Karlsruhe: Wie sich die Kulturpolitik aus der Causa Spuhler am Badischen Staatstheater herauszuwinden sucht
So isch's wore
15. August 2022. Das Staatstheater Karlsruhe ist seinen hart kritisierten Generalintendanten los und bekommt dafür einen "Zukunftsprozess" inklusive frisch gekürtem Chef ab 2024. Doch die Interessen der zuständigen Kunstministerin gelten offenbar bis zuletzt weniger der Zukunft des Hauses als der eigenen Position.
Von Andreas Jüttner

15. August 2022. "So isch's wore", sagt man im Badischen, wenn man hinnimmt, dass ein gesprungener Tiger mal wieder als Bettvorleger gelandet ist. Es gibt in Karlsruhe sogar ein Theaterstück dieses Titels. Gespielt wird es am privaten Theater "Das Sandkorn". Gültig ist der Spruch freilich auch für das wesentlich größere Haus am Platz, das Badische Staatstheater. Das ist nun zwar seinen umstrittenen Generalintendanten Peter Spuhler los und muss sich auch bald nicht mehr mit der ebenfalls unglücklich agierenden Kunstministerin Theresia Bauer herumschlagen. Trotzdem ist die Zukunft so offen wie die Baugruben am Haus, das derzeit für rund 500 Millionen Euro saniert und erweitert wird.
Spuhler und Bauer indes könnten sich bald in Heidelberg wieder begegnen. Dort haben sie sich einst kennengelernt, dort tritt Bauer im Herbst zur OB-Wahl an (und gibt dafür ihr seit 2011 ausgeübtes Amt als Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst in Baden-Württemberg auf), und dort lebt auch Peter Spuhler wieder, wie die Rhein-Neckar-Zeitung jüngst zu berichten wusste.
Ob und unter welchen Umständen die baldige Ex-Ministerin und ihr langjähriger Schützling sich dort wiedersehen, ist ihre Privatsache. Von öffentlichem Interesse ist allerdings, wie sie sich in Karlsruhe getrennt haben. Denn hierbei geht es um eine beträchtliche Menge Steuergeld und um das kulturpolitische Missmanagement einer Theaterkrise, wie sie in diesem Ausmaß nur selten ans Tageslicht getreten sein dürfte.
Entzauberung eines Erfolgsmodells
Die Chronologie des Dramas: Die 2011 begonnene Generalintendanz von Peter Spuhler in Karlsruhe wird lange als Erfolgsmodell gehandelt. Auch dank der Fähigkeit des begnadeten Kommunikators, stets die kulturpolitisch angesagten Trigger-Words bespielen zu können, sei es nun Partizipation, Emanzipation oder Kooperation.
Ein weniger attraktives Wort ist "Mediation". Eine solche wird bereits 2015 wegen Verwerfungen hinter den Kulissen eingeleitet und erst 2018 abgeschlossen. Das hindert den von Ministerin Bauer geleiteten Verwaltungsrat im Mai 2019 nicht daran, Spuhler einen dritten und hochdotierten Fünfjahresvertrag zu geben, um das von Stadt und Land gemeinsam mit jährlich mehr als 45 Millionen Euro getragene Haus auch von 2021 bis 2026 zu leiten.
Nach der Vertragsunterzeichnung 2019: (v.l.n.r.): OB Frank Mentrup, Generalmusikdirektor Georg Fritzsch, Generalintendant Peter Spuhler, Geschäftsführender Direktor Johannes Graf Hauber, Kunstministerin Theresia Bauer © Tom Kohler
Doch Ende Juni 2020 wird öffentlich bekannt, dass die internen Zerwürfnisse am Staatstheater nicht nur trotz der Mediation anhalten, sondern sogar schlimmer werden, da der allzu motivierte Theaterchef zahlreiche Mitarbeiter in einer Mischung aus übermäßigem Arbeitsdruck, Kontrollzwang und cholerischem Auftreten kontinuierlich zermürbt und die auffällig hohe Personalfluktuation bereits als Personalflucht gelten muss.
Was ist daraufhin die erste Amtshandlung der Theaterträger, vertreten durch Kunstministerin Bauer und den Karlsruher Oberbürgermeister Frank Mentrup? Eine vehemente Rüge für die kritischen Theaterleute, die mit dieser öffentlichen Majestätsbeleidigung den Ruf des Hauses beschädigt hätten. Selbst ein stetiges Anschwellen der Kritik und eine Demonstration von knapp 300 Beschäftigten vor einer Sitzung des Verwaltungsrats Mitte Juli 2020 ändert diesen Duktus zunächst nicht.
Anders sieht dies im November 2020 aus: Wenige Wochen vor der damaligen OB-Wahl in Karlsruhe teilen Bauer und Mentrup mit, man wolle sich zum Saisonende von Spuhler trennen und dieser habe dafür auch sein Einverständnis signalisiert. Das Problem scheint gelöst. Mentrup gewinnt die Wahl und bleibt im Amt, ebenso Ministerin Bauer bald darauf bei der Landtagswahl. Im Lauf des Frühjahrs 2021 wird eine dreijährige Interimsfrist beschlossen, ein Interimsintendant berufen (Ulrich Peters, der dafür vorzeitig aus seinem Vertrag in Münster ausstieg) und Spuhler abberufen.
Überraschende Kündigung
Nur bei den Verhandlungen für die Vertragsauflösungen will einfach kein weißer Rauch aufsteigen. Bis dann am Abend des 7. Juli 2021, übrigens Spuhlers 56. Geburtstag, eine sehr kurzfristig und äußerst verschwiegen einberufene Sitzung des Verwaltungsrats stattfindet und am nächsten Tag verkündet wird, man habe dem Theaterchef außerordentlich gekündigt. Wenige Wochen vor der ohnehin anstehenden Abberufung erfolgt also ein fristloser Rauswurf. Nachfragen nach dem Anlass werden abgewehrt: Personaldatenschutz.
Damit nimmt die bemerkenswert sprunghafte Kommunikation aber erst richtig Fahrt auf. Denn knapp ein Dreivierteljahr später stellt sich heraus: Die proaktiv verkündete Kündigung wurde nie vollzogen. Statt dessen kam die Angelegenheit vor ein Schiedsgericht. Die tatsächliche Trennung erfolgte per einvernehmlichem Schiedsspruch. Das erklärte das Ministerium erst Ende März 2022 recht wortkarg auf Pressenachfrage.
Die unlängst aufgekommene Interpretation, durch diesen Schiedsspruch sei Spuhler nun "rehabilitiert", will man in Stuttgart allerdings auch nicht so stehen lassen. Die Formulierung, der Ex-Generalintendant habe die Kündigung "erfolgreich angefochten" sei nicht zutreffend, so eine Sprecherin des Ministeriums.
Vielmehr habe das Schiedsgericht über die Rechtmäßigkeit der Kündigung gar nicht erst verhandelt, aufgrund der Bereitschaft beider Parteien zu der einvernehmlichen Trennung. Über deren Details sei allerdings Stillschweigen vereinbart worden. Daher könne man leider auch nicht sagen, ob und aus welchem Topf eine Abfindung bezahlt worden sei.
Abfindung floss aus Theateretat
Erst auf eine Kleine Anfrage der FDP im Landtag wird immerhin präzisiert: Der Schiedsspruch wurde zum 17. Februar 2022 rechtskräftig und war in der Tat mit einer Abfindung versehen. Diese sei bereits aus dem Etat des Staatstheaters getätigt worden und habe dessen laufenden Betrieb, pandemiebedingt, nicht eingeschränkt. Gut informierten Quellen zufolge hätten Spuhler aus dem aufgelösten Vertrag für die Jahre 2021 bis 2026 bei voller Erfüllung knapp 1,5 Millionen Euro zugestanden.
Am Staatstheater indes wird im März 2022 ein neues Leitungsmodell präsentiert. Dieses preist Ministerin Bauer als "Meilenstein für eine neue kollegiale Kultur des Miteinanders" an. Das enstpricht der Superlativ-Blumigkeit, mit der sie den "Zukunftsprozess" des angeschlagenen Hauses auch sonst kommentiert – möglicherweise um auszublenden, dass dieser Prozess nur existiert, um den Karren wieder aufs Gleis zu setzen, den sie durch ihre lange Nibelungentreue zu Spuhler an die Wand gefahren hat.
Faktisch führt dieser "Meilenstein" freilich einfach die ziemlich flugs eingeführte Interims-Struktur fort. Das künftige "Karlsruher Modell" ist ein Dreier-Gremium aus Intendanz, Geschäftsführender Direktion und einer dritten Person, "die aufgrund ihres Aufgabenprofils für das gesamte Theater Verantwortung trägt". Da man erst nach dieser Festlegung auf Intendantensuche geht, schrumpft der Kandidatenkreis auf Personen, die auch ohne kompletten Leitungs-Neustart nach Karlsruhe kommen, um ein Team mit dem amtierenden Geschäftsführenden Direktor Johannes Graf-Hauber (Vertrag bis 2025) sowie der Betriebsdirektorin Ute-Christina Deppermann (Vertrag bis 2026) zu bilden.
Präsentiert wird der künftige Intendant dann schneller als erwartet. Noch im März heißt es, die Entscheidung solle bald nach der Sommerpause fallen (und auch dies sei ambitioniert). Dann sitzt Ende Juli plötzlich Christian Firmbach in Karlsruhe auf dem Podium. Er ist seit 2014 Generalintendant am Oldenburgischen Staatstheater, wird seinen dort bis 2027 laufenden Vertrag vorzeitig verlassen und 2024 das Badische Staatstheater übernehmen.
Künftiger Intendant in Karlsruhe: Christian Firmbach © Stefan Walzel
Vorgestellt wird er von Bauer und Mentrup direkt im Anschluss an seine Wahl im Verwaltungsrat. Allerdings nur der Presse. Das Staatstheater selbst ist verwaist. Die Beschäftigten, deren wichtige Rolle im Zukunftsprozess die Ministerin sonst gern mit viel Wortgeklingel betont, sind bereits in den Ferien. Auch das Personal an Firmbachs derzeitigem Haus wird im Urlaub vom vorzeitigen Abgang seines Chefs überrumpelt.
Es ist schwer vorstellbar, dass es dem Prozess geschadet hätte, nach dieser langen Historie schwerer atmosphärischer Störungen nun zumindest im Sinne des angeblichen "neuen kollegialen Miteinanders" mit der Verkündigung dieser wichtigen Personalie bis nach den Theaterferien zu warten. Aber wahrscheinlich muss sich die Noch-Ministerin dann schon auf den OB-Wahlkampf in Heidelberg konzentrieren. Und was ist im Vergleich dazu schon ein Staatstheater?
Zum Autor: Andreas Jüttner leitet das Kulturressort der Badischen Neuesten Nachrichten in Karlsruhe. Er hat die Führungskrise am Badischen Staatstheater seit Juni 2020 mit zahlreichen Berichten, Interviews und Kommentaren journalistisch begleitet. Für seine Recherchen und Beiträge in der Causa stand er gemeinsam mit der der BNN-Onlineredakteurin Julia Weller auf der Shortlist der "zehn besten Lokal-Recherchen des Jahres" beim Nannen Preis 2021.
Medienschau vom 9. Juli 2022: Rhein-Neckar-Zeitung / Badische Neueste Nachrichten zur Einigung mit Ex-Intendant Peter Spuhler.
Presseschau vom 1. August 2020: Das VAN-Magazin mit einer großen Recherche zur Krise am Badischen Staatstheater Karlsruhe.
Interview vom 19. Juli 2020 mit der Karlsruher Schauspieldirektorin Anna Bergmann.
Kommentar vom 17. Juli 2020: Nach Verwaltungsratssitzung und Mitarbeiter*innen-Protesten – Peter Spuhler bleibt Generalintendant des Badischen Staatstheaters Karlsruhe.
Presseschau vom 28. Juni 2020 – In den Badischen Neuesten Nachrichten üben ehemalige Mitarbeiter*innen des Badischen Staatstheaters harte Kritik am Intendanten.
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Wahrscheinlicher ist, dass gekündigt wurde (um die Abfindung zu sparen?), die Kündigung angefochten wurde, vor dem Schiedsgericht nicht haltbar war und deswegen eine Abfindung gezahlt wurde. Also eher doch „erfolgreich angefochten“ - alles andere ist nicht plausibel.
Erst als das Personal demonstrierte hat man sich herabgelassen die Causa Spuhler anders zu betrachten. Wie arm ist das? Wie sollen die (immer noch gleichen) Führungspersonen in Stuttgart jemanden besetzen, wenn sie die Menschen am Haus überhaupt nicht berücksichtigen?
Leider war nicht zu erwarten, dass sie für die Spuhler-Nachfolge ab 2024 jemanden Innovativen mit Führungsstil und Kultur finden, da die entscheidenden Personen der Träger immer noch die gleichen sind.
Tragisch und wie jmd. anderes bei nachtkritik schonmal schrieb: "eine verpasste Chance".
Danke an den Gastautor Andreas Jüttner, dass er in Karlsruhe soviel zu diesem Thema aufgegriffen und die Missstände sichtbar gemacht hat.
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Liebe:r Hätte Hätte,
wir haben Ihren Kommentar leicht gekürzt, da er nicht überprüfbare Tatsachenbehauptungen enthielt.
Herzliche Grüße aus der Redaktion
miwo
Wie sollen wir Entscheidungen dieses Ministeriums jemals wieder vertrauen?
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Lieber Christopher Frantzen,
wir haben berichtet. Einen Teil unserer Beiträge finden Sie verlinkt im aktuellen Text bzw. darunter.
Herzliche Grüße
miwo