Ladies Football Club - Staatstheater Meiningen
Elf Freundinnen
8. Oktober 2022.Die Männer sind im Krieg, die Frauen gelangen ins Berufsleben. Und entdecken das Fußballspiel für sich. Anhand einer wahren Begebenheit aus dem Ersten Weltkrieg erzählt Stefano Massini eine Emanzipationsgeschichte mit bitterem Ende. Simone Blattner hat die deutschsprachige Erstaufführung inszeniert.
Von Marlene Drexler

8. Oktober 2022. England im Jahr 1917. Eine Fabrik, in der Frauen Kriegsmunition herstellen. Das ist der Schauplatz des Stücks "Ladies Football Club" des italienischen Autors Stefano Massini, das das Staatstheater Meiningen in deutschsprachiger Erstaufführung zeigt.
Massini beruft sich in seinem Stück auf wahre Begebenheiten. Englischen Arbeiterinnen fällt eines Tages zufällig eine Bombenattrappe vor die Füße, rund wie ein Ball, die eigentlich für Übungszwecke gedacht ist. Und der erste Schuss lässt nicht lange auf sich warten. Aus einem Spaß in der Mittagspause wächst schnell sportlicher Ehrgeiz und die Frauen gründen ein Team, den "Ladies Football Club". Ein Akt, der in der damaligen Zeit eine große Provokation, wenn nicht gar einen Tabubruch darstellte.
Die elf Frauenfiguren, die an diesem Abend die Meininger Bühne ganz für sich haben, sind eigentlich keine Revoluzzerinnen. Sie wissen sehr wohl, in welcher verkappten Trinität sie sich aufzuhalten haben: Tochter, Ehefrau, Mutter. Aber was, wenn diejenigen, die dieses System von oben durchsetzen, abwesend sind? Für die Frauen tut sich durch den Krieg ein Vakuum auf, das am Ende die bittere Wahrheit verkündet: Selbstentfaltung geht nur, wenn die Männer nicht da sind. Der Fußball wird zum Symbol ihrer Befreiung.
Gemeinschaftlicher Erfolg auf dem Rasen
Stefano Massinis Stück ist in Prosa verfasst. Die deutsche Übersetzung kommt auf 200 Seiten, in der Meininger Fassung sind es noch etwa 90. Auch ist ungewöhnlich, dass die Figuren über sich selbst in dritter Person sprechen. Das schafft automatisch eine Distanz zu und vor allem zwischen den Figuren. Erzählerische Überleitungen lässt die Schweizer Regisseurin Simone Blattner die Schauspielerinnen im Chor sprechen. Ein stilistisches Mittel, das rein äußerlich noch am meisten Nähe zwischen den elf Frauen schafft, die ansonsten eher aneinander vorbei sprechen (müssen). Als Chor verbinden sie sich und verschmelzen zu einem Gehirn – finden zu jener Kunst, auf der sich auch ihr gemeinschaftlicher Erfolg auf dem Rasen begründet.
Emanzipatorische Energien auf dem Spielerinnenfeld @ Christina Iberl
Doch Blattner hat den Abend vor allem frontal inszeniert. Abgesehen von wenigen szenischen Einschüben folgt in der ersten Hälfte quasi ein Mini-Monolog auf den anderen. Die anekdotischen Erzählstränge beziehen sich dabei in der Regel nicht direkt aufeinander. Wenn eine Spielerin spricht, werden alle anderen zu Statistinnen.
Leidtragende dieser Aneinanderreihung von Solonummern sind die Schauspielerinnen selbst, die, so scheint es, reflexhaft versuchen, über Pegel und Tempo künstlich Druck im Kessel zu halten. Das sieht nicht nur anstrengend aus, sondern fühlt sich auch aus Zuschauersperspektive anstrengend an. Dennoch: Einige Spielerinnen haben auch sehenswerte Momente. Noemi Clerc als nerdige Brillenschlange zeigt, dass sie komisch sein kann. Hanna Eichel gibt konturiert eine merkwürdig verstrahlt wirkende Männerhasserin. Charmant ist auch Emma Suthes Darstellung der Wandlung vom schweigsamen Mauerblümchen zur Revolutionsführerin.
Der Krieg ist aus, die Männer kommen wieder
Dass der Text durchaus pointiert und witzig geschrieben ist, wird erst ab dem Ende des ersten Teils zunehmend deutlich. Auch, weil die Inszenierung dann fluffiger wird und Gesang- und Tanzszenen ein Ventil für aufgestaute Energien schaffen. In diesen Szenen wird dem Zuschauer der intimste Blick in die Seelen der Figuren gewährt. Nachdenklich wird es, als die zu Fußballerinnen gewordenen Arbeiterinnen auf dem Zenit ihres Erfolgs just während eines Spiels die Botschaft erreicht: Der Krieg ist aus. Eigentlich ein Grund zu ekstatischer Freude. Aber gleichzeitig auch: Spielabbruch. Und die Frauen ahnen Böses voraus. Ein wuchtiger Moment, der in der Meininger Inszenierung an die politische Dimension des Stücks erinnert.
Ganz nüchtern betrachtet: So ein reiner Frauenabend ist etwas Besonderes. Elf Frauen gemeinsam auf der Bühne, das sieht man nicht alle Tage. Und das ist in Meiningen auch eine Entscheidung. So hätte es etwa mit dem Fabrikbesitzer eine durchgängige Männerfigur gegeben. Simone Blattner lässt sie in Doppelbesetzung von einer der Frauen spielen. Der Abend hätte also eigentlich erfrischend sein können. Die frontal verhafteten Figuren bleiben jedoch merkwürdig eindimensional, und der große Spannungsbogen fehlt.
Ladies Football Club
von Stefano Massini
Übersetzung von Sabine Heymann
Deutschsprachige Erstaufführung
Regie: Simone Blattner, Bühne: Martin Miotk, Kostüme: Sophie Peters, Dramaturgie: Cornelius Benedikt Edlefsen, Musik: Christopher Brandt.
Mit: Christine Zart, Noemi Clerc, Hanna Eichel, Pauline Gloger, Evelyn Fuchs, Patricija Katica Bronić, Miriam Haltmeier, Ulrike Knobloch, Carmen Kirschner, Emma Suthe, Anja Lenßen.
Premiere am 7. Oktober 2022
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.staatstheater-meiningen.de
Kritikenrundschau
Zunächst bliebe das Spiel des Ensembles etwas statisch, beschreibt Michael Helbing den Anfang des Abends in der Thüringer Allgemeinen (10.10.2022). "Erst rennen sie dem Text länger hinterher, kommen dann aber vor ihn, drehen die Partie und verwandeln die Vorlage schließlich in einen Volltreffer", meint der Kritiker. Nach einiger Zeit ist es für Helbing "mit der Aufführung wie mit dem Text: So zäh und spröde es sich anlässt, so sehr entfaltet es Sog und Kraft". "Es gibt keinen Ball und überhaupt kein Requisit bis zum Finale, aber wir sehen ihn", schreibt er. Der Star sei die Mannschaft.
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Es war zu keiner Sekunde ein Ball im Spiel und doch roch man regelrecht den Rasen bzw. den staubigen Innenhof der Munitionsfabrik. Die Schauspielerinnen agierten in einer Körperlichkeit, die in manchen Momenten skulptural wirkte. Vielleicht war es eine Choreographie, vielleicht eine fussballerische Spielaufstellung? - jedenfalls immer faszinierend und keine Sekunde langweilig.
Ich wünsche dem Stück jedenfalls viele Besucher:innen und spannende Pausengespräche am Spielfeldrand.