten und Grillrost ist ihr Lager.

Skrupel pflastern ihren Weg

Weimars Hausregisseur Jan Neumann verantwortet diesen Frontalangriff auf die Seh- und Hörerwartungen des Publikums bei Bühnenklassikern. Er ist reichlich geübt, auf Messers Schneide zu inszenieren. Wie viel Spaß muss sein? Wie viel Original darf sein? Mit Spannung und Comedy-Stimmung wird die Brücke über die 240 Jahre geschlagen, die zwischen der die Nerven des Publikums strapazierenden Uraufführung in Mannheim und der mit Action zugedröhnten Öffentlichkeit heute liegen.

Der Regisseur bedient sich eines bewährten Tricks, mit dem man Kindern bittere Medizin verabreicht. Er packt die edle Botschaft Schillers in ein flottes Bühnenspektakel. Es darf viel gelacht werden. Gags in Serie. Wie der, wenn die Amtsbotin als Annalena Baerbock empfangen wird. Er strafft und rafft die appellative Redseligkeit von Karl und Franz Moor. Sein Konzept nimmt in Kauf, dass das dialektische Prinzip Schillers – Strahlemann Karl kontra Finsterling Franz – eingeebnet wird. In der Abteilung Psychothriller befördert er beide Figuren zu schlechter Letzt in die Hölle der nagenden Selbstzweifel, des bohrenden Schuldbewusstseins. Skrupel pflastern ihren Weg in den Untergang.

Wird Schiller verhackstückt?

Wird Schillers Jugendwerk verhackstückt? Nein. Die Schiller'schen Gedanken, seine Sprachbrillanz ragen wie Inseln der reinen Erkenntnis aus einem aufgeregten Meer der Bespaßung hervor. Vielleicht werden sie einem im ganzen Tingeltangel-Remmidemmi mit viel Musikuntermalung und Songeinlagen gerade deshalb erst richtig bewusst und man hört hin. Kultur muss nicht enden, wo Spaß anfängt. Zumal schauspielerische Leistung auf exzellentem Niveau geboten ist. Allen voran die von Nahuel Häfliger als aasiger Machtmensch Franz, die von Krunoslav Šebrek als tragischer Held Karl und die von Rosa Falkenhagen in der Rolle der emanzipierten, standhaft liebenden Amalia.

die raeuber 1 foto candy welzDas Zeltlager der Räuberbande: Jonas Schlagowsky als Schweizer im Bühnenbild von Oliver Helft © Candy Welz

Da müsste es doch mit dem Teufel zugehen, wenn das Weimarer Nationaltheater mit diesem Knaller von einem Sommertheater nicht sein Publikum zurückholen könnte, das sich in der Pandemie von den Freuden und Leiden entwöhnt hat, die im Musentempel geboten sind.

Experiment gelungen, Patient nicht tot, sondern quicklebendig. Und Schillers hoher Anspruch auf Erziehung des Menschen durch Theaterspiel samt Versöhnung von Trieb und Geist bleibt mindestens in Sichtweite. Kurzum: Publikumsfreundliches Sommertheater. Der Beifall der Premierenbesucherinnen und -besucher war groß, geradezu euphorisch, wenn man sich auch nicht vor Erschütterung schluchzend und schreiend in den Armen lag – wie weiland in Mannheim.

 

Die Räuber
von Friedrich Schiller
Regie: Jan Neumann, Bühne: Oliver Helf, Kostüme: Nina von Selzam, Musik: Johannes Winde, Dramaturgie: Beate Seidel.
Mit: Sebastian Kowski, Krunoslav Šebrek, Nahuel Häfliger, Rosa Falkenhagen, Max Landgrebe, Jonas Schlagowsky, Fabian Hagen, Marcus Horn, Nadja Robiné, Christoph Heckel, Johannes Winde.
Premiere am 17. Juni 2022
Dauer: 2 Stunden 40 Minuten, eine Pause

www.nationaltheater-weimar.de

Kritikenrundschau

"Diese 'Räuber' jetzt sind definitiv eine Reise wert und gehören dringend das nächste Jahrzehnt ins Repertoire", ist Stefan Petraschewsky bei MDR Kultur (20.6.2022) begeistert und zieht sogar Vergleiche zu Frank Castorfs berühmter Volksbühnen-Inszenierung: "Mit wenigen Strichen malen Regie und Bühne (Oliver Helf) einen Raum, der Schillers Spielorte und seine Zeitkritik gleichsam aufnimmt, markiert, interpretiert, aber dann viel Platz für Emotion und Figuren lässt, die sich dann entwickeln und in den Vordergrund spielen können." Regisseur Jan Neumann zeige ein "sicheres Gespür für ein Spiel, dass vor allem der Rolle dient und uns die jeweilige Figur glaubwürdig vorstellt". Diese "Räuber" seien "ein Meisterstück über Sprache und Propaganda".

In der Thüringer Allgemeinen (20.6.2022) attestiert Michael Helbing der Inszenierung "unterhaltsames, ausbalanciertes" Sommertheater zu sein. "Ein Abend von einigem Schauwert" sei das, für "ein gut eingespieltes Ensemble", findet der Kritiker. Ein "Familienstück", daran erinnert Helbing aufgrund einiger irritierter Reaktionen aus der Zuschauerschaft, sei Schillers Stück aber nicht – auch, wenn es um Familienkonflikte gehe: "Empfohlen ab 14", schließt er seinen Text.

Kommentare  
Die Räuber, Weimar: Großartig
Es war einfach sensationell!
Räuber, Weimar: Umwerfend
ich bin restlos begeistert. werde allen bekannten eine empfehlung aussprechen!!
theater wie ich es lange nicht sah!!
Die Räuber, Weimar: Außergewöhnlich
Ein außergewöhnliches Stück, perfekt ausbalanciert zwischen klassischer Sprache und modernen Elementen. Famos
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