Die Teufel von Loudun - Bayerische Staatsoper
Teufels Werk und Menschens Beitrag
28. Juni 2022. Krzysztof Pendereckis "Die Teufel von Loudun" aus dem Jahr 1969 ist ein Stoff, der ähnlich wie Arthur Millers "Hexenjagd" Massenhysterie, fehlgeleitete Religion und Machtmissbrauch zusammenbringt. Regisseur Simon Stone hat nun die Oper inszeniert, und zwar anders als bei seinen Dramen-Überschreibungen, aber zur Begeisterung des Kritikers.
Von Thomas Rothschild
München, 27. Juni 2022. Der Stoff der "Teufel von Loudun" beruht auf historischen Tatsachen aus dem 17. Jahrhundert und wurde von Aldous Huxley, dem Autor der paradigmatischen Dystopie "Brave New World", 1952 zu einem essayistischen Roman verarbeitet. Es geht um den Priester Grandier, der beschuldigt wird, mit dem Teufel im Bunde zu stehen und die Nonnen des Ursulinenklosters von Loudun verhext zu haben. Bei dem Prozess, der Grandier gemacht wird und nach grausamer Folter zu dessen Verbrennung führt, spielt eine Rolle, dass er sich mit Richelieu angelegt hat. Intrige, Verleumdung, Aberglaube, Massenhysterie, Unzucht als Gotteslästerung, politischer Machtmissbrauch: man muss nicht lange nach der Aktualität des Stoffes fahnden, der starke Gemeinsamkeiten mit Arthur Millers im selben Jahrhundert spielender "Hexenjagd" aufweist und genau ein Jahr nach der Veröffentlichung von Huxleys Roman uraufgeführt wurde.
1960 erstellte der englische Dramatiker John Whiting eine Bühnenfassung von Huxleys Vorlage, die Erich Fried ins Deutsche übersetzt hat, und 1969 erteilte die Hamburgische Staatsoper Krzysztof Penderecki einen Kompositionsauftrag, zu dem Penderecki selbst, auf der Grundlage von Whiting und Fried, das Libretto in deutscher Sprache geschrieben hat. Auch im Film hat die Geschichte ihre Spuren hinterlassen. Ken Russels "The Devils" greift ebenso darauf zurück wie "Mutter Johanna von den Engeln" des genialen polnischen Regisseurs Jerzy Kawalerowicz.
Essenz für die Gegenwart
Obwohl dessen Landsmann Penderecki zu den über seine Heimat hinaus bedeutendsten Komponisten nach dem Zweiten Weltkrieg gehört, wurden "Die Teufel von Loudun" in Deutschland und international nicht allzu oft aufgeführt. Jetzt hat die Bayerische Staatsoper sie in einer Spitzenbesetzung zur Eröffnung ihrer diesjährigen Opernfestspiele ins Programm genommen. Dirigent ist der Generalmusikdirektor des Hauses Vladimir Jurowski, die Regie wurde Simon Stone anvertraut.
Simon Stone wäre nicht Simon Stone und wüsste nicht, was er seinen Fans schuldig ist, wenn er die Relevanz des Stoffes für unsere Gegenwart nicht unterstriche, so dass sie auch noch für den grimmigsten Geschichtsverächter offenkundig wird. Dabei hat er sich diesmal im wesentlichen auf heutige Kostüme beschränkt und auf die Übertragungsfähigkeit des Publikums vertraut. Am Exorzismus in lateinischer Sprache hält er fest. Die letzten Worte der Oper spricht Grandier auf dem Scheiterhaufen: "Vergib ihnen, vergib meinen Feinden!" Es ist die Essenz der christlichen Moral, aber auch ein Motiv, welches das gesamte Werk von Erich Fried durchzieht.
Unheimlichkeit lateinischer Gebete
Wolfgang Koch, der die Hauptrolle singen sollte, ist am Donnerstag vor der Premiere an Covid 19 erkrankt. Die Bayerische Staatsoper teilte mit: "Wir haben nun eine ganz außergewöhnliche Lösung gefunden, Robert Dölle, aus dem Ensemble des Residenztheaters, wird die Partie szenisch darstellen und Jordan Shanahan singt die Partie von der Seite." Er hat sie dann aus dem Orchestergraben gesungen. Ganz so außergewöhnlich war diese "Lösung" bei Indispositionen allerdings schon vor Corona nicht, aber sie wurde in München überzeugend bewältigt. Wie sich Wolfgang Koch als Grandier bewährt, werden die Folgevorstellungen (ab 30. Juni) hoffentlich zeigen.
Der mit Stones Konzepten erfahrene Bühnenbildner Bob Cousins hat einen dreistöckigen grauen Bunker mit versetzten Ausschnitten für die Auftritte gebaut, der in kaltes Neonlicht getaucht ist und fast ständig kreist. Wenn sich der Chor der Nonnen ganz oben wie auf der Empore einer Kirche versammelt, nistet sich das Unheimliche durch dissonante Cluster in ihre lateinischen Gebete. Die Musik gibt auch die Tempi vor, mit denen sich der Bühnenbau dreht.
Der Konflikt mit der kirchlichen und der weltlichen Macht eskaliert. Er wächst sich zu einem Aufstand der Frauen in Nachthemden mit politischen Slogans aus, deren Rebellion mit Gewalt unterdrückt wird. Die Story kulminiert in der Folter Grandiers und dem Todesurteil.
Einige Zuschauer verließen das Haus vorzeitig, während "das Volk" auf der Bühne den abgeführten Grandier auspeitschte. Vielleicht warten sie auf die nächste Ausstrahlung der Serie "Um Himmels Willen". Der Besuch im Nationaltheater hatte sich schon gelohnt, als sie vom roten Teppich aus – von wegen Opernfestspiele – in die Fotokamera lächeln durften. Der Applaus der Verbliebenen wurde von keinen Buhs gestört. Immerhin.
Alle Einwände beiseite lassen
Ein grundsätzliches Postskriptum aus gegebenem Anlass: Ich teile nicht die verbreitete Euphorie für Simon Stone und habe erhebliche Einwände gegen seine sogenannten Überschreibungen. Aber erstens verfehlt Kritik meiner Meinung nach ihre Aufgabe, wenn sich Rezensenten nur oder vornehmlich mit Künstlern und Werken auseinandersetzen, bei denen sie Einverständnis antizipieren. Zweitens gehört es zu den Pflichten des Kritikers, der Kritikerin, seine oder ihre Urteile immer wieder zu überprüfen. Sie können sich aus subjektiven und objektiven Gründen ändern wie Vorlieben und Abneigungen gegenüber Nieren oder Sellerie. Und schließlich können auch profilierte Regisseure zu recht unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Bei Simon Stone ist das der Fall.
In der Oper – etwa bei Aribert Reimanns "Lear" – arbeitet er anders als im Sprechtheater, sei es, weil ihm die Musik Fesseln auferlegt, sei es, weil er dem Musiktheater andere Aufgaben zuschreibt. Darum steht meine Begeisterung über seine "Teufel von Loudun" nicht im Widerspruch zu meinen Bedenken gegenüber seinen schriftstellerischen Ambitionen. Penderecki ist nicht Tschechow und nicht Ibsen. Darin dürften Stone und ich sich einig sein.
Die Teufel von Loudun
Komponist Krzysztof Penderecki, Libretto vom Komponisten nach The Devils of Loudun von Aldous Huxley in der Dramatisierung von John Whiting unter Benutzung der deutschen Übertragung des Dramas von Erich Fried
Musikalische Leitung: Vladimir Jurowski, Regie: Simon Stone, Bühne: Bob Cousins, Kostüme: Mel Page, Licht: Nick Schlieper, Chöre: Stellario Fagone, Dramaturgie: Malte Krasting.
Mit: Ausrine Stundyte, Ursula Hesse von den Steinen, Nadezhda Gulitskaya, Lindsay Ammann, Danae Kontora, Nadezhda Karyazina, Wolfgang Koch (bei der Premiere ersetzt durch Robert Dölle und Jordan Shanahan), Martin Winkler, Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, Andrew Harris, Ulrich Reß, Kevin Conners, Jochen Kupfer, Thiemo Strutzenberger, Barbara Horvath, Sean Michael Plumb, Martin Snell, Christian Rieger, Steffen Recks.
Premiere am 27. Juni 2022
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.staatsoper.de
Kritikenrundschau
Simon Stones Inszenierung woge hin und her, schreibt Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (28.6.2022), "äußerst treffsichere, erhellende Momente, die einfach stimmen, stehen unmittelbar neben hanebüchenen Banalitäten". Der Exorzismus, findet der Kritiker, wirke "wie aus einem Siebziger-Jahre-Horrorfilm, alles was Politik ist, ist prägnant erzählt, das Frauenbild changiert zwischen der bewussten Vorführung der männlichen Sicht darauf und Plattitüden". Immerhin: "Am Ende ziemlich großer Jubel."
Der Abend sei zwar "top gearbeitet“" findet Jörn Florian Fuchs im Deutschlandfunk (28.6.2022). Aber Simon Stones Verlegung des Stoffes ins Heute überzeugt den Kritiker nicht. Die Aktualisierung bleibe zu gewollt: "Dieser Krampf von Simons Stone – denn ist etwas Krampfhaftes, immer alles in die absolute Gegenwart zu holen", gehe "letztlich schief", urteilt er.
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