Dort, wo kein Glück ist, bleibt Musik

von Esther Slevogt

Berlin, 4. Dezember 2008. Der Ort ist nicht gerade heimelig: eine monumentale abgewrackte Industriekathedrale auf dem Gelände des Berliner Ostbahnhofs, ein ehemaliges Heizwerk aus den 50er Jahren, das außen vom pompösen Pathos stalinistischer Architektur, innen von einer merkwürdigen Mischung aus Enge und Weite geprägt wird. Kleinteilige Betonsäulen verstellen den Raum auf der Horizontalen, der deshalb gerade mal Platz für 150 Zuschauer bietet. Lediglich nach oben öffnet er sich in gigantische Dimensionen. Normalerweise residiert hier der Berliner Techno-Club Berghain. Nun kam das Theater zu Besuch, das Deutsche Theater genauer gesagt, dessen Haupthaus in der Schumannstrasse saniert wird, weshalb man in dieser Spielzeit auf Wanderschaft geht.

"Come heavy sleep, the image of true death", beginnt eine weibliche Stimme zu singen, kaum dass es dunkel geworden ist. Nach und nach schwillt der Gesang an zum Chor – und während man noch denkt, jetzt wird das Publikum mit dem schwermütigen, lebensmüden Lied des elisabethanischen Komponisten John Dowland in Trance gesungen, damit August Strindbergs "Traumspiel" beginnen kann, schrillt auch schon ein Telefon.

Ein Signalstück für das 20. Jahrhundert

Eine hektische junge Frau stürzt herein. Bald wird ein alter Offizier hier sein unglückliches Leben beklagen, noch später ein aasiger Advokat über den Geruch des Lasters in seinen Kleidern reden, den die Menschen dort stets hinterlassen. Denn Versenkung in die reine Kunst, mit der sich die Menschen so gern aus den irdischen Niederungen ihres freudlosen Lebens in transzendentalere Sphären flüchten, wird es an diesem Abend nicht geben. Es wird lediglich immer wieder mit der Sehnsucht danach gespielt.

Und damit ist man im Prinzip schon im Zentrum von Strindbergs Drama von 1901 angekommen, einem Signalstück des 20. Jahrhunderts, in dem Szenen und Figuren assoziativ wie im Traum ineinander fließen, Motive Kafkas oder der Surrealisten vorweggenommen werden, und das nichts weniger als die Frage verhandelt, was das Leben ist. Zur Erkundung dieser Frage schickt Strindberg eine indische Göttertochter auf die Erde herab – Agnes heißt das enigmatische Wesen in Anspielung auf das Lamm Gottes, also jenen messianischen Menschensohn, der in diesem Fall nun eine Tochter ist.

Sie begegnet immer neuen Variationen von menschlichem Leid und Unglück, Variationen, die von einzelnen Figuren verkörpert werden. Nichtsdestotrotz scheint gerade die Balance zwischen Unglück und der Sehnsucht nach dem Anderen, das manche das Glück und andere die Erlösung nennen, dem Leben erst seinen verführerischen Glanz zu geben, weshalb die Göttertochter sich immer tiefer in diesen schmerzhaft ambivalenten Zustand verstrickt.

Der Sehnsuchtsvirus

Der australische Regisseur Barrie Kosky hatte nun die geniale Idee, dieses Motiv aus der Spielhandlung herauszulösen und auf einer musikalischen Ebene zu verhandeln – die Musik als Träger und kulturellen Ausdruck eben jener Erlösungs- und Glückssehnsucht zu behandeln, mit deren Virus Strindberg die Figuren seines Dramas so heillos infizierte. Zusammen mit seiner Dramaturgin Felicitas Zürcher hat er das Stück radikal abgemagert und auf eine Handvoll Figuren reduziert.

Die Sänger des Vocalconsort Berlin betten das Drama auf ein barocke bzw. Rokoko-Tonspur – aber auch die Schauspieler singen die Dowland'schen Lautenlieder, Lieder des mörderischen neapolitanischen Fürsten Don Carlo Gesualdo oder Stücke aus Mozarts "Don Giovanni", mit höchst unterschiedlichem Sangestalent – womit sie ein (von der Regie durchaus kalkuliertes) anschauliches Beispiel geben, dass nicht unbedingt jeder des Glückes teilhaftig wird, seiner Lebens- und Erlösungssehnsucht in der Kunst Gestalt geben zu können.

Ein besonders hin- und herzzreißendes Beispiel hierfür geben Matthias Bundschuh und Lotte Ohm, die das berühmte Duett aus "Don Giovanni" "La ci darem la mano" ("Reich mir die Hand, mein Leben") als linkische Turnnummer geben, in deren Verlauf Matthias Bundschuh, der mit kunstvoll-kunstloser Stimme schrullig den Part des Verführers Don Giovanni singt, schließlich von Lotte Ohm alias Zerline auf den Füßen in die Luft gestemmt wird.

Göttertochter ohne Auftrag

Leider macht aber eine geniale Idee noch keinen genialen Abend. Denn der dramaturgische Ansatz versandet schnell in einer merkwürdig ungelenk wirkenden Bildsprache, die auch für den spektakulären Aufführungsort keine Vision entwickelt, außer ihn brav (samt Galerie in schwindelnder Höhe) zu bespielen. Da treten die Mitglieder des Chors in operettenhaften Geisha-Kostümen (Kostüme: Klaus Bruns) auf, später tragen sie neckische Tütüs oder kunstgewerbliche ägyptische Masken, als seien sie einer Provinz-"Aida" entsprungen. Die Musiker tragen zu ihren barocken Instrumenten Elvis-Tolle und Glitzer-Jackett. Die Schauspieler bleiben merkwürdig unanimiert. Am stärksten ist noch Sven Lehmann als dämonischer Advokat, aber auch Horst Lebinskys Offizier macht mit seiner monströsen Leidensmiene Eindruck.

Lotte Ohm, Matthias Bundschuh und Mathis Reinhardt haben zwar ihre Momente, insgesamt aber gibt ihnen die szenische Fantasielosigkeit des Abends wenig Spielraum. Besonders schade ist das für Ernst Stötzner, der als Dichter wieder das schöpfungsgeschichtliche Klischee der Lehmgestaltung matschend und schmierend vor Augen führen muss, als sei er in Gosch-Inszenierungen diesbezüglich nicht schon geplagt genug. Und für Stefanie Eidt als Göttertochter, für die Kosky in seiner Geschichte nicht wirklich Verwendung fand.

 

Ein Traumspiel
von August Strindberg
Übersetzung von Peter Weiss
Fassung für das Deutsche Theater: Barrie Kosky und Felicitas Zürcher
Regie: Barrie Kosky, Bühne: Esther Bialas, Kostüme: Klaus Bruns, Musikalische Leitung: Klaus-Martin Bresgott und Barrie Kosky.
Mit: Stefanie Eidt, Horst Lebinsky, Sven Lehmann, Ernst Stötzner, Lotte Ohm, Matthias Bundschuh, Mathis Reinhardt, Ursula Staack und der Vocalconsort Berlin. Solisten: Gesa F. Hoppe, Susanne Wilsdorf, Dorothe Ingenfeld, Klaus-Martin Bresgott, Simon J. Berg. Chor: Dana Hoffmann, Christel Meier, Winnie Siepert-Lemke, Ingetraut Skirecki, Manfred Meier, Martin Netter, Enrico Wenzel. Musiker: Andreas Arend (Laute), Patrick Sepec (Cello), Sebastian Glöckner (Cembalo).

www.deutschestheater.de

 

Kritikenrundschau

Eiin "Höhepunkt" der bisher "ziemlich mauen Berliner Theatersaison" annonciert Stefan Keim in der Fazit-Sendung des Deutschlandfunks (5.12.) "Großartig" fand er allein schon schon das Vocalconsort Berlin, mit dem der "Selbsterfahrungstrip" der "Göttertochter Agnes unter den Menschen", beginne. Regisseur Barrie Kosky nutze den Raum des Berliner Techno-Klubs Berghain für "flirrende Bilder". Die Musik sei "der Schmierstoff, der den stark zusammen gestrichenen Text zusammen hält". Manchmal "zerfasere" die zu lange Aufführung, doch gelängen "auch großartige Momente" ... Horst Lebinsky ist als Offizier ein großes altes Kind … voll heulender Verzweiflung über die Ungerechtigkeit seiner Eltern". "Fast wie Heinz Rühmann" allerdings "ohne Wärme" spiele Sven Lehmann den Advokat. Am Ende hat Stefanie Eidt als Agnes "verstanden, wie die Menschen leiden". Strindbergs Botschaft sei "ziemlich pathetisch, Barrie Kosky präsentiert sie mit leichter, vielleicht manchmal zu leichter Hand".


Für Christine Wahl, die das Stück für Spiegel-Online (5.12.) bespricht, vermittelt der Abend keinen überzeugenden Zugriff, weshalb der Abend für sie als Nummernrevue trotz sechzigprozentiger Kürzung des Stücktextes zweieinhalb Stunden "zäh über die leere Betonsäulenbühne mäandert". Besonders die Schauspieler wirken auf sie "derart allein gelassen, dass hier jeder seine Nummer nach eigenständig entwickelter Gangart durchzuziehen scheint". Dass das dennoch "auf einem akzeptablen Niveau" stattfinden würde, verdankt Barrie Kosky aus Sicht der Kritikerin "allein dem Glücksumstand", am amtierenden "Theater des Jahres" auf gute Schauspieler zurückgreifen zu können. Ansonsten sei "mit vergoldeten Fatsuits, abgenudelten veralberten Tutu-Nummern und ägyptischen Masken" beim besten Willen "keiner mehr hinter dem Ofen hervorzulocken."


Zwei "bewegende, unterhaltsame, verblüffende und zwischendurch quälend alberne Stunden" hingegen hat Andreas Schäfer gesehen, der für den Berliner Tagesspiegel (6.12.) schreibt. Koskys Zugriff sei zwar gewöhnungsbedürftig, "weil er gar keiner ist". Nach dem starken Anfang droht der Abend für Schäfer zunächst als Kostümorgie mit albernen Opernzitaten zu versanden: "bis schließlich Sven Lehmann auf der Bühne sitzt und die Atmosphäre schlagartig mit existentieller Dichte anreichert". Kosky zeige insgesamt eine leichte Hand, und habe keine Handschrift nötig. Zwar suche man instinktiv nach der Mitte der Inszenierung, ihrer Idee. "Aber da ist keine. Dafür schlägt ein lebenskluges Herz, dessen Genauigkeit die disparaten Einfälle immer anrührender zu einem Requiem auf den Traum vom glücklichen Leben zu binden vermag."


Als gebastelte, "aufgehübschte Bild- und Klanggeschichte" verreißt Dirk Pilz in der Berliner Zeitung (6.12) die Inszenierung, die er kurzatmig gedacht und "effektelnd" findet. Natürlich sei "das mit der Musik" eine schöne Idee. Wenige Takte, und sofort sei eine präzise Stimmung definiert, "zumal das Vocalconsort Berlin samt der Musiker Andreas Arend, Patrick Sepec und Sebastian Glöckner an Laute, Cello, Cembalo die Madrigale von John Dowland und Gesualdo di Venosa natürlich gut genug beherrschen, um deren Stimmungsraum ins Ätherische zu öffnen." Weil aber alle Musik an diesem Abend aus Sicht von Pilz lediglich "zum bloßen Tönen gerät", bleibt das für ihn "Ohrenwischerei".


Obwohl Barrie Kosky so viel richtig gemacht hat und ihm viel Schöns gelang, ist für Matthias Heine trotzdem keine gute Inszenierung herausgekommen, wie er in der Tageszeitung Die Welt (6.12.) schreibt. Aus seiner Sicht liegt das vor allem daran, "dass Kosky das Stück in seiner eigenen, gekürzten "Fassung" durch Umstellungen, stückfremde Zusätze und Doppelbesetzungen verunklart hat." Auch seien alle Figuren "durch Kostüme und Masken auf noch rätselhafter getrimmt. Motto: Wenn schon Traum, dann bitte Trip!" Selbst die proletarischen Kohlenschlepper träten als ägyptische Anubisse auf. So entsteht für Heine insgesamt doch eher der Eindruck, dass Kosky auf der Flucht vor dem Stück gewesen ist. "Er macht dauernd das, was Opernregisseure machen dürfen, wenn mal wieder ein dramaturgisches Loch gähnt: Er lässt ein Lied singen ... und schickt den Chor ständig neu kostümiert an die Rampe."

Das Vocalconsort Berlin mache süchtig, schreibt Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (8.12.), aber leider sei die Musik "das einzige, was an dieser Inszenierung verzaubert. Kosky liefert Strindbergs wild allegorisches 'Traumspiel' an das auftrumpfende Kunstgewerbe aus." Gegen die Gewalt des Raums (das Innere der "Techno-Kathedrale" "Berghain") kämen Koskys "harmlose Bild-Ideen in keinem Augenblick an". Stattdessen: "Ein kümmerlicher Gebrauchssurrealismus, der nichts erzählt und dessen optische Knallbonbons schnell verpuffen." Die ganze Inszenierung sei "effektverliebt, aber ohne die Kraft, aus den beliebigen Einfällen szenische Kraft oder wenigstens lustigen Trash zu entwickeln". Der Einzige, der "in diesem trübsinnigen Reigen der Harmlosigkeiten Ausstrahlung" entwickle, sei Sven Lehmann: "Mit enormer Kraft, Lust an der Bosheit und mühsam gedämpfter Aggression stellt Lehman einen monströsen Kleinbürger auf die Bühne ... Wie Lehmann Härte, Kaputtheit und Komik in seiner Figurenzeichnung verbindet, ist grandios. Lehmann macht den Unterschied, einsam ragt er heraus aus dem konfusen Gewimmel der Inszenierung und ihren umständlich gebastelten Nümmerchen."

Ganz anders sieht es Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen (8.12.): "Manche Einfälle in dieser Polyphonie des Imaginären erscheinen ein wenig bemüht, die meisten indes frappant flottierend und atmosphärisch bestrickend. Barrie Kosky bringt das 'Traumspiel' auf gar keine Linie, er lässt es mit Lust und Melodik verstörend-harmonisch und gern herzlich-komisch frei. So kommt es gelöst zu sich – und bildschön-beglückend über uns."

 

Kommentare  
Koskys Traumspiel: Unverständnis zu erwarten
Das war zu erwarten, dass die deutsche Kritik so ihre Probleme haben würde mit der theatralen Sprache Koskys. Das sagt aber mehr über den Zustand der Kritik, als über die Inszenierung. Immerhin hätte Frau Wahl auf Spiegel Online ja auch gerne "eine Idee". Und deswegen werden auch immer Regisseure hochgejubelt, die genau "eine Idee" haben, und nicht
mehr. Aber wie hat schon Nicolas Brieger in einem Interview gesagt: Das ist Theater für die Rezensenten, die dann schneller nach Hause kommen (und mit einer zweiten Idee wohl ohnehin nicht zurecht kämen). Ich finde, gerade das Opernhafte (Jemand im Feuilleton die Verbindung Oper - Traumspiel verstanden? Zu lesen war jedenfalls nichts...), Disparate - das sich eben nicht auf "eine Idee" reduzieren lässt - befreiend nach so vielen Theaterabenden, an denen man nach 10 staubtrockenen, unsinnlichen Minuten verstanden hat, wie der Hase läuft.
Koskys Traumspiel: ein Traumzusammenspiel
Wie wunderbar, dass man den Opernmenschen Kosky da eine Art von Theater (oder was war das eigentlich?) auf die Bühne bringen lässt, das das Gros der Kritiker, zu deren Beruf es ja vermeintlich gehört, immer alles zu verstehen, was sie sehen, so verständnislos zurücklässt.
Wie phantastisch diese "Sache mit der Musik", der alten, die im Traumzusammenspiel mit den Strindbergschen Phantasmagorien einen unendlich tiefen, schwarzen emotionalen Raum um sich öffnet. Und das ist, ja, mehr als ein genialer Einfall, und, ja, es trägt sehr wohl über den ganzen Abend. Weil sich nämlich jener Raum nach verschiedenen Seiten mäandernd öffnen und schließen kann. Das ist sogar mehr als ein Konzept, sondern fast eine Art Zauberei. Das gibt es im Theater nicht oft. In der Oper übrigens auch nicht.

(Und wie peinlich, wenn da einer in seiner Kritik darauf verweist, in der Wowereit-Reihe sei häufig auf die Uhr gesehen worden. Da kann man ja wohl froh sein, dass der Kosky seinen Intendanten-Vertrag schon in der Tasche hat.)
Koskys Traumspiel: verquastes Zeug
hey, das sind doch vor allem die emos, die hier so verquastes zeug schwafeln. was ist denn ein "unendlich tiefer, schwarzer emotionaler raum"? ein darkroom??
Koskys Traumspiel: Umwandlung von Sehnsucht in Musik
Leider hat ja auch kein einziger Kritiker die zwei "fremden" Texte in der Inszenierung - die Erzählung von der Prinzessin und den Sklaven sowie die Geschichte vom Herz und der Quelle der Welt - angemerkt. Wahrscheinlich dachten alle, die wären ohnehin von Strindberg. Dabei ist die Rabbi-Nachman Geschichte vom Herz und der Quelle so bezeichnend: Sehnsucht kann hier nicht erfüllt werden, nur umgewandelt in Musik und Gesang. Und aus den Fäden der Musik wird wiederum Zeit gesponnen. Und das Inszeniert Kosky: Die Umwandlung von Sehnsucht in Musik. Die Kritiker verstehen einfach nicht, dass Musik und Gesang hier nicht Beiwerk waren, nicht Untermalung, sondern Inhalt der Inszenierung. Durch sie wurde etwas erzählt, transportiert. In ihr fand eine Auseinandersetzung mit dem Stück statt, seinen Themen und Emotionen. Und keine Kritik erwähnt die Musik dahingehend auch nur, setzt sich mit den Texten auseinander. Ich stelle mir eine Kritik vor, die schlichtweg den zu Grunde liegenden Theatertext nicht erwähnt und diskutiert - unvorstellbar. Hier - wo die Musik gleich wichtige Grundlage war - kein Wort zu Text, zur Harmonie, zum Zusammenhang mit den Stück Strindbergs. Haben die Kritiker schlicht zu wenig Ahnung von Musik? Das wäre traurig, hat Musik von der griechischen Antike über Shakespeare bis zu Moliere doch immer zum Theater gehört!
Koskys Traumsspiel: belanglose Schmonzette
Die Umwandlung von Sehnsucht in Musik ? Der Abend ist eine belanglose, langweilige Revue. Eine Schmonzette. Kitsch. Da helfen auch keine Waschzettel von Eingeweihten. Und eine Bitte für 2009: keine Schauspieler mit Luftballons mehr auf deutschsprachigen Bühnen. Danke.
Koskys Traumspiel: Texte verloren, Bilder wie Klötze
liebe(r) jb, spannender als die geschichte vom herz und der quelle war zum verständnis von koskys blick auf das stück noch die vom sklaven und der prinzessin - dem sklaven, der sich eher verstümmeln und töten läßt, als seine sehnsucht physisch zu realisieren. ich habe bei dem abend auch an ernst blochs deutung des pan-syrinx-mythos als entstehungsgeschichte der musik im "prinzip hoffnung" denken müssen. es hat aus meiner sicht aber keinen sinn gemacht, diese assoziationsräume zu öffnen, in dem man diese quellen nennt, da der abend auf der bildebene nicht funktionierte. hätte kosky sein konzept noch weiter gedacht, dass es auch folgen für die physische praxis seiner inszenierung (also ihre bilder) gehabt hätte, statt irgendwie ungelenk dann doch nur den reststrindberg zu inszenieren, nachdem die essenz des stücks auf die musikalische ebene verschoben war, dann hätte es vielleicht sinn gemacht, diese chassidischen quellen zu nennen. aber so waren die texte doch recht verloren, nicht wirklich nötig für einen abend, der nicht abheben konnte, weil seine schwerfälligen bilder wie klötze an ihm hingen.
Koskys Traumspiel: inkompetente Beschreibung der Musik
Liebe Esther Slevogt,
der Abend mag für Sie "auf der Bildebene nicht funktioniert" haben, das ist Ihnen unbenommen. Viele haben das anders gesehen. So finde ich, dass viele Bilder mehrdeutiger, komischer und präziser waren, als ihre plumpen Beschreibungen in den Kritiken. Die ägyptischen Masken etwa fand ich überdrehter und witziger, als meist beschrieben. Nur weil es Strindberg ist, sitzen viele andächtig davor.
Auch andere Bilder waren für mich leichter (heißt es nicht in einer Kritik ganz unsinnig: Mit "zu leichter Hand" inszeniert?) und gar nicht schwerfällig. (Was auch immer das Klischee von einem "scherfälligen Bild" bedeuten soll).
Aber Bilder sind eben - je nach Einstellung, Geschmack und Wissen - sehr unterschiedlich zu lesen.
Was jedoch die Ebene der Musik und der Texte angeht, finde ich die Kritiken schlicht inkompetent. Die Auseinandersetzung mit den Themen des Stückes fand zu einem großen Teil auf der musikalischen Ebene statt, auf der Ebene der Harmoniegestaltung, der melodischen Führung, aber auch des Textes. In der Kritik kommen die Namen John Dowland und Gesualdo di Venosa jedoch nur am Rande vor - Beschreibungen ihrer musikalischen Eigenheiten und Formsprache überhaupt nicht. Nicht einmal die Texte werden besprochen. Nun weiß ich, dass bei einer "Nachtkritik" Platz und Zeit begrenzt sind; nur wurden die Komponisten auch in anderen Kritiken nicht diskutiert. Das kommt mir vor, als würde in einer "Macbeth"-Kritik Shakespeare kein einziges Mal erwähnt, oder in einer "Don Giovanni"-Kritik Mozarts Musik nur in einem Nebensatz zitiert. Das würde wohl zu Recht nicht ernst genommen. Aber hier - wir haben es ja mit Sprechtheater zu tun - kann man die Musik so sträflich vernachlässigen.
Vielleicht wäre es nötig gewesen - schließlich war ja ein "Musiktheaterabend" angekündigt - doch Musiktheaterkritiker über den Abend schreiben zu lassen. Die sind es ja mittlerweile gewohnt, auch theatral zu denken.
Auch die beiden zusätzlichen Texte (über chassidisch könnte man lange streiten) waren für die Inszenierung wichtiger, als man durch die Kritiker glauben könnte. Bei Gotscheff würde man Heiner Müller Texte wohl nicht unerwähnt lassen.
Die Argumentation, eine genauere Auseinandersetzung hätte sich nicht gelohnt, da der Abend nicht gelungen sei, ist eine faule Ausrede und zeugt doch eigentlich nur von Unwillen.
Ich finde - sie können es ja anders sehen -, bei einem genauen Blick auf Musik und Inszenierung wäre auch der "Reststrindberg" klarer und sinnvoller erschienen, der meist sehr genau mit der Musik und der Szene verbunden ist.
Koskys Traumspiel: noch ein Nachsatz
Noch als Nachsatz:
Interessant finde ich all die Kritiken doch. Es wird sehr schön eine Unsicherheit klar, die bei dem Abend entstanden ist: Wie geht man mit diesem Hybrid aus Musik- und Sprechtheater um? Und diese Unsicherheit zeigt sich auch bei den Besuchern, wie ich finde. (Zumindest in der letzten Vorstellung, die ich gesehen habe).
Nein, Kosky bietet keine Interpretation für das Stück, nicht "eine Idee", wie in einer Kritik gefordert. Warum soll er auch. Ich finde, ein Theaterabend tut schlecht daran, ein Stück von einem Punkt aus interpretieren und erklären zu wollen. Nur: Damit können eben viele leider nichts anfangen. In Deutschland wird momentan ja ein Theater hochgelobt, das sowohl auf der Ebene des Bühnenbilds, der Inszenierung als auch des Schauspiels mit einer stückerklärenden Idee auskommt. Möglichst schnell begriffen und dann durchexerziert - auch das sehr deutsch. Ich fand es befreiend, dass das hier nicht geschehen ist, sondern ein Stück sehr sinnlich erspielt wurde.
Dass das Ergebnis dann als "Schmonzette" oder "Kitsch" bezeichnet wird - was solls.
Nur zeigt sich die Unsicherheit auch bei den SchauspielerInnen, die sich nur teilweise auf dieses Theater einlassen (können). Einigen fehlt vielleicht das Können. Singen konnten ja nur die Wenigsten hier. Sonst wäre vielleicht eine stärkere Verbindung Text - Musik, Schauspieler - Chor möglich gewesen, die den Abend genauer und radikaler gemacht hätte.
Koskys Traumspiel: Antwort an J.B.
jb, mir fällt es schwer, mich hier mit ihnen auf eine diskussion einzulassen, wo sie noch nicht einmal mit ihrem namen für ihre einlassung einstehen wollen. in diesem zusammenhang möchte ich mir übrigens auch das vertrauliche "liebe esther slevogt" verbitten. ich bin gewiss nicht ihre liebe esther slevogt. auch bin ich nicht pauschal verantwortlich für das urteil der kollegen und möchte daher nur für meine eigene kritik angegriffen werden. da erwarte ich auch von anonymen kommentatoren ein gewisses maß an diffferenzierungsvermögen.
im übrigen hat sich barrie kosky mit seiner inszenierung dezidiert ins theater begeben und sie nicht in einer oper oder einem konzerthaus gezeigt. also trifft er hier auf ein theater- und kein opernpublikum und damit auch auf theater-, keine musikkritiker.
da betrachte auch ich es als kritikerin zunächst als meine aufgabe, hier erst einmal das dramaturgisch-philosophische konzept des zugriffs auf den stoff zu erläutern: wieso hier einer überhaupt handlung und musik zusammendenkt. und auch zu sagen, warum das aus meiner sicht nicht funktioniert. da muß ich nicht mit sinnlosem wissen und dechiffrierungen des materials der aufführung punkten, wenn sie meinen argumenten am ende doch nicht weiterhelfen.
im übrigen bleibe ich dabei, dass sich kosky nicht wirklich mit der frage auseinandergesetzt hat, was sein zugriff für die bildebene der inszenierung bedeutet. (und auch für die ebene der spielhandlung, die so leider wirklich nur ein visionsloser reststrindberg blieb.) der abend ist wunderbar an- aber nicht zuende gedacht. er werkelt mit einer kunstgewerblichen bildsprache, an der ich nichts subtiles und komplexes erkennen konnte. auch das, was sie als "unsicherheit bei den schauspielerInnen" bezeichnen, ist ein unvermögen der regie. denn wer anders als der regisseur hätte hier für sicherheit zu sorgen? dafür, dass die schauspielerInnen wissen, was sie eigentlich spielen sollen?
im übrigen bin ich sehr aufgeschlossen, von ihnen klare argumente zu hören, was sie z.b. an einzelnen bildern konkret gut und richtig fanden. was sie, der sie hier als beleidigter spezialist auftreten, konkret zur verdeutlichung der musikalischen ebene beizutragen haben. denn dafür sind die foren dieser seite ja auch gedacht: dass zuschauer und spezialisten das erste urteil der nachtkritiker durch eigenes ergänzen und erweitern können. aber ein echtes argument habe ich von ihnen bisher nicht gelesen.
Koskys Traumspiel: J.B.s Antwort
Sehr geehrte Frau Slevogt,
Zuerst: Sprechen Sie Poster doch nicht zuerst mit "Liebe" an, wenn Sie das selbst nicht möchten!
Zweitens: Meinen Namen können Sie gerne am Ende dieses Postings haben - wenn ich auch nicht weiß, was dieser zur Diskussion beiträgt.
Drittens: Beleidigt bin ich sicher nicht, und schon gar kein Spezialist, im Gegenteil. Die Spezialistin sollten doch ja wohl Sie sein, nicht?
Und entgegengesetzte Meinungen empfinde ich sicherlich nicht als Beleidigung, im Gegenteil!
Allerdings: "Sinnloses Wissen" - das finde ich schon eine starke Aussage. Informationen und Wissen über die einer Inszenierung zu Grunde liegenden Künstler sind also Sinnlos? Das finde ich eine zumindest diskussionswerte Aussage. Das trifft sich ja fast mit manchen Postings, die jegliche Hintergundinformation als "Angeberei" oder Ähnliches diffamieren.
Nur: Ich finde eben - und da sind wir offensichtlich gänzlich anderer Meinung - dass gerade die Musik Dowlands wichtig ist. Und zwar, weil die Lieder wegen Ihrer Eigenheiten - Sehnsucht im Spiel Polyphonie und Homophonie, also auch im Spiel Einzelner und Gruppe - zu dem beitragen, was Sie ja eigentlich behandeln möchten: Weshalb überhaupt Handlung und Musik zusammengedacht werden. Ist es da nicht wichtig, warum Handlung und gerade diese und nicht irgendeine andere Musik zusammengedacht werden?
Ihr Argument mit dem Ort des Geschehens - dem Theater, nicht dem Opernhaus - ist für mich schlicht keines. Theater und Musik, Sprechen und Gesang gehören für mich zusammen. Jener Abschnitt der Theatergeschichte, in dem beide Sphären als getrennt betrachtet wurden und werden, ist sehr kurz. Auch der geographische Bereich, in dem dies geschieht. In weiten Teilen der Welt ist Theater ohne Musik undenkbar. Wie viel wurde früher auch im Theater gesungen? Darf Raimund nur mehr in Opernhäusern gezeigt werden?
Zu den Schauspielern: Auch hier bin ich etwas anderer Meinung. Einige waren ja ganz wunderbar (etwa Lebinsky und Lehmann). Dass andere schlecht singen, keine Körperspannung haben und nur zwei Gesichtsausdrücke, ich weigere mich, da nur die Regie verantwortlich zu machen. Ein Schauspieler ist ja nicht die Marionette des Regisseurs (auch wenn man in vielen Inszenierungen das Gefühl hat, es wäre so).
Eine für mich gelungene Sequenz? Die Verbindung: Erzählung "Herz der Welt und Quelle" - Aufbrechen der Tür - Musik. Wie hier auf textlicher Ebene Sehnsucht, Zeit und Musik verbunden werden, dann in Dunkelheit die Tür geöffnet wird und schließlich Musik eintritt, so dass man den Eindruck hat: Vielleicht war nur die Sehnsucht hinter der Tür, sonst nichts. Und was bleibt: Gesang. Das fand ich schon sehr berührend.
Ein unbeleidigter
Jost Benjamin



(das"liebe" wars auch nicht, das mich störte, sondern das "liebe esther slevogt", eine anrede, die eine symmetrische kommunikationssituation postuliert, die mir angesichts der asymmetrie, die aus ihrer anonymität und meiner kenntlichkeit entstanden ist, nicht gegeben schien. aber jetzt sind sie ja kenntlich. guss, es)
Koskys Traumspiel: Überlebenskampf der Gefühle
lesen tue ich diese Kritiken (ich meine die von den Zuschauern, die die Kritiker kritisieren) manchmal nicht so gerne, denn dabei entsteht oft so in giftiges Klima. Jeder mag eben was anderes und das ist an sich doch ganz gut so. Das sich einige einbilden ihr Kunstverstand, oder hier heißt es ja besser Theaterverstand, sei bedeutsamer als der von gemeinen Zuschauern hängt halt wohl damit zusammen, dass Kunst auch immer mit einem Bildungs- und Erfahrungsschatz zusammengedacht wird, bei dem davon ausgegangen wird, dass ihm eine Art höhere normative Kraft zukomme, an der der gemeine Zuschauer sich stärken kann. Das tut er auch, in dem er sich darin übt, auch Argumente und Sprachwitz, aber auch Polemik und Gehässigkeit in sein Nachtheatereleben hinein zu bringen. Also, dann heißt es, der Theaterabend muss nicht nur erlebt werden, sondern er muss auch noch argumentativ, lobend oder vernichtend bewertet werden. Und wer sich da hervor tut, dem kann es gut gehen, denn indem er sich so als ein überzeugender Bewerter profiliert, kann er bald selbst so eine Art normative Kraft werden.
Ich bin auch immer verletzt, obwohl ich das nicht will, wenn mir einer sagt, das was dir da gefallen hat war ja richtiger kitsch, das war ja was für dumme und eifältige Menschen - klar ganz so deutlich sagt das eine gute Kritikerin natürlich nicht, oder ein guter Kritiker, aber ich spüre es eben, wenn mir mehr oder weniger direkt gesgt wird, hör mal, wenn dir das gefällt kannst du wahrscheinlich blöd sein oder, vielleicht sogar gefährlich. Es geht deshalb immer auch um einen überlebenskampf der eigenen Gefühle, und da muss ich sagen, das ist mir manchmal zu anstrengend. Wenn ich in so einen Abend gehe und mir sage, ja das war jetzt aber doch sehr seltsam, dann will ich nicht gleich mit diesen Bewertungs und Argumentationswütigen konfrontiert werden, dann müsste eigentlich etwas zu lesen sein jenseits dieser schultraumatisierten Notenverteiler, was versponnenes, oder vielleicht auch ganz unverständliches, oder was persönliches - das liest sich hier wie ein Streit unter Mietern in einem Haus, so ein bisschen offizieller Ton, so ein bisschen angestrengt sachlich. So ein Abend ist jedenfall nicht sehr zum Streiten da, gibt duraus welche, der aber kaum.
Koskys Traumspiel: Alle schreiben die Kritik weiter
Was Sie über den Überlebenskampf der Gefühle schreiben, finde ich schön. Das erklärt mir viel über die Aggressivität im Ton von vielen Kommentaren. Es stimmt ja auch, daß man nicht will, daß jemand einem etwas kaputt macht, egal ob Gefühl oder Erlebnis. Aber ich frage mich dann auch, warum jemand überhaupt Kritiken anschaut, wenn er nicht erträgt, daß jemand anderes vielleicht etwas anderers gesehen und erlebt hat, als man selbst. Dann tritt da so eine Rechthaberei ein. Es ist doch möglich, daß viele vieles sehen. Warum können denn nicht alle Eindrücke einfach nebeneinander stehen? Alle schreiben die Kritik weiter, die ja niemals jeden einzelnen Aspekt von so einer Inszenierung besprechen kann. Ich kann auch eine Kritikerin verstehen, die sich dagegen wehrt, zur Zielscheibe dieser unverdauten Empfindungen zu werden, mit denen jemand da sein eigenes Erlebnis und Verständnis verteidigt. Aber hat er sich gefragt, ob er überhaupt angegriffen wurde? Bei dieser Kritik über das Strindberg-Stück hatte ich das Gefühl, die Kritikerin war selber eigentlich traurig, daß der Abend nicht so gut war, wie sie das gehofft hatte. Was sie schreibt, ist doch voller Sympathie für das Ganze und gar nicht Noten-verteilerisch. Ich habe auch erst mal verstanden, warum die Musik überhaupt eine so wichtige Rolle spielt. Wenn dann da einer kommt wie JB, und so tut, als wäre er der einzige, der etwas verstanden hat und alle sind dumm und nicht kompetent, bloß weil sie was anderes gesehen haben und die Kritikerin kriegt es auf den Kopf, weil sie eben da steht mit Namen und der Meinung, dann hilft das gar nicht weiter und bringt nur so ein dumpfes, aggressives Ton in das Ganze. Dabei geht es um Sehnsucht, um Leben und Theater, ganz Zartes, das gar nicht paßt zum Rechthabertum. JB könnte doch einfach sein Wissen und Erleben mit in den Topf werfen und alle hätten etwas davon. Aber was tue ich hier eigentlich? Das Jahr ist noch so jung und still, und ich rede mit dem Internet.
Koskys Traumspiel: Kritik ist nicht bloße Privatmeinung
Ich bin immer wieder erstaunt, dass jede Auseinandersetzung sofort als "Rechthaberei" diffamiert wird. Woher diese Harmoniesucht? Im Theater und in der Theaterkritik wurde doch immer wieder auch mit aggressiven Mitteln um Überzeugungen, Ästhetiken und Theaterwege gestritten und gekämpft. Lesen Sie nur die Kritiken Kerrs, der konnte auch ganz gut austeilen. Und wenn man austeilen kann - wie die meisten Kritiker! - muss man eben auch einstecken können. Eine Kritik ist eben - so verstehe ich Kritik - keine bloße Privatmeinung, keine Wiedergabe von Gefühlen und Emotionen. Ganz furchtbar finde ich die Forderung, Kritik müsste schlicht etwas "Versponnenes" oder "Privates" liefern - da kann ich mir gleich Pausengespräche am Buffet anhören. Kritik ist doch auch eine Bearbeitung dieser Eindrücke mit Wissen und Information. Also ein im besten Sinne gelehrter Blick. Und als solcher muss sich jede Kritik ebenso hart auf ihre Argumentation, ihre Hintergründe und ihre Kriterien abklopfen lassen, wie das Theaterstück durch eben jene Kritik. Theater ist hart kritisierbar, die Kritik soll als "eine Meinung von Vielen" unkritisierbar sein? Das finde ich unfair. Das hat nichts damit zu tun, immer Recht haben zu wollen, aber Auseinandersetzung gerade im Theater - auch um Theaterkritiken - sind doch produktiv, wie ich finde!
Jost Benjamin
Koskys Traumspiel: Apellmaschine Theater 1
1-Da hab ich ja was angefangen, aber nun muss ich wohl auch noch nachlegen, lustig zu beobachten, wie so etwas entsteht. An sich ein toller Vorgang, in der Tat wird auf diese Weise mehr über Theater gesprochen als in früheren Tagen, da es nicht diesen öffentlichen Spiegel so vieler Betrachtungsweisen gab, insbesondere nicht den, wo Professionelle und Laien aufeinandertreffen, Wo sich der Zuschauerraum gleichsam ins Netz hinein erweitert und die Aufführung dort zu einem zweiten vielleicht dritten und vierten Leben kommt, denn irgendwann ist dann das Entzündungspotential einer Aufführung erschöpft und die Gemüter stürzen sich auf ein neues Stück, eine neue Aufführung. Ohne die Kommentare, ohne dieses Meinungsecho wäre Theater ja wirklich völlig überflüssig und insofern stimmt es sehr, dass der, dem die Meinungen nur ein Graus sind, am besten mit sich und seinem Denken und Fühlen allein bleibt und sich nicht dem Gewitter der Vielfalt aussetzt. Trotzdem hab ich das Gefühl, es müsse sich im Ton was verbessern, um weniger Mief und mehr Debatte zu erzeugen. Die Gemütschemie ist ein kompliziertes Ding und die Frage, wann sie durch Diskussion positiv beeinflusst werden kann auch. Normal wird im Theater Musik ja mehr oder weniger suggestiv eingesetzt, als ein Mittel um dem Zuschauer quasi heimlich auf die Stimmungssprünge zu helfen. Vorne läuft der Text dazu ein ausdrucksstarkes Bild und aus den Boxen kommt die Atmosphäre. Solcher Musik applaudiert keiner, obwohl sie mitunter die halbe Miete eines Abends ausmachen kann, aber sie steht einfach nicht zur Debatte. Kaum einer will sich auch in diese Karten seiner Empfindsamkeit blicken lassen. Ganz anders aber, wenn ein musikalischer Abend ansteht, mit Musikern und Sängern in der ersten Reihe, dann kann sich die Betrachtungswertigkeit mächtig verändern, ja dann kommt es sogar zu einer kleinen Konkurrenz der Gattungen, denn die Gesetze (falls es solche gibt, aber ich nenn das jetzt mal so) von Theater und Musikdarbietung sind doch schon recht verschieden. Ist eine Veranstaltung zu allererst musikalisch bestimmt, dann dürfen die Emotianalschleusen auch ganz anders aufgehen und dann ändert sich der Bewertungskanon, denn Musik wird grundsätzlich positiv gehört, Ich gehe hin, weil ich die Musik hören will, sie soll mir gefallen, sie soll was mit mir machen, was mir irgendwie gut tut.
Koskys Traumspiel: Apellmaschine Theater 2
2-Das Theater aber funktioniert viel weniger in dieser positiv Vibration Richtung. Als Musikhörer kann ich viel vertragen, da habe ich viele Listen, und alle Genres erfüllen ihren Zweck, die Benutzung von Musik ist vergleichsweise einfach, wann ich einen Schlager eine Schnulze höre, wann eine Oper, wann ich mich mein Tanzbein schwingen möchte und und und und, ich denke, da kann sich jeder prima selber organisieren und das Material benutzen in seinen Alltag zweckgerichtet einarbeiten. Auch ablehnen darf ich nach Lust und Laune, wenn ich Beethoven nicht mag und mir Schnittke lieber ist, na und, wen juckt das schon. Das Benutzerinteresse an Theater ist aber viel komplizierter organisiert. Das hängt wohl auch damit zusammen, das es nur, wie es immer so schön heißt, live geht. Theater auf dem iPod: nö. Noch mal die Stelle ansehen, wo Romeo mit Julia telefoniert, oder Agamemnon die Hose runter lässt… weiß nicht. Der Überlebenskampf von Schauspielern, die irgendwie mit dem seltsamsten Zeug überzeugen wollen, das ihr Ding das ist, von dem die Zuschauer dann sagen sollen, wow, das hat sie aber gut gemacht, da ist mir so manches klar geworden, oder, die kleine da, die hat super gelitten, der fiese böse Mann war hervorragend schlimm, denn so sind ja die Schlimmen, kurz die etwas kurios anmutende Art, das wir im Theater darauf warten, das die Schauspielerinnen und Schauspieler uns mit ihrem Spiel dazu bringen sollen zu sagen, Hut ab und dann noch gleichzeitig ein Statement geliefert bekommen, in dem unsere Weltsicht hier gerade aufs trefflichste und feinfühligste auf den Punkt gebracht wurde, wie einem verdienten Autor ein weiter positiver Bescheid zugesandt werden kann, das er immer noch im Zeitgeist aufgehoben ist, das sind Aufgaben, die völlig anders herausfordern. Ich würde nicht sagen schwerer als gute Musik, aber viel viel weniger kategorisierbar. Ein Dowland-Lied oder ein Mozart-Duett sind, wenn sie gehört werden wollen, schon alles und jede Zufriedenheit damit und jeder illustrierende Einfall zu ihnen eine gut zu gebrauchende Sache. Die Frage wie die kritische Apellmaschine Theater immer wieder angeworfen werden soll, uns zu mahnen, mit Texten, die das Jammertal schmähen und die Hoffnung uns Mädchen überlassen, halt diese Feindestillation kritischer Sensibilität, die selbst voll Stolz auf ihre avancierte Reinheit ist, fällt schwieriger aus, zumal wenn ihr so jeder Humor abgeht. Wann sag ich mit Begeisterung, gut, dass ihr mir das jetzt so gesagt habt, so gehts nur auf dem Theater, nur eben jetzt…
Koskys Traumspiel: Denken beginnt, wo das Interesse beginnt
Herr Jost Benjamin, ich bin von Ihnen falsch verstanden. Ich wollte Sie nicht als rechthaberisch diffamieren, sondern nur mich wundern, daß Sie so drängelnd argumentieren. Denn ich bin auch der Meinung, daß der Ton, für den Ihre Kommentare ein bißchen repräsentativ sind, hier sehr verbesserungswürdig ist. Mit Harmoniesucht hat das nichts zu tun, nur mit Sachlichkeit. Sie ärgern sich, daß keine Kritik den Kosky so verstanden hat, wie Sie. Denn eigentlich wollen Sie scheint in den Kritiken nur finden, was Sie selbst gefunden haben. Sie wollen, daß der Kritiker Ihnen Ihren eigenen Blick noch genauer erklärt oder bestätigt und haben kein Ohr für das, was andere wichtig finden. Sie schimpfen auf alle Kritiker und machen keinen Unterschied, ob jemand wie hier bei nachtkritik erklärt, warum sie findet, was sie findet. Mein Sohn hat Bilderbücher, die einen schönen Namen haben: Wimmelbücher. Weil auf jedem Bild unzählige Einzelheiten wimmeln. Finden Sie, ein Kritiker soll jetzt eine Liste schreiben, was er auf der Wimmelbilderbuchseite alles gesehen hat? Das kann man nämlich denken, wenn man Sie so hört. Nützt so eine Liste aber etwas dem Verständnis? Jeden interessiert etwas anderes, und so beginnt das Denken immer dort, wo auch das Interesse beginnt. Das ist bei Ihnen der Dowland mit der Homo- und Polyphonie. Bei anderen ist es etwas anderes. Auf vielen Wegen findet man viele Antworten, und das ist doch der Lebensreichtum. Ich hätte gerne noch klarer gehört, wie der Dowland zu Koskys Strindberg gehört und das dann sortiert in die anderen Beschreibungen. Vielleicht hätte ich dann gesagt, daß Barrie Kosky den Rabbi Nachman gar nicht richtig verstanden hat, weil der sich nämlich gar nicht für die Sehnsucht interessiert, sondern für das Kommen des Messias, also die Erlösung. Was aber jetzt das Besondere an diesem mystischen Denker ist: er beschreibt als das messianische Zeitalter nicht die Zeit, wenn der Messias gekommen sein wird, sondern nur die Zeit des Wartens darauf. Das ist so groß gedacht, daß das Wort Sehnsucht dagegen nur ein bürgerliches Winzig-Gefühl trifft, was übrigens auch den Strindberg gar nicht interessiert hat.
Koskys Traumspiel: unnötige Nickname-Diskussionen
Nur so am Rande zum Thema Klarnamen oder nicht: Die Ernsthaftigkeit einer Aussage erschließt sich nicht aus dem Namen des Autoren, sondern aus dem Inhalt seiner Aussage.
Die Wahl eines Anonymus in Internetforen jeglicher Art ist eine übliche und sinnvolle Verfahrensweise. Das sich hier immer wieder darüber mokiert wird, zeigt allenfalls eine gewisse Unerfahrenheit und Naivität bzgl. des Mediums Internet. In einem völlig anonymen Forum, das von hunderten oder tausenden mir gänzlich unbekannten Menschen gelesen wird, gibt es keinen vernünftigen Grund mit realem Namen zu schreiben. Also bitte in Zukunft diese albernen Nickname-Diskussionen bleiben lassen.
Koskys Traumspiel: Göttliches mit Profanem verbunden
Frau Mareike Pupko, danke für Ihr Posting. Sie haben Recht: Selbstverständlich ist die Sehnsucht bei Nachman eine nach Gott, nach dem paradiesischen Zeitalter. Und das Warten ist Grundgedanke seiner Schriften; das spiegelt sich in der Literatur bis zu Kafka. Ich finde auch, Sehnsucht ist hier kein falsches Wort, es findet sich sogar in mythischen Schriften selbst. Nur: Kosky hat das gut verstanden. Er hat sogar wunderbare Stücke inszeniert, die um das Thema des Wartens auf Erlösung und den Messias kreisen, etwa "Dafke!!" und "Das Schloss". Auch "Mahagonny" von Brecht/Weill hat er dahingehend gedeutet. Nur - und das ist das Spannende bei Kosky - er verbindet dieses "göttliche" Motiv mit einem ganz profanen: Der Sehnsucht nach einem anderen Menschen, nach Liebe, nach Sexualität. Und diese "zweite" Sehnsucht bekommt vor dem Hintergrund, dass ihre Erfüllung unmöglich ist und man sich nur sehnen kann, einen tief traurigen Beigeschmack. Im mythisch-religiösen Kontext ist Erlösung, vereinfacht gesagt, erst im Tod möglich. Und hier kommt im "Traumspiel" die Musik Dowlands ins Spiel. Er setzt für mich - Musik hat ja keine allgemein gültigen Wahrheiten - genau dieses Gefühl in Töne: Die Sehnsucht nach Erfüllung, Erlösung und Liebe und - im gleichen Atemzug - das Wissen um die Vergeblichkeit des Sehnens, um die Einlösbarkeit aller Hoffnung ausschließlich im Tod. Dadurch ist der Tod bei ihm ja auch fast ein beruhigender Gedanke; ein sehr harmonischer Gesang. Seine Musik ist so eine sehr bitter-süße, eine sehr gespaltene, wie ich finde. Und hier schließt sich für mich der Bogen zum "Traumspiel": Auch die Menschen bei Strindberg suchen auf ihre Art und Weise Erlösung; persönliche und vielleicht metaphysische. Vielleicht ist es das, was sie hinter der verschlossenen Tür vermuten. Nur: Dahinter ist Nichts, oder eben nur die Sehnsucht. Und dafür wird die Göttertochter bestraft. Die Menschen hier wissen eben nicht um die Notwendigkeit des Wartens und der Sehnsucht. Genau dieses Wissen gibt ihnen Kosky aber durch die Musik, auch die Musik Dowlands! Aber vielleicht sehen Sie das ganz anders - das wäre ja auch befruchtend.
Deshalb zum Schluss kurz zu Ihrem Kritikervorwurf: Nein, ich suche nicht nur den eigenen Blick. Ich diskutiere gerne mit Menschen, die ganz andere Sichtweisen auf Inszenierungen haben. Ich suche aber oft sorgfältigere Kritiken, genauere, im besten Sinne wissendere. Natürlich interessiert jeden etwas Anderes, aber für mich ist und bleibt es unseriös, das als Ausrede zu benutzen, die zentralen Quellen und Themen einer Inszenierung (und das sind Dowland, Nachman usw...) nicht zu behandeln. Denn nur nachdem man sich mit diesen auseinandergesetzt hat kann man doch beurteilen, ob ihre Verbindung, ihre Umsetzung auf der Bühne gelungen ist, finden Sie nicht?
Jost Benjamin
Koskys Traumspiel: Vergeblichkeit mit Musikbegleitung
Es gefällt mir besser und besser, ich werde doch noch eine Freundin der modernen Medien. Warten auf Erlösung. Sehnsucht. Tod. Aber, süße Vergeblichkeit, mit Musikbegleitung. Die Menschen hier wissen nicht, das es keine andere Erfüllung von Sehnsüchten gibt als den Tod, unser aller (beinahe) einzigen Erlöser. Aber sie lernen, es gibt die Musik. Es gibt Komponisten, Musiker und Sänger, die in der Lage sind tröstende Musik zu schaffen, und Regisseure, die sie arrangieren, bebildern um sie dem Zuschauer zur schmerzlichen Erhebung darzubieten. Richtig. Die Musik kann sich, bei rechter Gestimmtheit zu einem Balsam für Gemüt und Seele steigern und ihr kann einiges zugemutet werden, sie kann Bedeutungen tragen, die wir kaum auszusprechen wagen…und dennoch genießen. Zu wissen, ich bin erhabener Empfindungen fähig, ich ermesse Bedeutung und Gehalt, Tief, Dimension, Sinn… eine profanierte Form der Messe… herrlich
Koskys Traumspiel: das Bild - komplizierte, verbotene Zone
Ach, Herr Benjamin. Was kann ich zu Ihnen sagen. Sie reden immer von Sehnsucht und sind so gehärtet. Von was? Hinter der Tür ist nicht nur die Sehnsucht. Sonst wäre der ganze Weg über Kafka gar nicht gebraucht. Es ist das kabbalistische Zusammenfallen von Angst vor und der gleichzeitigen Sehnsucht nach Erlösung, was da steckt. Das große Menschenwissen, daß es nie Erlösung geben kann und man darum lieber die Tür geschlossen hält, damit wenigstens der Traum unverletzt bleibt.
Auch hätte Kosky, wenn er so tief diese mystischen jüdischen Quellen verstanden hätte, wie Sie sagen, nicht solche schlimmen Theaterbilder machen dürfen. Denn das Bild ist eine sehr komplizierte, verbotene Zone in der jüdischen Mystik und auch Religion. Auch ein Bild realisiert eine Vorstellung und zerstört sie in dem Augenblick sogleich. Davon hat Kosky mit seinen so schlecht im Geschmack gewählten Bildern aber nichts gefühlt oder sogar geahnt. Mir hat manchmal das Auge geschmerzt. Dann glaube ich auch, daß Sie nicht gerecht zu der Kritik sind und wenn Sie sie unseriös nennen, verstehe ich Sie nicht. Denn es hat Esther Slevogt für mich von allen am besten verstanden und erklärt, was hier von Barrie Kosky versucht war. Vielleicht gab es kein Platz für zu viele Erklärung einzelner Motive. Aber ich verstehe, wenn sie hier Ihnen schreibt, daß es auch kein Sinn macht. Das ist doch ehrlich und gar nicht unseriös, weil es ja auch stimmt und schon im Strindberg alles selber steckt, und das andere nur zusätzliche Kommentare und Ergänzungen sind und nicht so sehr für das Verstehenkönnen wichtig.
Koskys Traumspiel: keine religiöse Veranstaltung
Frau Pupko, bei allem Respekt, aber wenn Sie die früheren Arbeiten Koskys kennen würden, könnten Sie nicht schreiben, was Sie schrieben. Kosky hat schon in Australien das Gilgul-Theater gegründet und geleitet und sich dort in fünf Inszenierungen mit jüdischer Identität, jüdischem Sein und jüdischer Kultur auseinandergesetzt. Unter anderem hat er den "Dybbuk" inszeniert - sicherlich eines jener Werke der jüdischen Theatralik, das mit am tiefsten mit den mysthischen Strömungen verbunden ist. Diese Auseinandersetzung hat er dann in Wien fortgesetzt und Inszenierungen gezeigt, die Grundthemen der jüdischen Mystik reflektieren. Also ihm Unwissenheit vorzuwerfen ist ein wenig frech, wie ich finde.
Spannend finde ich aber, dass sie sagen, er "dürfte" - hätte er die mystischen Quellen verstanden - keine "solche schlimmen Theaterbilder" machen. Natürlich darf er! Kosky macht Theater, keine religiöse Veranstaltung! Er inszeniert sicher auch kein religiöses oder gar mythisches Theater - das wäre ja nur für eine Hand voll Zuseher überhaupt zu verstehen. Er setzt sich allerdings sehr wohl mit den Texten, Inhalten und Emotionen auseinander - so verstehe ich es zumindest. Im "Traumspiel" allerdings nur sehr sehr peripher, da ist es ja fast kein Thema.
Aber wie gesagt: Selbstverständlich darf man am Theater solche Bilder finden, es ist ja kein Gotteshaus, sondern ein künstlerischer Ort, nicht?
Und ob die Bilder nun schrecklich oder wunderbar, gelungen oder platt sind - sie sagen es ja selber: Das Bild ist eine komplizierte Zone. Für den einen so, für den oder die andere wieder ganz anders!
Und was hinter der Tür ist, nun ja! Ich weiß es nicht, ich habe nur meine Gedanken schweifen lassen. Aber so soll es ja sein: Wir werden nie wissen, was hinter der Tür des Gesetzes ist, wie Kafkas "Schloss aussieht" oder was sich genau hinter Strindbergs Tür verbirgt.
Koskys Traumspiel: kompromittieren die Bilder das Erlebnis?
Moment mal. Was ist los hier? einmal dient die Musik gleichsam als Universalschlüssel zum zum Gehalt, in dem sie im Gemüt die Pforten öffnet und den höheren Sinn hinein lässt, auch wenn der vielleicht ein mehr empfundener als gedachter ist, denn in dem sich Sinnempfinden aus den Klängen zurück zu Worten und Begriffen windet schwindet die eine oder andere Trennschärfe, die es in dem Zusammenhang aber auch gar nicht braucht… das leuchtet mir ein, also mir leuchtet ein, das, wenn so empfunden wird, das Erlebnis da war und das Erlebnis ist nicht diskutierbar, nur festellbar oder vermittelbar. Aber auf ein Mal die Bilder, die sollen so gewöhnlich und geschmacklos sein, dass das (musikalische) Erlebnis in seiner individuellen Bedeutung kompromittiert ist? Ich weiß nicht, aber mir scheint, das geht nicht. Das heißt nicht das die Bilder nicht vielleicht tatsächlich geschmacklos empfunden werden können, das heißt nur, das das dem musikalisch dominierten Erlebnis völlig egal sein kann. Kurz ich plädiere für den selektiven Sinn. Wenn von allem etwas benutzt wird, Strindberg, Kabbala, Dowland, Gesualdo, Mozart um nur einige zu nennen die da von DJ Kosky zu einer burlesken Litanei der Vergeblichkeit gemixt wird, also, so genannter schlechter Geschmack, im besten Sinne, eine konstitutive Bedingung des Abends ist, dann sollte sich niemand über den selben wundern.
Koskys Traumspiel: verraten an schlechten Operngeschmack
Ich weiß nicht, Claudia, ob Sie mich richtig verstehen oder ich Sie. Ich habe versucht zu sagen, daß in dieser Inszenierung etwas von dem - vielleicht das Wichtigste - was Strindberg in dem Stück (selber wie ein Musikstück) immer in neuen Variationen szenisch durchrechnet, in die Musik gebracht wurde, und da plötzlich Inhaltliches und Ausdruck in eins sind. Herr Bennjamin könnte bestimmt besser sagen, wie das mit der Musik von Dowland zum Beispiel verbunden ist. Ich fand aber, daß Kosky seine Arbeit selber zerstört hat, weil er nicht darüber dachte, ob durch sein Blick nicht auch die Bilder andere sein müssten, als solche grobianisch-geschnitzten Opernbilder ohne, was Philosophen manchmal Überschuß benennen. Ich wollte, Herr Benjamin, nicht sagen, dass er gar keine Bilder machen darf. Aber jetzt verstehe ich, Claudia, gar nicht Ihre Frage. Es geht für mich um kein musikalisches Erlebnis, und Seelisches ist mir in diesem Zusammenhang auch ganz egal. Das ist nicht, worum es geht. Sondern eben Philosophie, angewendete Philosophie im Theater, also ganz etwas Ursprüngliches. Das hätte groß sein können, wenn nicht solche furchtbare Bilder ohne Sinn gekommen wären, die alles verraten haben an schlechten, dummen Operngeschmack.
Koskys Traumspiel: rettet den schlechten Operngeschmack
Rettet den "schlechten, dummen Operngeschmack"! Dort ist im Moment nämlich oft Spannenderes und vor allem Sinnlicheres zu sehen, als im staubtrockenen Sprechtheater - auch wenn das viele Opernverächter nicht glauben wollen. Insofern: Gerne alles weiter an diesen Operngeschmack verraten! Und wer über Koskys Bilder schimpft: Die waren selbstironischer, absurder und komischer, als man hier denken könnte. Aber vielleicht sind sie ja schon so auf eine gewisse Sehweise vorprogrammiert, dass sie nicht einfach mal Lachen können. Über die absurden Totenmasken etwa.
Koskys Traumspiel: mit der Schwere kokettieren
nun ich bin etwas unsicher in Bezug darauf, in wie weit am Wohlempfinden von Zuschauern nachträglich herumgeprokelt werden kann und überhaupt soll, ich denke, sehr unterschiedliche Wahrnehmungsweisen dürfen da hübsch nebeneinander stehen und dürfen auch aushalten, dass am Gegenstand ihrer Zu- oder Abneigung sich in völlig umgekehrter Weise delektiert wird. Weshalb ich mich darüber freue verstanden zu haben, wie stark sich unter Umständen Musik auswirken kann. Weil mir das in diesem Zusammenhang nur bedingt so ging. Da ich Theaterfixierter bin und deshalb eher erst mal lesen lernen musste, dass sich hier die Energien langsam in einzelne Nummern aufbauen, bei denen jede sozusagen einen eigenen Vortrag bildete, und in diesem Zusammenhang das Schauspiel nur als eine Art Folie fungierte, schien mir die Aussage dann doch relativ schnell klar. Als philosophisch habe ich sie nicht gesehen, sondern eher in einem sehr vertrauten Konsens mit Aussagen, denen wir gewohnt sind zuzustimmen. Solche Art Blick auf das Leben ist mir extrem vertraut, es ist dem nicht zu widersprechen, aber ihm wohnt auch kein Born inne sich auf Aspekte zu stürzen, die noch beweglich wären - auch in der Betrachtung (also jenseits vom Zitat). Gleichzeitig, und auch deshalb kann ich den Abend nicht philosophisch sehen, prüft er in der Tat nicht die Schwere des Schweren, sondern kokettiert eher damit, dass wir das alles ja doch nicht mehr so glauben können. So werden beide Seiten bestrichen, die larmoyante und die unterhaltende, und beides wird mit einem Augenzwinkern geboten, was ich nicht schlimm, aber auch nicht überzeugend finde.
Koskys Traumspiel: Türen im Denken aufmachen
Claudia, ich weiß immer noch nicht, ob ich ganz verstehe was Sie schreiben. Aber es macht immer Türen in meinem Denken auf. Bei Herrn Jobst ist es umgekehrt. Er ist so froh, daß er etwas verstanden hat, daß er das wie eine Wand vor sich stellt, und keine anderen Gedanken mehr durch läßt. Es bleibt vielleicht auch nicht mehr so viel zu sagen. Nur gibt mir Claudia zu denken, ob nicht dieses Theaterstück doch dann banaler war, als ich dachte. Nicht nur beim Bild sondern auch beim Ton. Außerdem Jobst Benjamin, das Stück vom Dybbuk hat gar nichts mit jüdischer Mystik zu tun, sondern mit dem Aberglauben der osteuropäischen bäuerlichen Juden, der entstand von mystischer Halbbildung. Das denkt ihr hier immer mit der falschen Liebe zur jüdischen Folklore, dass der Dybbuk jüdische Mystik ist. Dabei behandelt es diese Abergläubischkeit der Leute ein bißchen ähnlich wie Kleist im Zerbrochenen Krug.
Koskys Traumspiel: auf Kuschelkurs mit Insiderwissen
Benjamin, ihrem vorletzen Beitrag liegt meiner Meinung nach ein Denkfehler zugrunde. Sie argumentieren, wenn Frau Pupko die früheren (australischen!) Arbeiten Koskys gesehen hätte, würde sie ihm nicht mangelndes Wissen in jüdischen Fragen vorwerfen. Wie kommen Sie denn darauf? Darf denn nur ein Kosky-Kenner über Koskys "Traumspiel" sprechen? Kann der Maßstab für eine Inszenierung denn jemals ein anderer sein als die Inszenierung selbst? Ich denke, nein. Da kann ein Regisseur doch noch so gute Sachen gemacht haben, wenn die Inszenierung, um die es geht, missglückt ist (und das ist Koskys "Traumspiel" meiner Meinung nach aus vielerlei Gründen), hilft das mir als Zuschauer auch nicht weiter. Oder höchstens insofern als es mich hoffen lässt, dass kommende Arbeiten wieder besser werden. Aber es ist doch keinem dienlich, auch nicht der Inszenierung, wenn ich das, was ich gesehen, gehört und erlebt habe, künstlich mit Bedeutung, die der Kenntnis von Sekundärquellen entspringt, aufpumpe. Und das finden Sie ja offensichtlich irgendwie auch, denn Sie widersprechen sich in diesem Punkt selbst, wenn Sie schreiben dass die Inszenierung nicht "religiöses oder gar mythisches Theater" sein solle das "nur für eine Hand voll Zuseher" zu verstehen ist. Insgesamt gewinnt man bei Ihnen jedoch den Eindruck, dass Sie mit Ihrem (Insider)Wissen auf Kuschelkurs sind. Dazu passt auch Ihr Vorwurf an die Kritikerin, zuwenig musik- und literaturwissenschaftliche Kenntnis in den Text hineingebracht zu haben. Aber schreiben heißt auch auswählen. Die Frage ist doch, wo für den Kritiker der Fokus der Inszenierung und damit seines Textes liegt und ob die Drumherum-Fakten auf diese Fährte führen. Wenn dem nicht so ist, warum sollte man sie wie ein Schulkind herunterbeten? Diese Art der Wissensverbreitung hat mehr mit Eitelkeit als mit aufrichtiger Suche nach dem Kern der Sache zu tun. Intellektuelles Rumgewichse ist ein unfeiner, aber sehr treffender Ausdruck dafür.
Koskys Traumspiel: was soll die Pauschalisierung?
Nur kurz zu zwei Punkten:
Frau Pupko: Natürlich ist der "Dybbuk" nicht eins-zu-eins jüdische Mystik - aber welches Stück ist das denn bitte schon? Es aber von einer Verbindung mit der jüdischen Mystik gänzlich freizusprechen, ist lächerlich. Ohne das Konzept der Seelenwanderung (und diese ist ja nun tief in der jüdischen Mystik verankert), wäre der Dybbuk - auch wenn er dieses Thema abwandelt, umwandelt und verändert - nicht denkbar.
Tun Sie doch nicht so, als gäbe es "die" jüdsche Mystik, die für alle Zeiten festgeschrieben ist und war. Da gibt es vom Mittelalter über Spanien bis zum osteuropäischen Chassidismus so viele Linien, Ausrichtungen und - ja - auch Aberglauben, dass eine eindeutige Fixierung unmöglich ist.
Verwehren möchte ich mich aber mit aller Entschiedenheit gegen die Aussage: "Das denkt ihr hier immer mit der falschen Liebe zur jüdischen Folklore...". Das ist ein dummer Vorwurf! Nur weil mein Name es nicht vermuten lässt heißt das nicht, dass mich mit der jüdischen Religion und der jüdischen Mystik nichts verbindet. Woher wollen Sie wissen, wie ich zu dieser Glaubens- und Geistesströmung stehe und was ich darüber weiß? Aber auch abseits davon, was soll die Pauschalisierung: "ihr hier...". Wer ist denn bitte "ihr hier"?

Maria: Sie haben mich leider falsch verstanden - ich habe mich sicherlich missverständlich ausgedrückt. Frühere Arbeiten haben mit einer aktuellen Inszenierung nichts zu tun. Man muss sie auch nicht kennen, um eine neue Inszenierung beurteilen zu können. Da haben Sie völlig Recht und ich bin ganz auf ihrer Seite. Nur wirft Frau Pupko Herrn Kosky schlicht Unwissenheit oder Unverständnis der jüdischen Mystik vor. Diesen Vorworf wollte ich mit dem Hinweis auf bisherige Arbeiten, Texte und Beschäftigungen entkräftigen. Das "Traumspiel" kann man natürlich immer noch misslungen finden, das hat damit nichts zu tun. Aber der Vorwurf bleibt falsch.

Beim Wissen zu einer Inszenierung bleibe ich dabei: Wenn ein Kritiker über ein Stück von Shakespeare schreibt, sollte er zumindest über die Arbeiten dieses Autors nachdenken. Im "Traumspiel" wurde mehr als die Hälfte der Zeit gesungen. Hätten die Komponisten da nicht mehr Aufmerksamkeit verdient?
Koskys Traumspiel: mehr Aufmerksamkeit der Musik?
nein
Koskys Traumspiel: Musik als spirituelles Bühnenbild
Ich wollte schon weg von dieser Debatte, aber muß noch einmal etwas sagen. Jobst Benjamin, mit Ihrem Namen hat gar nicht zu tun, wenn ich meine, Ihnen fehlt viel Verstehen für die schwierigen Themen von der jüdischen Mystik. Auch wenn Sie hier als Baal Schem Tow geschrieben hätten, würde ich das gleiche sagen. Sogar Claudia, mit ihrem römischen Namen, Maria mit den katholischen, hat mehr vom geöffneten Diskurs, als sie. Es ist einfach wie Sie denken, was für Haltungen da durchkommen, die Sie für mich ganz unvereinbar mir den Haltungen der Mystik machen. Die ganzen Philosophen, Kabbalisten und Rabbiner haben immer zu Grunde von all Ihrem Denken die eigene Ohnmacht gelegt, überhaupt zu wissen was Wahrheit ist. Dann haben Sie die Schriften und Buchstaben, die alten Geschichten gewendet, verglichen, gedreht und immer wieder neu angeschaut, um wenigstens ein Stück Glanz von der Wahrheit zu sehen, wenn schon die Wahrheit selber verborgen blieb. Alles war immer in Bewegung, im Fluß und Austausch, getrieben mit diese unglaubliche Hunger, Gott zu verstehen und das Leben auch.
Aber Sie wollen gar nichts verstehen. Es interessiert Sie kein anderer Blick, welcher könnte Sie selber reicher machen, ergänzen. Sie wollen nur recht haben. Alle, welche hier über Kosky und die verbundenen Themen gesprochen haben, haben Sich bewegt, geöffnet für andere Gedanken. Ich habe gerne gehört, was zum Beispiel Sie von Dowland gesagt haben. Nur Sie sind immer noch am Punkt, wo Sie angefangen sind. Da müssen Sie dann jetzt dort ganz alleine bleiben. Keiner kommt zu Ihnen dorthin zurück, denn Sie sitzen auf einem Sack von totem Wissen. Auch können Sie noch nicht einmal genau lesen, was auch ein Grundinstrument aller Auslegung und Schriftverständnis ist. Ich habe nicht gesagt, daß Barrie Kosky Unwissenheit von Mystik hat, sondern nur, daß er nicht so tief das verwendet hat, wie Sie sagten. Sonst hätte er auch das Thema Bilder anders denken müssen und diese ganze Hierarchie der erscheinenden Dinge. Weil das nicht war, kann es auch nicht diese wichtige Rolle spielen. Leider. Auch nicht die Musik eben. Das war wie ein spirituelles Bühnenbild, welches nicht so voll ausgespielt war und manche Teile ganz leer geblieben sind. Manchmal verarbeiten die ganz modernen Szenaristen auch Motive von kunstgeschichtlicher Tradition, da Vinci oder Holbein (wie bei Peymann Richard III, wo der erste tote König ausieht wie Holbeins Toter Christus im Grabe). Man kann das schreiben, aber es gibt Sachen die für das Verstehen wichtiger sind.
Koskys Traumspiel: Träume haben keine erbauliche Botschaft
also, das Banale fürchte ich nicht, (wobei ich verstehe was Sie meinen) im Gegenteil ist es oft eine Art Einstiegsdroge, aber das Ding bei einem Traum ist, das er geglaubt wird, manchmal mehr als alles andere und dabei wirklich ungeheuerliches zu bieten hat. Strindberg, der sich mit einer närrisch aggressiven Lust in die schwindelnden Gänge dessen, was sich schmerzlich auskosten läßt, stürzt, benutzt eigentlich nicht diese Rhetorik von Vergeblichkeit und Erlösung, sondern es macht einen ja schaudern wie wahnsinnig gerne bei ihm in die Abgründe gegangen wird, was nicht doch alles aus ihnen rauszuholen ist, ihm steht der Sinn mehr nach Verschleiß, Mystik eher im Sinn des Kindchen-Schemas, 19. Jahrh. eben - Vampire, Mörder, Demagogen, die dunkle Seite der Vertrautheit (nicht in solch neckischen Biedersinn einer illustrierten Postmoderne) - das hat auch nicht viel mit Musik zu tun, die im Traum eh keine Rolle spielt… will sagen Träume haben keine erbauliche Botschaft, sondern eher die Schreckensfrage wer einem da und warum was zugemutet hat …Entsetzen Verstörung Rührung Lächerlichkeit Angst Ratlosigkeit Süße das macht Traum und dann das Aufwachen…
Koskys Traumspiel: Wer im Glashaus sitzt, …
Ich verfolge die Diskussion hier nun schon einige Zeit, ohne die Inszenierung gesehen zu haben. Nun will ich aber trotzdem auch etwas dazu sagen: Frau Pupko, Sie sollten nicht mit Steinen werfen, wenn Sie im Glashaus sitzen. Wie gesagt: Ich habe die Inszenierung nicht gesehen und kann deshalb weder ihnen noch Herrn Jost Recht geben oder widersprechen.
Aber Herrn Josts Ausführungen sind doch nachvollziehbar und logisch - vor allem zur Verbindung Musik-Text-Szene. Und er schreibt doch immer wieder, dass man Bilder auch anders deuten kann, die Musik anders verstehen und will das doch auch wissen! Ich finde auch seinen Ton dabei sehr offen und sachlich. Aber er fordert eben Argumente und einen genauen Blick, das ist doch nur fair...
Die Unbeweglichkeit und Starrheit finde ich aber bei Ihnen, muss ich sagen. Da habe ich den Eindruck: Diese Frau glaubt, die Weisheit gepachtet zu haben. Sie wissen, dass die Bilder platt sind, die Musik banal verwendet wird und Sie wissen auch ganz alleine, wann jemand die Mystik wirklich und tief verstanden hat. Und so ist das dann. Punkt. Aus.
Insofern habe ich halt den Eindruck, Sie wollen gar nicht auf die Diskussion eingehen. Zur wirklich genauen Beschreibung der musikalischen Ebene habe ich zum Beispiel von Ihnen noch keine Erwiderung gelesen, die mich überzeugt hätte. Da kommen nur Platitüden, keine nachvollziehbaren Argumente (zumindest nicht, wenn man die Inszenierung nicht vor Augen hat!)
Wenn Sie also schreiben, dass sich niemand auf Herrn Josts Punkt begeben wird und er dort alleine bleibt, muss ich Ihnen widersprechen! Mich haben Sie sicher noch nicht überzeugt, da sind Sie noch ganz weit weg!
Miriam Drcar
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