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Metropoltheater München setzt Inszenierung von "Vögel" ab
18. November 2022. Nach dem Vorwurf antisemitischer Inhalte im Theatertext "Vögel" von Wajdi Mouawad setzt das Metropoltheater München alle weiteren Vorstellungen der Inszenierung ab. Das gab das Theater in einer Pressemitteilung bekannt.
Die Inszenierung war nach einem Offenen Brief der Jüdischen Studierendenunion Deutschland und des Verbandes jüdischer Studenten in Bayern schon vor zwei Tagen vorerst abgesetzt worden. Das Stück mache "Holocaust-Relativierung sowie israelbezogenen Antisemitismus salonfähig", heißt es der Süddeutschen Zeitung zufolge in dem Schreiben vom 8. November 2022. Nun soll es dauerhaft keine Vorstellungen von "Vögel" mehr geben, "um weitere Gräben in der Gesellschaft zu verhindern und um ein klares Zeichen gegen Antisemitismus zu setzen", so Jochen Schölch, Leiter Metropoltheater München, in der Pressemitteilung.
Nach Gesprächen vor allem mit jüdischen Bürger:innen und Vertreter:innen der jüdischen Gemeinde nach den von den Studierenden erhobenen Vorwürfen könne das Theater verstehen, "warum die kritisierten Textstellen bei manchen Menschen so starke negative Reaktionen hervorrufen können". In der Pressemitteilung bedauert das Metropoltheater die entstandenen Verletzungen und "die empfundene Herabsetzung, die uns sehr leid tun".
Am Sonntag, den 20. November 2022, sollte eine Sondervorstellung stattfinden, um Vertreter:innen der israelitischen Kultusgemeinde München, des Münchner Stadtrats, der Studierendenverbände VJSB und JSUD und der Medien zu ermöglichen, sich eine Meinung zu Text und Inszenierung zu bilden. Diese wurde nun ebenfalls abgesagt. Ein im Anschluss an die Vorstellung geplantes Gespräch erscheine "in der derzeit erhitzten Atmosphäre nicht möglich und nicht konstruktiv", heißt es dazu in der Pressemitteilung. Stattfinden sollen nun in Zusammenarbeit mit dem Kulturreferat interne Gespräche mit Expert:innen, um die Vorgänge "in einem allseitig respektvollen Umgang" aufzuarbeiten.
Zu Anfang hatte das Metropoltheater die Vorwürfe noch zurückgewiesen. "Vögel" befasse sich "mit Fragen zur Identität, Toleranz und Versöhnung" und, so Intendant Jochen Schölch laut SZ, gelte "überall als Stück der Stunde" und werde "als der moderne 'Nathan der Weise' bezeichnet". Verwundert zeigte sich das Metropoltheater auch schon in der vorangegangenen Presseaussendung vom 16. November, dass die Antisemitismusvorwürfe gegen Mouawads Theatertext nicht schon vorher erhoben worden seien. Entstanden sei der Text mit jüdischen und arabischen Mitgliedern von Mouawads Ensembles, so das Metropoltheater, unter Beratung durch die jüdische Historikerin Natalie Zemon Davis. Uraufgeführt wurde das Stück "Vögel" im Jahr 2017 in Paris. Im Jahr 2018 wurde die Produktion in Tel Aviv gezeigt und es fand die deutsche Erstaufführung im Staatsschauspiel Stuttgart statt. Im Jahr 2019 erwarb das Metropoltheater die Aufführungsrechte für München; die Premiere sollte Anfang 2020 stattfinden, wurde aber coronabedingt mehrfach verschoben und erfolgte am 6. Oktober 2022.
(Metropoltheater München / Süddeutsche Zeitung / eph)
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Ist das nicht eine Art Zensur? So was gabs in der DDR,
oder in Ungarn, gibts in Russland. Aber in der Bundesrepublik? Nicht dass ich wüsste.
Ein hochgelobtes, schon oft gespieltes Stück, gute Kritiken auch fürs Metropoltheater, sehr nachgefragte Vorstellungen- und dann will eine Minderheit, eine Mehrheit dominieren? Und schafft das auch.
Ist das nicht undemokratisch?
Und der Regisseur des Stückes und Intendant des Hauses setzt seine eigene Inszenierung ab.
Ich fürchte so verspielt Theater wieder weiter ein Stück Relevanz…
Ich bedaure allerdings die Nicht-Berichterstattung. Interessant und wichtig zu wissen wäre doch: Was in dem Stück wird als antisemitisch gelesen?
Sie fragen sich, ob das noch demokratisch sei, wenn eine Minderheit eine Mehrheit dominiere. Ja, ich glaube schon, dass das - unter Umständen - demokratisch ist. Meines Erachtens handelt es sich beim Prinzip der Demokratie nämlich nicht um eine Frage von Mehrheitsverhältnissen, sondern um eine des Umgangs. Demokratie bedeutet für mich Dialog, Debatte, Abwägung, Bemühung. Bemühung um einen guten Umgang miteinander und um ein - für möglichst alle - gutes Leben. Dass eine Inszenierung abgesetzt wird, kommt selten vor. Und dann gehen dem intensive Beratungen voraus. Das scheint mir auch im Fall des Münchner Metropoltheaters so gewesen zu sein. Ich finde es richtig, Inszenierung gegebenenfalls "aus dem Verkehr zu nehmen" und sie noch einmal gründlich zu begutachten. Schließlich ist es auch nicht verboten, sie dann zu überarbeiten und nochmals herauszubringen. - Ich selbst habe von dem betreffenden Theaterstück erst eine Inszenierung gesehen, in einem Stadttheater am Niederrhein, im vergangenen Sommer. Und auch ich war damals erschrocken über den latenten Antisemitismus, der - neben manch Schönem und Gutem - in diesem Text mitschwingt. Aber noch viel mehr hat mich schockiert, mit welcher Naivität die Regie diesen Text mit all seinem Für und Wider "runterinszeniert" hat. Ich halte nichts von Zensur. Umso mehr halte ich etwas von der Kraft und Fähigkeit des Theaters, zu einem Text bzw. der von ihm repräsentierten/ formulierten Wirklichkeitssicht Haltung zu beziehen und dies öffentlich zu machen. Eine Haltung, der gegenüber dann auch Zuschauende eine Haltung finden und einnehmen können. Und irgendwo im Laufe dieses Prozesses, da beginnt für mich beispielsweise auch Demokratie.
Im Gegenteil! Eine Inszenierung gilt in der heutigen Medienwelt bereits als „umstritten“, wenn vier junge Menschen einen Tweed absetzen, in dem sie ihre Meinung äußern und alle Medien plappern den Inhalt ungeprüft nach, weil sie schnell und zeitnah reagieren wollen. Aber wo bleibt die eigene Recherche? Hat der Radio- bzw. Printjournalist bei den eigenen Kollegen nachgefragt, der die Theaterrezension verfasst hat? Offensichtlich nicht, denn alle Theaterkritiken zu Jochen Schölchs Inszenierung loben seine feinfühlige textgetreue Arbeit. Es genügen demnach einige Schlüsselworte wie „Antisemitismus“ um unsere Wahrnehmung zu verändern. Diese wird zügig im politischen „Diskurs“ fortgeführt, von Menschen, die erkennbar die Vorstellung nicht gesehen haben – von der CSU bis zu den Grünen und der jüdischen Gemeinde. Leider tragen auch diese Beiträge nicht zu Versachlichung bei, im Gegenteil: ein Privattheater gerät massiv unter politischem Druck und wird zum Spielball von Interessensgruppen. Spätestens zu dem Zeitpunkt, an dem das Münchner Kulturreferat per Pressemitteilung die Spielplanänderung des Theaters der Öffentlichkeit kommuniziert, spürt man auch als Außenstehender welche enormen Kräfte auf die Theaterleitung einwirken.
Ich gehöre zu den wenigen Menschen, die in der Vorstellung waren und den Tenor der veröffentlichen Theaterkritiken teilen. Natürlich kann ich verstehen, dass man sich als Zuschauer über Äußerungen von einzelnen Theaterfiguren ärgern kann; man darf sich auch über ein komplettes Stück ärgern. Aber seinen Ärger verbunden mit schweren Vorwürfen in die Welt hinauszuposaunen, verbunden mit dem Logo einer Studentenorganisation, und dann nicht bereit zu sein, diese schweren Vorwürfe auch öffentlich mit den Theaterleuten zu diskutieren, ist ausgesprochen dürftig. Und die Stadt bzw. das Kulturreferat möchten möglich schnell das unliebsame Thema vom Tisch haben. Niemand will eine „Antisemitismus-Diskussion“ in München, aber am Metropoltheater bleibt letztlich der Vorwurf kleben, unseriös gearbeitet zu haben.
Hat das Metropoltheater etwas falsch gemacht? Das Metropoltheater hat nichts falsch gemacht, es hat nur nicht mit der gewaltigen Welle und Dynamik des Mediensturms gerechnet. Über diese Entwicklung müssen wir als Gesellschaft dringend nachdenken und Konsequenzen ziehen! Denn für unbeteiligte Leser bleibt der falsche Eindruck, dass hier Jochen Schölch nicht sensibel genug war. Das Gegenteil ist der Fall: „Die Vögel“ sollten gezeigt und diskutiert werden.
Ich habe das Stück erlebt und kann nur sagen:
Hier geht es um Meinungen und Gefühle Einzelner, die ich respektiere.
ABER: Die vielzitierten und kritisierten Textpassagen kann man im Zusammenhang des Gesamtstücks auch anders empfinden - so wie viele Juden, die das Stück wohl auch schon vorher gesehen haben.
Aus dem Zusammenhang gerissen, können diese Passagen tatsächlich antisemitisch interpretiert werden.
Ich sehe diese Art von versuchter Kulturzensur kritisch und befürchte, dass die Verursacher sich hiermit einen Bärendienst erwiesen haben. So manche extremistische Richtungen in unserem Lande wünschen sich genau solche Anlässe.
(Dieser Kommentar wurde um eine Passage gekürzt, die nicht unseren Kommentarregeln entspricht.
Herzliche Grüße
Ihre nachtkritik-Redaktion)