Vorletzte Gefechte

8. Oktober 2022. Ein neues Uraufführungsfestival macht sich auf, in Gegenwart und Vergangenheit Widerstandspotenziale zu erkunden. Die Spannbreite reicht vom Terror der RAF in den 1970er Jahren bis heute. Im Zuge dessen steigt im Museum sogar ein Mann aus dem Biedermeierbild, dass einst von ihm gemalt wurde.

Von Michael Laages 

"Das Licht der Welt" von Raphaela Bardutzky von Daniela Löffner uraufgeführt beim Festival "Remmidemmi" in Heidelberg © Susanne Reichardt

8. Oktober 2022. Abends um kurz vor neun ist es eigentlich schon zu dunkel für den Kindergeburtstag … aber nicht für die Theater-Version der allfreitäglichen Zukunfts-Demo. Auf sechs verschiedenen Parcours-Routen ist das Publikum zuvor auch mit dem Omnibus unterwegs gewesen zu den Außen-Spielstätten in der Stadt, und die Routen-Begleiter, als Greta-Thunberg-Doubles kostümiert, haben während der etwa 20 Minuten Fahrzeit jeweils unterschiedliche Chörchen einstudiert.

Die intonieren nun die Gruppen mit- und gegeneinander auf dem Theatervorplatz. Natürlich ist das ein bisschen albern – geschenkt. Das neue Heidelberger Festival mit dem an sich sehr schönen Titel "Remmidemmi" hat sich halt entschieden, die Komfort-Zone des Theater-Konsums für ein paar Minuten wenigstens auf diese Weise zu durchbrechen. Und so lärmen nun also auch gestandene Heidelbergerinnen und Heidelberger vor dem Theater der Stadt herum und skandieren Texte wie diese in den Herbstabendhimmel: "Das woll’n wir nicht! Das machen wir nicht! Rise up! Steht auf und macht mit!"

Ach ja.

Protest- und Widerstands-Potential

Mit dem "Remmidemmi"-Wochenende hat sich das Theater viel vorgenommen. "Widerstandsfestival" steht im Untertitel; und was heutzutage "Widerstand" sein könnte, will es kenntlich machen mit den Mitteln des Theaters. Dazu schlägt es einen Bogen weit zurück in die Vergangenheit, und der ist durchaus nicht ohne Risiko – ziemlich genau vor fünfzig Jahren nämlich, Ende Mai 1972, exekutierte die "Rote Armee Fraktion" um Gudrun Ensslin und Andreas Baader einen Bomben-Anschlag auf das europäische Hauptquartier der US-Army im Heidelberger Stadtteil Rohrbach, wo die Besatzer ein großes Kasernengelände der deutschen Wehrmacht übernommen und umgewidmet hatten. Der Anschlag forderte drei Todesopfer; die Recherche über den historischen Moment steht im Zentrum des Festivals.

Aber der Weg ist schon recht weit: vom blutigen Terror damals hin zu dem, was sich heute als niedlich-chorische Widerstandsübung ausnimmt.

Einerseits.

Andererseits ist das Protest- und Widerstands-Potential, das etwa im Festival-Finale die Dramatikerin Raphaela Bardutzky mit "Das Licht der Welt" beschreibt, im Ansatz immerhin vergleichbar mit dem Terror von damals, der heute besser "Fundamentalismus" hieße.

Auf der allgegenwärtige Woge aktivistischen Theaterschaffens

Bardutzky beschwört eine Erfahrung wie die im Hambacher Forst vor gar nicht so langer Zeit, als Aktivistinnen und Aktivisten einen Wald (der für den Braunkohle-Abbau westlich von Köln geopfert werden sollte) zu retten versuchten, indem sie sich in ihm einnisteten; Zelte und Baumhäuser bauten und sich auf Schienen festketteten, die für Industrie und Bergbau genutzt werden. Der Hass auf das, was ist (und speziell von jüngeren Generationen als Bedrohung von Zukunft und Zivilisation an sich empfunden wird), mag mittlerweile vielleicht tatsächlich Ausmaße angenommen haben wie einst der Hass der Protagonistinnen und Protagonisten im "Deutschen Herbst" der 1970er Jahre auf die Amerikaner und den US-Krieg in Vietnam. Ob sich allerdings das Theater als Kunstform nicht womöglich doch ein wenig verhebt und überfordert, wenn es sich einlässt auf solche historischen Parallelitäten?

"Remmidemmi" ist wohl vor allem ein Versuch, sich einzuklinken und zu positionieren in der allgegenwärtigen Woge aktivistischen Theaterschaffens. Neulich in Kassel menetekelte ja der Autor Martin Heckmanns sogar eine zwar märchenhafte, aber auch recht konkrete Vision auf die Bühne: dass die Zukunfts-Demos sich demnächst bewaffnen könnten.

Remmidemmi Licht2 SusanneReichardtRomantischer Widerstand im Baumhaus: "Das Licht der Welt" von Raphaela Bardutzky © Susanne Reichardt

Das haben allerdings nicht mal Bardutzkys Waldbesetzer vor. Was sie als Widerstand deklarieren, ist zwar höchst aggressiv, aber letztlich weiterhin passiv; und gestört wird die kämpferische Idylle nur durch die Schwangerschaft einer Aktivistin, nachdem sie sich mit einem freundlichen Zufallsgast im Camp eingelassen hat. Ein wenig angestrengt strickt die Autorin dieses Motiv ins Stück, und die Regisseurin Daniela Löffner ergänzt den durchgängig vorherrschenden Propaganda-Ton mit reichlich artistisch-szenischem Spektakel für die große Heidelberger Bühne.

Philipp Löhle hat sich mit "Heidelberg 72ff." an den authentisch-historischen Ort begeben – rund um das Hauptquartier der US-Army 1972 werden seit geraumer Zeit Kasernen und Baracken zu Wohnraum umgewidmet, und eines der zentralen Gebäude ist gerade zum "Mark Twain Center" geworden; es soll als Forschungsstätte für transatlantischen Beziehungen dienen. Hier nun lässt Löhle sowohl die extrem dummerhafte US-Soldateska aufmarschieren als auch die ähnlich unzurechnungsfähige deutsche Terror-Elite auf dem Sofa hocken, wo sie – mit alten Kaffeemühlen bewaffnet – den Bombenstoff oder sonstwas Gefährliches schrotet.

Lärmende Witzfiguren allüberall, dokumentarisches Film- und Fernseh-Material sowohl vom Heidelberger Anschlag als auch vom Krieg in Vietnam, dazu auch mal Wagner-Musik wie in "Apocalypse Now" – als Extra-Pointe hat Löhle den Computer eingebaut, der von den Heidelbergern in Betrieb genommen werden soll, um Einsatzbefehle schneller zu den Truppen in Südostasien zu schicken. Weil nun aber beim Attentat auch dieser Computer zu Schrott gebombt wird, bekommen die kämpfenden Truppen keine Befehle mehr und fahren nach Hause; vier Jahre früher als dann im wirklichen Leben. Löhle macht’s möglich.

Remmidemmi HD72ff1 SusanneReichardt"72ff" von Philipp Löhle: RAF-Terrorist:innen von Anno dunnemals © Susanne Reichardt

Der Autor selbst hat inszeniert, und das Ensemble muss eine Menge Klischees erfüllen. Hauptdarsteller ist der phantasievoll zugemüllte Raum im "Mark Twain Center"; sogar die Wochenend-Ausgabe der Rhein-Neckar-Zeitung vom 27./28. Mai 1972 liegt als Nachdruck aus. Preis damals: 40 Pfennig.

Feuerwerk der Extraklasse

Starke Reflektionen aber über das Recht und (womöglich) die Pflicht zum Widerstand sind weder Bardutzky noch Löhle gelungen – eines der Glanzlichter im Festival ist dagegen Rebekka Kricheldorfs Tugend-Groteske über "Die Guten". Die Allegorien von vier zentralen Tugenden der Antike sind hier auf der Bühne versammelt: als schrill kostümierte Party-Ladies. Frau Prudentia, die Klugheit also, ganz in Grün, trägt Januskopf (also ein Gesicht vorn und eins hinten), und Madame Justitia, total blau, hat natürlich eine Waage dabei; Lady Temperantia, die für Mäßigung in Orange steht, möchte gegen Ende aber unbedingt mal über alle Stränge schlagen, und Fortitudo, die Mutige in Grau und Rot (und mit einem Plastikschwert, dass wie festgewachsen ist an der Kampfhand) landet auf Mike, dem Löwen im chic-weißen Bühnenbild und direkt an der klassischen Getränke-Quelle.

In rasendem Tempo wird ein intellektuelles Feuerwerk der Extraklasse abgefackelt; und das herrliche Quartett stellt mit großer Verlässlichkeit die eigene Bedeutung als Tugend in Frage. Draußen lauern schon alle Untugenden, und es ist überhaupt nicht auszuschließen, dass die in Kürze die Macht übernehmen werden – Kricheldorfs brillant geformte Text-Figuren treten angesichts dessen an wie zum vorletzten Gefecht.

Remmidemmi Guten1 SR SusanneReichardt"Die Guten" von Rebekka Kricheldorf: Schrille Zeitgenossinnen im Tugendwahn © Susanne Reichardt

Sie wissen ja, dass im sozialen und politischen Diskurs der Gegenwart Menschen mit all den Tugenden, die sie repräsentieren, längst zu Wortführerinnen und Wortführern geworden sind; und sie wissen genauso gut, dass genau das überhaupt nichts nützt. Frech und finster rückt Kricheldorf dem Tugend-Wahn zu Leibe – und Theresa Thomasbergers Inszenierung setzt vor das Spiel Bilder von der wüsten Oberfläche des Mondes, über dem die Erde aufgeht. Aber auch sie wird unbewohnbar wie der Mond.

Ein Mensch wird seziert

Drei Inszenierungen sind Teil jeder der sechs Routen; und auf denen gibt’s reichlich Überraschungen. Etwa "Die Leere", ein neuer Text von Konstantin Küspert. Hier driftet ein Allerweltsmensch aus dem Alltag hinaus hin zu immer aussichtsloseren Visionen von erfüllterem Leben: nach Japan etwa oder in klösterliche Einsamkeiten. Bis der Besitzer vom Kiosk, wo der Mann früher immer eingekauft hat, ihm diesen Kiosk vererbt – und alles ganz alltäglich endet. Cilli Drexel inszeniert das Solo im zweitschönsten Saal des Festivals: in der alten Anatomie der Universität. Auch jetzt wird hier halt wieder mal ein Mensch seziert.

Remmidemmi Stillleben1 SusanneReichardt"Stilleben" von Caren Jeß oder Einfach aussteigen!  © Susanne Reichardt

Das allerschönste Ambiente aber findet sich im Kurpfälzischen Museum – vor dem Biedermeier-Porträt eines sitzenden Mannes lässt Caren Jeß im "Stilleben"-Text über geistige Unbeweglichkeit der Welt damals wie heute räsonnieren; und als starke, quasi Woody-Allen-hafte Pointe in der Inszenierung von Tugsan Mogul steigt das Porträt schließlich aus dem Bild heraus (denn es war natürlich ein Schauspieler im Raum hinter dem Bild); und die überschlaue Analytikerin von heute nimmt nun Platz (und setzt sich zur Ruhe) genau dort, wo einst Herr Biedermeier saß. Widerstand damals? Null. Widerstand heute? Auch nicht viel mehr.

Dies sind deutlich reflektiertere Phantasien im "Remmidemmi"-Marathon. Insgesamt übrigens ist doppelt so viel zu sehen und zu erleben wie hier beschrieben. Schon mit "Adelante!", dem ibero-amerikanischen Festival, hatte Heidelberg ein sehr besonderes Format kreiert. "Remmidemmi" ist durchaus wieder so ein erstaunliches Ereignis – auch wenn es sich zuweilen übernimmt und an Thema und Ziel ein wenig vorbei schießt.

 

Remmidemmi – Das Widerstandsfestival

Die Uraufführungen:

Heidelberg 72ff
von Philipp Löhle
Inszenierung: Philipp Löhle, Bühne: Franziska Bornkamm, Kostüme: Paula Gehrlein.
Mit: Maria Dziomber, Hans Fleischmann, Marco Albrecht, Nicole Averkamp, Thomas Pasieka.

Die Guten
von Rebekka Kricheldorf
Inszenierung: Theresa Thomasberger, Bühne: Mirjam Schaal, Kostüme: Oktavia Herbst.
Mit: Sissi Reichenbrugger, Lisa Förster, Sandra Bezler, Nora Quest.

Das Licht der Welt
von Raphaela Bardutzky
Inszenierung: Daniela Löffner, Bühne: Matthias Werner, Kostüme: Katja Strohschneider.
Mit: Vladlena Sviatash, Henry Morales, Sheila Eckhardt, Anna Lena Bucher, Leon Maria Spiegelberg, Esra Schreier.

Die Leere/Die Lehre
von Konstantin Küspert
Inszenierung: Cilli Drexel, Bühne: Nicole Zielke, Kostüme: Iris Brussee
Mit: Daniel Friedl.

Das Stilleben
von Caren Jeß
Inszenierung: Tugsan Mogul, Bühne: Ariane Salzbrunn, Kostüme: Nora Kirschmeier
Mit: Anne Rieckhof, Hendrik Richter, Isabell Giebeler.

außerdem

Abschuss
von Özlem Özgül Dündar
Inszenierung: Marie Bues & Niko Eleftheriadis

Das Märchen von der kleinen Meerjungfrau
von Roland Schimmelpfennig

Die Nacht verdeckt den Morgen
von Oksana Sawtschenko

Zähne und Krallen
von Peter Thiers

La Linea
von Michael Bijnens
Deutschsprachige Erstaufführung


www.theaterheidelberg.de

Kritikenrundschau

"Ein schöner, kleiner 70-Minüter über die Macht der Fantasie", befindet Volker Oesterreich in seinem auszugsweisen Festival-Rundgang für die Rhein-Neckar Zeitung (10.10.2022) über die Inszenierung von Roland Schimmelpfennings "Das Märchen von der kleinen Meerjungfrau": "Regisseur Marcel Kohler und sein Darsteller-Trio Maren Kraus, Timo Jander und Leon Wieferich planschen sich eimerweise in ein feucht-fröhliches Theatervergnügen für Menschen ab zehn Jahren." Auch "Die Nacht verdeckt den Morgen", diesem "Lehrstück der Friedenssehnsucht" der ukrainischen Dramatikerin Oksana Sawtschenko, wünscht der Autor "noch viele, viele Besucher". Nicht glücklich wird Oesterreich hingegen mit "Das Licht der Welt" von Raphaela Bardutzky, einem "partizipativen Trallala". Aber so sei "das eben bei Festivals: Nicht alles gefällt allen, aber vieles wird vielen etwas bringen".

Möge man das "im Hauruckverfahren" angelegte Uraufführungsfest auch als "ein wenig albern belächeln", so Ralf-Carl Langhals im Mannheimer Morgen (10.10.2022), es gelte doch festzuhalten: "Es läuft, macht jede Minute Spaß, ist vom Garderobenhaken bis zum veganen Pausenbrot bestens organisiert und zeigt gute Stücke, die nicht nur auf der Höhe der Zeit, sondern mit Blick auf das politische Weltgeschehen quasi tagesaktuell sind." Raphaela Bardutzkys "Das Licht der Welt" werde in der Regie von Daniela Löffner zum "klugen wie kurzweiligen Theaterereignis", auch "Das Stillleben" von Caren Jeß sei " brillant, ein messerscharfer Parforceritt durch die Geistesgeschichte bürgerlicher Fluchtversuche vor zu viel Remmidemmi da draußen", so der insgesamt sehr zufriedene Kritiker.

"Dass man auch bei diesem Festival unter dem Titel Remmidemmi auf aktivistische Bühnenkunst trifft, war zu erwarten", schreibt Björn Hayer im Freitag (12.10.2022). "Aber das Programm versammelt glücklicherweise weit mehr als jene Belehrungsperformances, wie wir sie aus so vielen Stücken unserer Zeit kennen." Das Festival wirbele Fantastisches und allerlei Diskurs- und Krisenthemen unserer Gegenwart durcheinander und zeige dabei auf imposante Weise: "Das Neue entsteht nicht im luftleeren Raum. Sein Quell ist immer die Kunst, die sich mit Mut ins Ungewisse stürzt."

Kommentare  
Remmidemmi, Heidelberg: Red Washing
Sofern es den Begriff noch nicht gibt, so würde ich ihn für dieses Festival gerne einführen: Red-Washing. Das Happening der verschiedenen Teilnehmer*innen-Gruppen, die ihre zuvor einstudierten und auf gruselige Weise entkontextualisierten Phrasen („So geht das nicht, steht auf, widersteht“, etc.) sangen, war für mich an Zynismus und Out-Of-Touch-ness nicht zu überbieten. Die deutsche Theater-Bourgeoisie spielt Protest, anstatt dieses Festival zum Anlass zu nehmen, sich aktiv solidarisch zu tatsächlichen Protestbewegungen zu zeigen. Eine zynische Ablass-Performance.

Apropos Zynismus: „Das Licht Der Welt“ - das Stück in dem jede Route des Tages endet. Die Handlung begleitet die Protagonistin vom ersten Tag im Aktivist*innen-Camp bis zur ersten direkten Aktion. Dem Publikum soll vermittelt werden, wer die Aktivisti*innen sind – zumindest äußerlich – , wie ihr Alltag verläuft und wie sie sprechen. Der Versuch, sensibel mit Unterdrückungsmechanismen in der Sprache umzugehen und das Bewusstsein um Intersektionalität werden als Running-Gag inszeniert. „Haha - schau wieviele Awareness-Kurse wir anbieten!“, „Haha - wie, du benutzt keine Pronomen, wenn du dich vorstellst?“, „Haha - sag bitte Cops statt Bullen, das ist Speziesistisch.“, etc. Es grenzt zwischenzeitlich an Dieter Nuhr-Humor. Die Erzählung über einen Ort, an dem Menschen versuchen, sich abseits von Gender- und patriarchalen Normen zu bewegen, muss selbstverständlich von einer heteronormativen Romanze torpediert werden, bei der prompt das Kondom platzt. Eine Abortion-Debatte wird vom Zaun gebrochen, die das Stück ins konservative Lager katapultiert, indem es die Frage stellt: What about men’s rights?! Die Protagonistin wird als radikale Öko-Rationalistin geframed, indem ihre Motivation zum Schwangerschaftsabbruch nicht ihre körperliche Autonomie, sondern der CO2-Fußabdruck des Kindes ist – ein jetzt schon überholtes neoliberales Narrativ. Am Ende macht der One-Night-Stand das „Angebot“ (!), sie könne das Kind austragen und er würde es adoptieren. What a Gentleman! Moment, geht es in dem Stück nicht um Klima-Aktivismus? Auch, unter anderem. Es werden hier und dort nützliche Statistiken und strafrechtliches Hintergrundwissen eingestreut und diese Bildung ist schön und gut, aber worum es nicht geht, ist die Frage: Was bewegt diese Menschen dazu? Warum tun sie, was sie tun? Die Fragen, die dazu führen könnten, dass beim Publikum eine Identifikation oder Auseinandersetzung stattfindet, werden nicht gestellt, geschweige denn beantwortet. Stattdessen führt „Das Licht der Welt“ ein beliebtes individualistisches Narrativ ins Feld: Klima-Aktivist*innen sind auf der Flucht vor dem Chaos ihres Privatlebens; suchen nach einer Form der äußeren Identifikation, weil sie im Leben orientierungslos umherschweifen. Die Protagonistin selbst kommt ins Camp, weil ihre Spanien-Surf-Pläne mit ihrer besten Freundin geplatzt sind und sie gerade nichts Besseres zu tun hat.

Das Stück benennt viele wichtige Themen: Rassismus, wachsender rechter Populismus, Klimakatastrophe, Polizeigewalt – aber es setzt sich nicht mit ihnen auseinander. In den schlimmsten Momenten wird der Kampf dieser mutigen Menschen dem Publikum als Witz serviert.

Ich habe noch nicht alle zehn Stücke gesehen, und sich zu allen zu äußern würde den Rahmen dieses Kommentars sprengen, doch als Theaterschaffender tun sich bei mir Fragen auf:
Gegen was wurde bei diesem Fließband-Festival Widerstand geleistet? Gegen wen? Wem wurde eine Bühne gegeben? Zehn Produktionen in ein paar Wochen, warum füllt man nicht eine Spielzeit damit? Es würde für ein gewisses Maß an Integrität sprechen, eine Spielzeit den Themenfeldern aktueller politischer Protestbewegungen zu widmen. Aber nein, ein Festival reicht aus, um dem Haus den Anstrich der politischen Involviertheit zu geben. Ein rotes Festival für schwarze Zahlen.
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