Bevor die nächste bubblé platzt

17. September 2022. Warum glauben wir ans Geld? Bonn Park hat einen ziemlich unterhaltsamen Erklärversuch vorgelegt und erzählt von Männern im Milliardärs-Barock, die einfach nicht begreifen, warum schon wieder eine Blase geplatzt ist. Kann da ein Fabeltier helfen?

Von Jürgen Reuss

"Der Phönix aus der Währung" in Basel © Lucia Hunziker

17. September 2022. Der elektroaufgepoppte Schweizer Schlagersänger mit kunstfigürlicher Texttiefe Dagobert tritt im feuerroten Barockkostüm mit Goldperücke und goldgeflügeltem Retromikro vor den roten Vorhang des Basler Schauspielhauses und nimmt uns kaukasische, "pussy"-liebende Geldsäcke mit ins Herz der spätbarocken décadence aller derer, die über Geld nicht mehr nachdenken müssen. Der Vorhang hebt sich und wir sind mittendrin im ästhetischen Kosmos eines nach Plänen des originalen Sonnenkönigs eingerichteten Trump Towers: ein marmornes Halbrund mit Balustrade und Treppenaufgang vor Schlachtengemälde, davor links eine goldene Whirlpoolanmutung "avant la fünction", rechts ein kleines Barockorchester inklusive Cembalo.

Wenn das goldene Herz "büm" macht

Darin verteilt das ebenfalls goldperückte Ensemble in Kostümen, wie sich nach oben gerüpelter Geldadel spätversaillenen Chic fantasieren mag. Es macht den Eindruck, als hätten Bühnenbildnerin Julia Nussbaumer und Kostümbildnerin Sina Manthey Spaß gehabt, mal eine Visitenkarte für die Einrichtung des nächsten Diktatorenpuffs oder Superstaranwesens komplett mit Bär- und Bullenstatuen abzugeben, den Säulenheiligen der Hochfinanzreligion.

 Phoenix1 805 LuciaHunzikerNeobarocker Edelpuff: Hier gilt's dem Geld © Lucia Hunziker

Konsequenterweise wird in Bonn Parks Basler Uraufführung seines neuen Stücks "Der Phönix aus der Währung" zunächst nur gesungen, wie zu Monteverdis Zeiten, als die Rollen den Potentaten noch buchstäblich auf den Leib geschrieben wurden. Wen sollte man ab einem gewissen Abgehobenheitslevel anders verkörpern wollen als sich selbst? Zur Einstimmung eine vom Kleinorchester begleitete denglische Proll-Rap-Kantate – "Ich bin connected in Chicago". Aber dann wird sofort auf eine wunderbar gesetzte deutsch-französische Kunstsprache geswitcht – wie nennt man dieses anderssprachige Denglisch eigentlich? Freutsch? Egal, die Mimen machen das prima, wenn sie vom Auf und Ab des Finanzmarkts tirilieren und sich vor der nächsten "bubblé" fürchten, die zu platzen droht. Nicht, dass man ab einer gewissen großen Zahl noch Angst vor Börsen oder so etwas hätte, aber über irgendwas muss man ja parlieren, bei irgendetwas muss das Herz ja noch mal "büm" machen dürfen, oder?

Geld, das stets das Gute schafft

Aber dann tritt der Wunderknabe auf und mit ihm der titelgebende Phönix aus der Währung. Das gesungene Großspaßkabarett als neue Volkshochschule, wie es vielleicht auch ein Jan Böhmermann oder John Oliver inszeniert hätte, kippt mit dem Abschied vom reinen Gesang in eine trotz aller Unterhaltung doch etwas langatmigen Sendung-mit-der-Maus-Belehrung über die Willkürlichkeit von Geld. Man lernt viel über die anstrengende Fantasieleistung, einem Papierzettel mit einer Zahl drauf wirklich Wirkmacht zuzusprechen.

Phoenix2 805 LuciaHunzikerIm Intrigenstadl der Ellenbogen-Ökonomie © Lucia Hunziker

Später wird einem noch die Unvorstellbarkeit von großen Zahlen nahegebracht, auf deren Unverständnis letztlich unser ganzes planetares Elend beruht. Es werden die magischen Rituale, die mit jeder Geldschöpfung verbunden sind – im Realen allerdings heute nur im Unsichtbaren – in einer Phönixfederchoreographie veranschaulicht. Und schließlich lässt er sich tatsächlich vom Bühnenhimmel herab, der Phönix aus der Währung, der das rein Imaginäre von Geld dazu nutzt, sich Währung fortan als etwas zu imaginieren, dass nur das Gute schafft. Wer kann da schon Nein sagen? Selbst die Herzen der versammelten spätbarocken décadence machen noch einmal büm, stimmen der Selbstvernichtung des superreichen Promilles zum Wohl der Vielen zu und Dagobért schnulzt schön von der Liebe.

Der Blick vom Milliadärs-Olymp

Insgesamt ist das trotz gelegentlicher belehrender Längen ein stimmiger, anregender Theaterabend mit plausibler Grundkonstruktion. Schließlich hatte im Barock vom ersten Aktienleerverkauf über Papiergeldeinführung und der berühmten geplatzten Tulpenbubblé der gesamte Finanzkapitalismus seinen Stapellauf. Die heutigen Milliardärskasten schauen eher von noch entfernteren Herrscherhöhen aufs niedere Volk herab, wenn sie denn den Blick überhaupt in Niederungen richten mögen. Auch harmonisch ist es vom Barock zum Schlagerpop ja wirklich nur ein Katzensprung. Und es würde nicht wundern, wenn die freutschen Schlagerkantaten ausgehend von Basler Theaterdonatoren langsam in den höheren Societysphären zu zirkulieren begännen. Achten Sie in Zukunft mal darauf, ob die ein oder andere bubblé cassé von oben in die Sprachniederungen abzusinken beginnt.

 

Der Phönix aus der Währung
von Bonn Park und Ben Roessler
Uraufführung
Inszenierung: Bonn Park, Komposition: Ben Roessler, Bühne: Julia Nussbaumer, Kostüme: Sina Manthey, Licht: Vassilios Chassapakis, Dramaturgie: Michael Gmaj.
Mit: Eva Bühnen, Fabian Dämmich, Lioba Kippe, Fabian Krüger, Dagobert, Flamur Blakaj, Elena Marieke Gester, Jonathan Fink; Barock-Ensemble: Louise Acabo, Emma-Lisa Roux, Sepideh Nikoukar, Giulia Manfredini, Laura Esterina Pezzoli, Karin Hannisdal.
Premiere am 16. September 2022
Dauer: 1 Stunde 25 Minuten, keine Pause

www.theater-basel.ch

 

Kritikenrundschau

"Viel Getue um wenig Inhalt" sah Kritiker Michael Laages, wie er im Deutschlandfunk Kultur berichtet (16.9.2022). Um Aktien, Börsen, Betrügereien ginge es überhaupt nicht. Eine "hochgradig absurde Veranstaltung" sei diese Inszenierung, vor allem, weil Bonn Park mit einer "hanebüchenen Verantwortungslosigkeit und Oberflächlichkeit" über alles, was mit Sozialem und Geld zu tun habe, hinweggehe. All das bliebe ihm beim Zuschauen "wahnsinnig fern", berichtet der Kritiker. Auch sei da ein "zusammengeschusterter Text" zu erleben, bei dem man nicht glaube, dass ein Absolvent des Szenischen Schreibens sein Autor sei – sondern eher ein Studien- oder gar Schülerautor, der sich "etwas zusammenfantasiert". Das Ensemble singe "einigermaßen ordentlich", aber die Geschichte entwickele sich nicht in irgendeiner Weise dramatisch. "Das ist so ein Gewurschtel", ruft der Kritiker und glaubt, dass es "absichtlich irreführend" sei. Für Michael Laages ist der Autor Bonn Park ingesamt "wahnsinnig überschätzt".

Als großen Spaß betrachtet "diese so spielfreudig servierte märchenhafte Finanzspekulation" René Zipperlen von der Badischen Zeitung (18.9.2022). Ben Roesslers Raps und Arien hätten einen tollen Sound, und wie in der Barockoper seien "die Affekte zu gespreizten Gesten bunt koloriert ('Ich lüge nie-hi-hi-hi-hi- hi-hie')". In seinem "unbekümmert ideologiefreien Abgesang auf den Geldfetischismus" fühle Bonn Park dem blasierten Bonzenpöbel auf den Zahn. Der Phönix gerate zwar aus dem Flow, wenn es ans Erklären gehe, und die Figuren drohten sich in der Thesenarena müde zu laufen, aber das Flügelwedeln dreier schlussendlich majestätisch vom Bühnenhimmel schwebender Gestalten wischt das Grummeln des Rezensenten beiseite.

90 Minuten Gaudi haben Vivana Zanetti, Raphaela Portmann und Gilles Eichenberger von der Basler Zeitung (17.9.2022) genossen. Bonn Park und seine Mitstreiter:innen beherrschten "die Kunst der Theatermagie auf höchstem Niveau", machten sie doch gleich in der ersten Szene klar, wie etwas rein Imaginäres als etwas Reales vorgestellt werden könne – ob unsichtbare Ziege auf der Basler Bühne oder der Wert eines Geldscheins. "Bonn Park schafft es mit diesem Stück, eine scharfe Kritik an unserer westlichen Gesellschaft zu üben, ohne den Zuschauenden vor den Kopf zu stossen", so die BaZ-Autor:innen. "Nach Brecht’scher Manier schafft Park eine Welt, die ästhetisch so weit von unserer Lebensrealität entfernt ist, dass der aktuelle Bezug zwar klar erkennbar ist, man dennoch aber mit einer gewissen Distanz dem Spektakel zusehen kann."

Lob für die Bühnenpracht und das Barock-Ensemble in diesem "Panic Room der Geldwirtschaft" spendet Dominique Spirgi von der BZ Basel (17.9.2022). Die Opernrezitative im Stile von Jean-Baptiste Lully seien "erst einmal ganz witzig", auch wenn einige Schauspieler:innen an ihre gesanglichen Grenzen gerieten. Die geschwätzige Panik über den drohenden Absturz ufere dann in eine Kapitalismus-Vorlesung für Dummies aus. "Was will uns Autor und Regisseur Bonn Park mit diesem 'Finanzthriller mit Gesang und Musik', so der Untertitel, sagen? Die naive Quintessenz, dass die Macht des Geldes die Welt nicht zum Guten wendet, kann ja nicht alles sein. Oder etwa doch?"

 

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