Schön, wenn es trotzdem weiter geht

von Sabine Leucht

München, 10. Dezember 2008. So könnte es immer, immer weiter gehen: Mit dieser mal betörenden, mal verwirrenden Mischung aus kritischer Zeitgenossenschaft und entfesseltem Blödsinn, auf die das Pathos Transport Theater seit gut vier Jahren ein Patent hat. Hier ist der Ort, wo in München auf Gedeih und Verderb experimentiert werden darf, ruhig auch mal schnell und schmerzhaft. Hier wird alles zum theatralen Akt geadelt, was gegenwärtig juckt und brennt. Und weil dieser mit seinem maroden Charme so unmünchnerische Ort inmitten eines potentiellen Abbruchgebietes liegt, und weil sich das Team um Angelika Fink und Jörg Witte stetig um überregionale Vernetzung bemüht, zieht die Sorge um die Zukunft dieser Bühne inzwischen weite Kreise.

Dabei hat das Damoklesschwert praktisch schon immer über ihr gehangen. 2004 hieß das Spielzeitmotto "Raum erobern", 2005  nur noch "Zeit gewinnen". Danach ging es unter folgender schöner Prämisse weiter: "Wir werden uns ganz besondere Mühe geben, den Abschied vom Pathos so lustvoll zu gestalten, dass sein Fehlen bemerkt werden kann."

Das Wunder ist möglich

Der Abriss des ehemaligen Luftschutzbunkers, einst eine Straßenbahnreparatur-werkstatt, war für Juni 2008 schon beschlossen. Doch mittlerweile heißt Münchens Kulturreferent Hans-Georg Küppers, der Mietvertrag bis 2010 steht, ein kleines, feines Festival ist gerade über die neue Bühne "Schwere Reiter" gegangen und just am heutigen Donnerstag beginnen Gespräche über die eventuelle Nutzung weiterer 600 Quadratmeter an der Dachauer Straße.

Verlaufen sie wie vorgesehen, wäre das für die gesamte freie Szene der Stadt eine Sensation. Denn so etwas wie ein Performance-Zentrum gibt es in München nicht und könnte hier entstehen: auf einem sterbenden Areal, das – weitgehend ungenutzt – in vollen Zügen Geschichte atmet.

Schön also, dass der Gedanke ans Ende des Pathos Transport Theaters im Moment mindestens zwei Jahre weit weg ist. Und schön auch, dass sich Susanne Schroeder und Judith Huber dennoch einen wundervoll versponnenen Theaterabend lang auf die Spuren verschwindender oder bereits verschwundener Gebäude geheftet haben. "What the building saw - Eine Ermittlung" ist ganz grob nach dem Muster des (Münchner) "Tatort" gestrickt. Es ermittelt das Duo Schroeder und Huber – und für das Bild ihrer großen Vertrautheit ist es fast ein Segen, dass Erstere bei der Premiere nicht bei Stimme ist.

Leicht korrupt, herrlich tapsig

Schroeder spielt also stumm, wenn auch wild gestikulierend, und die Kollegin kommentiert, entgegnet und führt das Ungesagte weiter. Furios, wie nonchalant Judith Huber das macht und wie die beiden – zeitweise zu Fuß in einem silberlackierten "Auto"-Karton unterwegs – durch dieses Zwiegespräch zusammenwachsen. Das neue, rotweiße Büro der weiblichen Batics und Leitmeyers der Gebäudekriminologie hat die Stararchitektin Hilde entworfen, die Barbara Wurster mit übergroßem Wichtig-Wichtig-Getue der real exisitierenden Professorin nachgebildet hat, die für die Veranstaltung auch echte Architekturstudenten spendierte.

Der Zuschauer der wundersamen Geschichte erfährt unter anderem, dass hässliche Bauten zu akuter Netzhautablösung beim Betrachter führen und man Fläschchen mit geheimnisvollen Architektur-Verzauberungs-Tinkturen nur austrinken sollte, wenn man außer Ärger mit der Besitzerin auch einen altdeutschen Zungenschlag nicht scheut. Oder war es Norwegisch, was Jörg Witte da plötzlich wie selbstverständlich über die Lippen kam? Schließlich probt der leicht korrupte und herrlich tapsige Gebäudepathologe in seiner Freizeit Ibsens "Baumeister Solness" oder zieht zu einer zarten Zither-Melodie und ebensolchen Gedanken mit seiner Assistentin (Waltraud Lederer) die sterblichen Überreste eines gemeuchelten Gebäudes über die Bühne: Gänsehauttheater erster Güte!

Gut, das Ende kommt plötzlich und nur, weil das Licht ausgeht. Und die Logik macht manchmal arge Sprünge. Sei´s drum! Die komplexe Verflechtung der Erzählstränge erinnert an Shakespeare – und Judith Huber, immer und überall auch Teil des Trios "Die Bairishe Geisha", hat unübersehbar die Ästhetik dieser Inszenierung geprägt: Vom fein-ironischen, kunst-naiven, dabei aber sehr gekonnten Gesang über die "Hallo, Mama" quäkende Architektenhausleiche bis zum buchstäblich herzhaft ausgeschnittenen Dekoletée des "Stüberl" beim konspirativen Treffen der Münchner Gebäude.

Irre, verwirrend und betörend, dieser Abend, der Leichen zählt, wo andere nur Schutt und Asche bilanzieren.

 

What the building saw - Eine Ermittlung
Konzept und Realisierung: Judith Huber und Susanne Schroeder, Komposition: Stefan Weixler, Bühne: Christin Wahl, Kostüme: Sebastian Ellrich.
Mit: Judith Huber, Waltraud Lederer, Susanne Schroeder, Barbara Wurster, Jörg Witte sowie Architekturstudenten der FH München.

www.pathostransporttheater.de

 

Aus dem Pathos Transport Theater berichtete nachtkritik.de zuletzt über Johannes Schrettles Tod und Tourist in der Regie von Jörg Witte.


Kritikenrundschau

"Im Grundsatz herrlich gspinnert", findet Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (15.12.2008) die neuste Produktion im Pathos Transport Theater. "What the building saw" von und mit Judith Huber und Susanne Schroeder sei "eine halb sentimentale, halb wahnsinnige Hommage an Gebäude", die hier im Theater herumliefen und deren Trümmer "von den Pathologen Waltraud Lederer und Jörg Witte, zwei Gestalten mit der schieren Wucht puren Daseins", untersucht würden. Die Macher- und Spielerinnen seien dann "großartig, wenn ihnen wurscht ist, was der Zuschauer denkt. Denn gerade dann denkt der. Wenn sie dem Zuschauer ein Denken vorgeben wollen, denkt der nicht. Meist denkt er. Und lacht."


"Hintergrund des schrägen Spektakels", dieses "mutmaßlich ersten Architekturkrimis aller Zeiten", sei die "zum Grübeln anregende Frage", inwieweit Häuser einerseits selbst Identität entwickelten und andererseits die Identität ihrer Nutzer prägten, schreibt Mathias Hejny in der Münchner Abendzeitung (13./14.12.2008). An ihr Erfolgsstück "Stüberl" kämen Huber und Schröder hier nicht heran: ein geschwätziger Text und eine Inszenierung, die "so hausbacken lustig wie ein Kinderfasching" sei.

 

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