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Verlag der Autoren kritisiert "Vögel"-Absetzung

22. November 2022. Mit "großer Bestürzung" habe der Verlag der Autoren, in dessen Programm Wajdi Mouawads Stück "Vögel" erscheint, die Entscheidung des Münchner Metropoltheaters zur Kenntnis genommen, das Stück vom Spielplan zu nehmen. Das teilt der Verlag heute in einer Presseerklärung mit. Die von zwei jüdischen Studierendenverbänden in einem offenen Brief erhobenen Vorwürfe des Antisemitismus seien "ungerechtfertig". Jüdinnen und Juden würden in dem Stück "nicht 'als prinzipiell rassistisch dargestellt und dämonisiert', wie es in dem Brief heißt", so die Pressemitteilung, die anschließend auf mehrere kritisierte Passagen des Stücks eingeht. So sei etwa die Zuschreibung antisemitischer Züge bei der Figur des Holocaust-Überlebenden Etgar "nicht nachzuvollziehen": 

"Etgar reist, als sein Enkel Eitan bei einem Bombenanschlag von palästinensischen Terroristen schwer verletzt wird, zu ihm. Infolge des Attentats herrschen am Flughafen von Tel Aviv erweiterte Sicherheitsvorkehrungen; es entsteht ein Gedränge, von dem Etgar seiner Familie später berichtet: 'Da war einer neben mir, in meinem Alter, wir haben uns angeschaut, der sagt: ‚Schicken die uns in den Ofen, oder wie?‘ Wir haben gelacht. Trotzdem. Steckt man mich in eine Menschenmenge, die sich dicht gedrängt langsam vorwärtsschiebt, bin ich gleich in der Hölle.'

Die Verfasser:innen sehen hierin eine Relativierung der Shoa und einen „Vergleich der Verbrechen der Nationalsozialisten mit dem israelischen Staat“. Dies trifft nicht zu. Denn Etgar fühlt sich nicht deshalb an das Vernichtungslager erinnert, weil die –  durch den Anschlag verursachten – Sicherheitskontrollen am Flughafen mit der Tötungsmaschinerie der Nazis in irgendeiner Form vergleichbar wären. Vielmehr werden die erlittenen Traumata in ihm ausdrücklich durch die dicht gedrängte Menschenmenge wachgerufen. Das Lachen ist hier unzweideutig ein Abwehrmechanismus gegen die hochsteigende Erinnerung an das erlebte Grauen."

Wajdi Mouawas Stücke wendeten sich "gegen jede Form von Hass und Fundamentalismus". Auch "Vögel" sei "ein Aufruf zur Versöhnung – zwischen den Religionen, den Völkern, den Generationen", so die Pressemitteilung, die zudem auf die Entstehung des Stücks verweist:

"Da die Verfasser:innen des Offenen Briefs die libanesische Herkunft des Autors erwähnen, möchten wir noch darauf hinweisen, dass 'Vögel' unter beratender Hinzuziehung der international renommierten Historikerin und Kulturwissenschaftlerin Natalie Zemon Davis entstanden ist."

(Verlag der Autoren / jeb)

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Kommentare  
Verlag kritisiert "Vögel"-Absetzung: Riesen Abenteuer
Ich bin Schauspieler lebe in Israel und habe Etgar in Paris unter Wajdis Regies gespielt (wir haben auch vier Vorstellungen in Tel Aviv gehabt und es war ein Erfolg)
Es ist ein ein sehr gutes Stück, es geht um eine Verbotene Liebe (Jude, Palästinenserin) und um drei Generationen jeder mit seiner Vergangenheit, Probleme, Meinungen...Es ist kein Antisemitisches Stück! Wir haben mehr als 150 Vorstellungen gehabt,
(die Besetzung war international, Araber, Israelis, Deutsche etc) Es war ein riesen Abenteuer!
Verlag kritisiert "Vögel"-Absetzung: Erleichtert
ich bin sehr erleichtert über diese reflektierte Stellungnahme! "Vögel" begibt sich mit seinem Sujet natürlich unmittelbar in die Gefahrenzone und bietet Angriffsfläche für politische oder idologische Vorwürfe. Dabei macht es den Nah-Ost Konflikt für den Rezipenten plastisch und genau das ist die stärke des Stückes. Das Figuren ambivalent sind und ihre Äußerungen subjektiv aus ihrer Perspektive stammen, gehört zu gutem Theater!
Verlag kritisiert "Vögel"-Absetzung: Respektvolle Entscheidung
Ich kenne weder das Stück noch die Inszenierung. Aber es leuchtet mir sehr ein, dass eine Inszenierung - unabsichtlich - in der Tendenz diskriminierend sein kann oder Traumata reproduzieren kann, noch dazu wenn sie sich mit 'politischen' Themen befasst. Auch wenn Expert:innen im Prozess beratend dabei sind, kann eine Wirkung entstehen, die niemand voraussehen kann. Theaterarbeiten wirken mitunter ganz anders und bewirken unvorhergesehene Dynamiken, wenn Publikum im Saal ist.
Ich sehe es als respektvolle Entscheidung des Metropoltheaters, die Produktion vom Spielplan zu nehmen. Es wäre interessant zu erfahren, ob das noch weiter ausgewertet werden kann.
Verlag kritisiert "Vögel"-Absetzung: Produktiv streiten
Lasst uns produktiv streiten, die Freiheit des Geistes und der Kunst kontrovers leben. Aber bitte nicht mit "Scheren im Kopf", Selbstzensur bzw. der tatsächlichen Zensur!
Die Sensibilitäten kochen in allen Bereichen und Themen hoch, greifen jedoch nicht wirklich achtsam die Missstände an, sondern verlieren sich in kleingeistiger Wortfuchserei.
Nicht zuletzt zeigt der Text den beispielhaft jüdischen Humor und die Überlebenskraft, in dem man sich in solchen Situationen ins Lachen rettet.
Diese Selbstbeschneidung und Zensur des Denkens und der Kunst arbeitet undemokratischen Demagogen in die "Hände", weil sie die denkenden Menschen spaltet!
Ich habe schon in einer Diktatur gelebt, aber wir hatten eine Freiheit ohne Freiheit, im Denken und Handeln.
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