Medienschau: Schauspielhaus Zürich – Das Haus reagiert auf Kritik an seiner Arbeit

Vorwurf: "Mobbing und Ausgrenzung"

Vorwurf: "Mobbing und Ausgrenzung"

12. Oktober 2022. Das Schauspielhaus Zürich wurde zuletzt in mehreren Medien für seine schwachen Auslastungszahlen, die ästhetischen Setzungen, vor allem aber für seine politische Agenda kritisiert. Nun verteidigen die Intendanten Benjamin von Blomberg und Nicolas Stemann ihren Kurs.

In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung klagte Schauspieler Sebastian Rudolph, seit 2019 Mitglied des Zürcher Ensembles, es bildeten sich in der Theater-Branche Gruppen, "die suggerieren, eine Mehrheitsmeinung zu vertreten, um andere damit zum Schweigen zu bringen". Die Angst, ausgestoßen zu werden von dieser angeblichen Mehrheitsmeinung, sei so stark, dass viele inzwischen große Furcht hätten, sich überhaupt noch abweichend zu bestimmten Themen zu Wort zu melden. Diese Themen seien "Machtmissbrauch, Rassismus, Gender, MeToo oder kulturelle Aneignung". Rudolph betonte, seine Kritik ziele nicht speziell auf das Schauspielhaus Zürich, "aber es wäre zu einfach, unser Haus aus der Kritik auszuschließen". Weiter heißt es: "Vor zehn, fünfzehn Jahren haben wir uns am Theater alle mehr Haltung gewünscht – nicht immer nur diese Privatismen und ein bisschen witzig. Jetzt haben wir die Haltung, aber ich merke, wie es mir gegen den Strich geht, wenn Kunst sich so explizit tagespolitisch positioniert. Ich glaube, dass wir als Theater dafür da sind, den Denkraum aufzumachen, und nicht dafür, eine bestimmte Meinung vorzugeben. Aber damit stehe ich – auch an meinem Haus – im Widerspruch zu Leuten, die das ganz anders sehen."

Dem Interview vorausgegangen war ein Beitrag Rudolphs im Fachmagazin Theater heute (10/2022), in dem der Schauspieler ähnliche Vorwürfe gegen den Theaterbetrieb erhob. Es hieß darin: "Man schweigt lieber, wartet ab, zieht den Kopf ein. Denn an die Stelle von ungerechten Strukturen sind die neuen Herrscher getreten: Mobbing, Verleumdung und Shitstorm. Ganz offen werden Auftrittsverbote gefordert, Kündigungen von Kollegen, Zensur von Texten und Autoren oder im simpelsten Falle, wie jetzt beim Theatertreffen, der Entzug der Eintrittskarte, wenn man sich falsch verhalten hat."

In der letzten Sonntagsausgabe der Zürcher Zeitung Tagesanzeiger wirft Redakteur Rico Bandle dem Zürcher Schauspielhaus auf Basis der Aussagen Rudolphs "Mobbing und Ausgrenzung" vor. Sein Text liest sich wie eine Generalkritik an der Intendanz von Benjamin von Blomberg und Nicolas Stemann. "Das Schauspielhaus stellt den Produktionsteams seit einigen Jahren 'Intimacy-Coachs' zur Seite, die verhindern sollen, dass während den Proben Rassismus oder Sexismus vorkommen. Es klingt fast wie aus einer Komödie: Ausgerechnet in einer Institution, in der sich alle besonders aufgeschlossen und tolerant geben, braucht es Aufpasser, damit die Leute das tun, was selbstverständlich sein sollte: anständig miteinander umgehen."

Weiter heißt es: "Es werden kaum mehr klassische Theaterstücke im Originaltext gespielt, sondern fast nur noch in abgewandelter Form, mit gendergerechter Sprache und einem politisch korrekt zusammengesetzten, multikulturellen Ensemble."

Als weiteren Gewährsmann führt Bandle den Schauspieler Robert Hunger-Bühler an, der nach wenigen Wochen Proben aus der Produktion von Milo Raus Zürcher Wilhelm-Tell-Inszenierung ausgestiegen sei. "Das Theater ist ein Kuschelraum für politisch korrekte Künstler geworden, um sich und die Zuschauer vor unangenehmen Erlebnissen zu schützen", so Hunger-Bühler.

In einem Statement auf der Website ihres Theaters weisen Benjamin von Blomberg und Nicolas Stemann die Vorwürfe nun zurück. Der Mobbing-Vorwurf sei absurd, heißt es da. "Es ist ein indiskutables journalistisches Vorgehen, an anderer Stelle in Form eines Essays und eines Interviews von Ensemblemitglied Sebastian Rudolph getätigte Aussagen aus dem Kontext zu reissen, sie derart gegen das Schauspielhaus in Stellung zu bringen und dies nicht mit ihm abzusprechen. Sebastian Rudolph verwehrt sich entschieden gegen diese Instrumentalisierung und wird das demnächst durch ein Interview zusammen mit unserer Diversitätsagentin Yuvviki Dioh auch öffentlich machen."

Die Intendanten erkennen in dem Tagesanzeiger-Artikel und einem weiteren in der Neuen Zürcher Zeitung "kampagnenhafte Züge". "Uns ist bewusst, dass diese Artikel andere noch weit mehr verletzen und verstören, als sie uns treffen. Und auch, dass das wahrscheinlich erst der Anfang war. Wir werden alles, was wir dafür tun können, tun, um diesen Einschüchterungsversuchen entgegenzutreten. Für uns ist der Kurs der weiteren Inklusion und Diversifizierung nicht verhandelbar. Wir befinden uns damit im Einklang mit dem Kulturleitbild, das die Stadt Zürich den Institutionen gegeben hat."

(FAZ / Theater heute / Tagesanzeiger / Schauspielhaus Zürich / miwo)

Update vom 14. Oktober 2022

In Reaktion auf die Kritik am Schauspielhaus Zürich sprechen Ensemble-Mitglied Sebastian Rudolph und Yuvviki Dioh, die Diversitätsbeauftragte des Schauspielhauses, mit dem Tages-Anzeiger über die Vorwürfe und die Stimmung am Haus. Das Interview geht auf eine Initiative des Schauspielhauses zurück und wurde bereits im Statement der Intendanten Benjamin von Blomberg und Nicolas Stemann angekündigt.

Zu Beginn des Interviews distanziert sich Sebastian Rudolph "von der verkürzten Darstellung meiner Aussagen in verschiedenen hiesigen Medien". Die progressive Agenda der neuen Intendanz sei für ihn ein wichtiger Grund gewesen, 2019 ans Schauspielhaus Zürich zurückzukehren. Seine Äußerung zur im Theaterbetrieb grassierenden Furcht, von der "angeblichen Mehrheitsmeinung" ausgestoßen zu werden und sich deswegen nicht mehr abweichend zu Themen wie Rassismus, Machtmissbrauch oder Gender zu Wort zu melden, habe sich auf Stadttheater in Österreich, Deutschland und der Schweiz bezogen, nicht aufs Schauspielhaus Zürich, das er gleichwohl nicht von der Kritik ausnimmt.

Als eine nachvollziehbare Folge von Veränderungen sieht die Zürcher Diversitätsbeauftragte Yuvviki Dioh die derzeitige Diskussion: "Will man marginalisierte Positionen sichtbarer machen, bedeutet das auch etwas für die privilegierte Position", sagt sie. "Das kann verunsichern. Man kann Angst bekommen, etwas Falsches zu sagen oder zu machen, besonders, wenn man die anderen Lebensrealitäten noch nicht kennt. Das ist nachvollziehbar. Sensibilisierung ist ein schwieriger, auch schmerzhafter Prozess."

"Wir haben uns gefreut, dass es endlich wieder mehr Haltung und Positionen im Theater gibt!", sagt Sebastian Rudolph. "Aber es geht damit auch eine Ideologisierung einher." Theater werde von manchen als Schutzraum verstanden. "Das knallt aufeinander. Auch in den Proben." Diese seien nicht mehr der einmal verabredete Raum, in dem "erst mal alles erlaubt ist". Die Stärkung marginalisierter Menschen sei richtig, auch, dass sie Stop sagen dürften, wenn etwas gegen ihre Überzeugungen gehe und sie verletze. "Andererseits will ich auch die Kunstfreiheit verteidigen", so Rudolph. "Etwa dann, wenn ein politisch unkorrekter Satz aus dem Text gestrichen werden soll, weil er etwas triggern könnte, er aber gleichzeitig die Figur kennzeichnet, die ihn spricht. Da habe ich selbst zwei Seelen in meiner Brust."

Rudolphs Ansicht nach wirken sich auch die diffuseren Verantwortlichkeiten in einem Kollektiv auf die Stimmung in einem Ensemble aus: "Der einstige 'böse' Intendant als Feindbild produzierte auch Solidarität im Ensemble. Inzwischen ist dieses kein geschlossener Block mehr." Yuvviki Dioh versichert, "diese schwierige Debatte innerhalb des Ensembles zu begleiten". Und Rudolph bekräftigt: "Das muss man aushalten, auch wenn man Freude am Neuen hat. So ein alter Vogel wie ich, der vielleicht nicht mehr noch voll den Tanz macht, denkt dann: Wo bleibe ich? Das löst eben, wie gesagt, auch Ängste aus."

(Tages-Anzeiger / eph)

Im Interview mit Ueli Bernays von der Neuen Zürcher Zeitung (14.10.2022) begegnet Christopher Rüping der Kritik am Schauspielhaus, dem er mit Beginn der Intendanz Stemann/von Blomberg als Hausregisseur verbunden ist. Er verwahrt sich gegen den Eindruck, dass die künstlerische Arbeit durch politisch korrekte Praktiken gegängelt werde. Mit der Frage, wie man die Institution für neue Zuschauerschichten öffnen könne, "entstehen keine Denk- und Redeverbote, sondern ein geschärftes Bewusstsein für den Umgang miteinander. Keine Einschränkung also, eine Erweiterung", so Rüping.

Zur Frage, ob Irritationen und Provokationen und mithin politisch Unkorrektes nicht auch zur Kunst gehörten, sagt der Regisseur: "Ich persönlich bin an der Provokation als theatralem Mittel nicht interessiert. Der verzweifelte Versuch, Aufmerksamkeit zu erregen, indem man das angeblich Unsagbare herausblökt – das ist eine Masche von Trump und den Politikern der AfD. Wir brauchen sie nicht auch noch im Theater."

Einblick in seine Idee von Teamarbeit gibt Rüping auch: "Die Menschen, mit denen ich arbeite, sind Künstlerinnen und Künstler, die nicht einfach ausführen, was ihnen jemand sagt. Sie sind interessiert an der Entwicklung des gesamten Projektes. Insofern ist unser Prozess ein kollektiver."

(nzz.ch / chr)

Update vom 19. November 2022

In der Neuen Zürcher Zeitung reagiert der Co-Intendant des Zürcher Schauspielhauses Nicolas Stemann auf die jüngste Kritik in Schweizer Medien an seiner Institution ("zu woke", die Zuschauer rennen weg!).

Und Stemann nimmt kein Blatt vor den Mund, das was den mauen Publikumsbesuch angeht: "Wir müssen herausfinden, ob die gegenwärtige Delle der Zuschauerzahlen ein Zeichen dafür ist, dass wir in einem Medium arbeiten, das von gestern ist und gerade stirbt, oder an einem Theater der Zukunft, das erst dabei ist zu entstehen."

Selbstredend hofft Stemann auf letzteres und schreibt: "Dass unser Programm zu Debatten reizt, könnte auch ein Zeichen dafür sein, dass uns mehr gelingt, als so manchem lieb ist. Sinkende Abo-Zahlen sind auch ein Zeichen für einen Generationswechsel."

Stemann überprüft einzelne der Schauspielhaus-Inszenierungen und geht den aus seiner Sicht von Ovationen und Emotionen geprägten Spielplan einer Woche durch. Den Zuschauerschwund bei Live-Veranstaltungen (nicht nur im Theater, auch im Konzertbereich) diskutiert er im überrgionalen Zusammenhang.

Die Kritik an seinem Haus sieht er politisch grundiert, in einer Sehnsucht nach dem Alten, und kontert: "Wir leben in einer Zeit der grossen gesellschaftlichen Veränderungen, vor denen wir unser Theater nicht verschliessen wollten und die sich entsprechend bei uns abbilden, inklusive der damit verbundenen Konflikte und Debatten. Vielleicht wäre es bequemer, wenn es anders wäre und wenn man einfach so weitermachen würde wie bisher – ich fände es völlig verkehrt. Geht es bei alldem, was so schnell als 'Wokeness' abgekanzelt wird, doch immer auch um Gerechtigkeit." Sein Credo: "Belehren, Bekehren, Predigen – all das hat im Theater nichts zu suchen. Verblüffen, Überraschen, Berühren, Unterhalten dagegen schon."

(nzz.ch / chr)

Kommentare  
Medienschau Zürich: Missverständnis
"Es klingt fast wie aus einer Komödie: Ausgerechnet in einer Institution, in der sich alle besonders aufgeschlossen und tolerant geben, braucht es Aufpasser, damit die Leute das tun, was selbstverständlich sein sollte: anständig miteinander umgehen.“

Das hat jemand grundlegend missverstanden, worum es geht. Es gibt leider keine Kulturorganisation, die frei von Machtstrukturen und Diskriminierung ist. Es ist unglaublich wichtig, dass Verantwortliche das erkennen und Maßnahmen wie die Begleitung durch Intimacy Coaches umsetzen, um gegenzusteuern. War für ein Irrglaube, dass Häuser, an denen es keine Diversitätsbeauftragten, Antidiskriminierungs-Stellen oder externe Berater*innen gibt, diese schlicht nicht brauchen. Es ist souverän, konsequent und notwendig, sich bewusst zu machen, wie viel noch zu tun ist... und dass es dazu immer wieder auch der Unterstützung von Expert*innen bedarf.
Medienschau Zürich: Verschiebungen
Ich finde diese Diskussion, die hier stattfindet/angeschoben wurde, richtig, wichtig und sinnvoll. Auch ich kann diese komödienhafte Vorsicht und Empfindsamkeit am Theater sehen. Trigger sind anstelle von Argumenten getreten, nicht selten ist keine Debatte mehr möglich, weil es nur noch darum geht, WIE miteinander geredet werden kann und wer überhaupt etwas sagen darf. Sollte tatsächlich mal engagiert und inhaltlich debattiert werden, kommt sehr bald der Pfiff eines der vielen Schiedsrichter, denn immer fühlt sich irgendjemand von irgendwas verletzt. Das ist dann eben wichtiger als jede inhaltliche Debatte. Überall Mimosen und Polizisten, die diese Mimosenhaftigkeit beschützen und auf die Beachtung der immer zahlreicher werdenden Verbotstafeln achten.

Ich finde, dieser erzieherische Ansatz ist eine Sackgasse. Als Mensch und Theatergänger möchte ich für voll genommen werden. Denkräume öffnen ist gut, aber bitte überlasst den Leuten das Denken selber. Ich wünsche mir einen entspannteren Umgang miteinander.

Höchste Zeit für den nächsten Schritt: Die Theaterbetriebe sind längst sensibilisiert auf jedwede Diskriminierung. Man muss nicht ständig nach Machtmissbrauch, versteckten Rassisten und Sexisten Ausschau halten. Entspannt euch. Und dann bitte: Teilt wieder aus, steckt wieder ein, lasst es fließen, bringt Energie in die Probenarbeit, dann fließt sie auch in die Aufführungen, was sich letztlich auch auf die Zuschauerzahlen auswirken dürfte.

Und noch ein Aspekt wird hier deutlich: Machtstrukturen lassen sich nicht abschaffen oder aufheben. Sie verschieben sich nur. Es ist nicht unbedingt besser, was an Häusern wie dem Schauspielhaus Zürich realisiert wird, nur anders.
Medienschau Zürich: Selbstkritischer Blick
Hört sich natürlich erstmal ganz gut an Herr Rüping. ich denke mal die aller meisten würden so ihre eigene Arbeit beschreiben. Ein selbstkritischer Blick sollte auch Ihnen möglich sein, bzw würde ich von Ihnen erwarten!! Das ist natürlich schwer....aber erforderlich und notwendig....nicht nur bei Herrn Rüping, sondern bei allen!!!!
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