Ein Törleß im Supermann-Kostüm

von Anna Hahn

Kaiserslautern, 12. Dezember 2008. Wie alles im Leben bergen auch unsere Kommunikationsmedien Chancen und Risiken in sich. Handys lassen sich nutzen, um überall erreichbar zu sein. Aber auch missbrauchen, um peinliche bis demütigende Fotos von Anderen zu machen und unkontrolliert im Internet zu verbreiten. "Happy Slapping" heißt dieses Phänomen. Jugendliche quälen ihre hilflosen Opfer, meist Gleichaltrige, und halten mit den Minikameras ihrer Mobiltelefone drauf.

Diese Gewalt, die nur ihre Aufnahme bezweckt, dient Almut Baumgarten als Aufhänger für ihr Erstlingsstück "Tank", das mit dem Else Lasker-Schüler-Stückepreis des Pfalztheaters 2008 ausgezeichnet und dort uraufgeführt wurde.

Brutale Spielchen

Minni (Brigitte Urhausen: ein Albtraum in Rosa) und Lizzi (Sara Nunius als schrille Gothic-Braut) heißen die beiden Teenager, die sich mit brutalen Spielchen die Zeit vertreiben: Sie bringen Penner zu Fall, greifen Passanten an, misshandeln Kinder. Der 18-jährige Tank beobachtet das von bedrohlich pochenden Elektroklängen (Björn Büchner) atmosphärisch aufgeladene Treiben der Zwillingsmädchen gleichermaßen fasziniert wie abgestoßen. Björn Büchner spielt die titelgebende Figur als einen Halbwüchsigen mit Supermann-Umhang, ein zweiter Törleß, der zwar nicht aktiv an den Quälereien teilhat, aber gerade durch seine Passivität die Mädchen anstachelt.

Den Jugendlichen stehen Tanks Eltern (Hannelore Bähr, Rainer Furch) und der Liebhaber der Mutter gegenüber. Auch sie beschäftigt das Thema Gewalt, wenngleich in subtileren Formen. Der Vater drillt seinen Körper wie den eines Hochleistungssportlers, ständig den eigenen Puls messend, immer bereit für das Startsignal zum nächsten Sprint. Die Mutter flüchtet sich aus der ehelichen Leere in die Arme eines Lehrers, den Henning Kohne mit Strickpulli und Indianer-Amulett um den Hals als gutmütigen Trottel gibt. Von Anfang an aber ist klar, dass es Baumgarten nicht um ein realistisches Szenario geht. Die Autorin bemüht keine halbgaren Erklärungsmuster, die die sich entladende Gewalt deuten könnten.

Sprachbilder von befremdlich schöner Poesie

Ähnlich wie in den Stücken einer Elfriede Jelinek sind die Figuren Textträger, die existieren, solange eine akribisch konstruierte Sprache durch sie hindurch fließt. Mit dem Unterschied, dass Baumgarten nicht wie die österreichische Nobelpreisträgerin überwiegend sprachliche Konventionen aus Alltag und TV auseinanderpflückt und neu collagiert, sondern ganz eigene Sprachbilder von mitunter befremdlich schöner Poesie generiert. "Sie schuf ein Ornament, ein Muster, ein Mandala", beschreibt etwa Minni einmal, wie Lizzi einen Jungen quält.

Am Beispiel dieser beiden Figuren wird auch das sprachliche Muster des Stücks sehr deutlich. Der Text, verteilt zwar auf zwei Figuren, strömt bei den Mädchen wie aus einem Mund, mit genau kalkulierten Pausen und Wechseln innerhalb eines Syntagmas. Ergebnis ist ein monotones Staccato, das auf Dauer zunehmend schrill und unangenehm erscheint. Kommunikation, das verdeutlicht das frontale Sprechen ins Publikum, ist nicht mehr möglich, auch wenn bis auf den Vater alle Figuren im gesamten Stück auf der Bühne verweilen.

Der Wirklichkeit entfremdet

Das artifiziell Übersteigerte der Vorlage greift sowohl die Inszenierung von Thilo Voggenreiter als auch das Bühnenbild von Dorothee Curio (auch Kostüme) auf. Alles wird ein bisschen zugespitzt und so der Wirklichkeit entfremdet. Im Wohnzimmer von Tanks Eltern hängt allerlei kaputtes Mobiliar an seidenen Fäden von der Decke herab. Aus einer Stellwand, die die Spielfläche nach hinten abgrenzt, ragen nur wenige Schrägen und Vorsprünge, die den Figuren ebenso wie die Sprache kaum Halt bieten können. Mittig gähnt ein großes Loch den Zuschauer an. Die Bombe ist längst explodiert, soll das wohl heißen. Während des Stücks erscheint immer wieder Tanks Gesicht auf einer Leinwand hinter dieser klaffenden Lücke, mal in Echtzeit aufgenommen mit der Kamera, mal eingefroren.

Damit knüpft die Inszenierung an ein weiteres Thema des Stücks an: die Beweiskraft, ja unsere Sucht nach alles bezeugenden Bildern, und damit verbunden auch die Frage, was man in unserer Mediengesellschaft denn noch so glauben darf. Das alles lässt den Zuschauer aber nach einer guten Stunde Spieldauer seltsam unberührt zurück. Der Schrecken, der auf der Bühne erzählt wird, verliert sich fast unmerklich in der Künstlichkeit der Figuren. Sie liefern keine emotionalen Fixpunkte, nichts, was das Publikum über den Theaterabend hinaus betroffen machen könnte. Die sichere Distanz bleibt gewahrt – mitleiden oder fürchten wird sich niemand vor Tank, Minni oder Lizzi. Anders als bei den realen Opfern und Tätern.

Tank (UA)
von Almut Baumgarten
Regie: Thilo Voggenreiter, Bühne und Kostüme: Dorothee Curio, Musik: Björn Büchner.
Mit: Hannelore Bähr, Sara Nunius, Brigitte Urhausen, Björn Büchner, Rainer Furch, Henning Kohne.

www.pfalztheater.de

 

Ein Törleß im Supermann-Kostüm

von Anna Hahn

Kaiserslautern, 12. Dezember 2008. Wie alles im Leben bergen auch unsere Kommunikationsmedien Chancen und Risiken in sich. Handys lassen sich nutzen, um überall erreichbar zu sein. Aber auch missbrauchen, um peinliche bis demütigende Fotos von Anderen zu machen und unkontrolliert im Internet zu verbreiten. "Happy Slapping" heißt dieses Phänomen. Jugendliche quälen ihre hilflosen Opfer, meist Gleichaltrige, und halten mit den Minikameras ihrer Mobiltelefone drauf.

Diese Gewalt, die nur ihre Aufnahme bezweckt, dient Almut Baumgarten als Aufhänger für ihr Erstlingsstück "Tank", das mit dem Else Lasker-Schüler-Stückepreis des Pfalztheaters 2008 ausgezeichnet und dort uraufgeführt wurde.

Brutale Spielchen

Minni (Brigitte Urhausen: ein Albtraum in Rosa) und Lizzi (Sara Nunius als schrille Gothic-Braut) heißen die beiden Teenager, die sich mit brutalen Spielchen die Zeit vertreiben: Sie bringen Penner zu Fall, greifen Passanten an, misshandeln Kinder. Der 18-jährige Tank beobachtet das von bedrohlich pochenden Elektroklängen (Björn Büchner) atmosphärisch aufgeladene Treiben der Zwillingsmädchen gleichermaßen fasziniert wie abgestoßen. Björn Büchner spielt die titelgebende Figur als einen Halbwüchsigen mit Supermann-Umhang, ein zweiter Törleß, der zwar nicht aktiv an den Quälereien teilhat, aber gerade durch seine Passivität die Mädchen anstachelt.

Den Jugendlichen stehen Tanks Eltern (Hannelore Bähr, Rainer Furch) und der Liebhaber der Mutter gegenüber. Auch sie beschäftigt das Thema Gewalt, wenngleich in subtileren Formen. Der Vater drillt seinen Körper wie den eines Hochleistungssportlers, ständig den eigenen Puls messend, immer bereit für das Startsignal zum nächsten Sprint. Die Mutter flüchtet sich aus der ehelichen Leere in die Arme eines Lehrers, den Henning Kohne mit Strickpulli und Indianer-Amulett um den Hals als gutmütigen Trottel gibt. Von Anfang an aber ist klar, dass es Baumgarten nicht um ein realistisches Szenario geht. Die Autorin bemüht keine halbgaren Erklärungsmuster, die die sich entladende Gewalt deuten könnten.

Sprachbilder von befremdlich schöner Poesie

Ähnlich wie in den Stücken einer Elfriede Jelinek sind die Figuren Textträger, die existieren, solange eine akribisch konstruierte Sprache durch sie hindurch fließt. Mit dem Unterschied, dass Baumgarten nicht wie die österreichische Nobelpreisträgerin überwiegend sprachliche Konventionen aus Alltag und TV auseinanderpflückt und neu collagiert, sondern ganz eigene Sprachbilder von mitunter befremdlich schöner Poesie generiert. "Sie schuf ein Ornament, ein Muster, ein Mandala", beschreibt etwa Minni einmal, wie Lizzi einen Jungen quält.

Am Beispiel dieser beiden Figuren wird auch das sprachliche Muster des Stücks sehr deutlich. Der Text, verteilt zwar auf zwei Figuren, strömt bei den Mädchen wie aus einem Mund, mit genau kalkulierten Pausen und Wechseln innerhalb eines Syntagmas. Ergebnis ist ein monotones Staccato, das auf Dauer zunehmend schrill und unangenehm erscheint. Kommunikation, das verdeutlicht das frontale Sprechen ins Publikum, ist nicht mehr möglich, auch wenn bis auf den Vater alle Figuren im gesamten Stück auf der Bühne verweilen.

Der Wirklichkeit entfremdet

Das artifiziell Übersteigerte der Vorlage greift sowohl die Inszenierung von Thilo Voggenreiter als auch das Bühnenbild von Dorothee Curio (auch Kostüme) auf. Alles wird ein bisschen zugespitzt und so der Wirklichkeit entfremdet. Im Wohnzimmer von Tanks Eltern hängt allerlei kaputtes Mobiliar an seidenen Fäden von der Decke herab. Aus einer Stellwand, die die Spielfläche nach hinten abgrenzt, ragen nur wenige Schrägen und Vorsprünge, die den Figuren ebenso wie die Sprache kaum Halt bieten können. Mittig gähnt ein großes Loch den Zuschauer an. Die Bombe ist längst explodiert, soll das wohl heißen. Während des Stücks erscheint immer wieder Tanks Gesicht auf einer Leinwand hinter dieser klaffenden Lücke, mal in Echtzeit aufgenommen mit der Kamera, mal eingefroren.

Damit knüpft die Inszenierung an ein weiteres Thema des Stücks an: die Beweiskraft, ja unsere Sucht nach alles bezeugenden Bildern, und damit verbunden auch die Frage, was man in unserer Mediengesellschaft denn noch so glauben darf. Das alles lässt den Zuschauer aber nach einer guten Stunde Spieldauer seltsam unberührt zurück. Der Schrecken, der auf der Bühne erzählt wird, verliert sich fast unmerklich in der Künstlichkeit der Figuren. Sie liefern keine emotionalen Fixpunkte, nichts, was das Publikum über den Theaterabend hinaus betroffen machen könnte. Die sichere Distanz bleibt gewahrt – mitleiden oder fürchten wird sich niemand vor Tank, Minni oder Lizzi. Anders als bei den realen Opfern und Tätern.

Tank (UA)
von Almut Baumgarten
Regie: Thilo Voggenreiter, Bühne und Kostüme: Dorothee Curio, Musik: Björn Büchner.
Mit: Hannelore Bähr, Sara Nunius, Brigitte Urhausen, Björn Büchner, Rainer Furch, Henning Kohne.

www.pfalztheater.de

 

Kommentar schreiben