Beim Feedback krass falsch abgebogen

20. November 2022. George Orwells Parabel über die Entstehung des Stalinismus auf einem Bauernhof ist ein Klassiker der politischen Literatur. Am Schauspielhaus Wien übersetzt Tomas Schweigen den Stoff in einen klugen Meta-Theaterabend über die diskreten Rollenspiele der Macht: "Faarm Animaal".

Von Theresa Luise Gindlstrasser

"Faarm Animaal" in der Regie von Tomas Schweigen am Schauspielhaus Wien © Matthias Heschl

19. November 2022. Über dem Feld hängt ein nasser Nebel. Der Postbote flüchtet sich ins Auto und der Hof steht still alleine. Vier Schafe, das heißt: vier mit Schafsmasken, gucken interessiert in die Kamera. Das Pferd harkt am Acker, wären da nicht diese Fransen, die wieder und wieder aus der Stirn geschüttelt werden wollen. Schnitt: Missmutige Schweine begutachten den verwüsteten Wintervorrat. Die Äpfel, der Salat, das Vorhängeschloss.

Mit einem 20-minütigen Kurzfilm hebt Regisseur Tomas Schweigen für eine Auseinandersetzung mit "Animal Farm" an, also George Orwells 1945 erschienener Parabel auf die Geschichte der Sowjetunion. Nach erfolgreicher Revolution übernehmen da die Tiere gemeinschaftlich den Hof, bis das Schwein Napoleon eine diktatorische Herrschaft etabliert und auf der Scheune plötzlich geschrieben steht: "Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher".

Für "Faarm Animaal" am Schauspielhaus Wien wird der Terror Stalins in Filmbilder schockierender – es war doch grade noch so komisch, es war so poetisch – Brutalität übersetzt. Während der schnellste Hund das rebellische Pferd akustisch zerbeißt, starrt die Kamera auf die Meute, die auf die Zerfleischung starrt.

Machtspiele auf dem Bauernhof

Dabei variiert die Darstellung der Tiere stark. Es gibt aufrecht durch Wiesen schlendernde Hühner und Schweine mit verschränkten Armen. Aber es gibt auch zwei mit Katzenmasken, deren Imitation von Pfotenbewegungen noch die letzten dog people in Entzückung über cat content versetzen müsst. Dieses Beieinander der verschiedenen Spielweisen weist auf die später am Abend artikulierte Frage nach der Einfühlung – in Tiere, in Rollen – voraus. Ergänzt werden die Filmbilder durch Voiceover-Stimmen, die das Verhältnis von Mensch und Tier und ihre jeweilige Einstellung zum Spiel reflektieren oder lapidar über Orwells Text sinnieren. Die 20 Minuten vergehen wie im Flug.

Dann fährt die Projektionsfläche hoch und das siebenköpfige Schauspielhaus-Ensemble betritt, naja beschlüpft, die Bühne durch eine Katzenklappe. Den Waldviertler Hof, auf dem gedreht wurde, tragen sie, von Kostümbildnerin Giovanna Bolliger zum Team uniformiert, auf ihre Pullis gedruckt weiterhin mit sich herum. Aber der von Stephan Weber entworfene Innenraum stellt keine gute Stube dar, sondern wird, eng und karg und mit ausreichend Sitzbällen ausgestattet, sofort zum Ort gruppendynamischer Machtspiele.

Faarm Animaal2 805Matthias Heschl uGedreht auf dem Waldviertler Hof: Filmstill aus "Faarm Animaal" © Michael Schindegger

Es haben sich hier also sieben Personen aus der menschlichen Gesellschaft in ein gemeinsames Petplay verabschiedet. Während Sebastian Schindegger im selbstgewissen Tonfall selbstverständlicher Autorität eins nach dem anderen, alle Mitglieder der Gruppe auffordert, in der Mitte des Sitzkreises Platz zu nehmen und dem Feedback der anderen in Bezug auf die jeweilige Tier-Performance zu lauschen, mimt Sophia Löffler hier noch ein ergebenes Teacher's Pet, aber erweist sich im Verlauf des Abends als gnadenlose Marionettenspielerin. Das gefrorene Lächeln, mit dem Vera von Gunten diese ultra-doch-nur-das-Beste-aus-ihr-heraus-holen-wollende Kritik an ihrer Darstellungskunst über sich ergehen lässt, spricht Bände: Die toxische Dynamik hat alle Abwehrkräfte geschwächt, diese Kommunard*innen funktionieren im Überlebensmodus. So herzerwärmend es ist, Jesse Inman beim sich über ein Kompliment geschmeichelt fühlen zu betrachten, so grausam wirkt die entsolidarisierende Kraft und irgendwann wird aus Bestechung Erpressung, dann nackte Drohung.

Legeres Spiel zwischen Film und Bühne

Dabei bleibt die Stimmung durchgängig unaufgeregt, ganz leger wird auch immer wieder mal das Publikum angesprochen, mit einbezogen, ein witziger Verweis auf die theatrale Situation hier, eine surreale Tanzeinlage da. Das unaufhörliche Summen einer Melodie, die nach den ersten drei Tönen der Internationalen irgendwo ganz woandershin abbiegt, bettet die sich nebenher vollziehende Demontage demokratischer Strukturen in eine heitere Gruppenaktivität ein.

Nach und nach erschließt sich das Verhältnis zwischen Film und Aufführung, zwischen Draußen und Drinnen auch noch in zeitlicher Hinsicht: Weil Tiere in einer "fortgesetzten Gegenwart" zuhause sind, funktioniert der zweite Teil des Abends in quasi Gleichzeitigkeit mit dem ersten beziehungsweise wiederholt die Geschehnisse aus anderer Perspektive.

Kluger Meta-Abend

Der ganze Abend vergeht im Flug. Und ist auf eine sympathisch unaufdringliche Art und Weise klug. Denn der gesprochene Text lässt sich immer mindestens dreifach verstehen: in Bezug auf die Selbsterfahrungs-Gruppensituation, als ein Nachvollziehen der Handlung von "Animal Farm" und in Reflexion aufs Theater, auf die Schauspielkunst. Wie geht denn das, andere Perspektiven versuchen? "Was real ist, ist das Werden", diese Pointe auszusprechen darf Clara Liepsch am Ende nochmal vor Filmbildern sitzen. Tier-Werden, Mensch-Werden, doch noch wieder Demokratie-Werden. Ein Finale zärtlicher Hoffnung.

 

Faarm Animaal
nach George Orwell
Regie: Tomas Schweigen, Bühne: Stephan Weber, Kostüme: Giovanna Bolliger, Musik: Martin Gantenbein, Ton: Benjamin Bauer, Christoph Pichler, Licht: Oliver Mathias Kratochwill, Kamera: Michael Schindegger, Schnitt: Daniel Rutz, Color Grading: Andi Winter, Originalton: Jakob Klingebiel, Sounddesign: Benjamin Bauer, Jón Geirfinsson, Klavier Einspielung: Ken Mallor, Dramaturgie: Hannah Salentinig, Choreographie & Regieassistenz: Melina Papoulia.
Mit: Simon Bauer, Vera von Gunten, Jesse Inman, Clara Liepsch, Sophia Löffler, Sebastian Schindegger, Til Schindler.
Premiere am 19. November 2022
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.schauspielhaus.at

 

Kritikenrundschau

"Mit einem exzellenten Stück- und Regiekonzept bringt Tomas Schweigen diesen Spielraum gedanklich zum Wummern, ohne je in die Nähe banaler Verkleidungseuphorie zu geraten", schreibt Margarete Affenzeller im Standard (22.11.2022). Die Aufgabe, das Tier im Inneren zu suchen, führe dazu, dass noch mehr Mensch herauskommt – das sei ein wahres Abenteuer. "Was für ein schöner Kampf, herrliches Theater."

"Im Schauspielhaus beherbergt ein verlassener Bauernhof eine sektenähnliche Vereinigung verwirrter Zeitgenossen", schreibt Petra Paterno in der Wiener Zeitung (22.11.2022): "Inhaltlich gerät der Abend etwas krude, aber szenisch entfaltet sich im Lauf der 70-minütigen Vorstellung ein ungewöhnlich gelungenes und amüsantes Zusammenspiel von Film und Performance." Es sei "ein seltsamer Theaterabend", der "einen aber auch etwas ratlos zurücklasse", so die Kritikerin.

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