Der Tintenfass-Eklat

13. September 2022. Der neue König Charles III. haderte bei der Unterschrift vor dem Accession Council aufs Schönste mit dem Tintenfass auf seinem Schreibtisch, bis er es mit so herrischer wie kindischer Geste abräumen ließ. Eine heikle royale Performance, die viral ging ging und als "telling" vielfach kommentiert wurde.

Von Janis El-Bira

13. September 2022. Manchmal scheint es, als könnten selbst große Sinnzusammenhänge wie durch magische Fügung auf kleinste Gesten zusammenschnurren. Dem neuen britischen Monarchen ist ein solcher Moment gleich in der ersten, an symbolträchtigen Akten denkbar reichen Woche seiner Regentschaft "geglückt". Beim Eid vor dem "Accession Council" haderte er in einer Szene von schönster theatraler Delikatesse lange mit den umständlich ausgelegten Utensilien auf dem Schreibtisch seiner Unterschriftsleistung. Wie bloß herankommen an diese riesigen Urkunden? Wohin mit den üppig dimensionierten Tintenfässern? Und immer war da auch eine blöde Stiftablage im Weg, sodass Hand und Unterarm keinen Platz finden wollten.

Ein Mensch, der seine Position auf Erden nicht direkt von Gottesgnaden ableitet, hätte sich womöglich Platz verschafft, indem er eine der Mappen kurzerhand ans Tischbein gelehnt hätte. Weil das im gegebenen Kontext allerdings nicht ganz so "solemn" und "dignified" gewirkt hätte, wie die britischen TV-Kommentar:innen dieser Tage jeden Schritt der Königsfamilie beschreiben, verlor Charles III. nach mehreren gescheiterten Umsortierungsversuchen kurz die Fassung – oder vielmehr: Fand scheinbar ganz zu seinem gottgegebenen Königsein.

Heikle Perfomance

Mit einer Handbewegung ähnlich jener, mit der andere ihre Frühstückskrümel vom Tisch schubsen, ließ er zunächst die Tintenfässer und anschließend, jetzt bereits mit gebleckten Zähnen, das Schreibset des Horrors vom Tisch räumen. Purer Boulevard und ein Moment, der ihm in den sozialen Medien gleich sein erstes Meme als Regent einbrachte. Zigtausendfach wurde der kurze Ausschnitt seither geteilt und kommentiert. Meist allerdings keineswegs aus Spaß über die Umständlichkeit der gesamten Aktion, sondern – wir sind schließlich bei Twitter und Co. – mit beinahe schockiertem Unterton.

Wer sich derart herrisch und zugleich so kindisch gibt, dass er nicht einmal ein paar Gegenstände eigenhändig herumschieben kann, verdiene keinen Respekt, hieß es da. Die Szene sei "telling", sage also viel über den Charakter des neuen Königs und den unüberbrückbaren Abstand zwischen der Monarchie und ihrem, also dem gewöhnlichen Volk. Kurioser noch erschien da die entschuldigend beigefügte Erklärung anderer, man müsse doch Nachsicht haben, schließlich habe der arme Mann gerade seine Mutter verloren.

Ähnlich setzte zunächst auch die Kommunikationswissenschaftlerin und nachtkritik.de-Kolumnen-Kollegin Natasha A. Kelly in einem Gespräch im Deutschlandfunk Kultur an: Auf persönlicher Ebene könne sie verstehen, dass man um den Verlust der Mutter oder Großmutter trauere - die Monarchie mit all ihren blutigen Verstrickungen in Kolonialismus und Rassismus gehöre aber dennoch kritisiert.

In Zeiten schwindener Wirkungsmacht

Damit benennt Kelly zu Recht, dass das grundsätzliche Problem mit den Royals natürlich nicht in erster Linie im irritierenden Verhalten gegenüber dem Dienstpersonal zu suchen ist. Sich über letzteres wechselweise zu empören oder es wegen der besonderen Trauersituation als lässlich zu betrachten, führt letztlich vor allem das performativ Heikle des royalen Amtes vor: Wie ein:e Schauspieler:in soll auch der König sein und tun wie wir - aber eben nicht zu sehr. Weil beide nicht für sich alleine stehen, weil mit ihnen immer auch ein Drittes auf der Bühne anwesend ist. Ob demnach der kleine Tintenfass-Eklat des Monarchen als Teil einer Herrschafts-Performanz zu verstehen ist oder nicht vielmehr einen unbeherrschten Einbruch des Realen markiert, bleibt hier wie im Theater offen. Sicher ist aber, dass in Zeiten schwindender Wirkmacht der (Theater-)Königlichen auch das symbolische Kapital klug eingesetzt werden will.

 

Kolumne: Straßentheater

Janis El-Bira

Janis El-Bira ist Redakteur bei nachtkritik.de. In seiner Kolumne Straßentheater schreibt er über Inszeniertes jenseits der Darstellenden Künste: Räume, Architektur, Öffentlichkeit, Personen – und gelegentlich auch über die Irritationen, die sie auslösen.

mehr Kolumnen

images/stories/kolumne/visuals_2023/23_NAC_kolumnen_einzel_hussein_2x2.png
images/stories/kolumne/visuals_2023/23_NAC_kolumnen_einzel_hussein_2x2.png
images/stories/kolumne/visuals_2023/23_NAC_kolumnen_einzel_hussein_2x2.png
images/stories/kolumne/NAC_Illu_Kolumne_Kasch_2x2.png
Kommentare  
Kolumne El-Bira: Blitzübernahmenglück
Mich wundert, dass bei einer durch Beobachtung und Zuschauen getriggerten Kolumne im Rahmen eines Fachforums für inszenatorische Phänomene wie nachtkritik so ungenau hingesehen und so sehr eine Bühnenwirklichkeit zugunsten von spekulativen Subtextunterstellungen geleugnet wird.
Der Königsanfänger Karl 3 (nicht einmal hundert Tage in der Rolle, quasi: Blitzübernahme) sieht sich einer Bühnenbild- und Requisitenanordnung gegenüber, die der anstehenden situativen Aufgabe des doppelten Federstrichs konträr entgegensteht: Der Tisch zu klein, die zu autographierenden Dokumente zu groß, die Anordnung der Schreibgeräte wirklichkeitsfremd. Dazu der enorme Druck der Übernahmesituation, sowie Bühnenkolleg:innen, deren Killerinstinkt außer Frage steht – vor ihm stehen u.a. Johnson, May, Brown, Cameron, hinter ihm Truss, William und sogar die Darstellerin der Gattin.
In dieser Situation gibt Karl dem technischen Bühnenpersonal vorausschauend dezente gestische Hinweise zur Entfernung der Requisite Tintenfass-Menage. Da das Gewerk der Requisiteure und Stage-hands jedoch untätig bleibt, schiebt er die Requisite selbst zur Seite, was jedoch unbefriedigend bleibt. So dass der König tief in die Kiste seines Darstellungsrepertoires aber auch eines „private moments“ (Strasberg) und öffnet die „Schatzkiste seiner Emotionen“ (Stanislawski) und unterstützt seine Gestik des „Entfernt diese Requisite“ mit einer lautlos kläffenden und die zähne fletschenden Tierdarstellung oder wahlweise Karikatur der schimpfenden Mutter (Lisbeth 2). Dieser extreme Darstellungsaufwand zeigt die königliche Not und Versagensangst – und alles weniger als dynastische Verstricktheit in kolonialistische Gräueltaten.
Karl 3 tut, was die Rolle verlangt, was ihr NEED ist (auch um die Kollegenschaft zu neutralisieren und seine Handlung durchzuziehen – gleichzeitig baut er einen Widerspruch oder Fehler ein, der fast schon brechtsche Verfremdungsdimensionen innerhalb der abspulenden Heraldik der zugegeben doch leicht altbackenen, aus der Zeit gefallenen Inszenierung ist.
Ich zitiere Uta Hagen mit britischem Akzent: „..A NEED TO EXPRESS what one has sensed and felt in the concrete terms of the characters with whom one will identify..“ (Uta Hagen, A Challenge for the Actor).
Alte Bühnenbinsenweisheit sagt im übrigen, dass es Requisiten-Schauspieler gibt, und solche, die sich schwer tun mit dem Requisitenspiel. Der dritte Karl gehört eher zur zweiten Sorte.
Über Kolonialismus und die Berechtigung einer Monarchie im 21. Jahrhundert in Großbritannien reden wir dann noch gesondert.
Kolumne El-Bira: Lange lebe der König!
Ein Tintenfass!? Es geht also tatsächlich um ein Tintenfass, während die BRD wahrscheinlich vor einer ihrer größten Krisen steht, wahrscheinlich schon mitten drin steckt. Das strapaziert meine Nerven. Luther hat es wenigstens noch gegen die Wand gefeuert! Charles lediglich sein Gesicht verzogen. Helfen Grimassen eigentlich auch gegen Energiekrisen und Klimawandel? Nein. Und dennoch findet die Theaterwelt anscheinend genug Zeit für einen Tintenfasskandal. Chapeau. Soviel Zeit muss dann wohl doch sein. Eventuell sollten wir erst für das Ende der britischen Monarchie kämpfen, bevor wir Frieden in der Ukraine fordern. Man muss eben Schwerpunkte setzen können. Und Waffenlieferungen sind alle mal spannender als Waffenstillstandsverhandlungen. Was ist schon der westfälische Frieden gegen die Niederschlagung der russischen Armee oder ein royales Tintenfass?! Lang lebe der König! Hurra! Hurra! Hurra!
Kolumne El-Bira: Tintenfässer selber schieben
Charles hätte das Tintenfass auch einfach selbst zur Seite rücken können - so etwas ist möglich für jeden Menschen - auch für einen, der den Titel König tragen will - die Geste zeigt, dass er sich in der Situation glaubt, dass er nichts, nicht einmal die banalste kleine Handlung selbst ausführen muss, sondern, dass ihm alles, absolut alles von seinen Dienern, von seinem Volk abgenommen wird. Das Volk zahlt ihm unglaubliche Summen, zahlt ihm Schlösser, erlässt ihm die Erbschaftssteuer, und dient ihm und muss sich von ihm auch noch herabwürdigend behandeln lassen. Wer in England friedlich ein Pappschild hochhält mit der Aufschrift "not my king" wird von der Polizei festgenommen und abgeführt - das sollte in keiner Demokratie möglich sein. ZDF und ARD sind voll von monarchiebesoffenen Berichten darüber, wo sich der Sarg gerade aufhält, grundsätzlich sind deutsche Medien voll mit Überschriften wie "Die Welt trauert um Elisabeth" ... es ist aber nur der die Monarchie stets romantisierende globale Norden, der trauert. Bereits in Irland skandieren die Massen "Lizzy's in a box" - die Opfer des monarchistischen Kolonialregimes trauern nicht um eine Frau, die die Symbolfigur für ein blutiges Konlonialsystem war. Charles kann seine Tintenfässer gefälligst selbst zur Seite schieben. Er sollte auch keine millionenhohen Summe dafür bekommen, dass er repräsentative Aufgaben wahrnimmt, die ein gewählter bürgerlicher Politiker übernehmen könnte für einen Bruchteil der absurd hohen Summen, die er und seine Familie einstreichen. Kurzum: Die Monarchien gehören weltweit abgeschafft und jeder, der in diese romantisierende Verklärung dieses absurden Unrechts einstimmt, die dazu dient, das Unrecht zu verharmlosen, dass darin besteht, dass eine Familie all diese Privilegien und Unsummen ans Geld zugesprochen bekommt und Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen darf, ohne gewählt zu sein, macht sich schuldig daran, dass dieses Unrecht fortbesteht.
Kolumne El-Bira: Viel abstrakter
Ich betrachte das alles sehr viel abstrakter. Es ist eine, für die heutige Zeit, unglaubliche Respektbezeugung. Ein Leichnam wird durch das ganze Land gefahren und aufgebahrt. Ein Samttuch liegt über dem Sarg. Eine Krone für einen Menschen obendrauf. Für eine Frau. Und das in Zeiten, in denen überall achtlos Leichen produziert werden. Sicherlich, es hat lange gebraucht, bis ich verstanden habe, wie identitätsstiftend dieser Mensch war und was für eine verbindliche Funktion diese britische Monarchie hat. Auch ich sehe und empfinde wie viel Leid mit diesem Empire verbunden ist. Um so mehr interessiert mich, ob die Monarchie dort weiterhin wandlungsfähig ist. Ich interpretiere die Gesten von Charles vollkommen anders, wenn er sagt: Ich hasse dieses Ding! Und meint damit einen auslaufenden Füllfederhalter. Eventuell fegt er mit seiner kleinen Handbewegung nicht nur ein Tintenfass weg, er wedelt auch ungeliebte Rituale fort. Wir werden sehen. Und doch bin ich enttäuscht, dass er sein Amt nicht gleich an seinen Sohn weitergegeben hat. Auch mag ich den Konflikt um Meghan Markle. Es interessiert mich, wie er enden wird. Es ist einfach ganz großes Theater und Kino. Ich betrachte es gerne, aber mit großem Schauer und Entsetzen.
Kolumne El-Bira: Chapeau!
@#1: Großartiger Kommentar, ich bin begeistert! Super beobachtet, gedacht und formuliert! Ich glaube, das ist der beste Leserkommentar, den ich je gelesen habe! Ich freue mich schon auf gesondertes Reden, hoffentlich bald.
Kommentar schreiben