Nazi-Fucker, Fuck You!

25. August 2022. Schläge, Slang, Suff und Sex. Mit einer drastischen Performance-Installation eröffnen der Bildende Künstler Paul McCarthy und Ausnahmeschauspielerin Lilith Stangenberg die Saison am Hamburger Schauspielhaus.

Von Katrin Ullmann

Paul McCarthy und Lilith Stangenberg in "A&E / Adolf & Eva / Adam & Eve" am Deutschen Schauspielhaus Hamburg © Thomas Aurin

25. August 2022. Ist das schon Kunst oder noch schlechter Sex? Ein volltrunkenes Paar spielen Paul McCarthy und Lilith Stangenberg in "A&E / Adolf & Eva / Adam & Eve" am Deutschen Schauspielhaus Hamburg. Ein toxisches, das sich, kaum ist es ins eigene Zuhause gestolpert, unkontrolliert belitert, dabei beschimpft, bespuckt und besteigt. In der Küche, auf und unterm Küchentisch, später auf dem Wohnzimmerteppich. Es ist ein Paar, das sich hasst und begehrt, das sich liebt und ekelt, das sich küsst, schlägt und quält. Das sich bedroht, demütigt und mit viel, sehr viel rotem Lippenstift beschmiert. Das schreit, würgt, lacht, grunzt und miaut. Das sich vollpinkelt und ins Gesicht kackt, und sich dann beinahe liebevoll ein Midnight-Sandwich bastelt. Jede Menge Champagner gibt es auf der Bühne – im Kühlschrank jedoch steht fettarme Milch – und immer wieder Zigaretten. Stangenberg schmiert sich Mayonnaise auf ihre nackten Brüste, aus McCarthys Lederhose hängt ein schrumpeliger Penis. Die beiden spielen mal Adolf Hitler und Eva Braun, mal Adam und Eva, mal Filmproduzent und Schauspielerin und sowieso das Böse im Menschen. Ketchup spielt auch eine Rolle, außerdem ein Messer, ein Baseballschläger, eine Salatgurke und ein vierköpfiges Kamerateam.

Deutsche Schauspielerinnen können alles spielen!

"I am a German actress, I can do everything!", schreit Stangenberg immer wieder. Und all das, was sie und der amerikanische Künstler McCarthy – ein paar lose Adjektive gibt's für ihn und seine Arbeiten hier mit auf den Weg: aktionistisch, konsumkritisch, verstörend, provokativ, ironisch, sexuell aufgeladen, brutal und selbstzerstörerisch – auf der Bühne des Schauspielhauses dann performen, wird höchst kunstvoll aus unterschiedlichen Perspektiven gefilmt und auf zwei große Leinwände übertragen. Live heraus aus der Wohnung, die Sean Townley, entworfen hat und auf der Drehbühne langsam kreisen lässt. Einbauküche, Wohnzimmer, Bad: alles mit Anleihen aus den 80er Jahren. Von aschgrau über kastanienbeige bis kackbraun verschmiert.

adolf and eva1 Thomas AurinAdolf und Eva haben eine böse Liebesnacht: Paul McCarthy und Lilith Stangenberg © Thomas Aurin

Je nach Performance, denn diese variiert und entwickelt jeden Abend wohl eine neue, eigene Dynamik, sieht man also einem Paar mit ordentlich Promille im Blut und recht überschaubarem Wortschatz bei der gegenseitigen Zerstörung zu: "Fuck you, fuck you, motherfucker, cunt, dick, eat my shit, motherfucker, I hate you, Nazi-Fucker, fuck you." Dazu gibts viel Geschrei und Gewalt, einen Hauch Albees "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?", eine Prise aus Madonnas "Erotica" und Abgründe aus Cavanis "Der Nachtportier".

Verlässt man den Bühnenraum während der Performance, was explizit angeboten wird, hört man Foyergespräche über die rettende, nächstmögliche S-Bahn-Verbindung, die aktuelle Ausstellung im Bucerius-Kunstforum oder das Winterquartier der Alsterschwäne. Man blickt abwechselnd in leuchtende "Wow, das-ist-kann-darf-Theater?!!?"-Augen genauso wie in Gesichter, bei denen selbst das aufscheinende Fragezeichen zu gelangweilt ist, um eine Frage zu formulieren.

Krieg der Geschlechter

Es sei "eine Liebesgeschichte. Die Figuren von Adolf und Eva sind lediglich Kostüme", hatte McCarthy vorab in einem Interview über die Arbeit gesagt. Ein "Krieg der Geschlechter" hatte Stangenberg ergänzt. Stimmt. Offensichtlich. Und die "Tendenz zum Bösen" stecke ja in jedem von uns. Stimmt ebenfalls. Habe ich gerade wieder auf dem Nachhauseweg vom Theater gemerkt, wo mir – fahrradfahrend – fünf Mal die Vorfahrt genommen wurde. Mmh, nur wenige Fragen bleiben an diesem Abend leider offen: Ist die Erdnussbutter für die Theaterkacke eigentlich creamy oder crunchy? Und der Leberwurstpenis bio? Oder vielleicht sogar vegan?

 

A & E / Adolf & Eva / Adam & Eve
Performance-Installation von und mit Paul McCarthy & Lilith Stangenberg
in englischer Sprache, ab 18 Jahren
Director of Photography-Dop: Eric Treml, Dramaturgie: Henning Nass, Video-Regie: Damon McCarthy, Produktionsleitung: Dylan Huig, Live-Kamera: Ryan Chin, Damon McCarthy, Eric Treml, Erick Wilczynski, Standphotography: Alex Stevens, Make-up und Special Effects: Lancel Reyes, Make-up und Special Effects Assistenz: Brad Hardin, Ausführendes Bühnenbild: Sean Townley, Requisite und Bühnenbild-Assistenz: Trevor Rounseville, Bühnenbild-Assistenz: Michael Gonzales, Kostüm-Assistenz: Molly Tierney, Ton-Beratung: Dean Lee.
Mit: Paul McCarthy und Lilith Stangenberg.
Premiere am 24. August 2022
Dauer der Aufführung: variabel

www.schauspielhaus.de

Kritikenrundschau

"A&E" sei "ein widerlicher Theaterabend", schreibt Stefan Grund in der Welt (25.8.22). Aber "die Vergewaltigung der Sinne durch die beiden Performer" schaffe "Bilder, die Spuren hinterlassen". Am Schluss seiner Rezension fragt der Kritiker rhetorisch, was uns die Aufführung sagen solle – und antwortet mit einem Zitat von Performer und Regisseur Paul McCarthy: "Auch ich weiß manchmal nicht, was meine Werke bedeuten sollen. Aber genau dazu ist Kunst ja da. Es gibt sie einfach und man muss damit klarkommen."

Die Dialoge des Abends seien "in ihrer Komplexität übersichtlich", findet Maike Schiller im Hamburger Abendblatt (26.8.)22. Sie lauteten "Fuckfuckfuck, Cunt, Motherfucker, Slut, Dick, fucking Prick, Nazi, Fuckfuck" – was "im Übrigen auch ganz gut einer Inhaltsangabe" entspräche. "Gerdezu verzweifelt" wirke "das Provokationsbemühen dieser immer derangierteren Gestalten", findet die Kritikerin – und denkt während der Aufführung an die postperformative Bühnenreinigung: "Wer hier am Ende druchfeudeln muss, hat gut zu tun."

Die Performamce "schockiert, erzeugt maximalen Ekel – und begeistert jenen Teil des Publikums, der bis zum Ende druchhält", urteilt hingegen Pia Steinhaus in der Hamburger Morgenpost (26.8.22). Der vom Film "Der Nachtportier" inspirierte Abend über die sadomasochistische Beziehung zwischen einem SS-Offizier und einer KZ-Insassin übernehme aus der Vorlage "die gegenseitige Gewalt", wogegen der Text "eine deutliche Vereinfachung" erführe.

Man könne durchaus behaupten, "dass dieser Abend zu dem Extremsten gehört, was seit langer Zeit im deutschen Theater zu sehen war", schreibt Till Briegleb in der Süddeutschen Zeitung (29.8.22). Die Inszenierung wolle sich "keinerlei Illusionen (darüber) hingeben", dass "unter der attraktiven Oberfläche der Wohlstandskultur mit ihren Schmerzorgasmen des Hollywood-Kinos und der Weltnachrichten" eine "Anderswelt der Verrohung" wuchere. Bei allem "Extrem-Porno" gehe es McCarthy jedoch um eine "Friedensbotschaft" und die Möglichkeit einer "weniger kaputten Gesellschaft", so der Kritiker.

"Aus ei­nem ge­wis­sen Ab­stand be­trach­tet", so Peter Kümmel in der ZEIT (1.9.2022), "er­scheint der wi­der­stän­di­ge, das Zaum­zeug von Scham und Rein­lich­keits­er­zie­hung ab­wer­fen­de Künst­ler Mc­Car­thy wie ein zwar re­gres­si­ves, aber folg­sa­mes Kind, das sei­nen Zeu­gen un­be­dingt zei­gen will, was es 'ge­macht' hat". Ihren "auf­stän­disch-re­vo­lu­tio­nä­ren Ges­tus" habe die Performance allerdings "verloren". Er wirke "wie ei­ne Jahr­markt­sen­sa­ti­on", deren "Freaks" sich "bei ei­ner ex­tre­men Form der Ein­kehr und Selbst­ver­ge­wis­se­rung zu­se­hen" ließen.

Kommentare  
A&E, Hamburg: Faschismus
Liefert Pasolini mit seinen 120 Tagen von Sodom zu diesem Thema nicht den besseren Film? Klar, es ist live und performativ aber das allein ist noch nicht so viel.
Oder anders, kommt wahrscheinlich auf vielen Porno Sets vor.
A&E, Hamburg: Eleganz
Wie schön, dass die Kritikerin sich von der "Tendenz zum Bösen" nicht mitreißen ließ! Wohl selten wurde so viel Kacke mit so viel Eleganz beschrieben. Der Text macht glatt Lust, sich das Stück anzutun… schon allein wegen der Foyergespräche. Fabulous!
A&E, Hamburg: Frage
Kann man auch nur ins Foyer kommen?
A&E, Hamburg: mehr davon
Der Text macht glatt gar keine Lust, sich DAS DA anzutun. Aber ihn zu lesen ist lustvoll. Insbesondere die letzten Zeilen. Bitte öfter solche wunderbare Lakonie!
Nur mit ihrer Hilfe kann so manches (auf dem Theater) überstanden werden.
A&E, Hamburg: Flatulenz
Diese Provokationsrakete zündet nicht, sondern verpufft wie ein lauer Furz. Selten dämlich, so etwas auf die Grosse Bühne zu holen.
A&E, Hamburg: Grandios und selbstgewählt
Selten eine so grandiose schauspielerische Leistung gesehen. Was Lilith Stangenberg und auch Paul McCarthy machen, muss man sich unbedingt ansehen!
War Susanne Lothar 1988 am Hamburger Schauspielhaus als Lulu wirklich noch nackt, ist es nun ermächtigend zu sehen, wie selbstgewählt und geschützt Stangenberg trotz ihrer Nacktheit hier spielt.
A&E, Hamburg: Frage
Was ist eine Ausnahmeschauspielerin?
A&E, Hamburg: Ausnahmeschauspielerin
Grenzen überschreiten, nicht angepasst sein und konsequent arbeiten.
Alles andere ist nur angepasstes Funktionieren!
A&E, Hamburg: Nein und ja
Premierenabend: Grandioser Beginn, begeistert über das extrem prollige, aber irgendwie geniale Spiel der Beiden.
Nach einer Stunde musste auch bei uns einmal die Flucht ins Foyer sein…
Den tieferen Sinn des Stückes konnten wir noch nicht erkennen.
Dann wieder zurück und den Rest des Massakers erleben. Mit gemischten Eindrücken das Haus verlassen.

Und dann, erst mit etwas Abstand, wurde mir die Botschaft klar:
Nach McCarthy gehören zu einem Machtmissbrauch alt/ jung, Mann/ Frau -oder was auch immer- immer zwei Personen, das immer weiter Hineinsteigern in Ekstase oder Gewalt muss von beiden Seiten befördert werden. Ohne beiderseitige Beteiligung würde es sich sofort totlaufen.
Und
Sieger:in kann auch die körperlich schwächere Person sein.

Auch wenn ich diese Sichtweise nicht teile, wurde sie künstlerisch sehr eindringlich performed.
Und damit muss ich mit etwas Abstand doch sagen: das Stück hat sich gelohnt.
A & E, Hamburg: Ausnahme
Hallo !
Ausnahme- Schauspieler sind für mich auch eben diese , die einem ausnahmslos immer wahnsinnig auf die Nerven gehen , weil sie immer Ausnahme- Schauspieler spielen , die eben nicht nur funktionieren. Oder eben ausnahmsweise mal nicht . Das ist aber leider selten .
A&E, Hamburg: Verdammt realistisch
Was habe ich gesehen? Wie verhalte ich mich zu dem Gesehenen? Welche Schlüsse ziehe ich daraus? Ich habe eine reale Beziehung zwischen Paul MC Carthy und Lilith Stangenberg gesehen, die, bei dem was sie zeigen, gewachsen sein muss. Was sie zeigen, halte ich für extrem, freilich Dutzende Male eingeübt. Das, was in der Übung und darüber hinaus gewachsen ist, ist nichts Weniger als eine nicht nur körperliche Beziehung zwischen einem 77-jährigen Künstler/Mann und einer 43 Jahre jüngeren Schauspielerin/Frau. Das zu erleben, ist etwas Besonderes, ein glücklicher Moment. Im Prinzip scheren sich die beiden nicht ums anwesende Publikum, das ganz von außen und einer nicht allein für es bestimmten Produktion zuschaut. Es werden von der Performance Film- und Fotoaufnahmen angefertigt, die wohl später zu weiteren Kunstprodukten werden. Ja, ich habe mich beim Beiwohnen der öffentlichen Dreharbeiten gelangweilt. Intellektuell scheint mir die Performance jedoch Denkanstöße zu bieten, die sich in den von mir gelesenen Rezensionen zu meinem Bedauern nicht ausreichend gespiegelt finden.
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