In die Klangschalen scheißen!

7. Oktober 2022. Christina Tscharyiski bringt einen Text von Stefanie Sargnagel auf die Bühne. Darin schildert die Wiener Kult-Autorin ihre Recherche im Milieu rechter Esoteriker. Ein zwiespältiges Vergnügen.

Von Theresa Luise Gindlstrasser

"HEIL. Eine energetische Reinigung" am Rabenhof Theater Wien © Petramer

7. Oktober 2022. Text von Stefanie Sargnagel plus Inszenierung von Christina Tscharyiski – der neue Hit? – auf Ja, eh! (2017 im Wiener Theater Rabenhof) und Am Wiesnrand (2020 am Münchner Volkstheater) folgt "HEIL. Eine energetische Reinigung". Wieder in Wien und schon wieder mit Band, diesmal heißt die Buntspecht, Eigenbeschreibung: sechs Betrunkene, die Kinderlieder schreiben.

Kein Kinderlied, eine Rede stand am Anfang des nun uraufgeführten Textes. Die hielt Sargnagel Ende letzten Jahres auf einer Gegendemonstration und sie kulminierte in der Parole "Nippies in die Klangschalen scheißen!". Und "Nippies", Kofferwort aus "Nazis" und "Hippies", sind sie an diesem Theaterabend allesamt, die Gunda, der Udo, die Lena, der Harry, all die Workshop-Teilnehmenden am "Zentrum für spirituelle Weiterentwicklung". Wobei zu Beginn auch das Publikum aufgefordert ist, einzuatmen, auszuatmen, soziale Probleme einfach wegzumeditieren, gemeinsam zu wiederholen: "Man sieht nur mit dem Herzen gut."

Esoterik als Geschäft

Es wird sich also gespürt und es werden Auren gelesen. Der Text, der aufgeteilt auf die vier Schauspielenden Tanja Raunig, Bettina Schwarz, Bernhard Dechant und Alexander Strobele in der Hauptsache erzählend funktioniert, beschreibt ein Ambiente as schmuddelig as could be. Inkontinenter Hund, abgestandener Zigarettenrauch, blassrosa Salzkristalllampe. Bühnenbildnerin Dominique Wiesbauer ergänzt eine steril glänzende Küchenecke mit Kaffeeautomat und einen karg weißen Plastiksessel-Kreis.

Dort werden die Workshop-Teilnehmenden vorgestellt und auch ein nicht näher bestimmtes Ich schaltet sich in den Text ein – Sargnagel hat mit "HEIL" nämlich ihre eigene Recherche-Erfahrung aufgeschrieben. Die Methoden, mit denen Heil suchende Menschen um ihr Geld und in eine Abhängigkeit gebracht werden, hat die Autorin genau beobachtet und bringt sie mit zwei Merksätzen auf den Punkt: "Immer auf die Probleme schauen" und "Die Information ist immer richtig. Manchmal braucht der Klient nur einfach Zeit um zu merken, dass das stimmt". Esoterik als ein Geschäft und zwar eines auf Kosten hilfebedürftiger Menschen zu beschreiben, das ist bei Weitem nicht Hauptanliegen des Textes, aber darin ist er prägnant. Der Rest ist Satire.

Wir sind null verwandt!

Und der ironisch-distanzierende Tonfall, mit dem die Inszenierung jeden einzelnen Satz seiner größtmöglichen Lächerlichkeit preisgibt, lässt dann überhaupt keinen Zweifel aufkommen: An diesem Abend soll gelacht werden, über die anderen, die Covidioten, diejenigen mit den ungenauen Argumentationen, die Antoine de Saint-Exupéry zitieren oder ein Lob der Phantasie über die Wirklichkeit anstimmen. Denn sie werden immer schon Nazis gewesen sein. Und wenn es dann inhaltlich übergangslos klassistisch, sozialdarwinistisch und rassistisch wird, dann darf es das Publikum im Lachen eh schon gewusst und geäußert haben. Was genau? Jedenfalls Selbstaffirmation: So sind die anderen und wir sind null verwandt.

Wie im Zirkus

Irgendwann löst sich die Workshop-Szenerie nämlich in Demo-Monologe auf. Ein Marterpfahl wird aufgebaut, zum Galgen verwandelt, Schutzanzug, Atemmaske, Guy Fawkes und "Impfen macht frei" – Kostümbildnerin Miriam Draxl lässt die Zeichen durchdrehen, grad so wie in echt. Die Band, die bis dahin bloß die Workshop-Rauchpausen mit Poesie versüßte, spielt laut, rotzig, wütend, mit Sturmhaube am Kopf, jemand tanzt mit Engelsflügeln, jemand schwenkt eine Fahne und alles blinkt bunt, grad als wär’s ein Zirkus. Nach knackigen 70 Minuten ist der launige Milieu-Porno auch schon wieder vorbei. Aber nur mit dem Herzen sieht der Mensch einen Hit.

 

HEIL. Eine energetische Reinigung
von Stefanie Sargnagel
Regie: Christina Tscharyiski, Bühnenfassung: Christina Tscharyiski und Fabian Pfleger, Bühne und Videos: Dominique Wiesbauer, Kostüme: Miriam Draxl, Dramaturgie: Fabian Pfleger, Live-Musik: Buntspecht (Lukas Klein, Florentin Scheicher, Florian Röthel, Jakob Lang, Roman Geßler).
Mit: Tanja Raunig, Bettina Schwarz, Bernhard Dechant, Alexander Strobele.
Premiere am 6. Oktober 2022
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

www.rabenhoftheater.com

 

Kritikenrundschau

Sargnagel habe ihre Hauptfiguren verstanden "und – wichtig – auch verstehen wollen", so Maya McKechneay im Standard (online 7.10.2022). "Sie denunziert nicht für den guten Schmäh. Vielmehr ist dieser Abend außen arg und innendrin empathisch – und vielleicht gerade deshalb genau das, was man in diesen rauen Zeiten braucht." Regisseurin Christina Tscharyiski wisse genau, was sie tue – und so gelänge der Abend "kurzweilig und pointiert".

Sargnagel begibt sich "in die seltsame Welt der Esoterikerinnen und Corona-Leugner, Auraversteherinnen und Verschwörungsgläubigen" und "Sargnagel-Spezialistin Christina Tscharyiski" bringe das Stück in einer "entspannten Inszenierung" auf die Bühne des Rabenhof-Theaters, schreibt Wolfgang Kralicek in der Süddeutschen Zeitung (8.10.2022). Angesichts der zugrundeliegenden Wirklichkeit des Stücks habe auch eine "virtuose Spötterin wie Stefanie Sargnagel Mühe, den Irrsinn noch satirisch zu überhöhen. Aber natürlich gelingt es ihr dann doch immer wieder (…)."

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