Und alle spielen mit

4. Juli 2022. Früher war der Kulturpalast in der Industriestadt Bitterfeld nicht nur das kulturelle Herz der Stadt, sondern manchmal auch das der DDR ("Bitterfelder Weg"). Nun, da die Stadt ziemlich arg dasteht, macht sich hier das "Osten"-Festival auf den Weg, genauer hinzuschauen: Was war da? Was ist da? Zum Auftakt fragen Lynn Takeo Musiol und Christian Tschirner als Les dramaturx nach dem Zusammenhang zwischen Klimawandel und Rechtsruck.

Von Tobias Prüwer

"The Bitter Fields" beim Osten Festival in Bitterfeld-Wolfen © Felix Remme

4. Juli 2022. "In einer richtigen Inszenierung würden nun viele Menschen die Bühne füllen und mit goldenen Fahnen winken. Ein junges Mädchen würde einen Monolog halten, der ihnen die nächsten drei Jahre nicht aus dem Kopf geht." Da sie aber nur Dramaturgen seien, verschwinden die zwei Performer von Les Dramaturx einfach so von der Bühne. Und lassen die Zuschauenden nach einer einstündigen Publikumsbeschimpfung der anderen Art mit Fragen zurück. Im verwaisten Bitterfelder Kulturpalast findet "The Bitter Fields" den passenden Ort und das richtige Publikum für kulturlinke Selbstkritik. Und das "Osten"-Festival, dessen Teil die Produktion ist, stellt sie ein Stück weit selbst in Frage.

Abstechertheater

"Osten" soll für zwei Wochen Kunst in eine weithin abgehängte Region zwischen Leipzig und Berlin bringen. Immerhin hat der ehemalige Braunkohletagebau einen hübschen See hinterlassen, aber der Crash der deutschen Photovoltaikindustrie traf die Region, die in den 2000ern als das "Solar Valley" Deutschlands gehandelt wurde, hart. Eine selbständige Stadt gibt es gar nicht mehr, Bitterfeld musste mit der Nachbargemeinde Wolfen fusionieren. Im Ortschaftsrat verfügt die AfD über die meisten Sitze. Zeit für ein Kulturfestival also, Zeit für "The Bitter Fields".

TheBitterFields3 FalkWenzel uIm Diskurs: Christian Tschirner, Lynn Takeo Musiol © Falk Wenzel

"Osten" nennt sich "Festival für Kunst und gegenseitiges Interesse", setzt also Gegenseiten schon voraus von Metropole und Peripherie sowie den Menschen, die hier und dort leben. Zwar wird das lokale Arbeitsumfeld der Kulturschaffenden betont – sie stammen aber doch alle von außen, sind zur Expedition eingeflogen wie damals, als der Kulturpalast in Bitterfeld noch Ort von Abstechern war. "Abstecher" nannten die DDR-Theaterschaffenden Gastspielfahrten, mit denen sie Kultur in die Fläche brachten.

Die Wenigen sind mancherorts ganz schön viele

Damit beginnt auch "The Bitter Fields". Dramaturg und Performer Christian Tschirner erzählt, wie er schon mal 1989 im Bitterfelder Kulturhaus, in Treuenbrietzen, Gräfenhainichen und Niemegk gastierte. Er berichtet von seinen Erfahrungen 2018 in Chemnitz und den rechten Aufmärschen dort. Darum hätten sich die Vielen gegründet, als Aktionsbündnis von Kulturschaffenden, um den Wenigen etwas entgegenzusetzen, sekundiert Performerin Lynn Takeo Musiol. Nur seien diese Wenigen mancherorts ganz schön viele.

"An dieser Stelle müssen Sie sich viele Menschen mit goldenen Fahnen auf der Bühne vorstellen. Garantiert ist der Opernchor dabei." Die Performer scheinen immer mal aus der Rolle zu fallen, um ihren Abend zu erklären. Eigentlich hätten Schauspieler dabei sein sollen, die aber von Netflix angeheuert wurden, um bei der zweiten Staffel von "Squid Game" mitzuwirken. Darum stünden auf der Bühne auch nur ihre Schreibtische mit Laptops. Also müssten beide beschreiben, was es eigentlich zu sehen geben sollte, erklären sie ihren angeblichen Notbehelf.

Das alte Problem des politischen Theaters

Durch diese Reduktion entlarven sie typische Mechanismen im Bühnenkulturbetrieb. Die Selbstreflexion im Künstler-WG-Gespräch findet mit ausgedrucktem Schnapsglas und Kippe statt. Da wird auch Kritik zur Attrappe. Die Rede ist von verratener Arbeiterklasse, die nun AfD wählt, von Prekariat und Osten – dem gepflegten Klischee halt. Und weil man diesem aufsitzt, glaubt man, ein bisschen Kultur in der Fläche könnte das Land weniger rechts machen. Entgegen der üblichen Ansätze lokaler Recherchearbeit heben sie das Problem auf eine globale Ebene und entdecken auch dort "Bitter Fields".

TheBitterFields2 FalkWenzel uSo viele Bezüge, so viele Verweise: Christian Tschirner, Lynn Takeo Musiol © Falk Wenzel

Die gängigen Spielarten, mit Kultur für Weltoffenheit zu werben, lässt die Produktion leerlaufen, in dem sie zeigt, dass menschenfeindliche Ideologien in allen Milieus verbreitet sind. Aber sie bleibt dabei nicht stehen, denn natürlich werden sich wenige bis keine dieser "Wenigen" im Publikum befinden; das alte Problem des politischen Theaters. Das Duo fragt nach den Grundlagen gegenwärtiger Krisen und macht sie im Kapitalismus aus. Denn der schaffe Ressourcenknappheit und Konkurrenz, Katastrophen und Klimawandel, was zum Aufstieg faschistischer Gruppen weltweit führe. Von Rechts kämen die einfachen Antworten, während Linksliberale nicht einmal bemerken würden, dass ihr urbaner Lebensstil des Zuviel ein Grund für die Übel in der Welt sind, so die Performer.

Tanz den Konkurrenzkampf

Die gute Stunde politisches Seminar fällt natürlich holzschnittartig aus und die einfache Gegenüberstellung von Stadt und Land geht so nicht auf. Aber sie dreht einerseits die Perspektive um und wirft ein Licht auf die Kulturexpediteure: Warum glauben diese eigentlich, quasi in Kolonialherrenmanier ihre Glaubenssätze übers Land streuen zu können? Und sie halten nicht mittendrin an mit Verweis auf "die da oben". Wohl alle im Theatersaal zählen global gesehen zu den zehn Prozent der Bestverdienenden, tragen also Mitschuld am Elend, erklären die dozierenden Dramaturgen. Diese Erkenntnis trifft.

Plötzlich rollt die Psycho-Puppe aus der Netflix-Serie "Squid Game" hinein. Sie ist gut platziert am Schluss eines energischen Dialogs, der etwas zu sehr Vortrag ist. Die Wortlastigkeit machen kurze Tanzeinlagen zu einem Song, der aus der Serie stammen könnte, nicht wett. Aber gerade die Exkurse zu diesem Konkurrenzspiel, das den Kampf aller gegen alle im Kapitalismus böse spiegelt, geben dem Abend den dramaturgischen Dreh über den üblichen politischen Theaterabend hinaus. Er ist theoretisch durchdacht, verständlich vorgetragen und gut gebaut. Und er zeigt: Alle spielen mit.

The Bitter Fields
von Les Dramaturx
Konzept, Text & Regie: Les dramaturx (Lynn Takeo Musiol und Christian Tschirner), Bühne & Ausstattung: Felix Remme.
Mit: Felix Jordan, Lynn Takeo Musiol, Christian Tschirner.
In Kooperation mit dem Theater Magdeburg
Premiere: 3. Juli 2022
Dauer: eine Stunde, keine Pause

osten-festival.de
www.theater-magdeburg.de

 

Kommentare  
Bitter Fields: Niemegk
Niemegk wurde doch schon 1980 überbaggert.
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