Tänzchen und Täubchen

25. November 2022. Johan Strauß' Operette "Die Fledermaus" zählt zu den berühmtesten Werken des Wiener Walzerkönigs. Musiktheaterregisseurin Anna-Sophie Mahler mixt in den abgründigen Stoff nun Texte des Dramatikers Thomas Köck. Und lässt tasmanische Tiger und anderes Getier auf dem Vulkan tanzen.

Von Katrin Ullmann

"Die Rache der Fledermaus" am Thalia Theater Hamburg © Krafft Angerer

25. November 2022. Artensterben im Dreivierteltakt. Oder: der Walzer-König Johann Strauß trifft den Dystopien-Dramatiker Thomas Köck. Vom Champagner lässt der eine singen, von der Zerstörung der Welt der andere sprechen. Beide sind Österreicher, aber das wars auch schon an Schnittmengen.

Die Fledermaus könnte eine sein, mag sich Anna-Sophie Mahler gedacht haben. Und hat also Strauß' berühmte Maskenball-Operette aus dem Jahre 1874 mit einem Köck'schen Zwischenruf aus "und alle tiere rufen: dieser titel rettet die welt auch nicht mehr" aus dem Jahr 2021 gemeinsam auf die Bühne des Hamburger Thalia Theaters gebracht.

Keine Unterhaltung!

Was für den einen ein verhängnisvolles Kostüm im Libretto und damit titelgebend wurde, ist für den anderen – und damit für unsere Gegenwart – ein vom Aussterben bedrohter Spaltbewohner. Natürlich ist Köcks Text mehr als nur ein Zwischenruf, ist eine Klage und will doch keine sein, ist keine Unterhaltung und will auch keine sein, ist eine Aufzählung, eine Beschreibung, eine Beobachtung des Zustands unserer Welt. Nicht ganz nüchtern, aber auch nicht champagnerselig, nicht ganz moralfrei, aber auch nicht durchweg pathetisch.

Mahler stellt ein Stück des Köck-Texts der Operette voran, vorgetragen von Cathérine Seifert als Frosch mit (warum auch immer) verfremdeter Micky-Maus-Stimme. Traurige Glubschaugen schielen seitwärts aus ihrer aufwendig gestalteten Gesichtsmaske, Saugnäpfe knubbeln an ihren grellgrünen Handschuhänden. Für die Kostümbildnerin Pascale Martin muss diese Produktion ein Fest gewesen sein, für die Werkstätten des Thalia Theaters eine extreme Belastungsprobe. Denn neben dem Frosch sagen sich an diesem Abend Fuchs und Tiger, Taube und Fledermaus, Gazelle und Schildkröte, Wolf und Spatz "Gute Nacht!" und man ahnt, warum im Programmheft hinter: "Maske" gleich vier Namen stehen: Julia Wilms, Esther Chahbaznia, Maria Graf und Judith Rauprich. Eine grandiose Arbeit! Aber der Reihe nach.

Mit Darth-Vader-Stimme

Zu Seiferts Prolog, der vieles nicht will "nicht zum nachdenken anregen" und auch "keine erklärung liefern", der stattdessen "die wunde der welt zelebrieren" will, "diese wunde, in der wir alle vegetieren", dröhnt eine Zeitlang ungutes Wummern, doch dann geht auch schon die Operette los. Zumindest so ungefähr die ersten beiden Akte inszeniert Mahler heiter persiflierend durch. Sie erzählt von der nur vermeintlich betrübten Rosalinde (Gabriela Maria Schmeide), – die tatsächlich aber herrlich wogend auf ihre Jugendliebe Alfred (Julian Greis) wartet. Und von deren Gatten Gabriel von Eisentein (Felix Knopp als FOMO-Partykid), der vermeintlich ins Gefängnis geht, tatsächlich aber gemeinsam mit Dr. Falke (Björn Meyer im Fledermauskostüm mit Darth-Vader-Stimme) zum Feiern zu Fürstfuchs Orlofsky (Odin Biron) abzischt. Und vom wunderbar selbstbewussten Dienstmädchen Adele (Victoria Trauttmannsdorff), das dort ebenfalls geladen ist.

RacheFledermaus1 KrafftAngerer uDunkle, lockende Welt Operette! © Krafft Angerer

Die Inszenierung nimmt schnell operettenhafte Züge an, grimassiert und persifliert diese ein wenig, verlässt sich auf fünf großartiges Live-Musiker und sieben Schauspieler*innen, die präzise spielen und überraschend und ergreifend gut singen können. Sie erzählt von Tänzchen und Täubchen, mit vom Himmel fallenden Briefchen und dort als Projektionen vorbeiflatternden Fledermäusen.

Dialoge und Gesänge im Nebel

Katrin Connans Bühne ist anfangs noch leer. Auf einer riesigen Gaze im Hintergrund leuchten ein paar schemenhafte Waldbewohner – Eule, Wildschwein, Hase, Hirsch – wie im Autoscheinwerferlicht. Erst als sich die Handlung auf Orlofskys Kostümball fortsetzt, fährt Connan mit einem silbrig glänzenden, vielstufigen Zylinder ein wunderschönes Blendwerk auf. Ein Vulkan, auf dem die Partygäste bald singen, bald ausgelassen tanzen, um natürlich bald und böse von dessen Kuppe herab zu purzeln.

Zwischen die Dialoge und Gesänge drängeln sich Nebel und auch mal Feuerwerk, vor allem aber so belehrende wie unterkomplexe Vorträge über den Lebensraum der Gazelle, die verloren gegangenen Grasländer und die Jagdtechniken des Tasmanischen Tigers, über die einstigen Strauchsteppen des Fuchses und die Futtersorgen des Großstadt-Spatzes. So gar keine Fallhöhe oder Polarität schaffen die dazu Walzerwiegenden Strauß-Takte, und erst recht nicht die wirklich schön gesungenen Arien.

RacheFledermaus3 Krafft Angerer u© Krafft Angerer

Noch unterkomplexer wird es, wenn das Publikum zum Refrain-Mitsingen – "Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist!" – aufgefordert wird und die unerträgliche Pathos-Moral fließt spätestens dann in breiten ungehinderten Strömen, wenn nach einer weiteren Köck-Passage – "all die felle / all diese flossen / all diese krallen/ die nie die ufer dieses planeten werden berührt haben" – das "Lacrimosa" aus dem Mozart-Requiem angestimmt wird.

Den letzten Nasenaffen, Schneeleoparden und Saiga-Antilopen und vor allem den letzten Fledermäusen sei es zugerufen: Die Rettung der Welt findet nicht auf der Bühne statt! Und auch nicht auf der Premierenparty. Dort an Bierbänken sitzen zwar eine Handvoll NABU-Mitarbeiter vom "Fledermausschutz Hamburg", doch das Wiener Schnitzel, das für 7.– Euro mit Kartoffelsalat serviert wird, ist – auf Nachfrage – "nicht bio."

 

Die Rache der Fledermaus
von Johann Strauß
mit einem Zwischenruf von Thomas Köck aus und alle tiere rufen: dieser titel rettet die welt auch nicht mehr
Regie: Anna-Sophie Mahler, Bühne: Katrin Connan, Kostüme: Pascale Martin, Sounddesign: Albrecht Ziepert, Musikalische Leitung: Arno Waschk, Chorleitung: Uschi Krosch, Dramaturgie: Julia Lochte.
Mit: Felix Knopp (Gabriel von Eisenstein), Gabriela Maria Schmeide (Rosalinde), Victoria Trauttmansdorff (Adele), Odin Biron (Prinz Orlofsky), Julian Greis (Alfred), Björn Meyer (Dr. Falke), Cathérine Seifert (Frosch) Live-Musik: David Channing/John Thrower, Jonathan Göring/Mareike Eidemüller, Edgar Herzog, Jakob Neubauer, Arno Waschk sowie dem Kammerchor Klub Konsonanz.
Premiere am 24. November 2022
Dauer: ca. 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause 

www.thalia-theater.de

Kritikenrundschau

"Insbesondere der Anfang wirkt forciert, obwohl die Regisseurin die Operette geschickt aufbricht - und nicht verrät", meint Katja Weise im NDR. Arno Waschk habe die Musik "großartig" arrangiert, es wird viel und ganz wunderbar gesungen. Aber lustig sei der Abend nicht und für Operettenfreunde schwere Kost. "Die Botschaft dieser 'Fledermaus' ist schlicht und deutlich: Wir stehen am Abgrund und tun - nichts. Am Ende erklingt noch das Lacrimosa aus Mozarts Requiem. Und es wird eine Liste der Tiere verlesen, die schon ausgestorben sind. Das verstört, hallt nach - doch in Erinnerung bleibt auch ein Ensemble, das schlicht begeistert", resümiert die Kritikerin ihren Eindruck des Abends.

Originell findet Till Briegleb von der Süddeutschen Zeitung (27.11.22) Anna-Sophie Mahlers Idee, die "Rache der Fledermaus" auch als "Metapher für den Verteidigungskrieg der Natur" gegen den Menschen zu lesen, "der für seinen feisten Lebensstil die lebende Welt vernichtet". Allerdings gebe es "kaum lustige Szenen, Slapstick, Pointen oder Leichtigkeit“, urteilt der Kritiker. "Mahlers sehr statische Regie rund um eine spiegelnde Treppentorte (…) müht sich vielmehr sichtlich damit ab, eine schlüssige Verbindung zwischen dem hämischen Schmalz des Walzerkönigs und der schweren Botschaft herzustellen." 

Kommentare  
Fledermaus, Hamburg: Musikalische Leitung unerwähnt?
Also vor allem wenn man wie ich - zufälligerweise - links vorne sitzt, ist es Genuss das Orchester zu sehen und zu hören. Warum wird denn eigentlich der musikalischen Leitung jegliche Erwähnung verweigert, wenn doch sonst alle Bereiche ihren eigenen Absatz haben, noch nicht einmal im Besetzungskasten steht die?
Fledermaus, Hamburg: Batman statt Darth Vader
Liebe Katrin Ullmann,
Björn Meyer liefert in diesem Stück eine grandiose Batman-Parodie ab, mit schrägem Outfit und billigen Pyro-Effekten ( Knallerbsen ) ... seine tiefe Stimme ist angelehnt an die Batman-Trilogie von Christopher Nolan, hier spricht Christian Bale viel tiefer, wenn er sein Batman-Kostüm trägt und nicht als Bruce Wayne unterwegs ist ... die Idee dazu kam übrigens von Christian Bale selbst ... Björn Meyer schafft es perfekt, diese Stimme zu imitieren - mit Darth Vader ( Star Wars ) hat das allerdings nichts zu tun ... das nur als kleine Randbemerkung !
MfG H.Sominka
Fledermaus, Hamburg: Batman und Darth Vader
Lieber Henning Sominka,

vielen Dank für Ihren Hinweis, Ihre kleine Randbemerkung. Ich fühlte mich (allein was die Stimmverfremdung betrifft) stark an Darth-Vader erinnert. Womöglich ist beides „richtig“ - es sind ja nur Assoziationen. Mit freundlichen Grüßen zurück, K. Ullmann
Rache der Fledermaus, Hamburg: Alternativvorschlag
Tanz auf dem Operettenvulkan mit Apokalypse zu verbinden liegt nahe. Doch die -freundlich ausgedrückt- banale Idee die Verbindung lediglich über in der Operette vorkommende Tiernamen herzustellen entbehrt jeder Stringenz. Es gibt ein grandioses Stück zum Thema: Die erfolgreiche „Operette“ von Gombrowicz. Hätte das großartige Thaliaensemble sich doch unter einer klugen Regie dieses Stücks angenommen!
Fledermaus, Hamburg: Dearth Vader?
Liebe Katrin Ullmann, für welches Tier sollte denn um Himmels Willen Darth Vader stehen?
Fledermaus, Hamburg: Vorstellungskraft
Lieber zoologist,
naja. mit wissenschaftlichem Namen heißt es Anakin Skywalker ;)
Ernsthaft: ich schrieb ja lediglich „Dr. Falke (Björn Meyer im Fledermauskostüm mit Darth-Vader-Stimme)“ Nicht mehr, nicht weniger. Manchmal helfen solche Beschreibungen der Vorstellungskraft, oder nicht?
Leserkritik: Die Rache der Fledermaus, Thalia Hamburg
Corona oder die Rache der Fledermaus? In Krisenzeiten – Corona, Energiekrise, Inflation, Krieg, Umweltzerstörung oder gar Vernichtung des Lebens auf der Erde – wer tanzt da nicht gerne auf dem Vulkan, um diese Realitäten zu verdrängen.
Die Premiere der Operette „Die Fledermaus“ von Johann Strauß wurde bereits 1873/74 aufgrund des Gründerkraches (Wirtschaftskrise & Börsenkrach) mehrfach verschoben und auch damals diente die Operettenseligkeit der Realität zu entfliehen, mit ihren walzergeschwängerten und polkabesessenen Melodien. Inspiriert durch die Opéras bouffes wurde dem bürgerlichen Publikum mit bitterböser Ironie der Spiegel vorgehalten. Diesen Cocktail schärft ein Spritzer Köck aus seiner Weissagung über das Verschwinden – „das hier / ist die einsicht /dass der tipping point / hinter uns liegt“. Unser Globalismus auf der ewigen Suche nach Platz und Ressourcen ist die Vernichtungskraft für die Zerstörung der Welt und unsere Selbstabschaffung.
Anna-Sophie Mahler inszeniert diesen Abgesang an unsere Zeit als operettenhaftes Grusical, indem die Kreatur Mensch unbeirrt weiter tanzt auf dem Vulkan operettenhafter Glückseligkeit, ohne zu begreifen, dass diese hemmungslose Ausbeutung der Natur - sein Untergang ist. Die Personen unter Tiermasken wie Fabelwesen leben ihren egomanischen Lebensrausch, ohne ihre eigene Vernichtung zu begreifen. Herrlich wie das Ensemble diese Operettenglückseligkeit ständig bricht durch witzige, ironische und teils zynische Verzerrung der lieblichen Operette. Die Gesangsstimmen der Schauspieler*innen waren beeindruckend gut und insbesondere der Gesang der Adele (Victoria Trauttmansdorff) begeisterte mich durch ihre Reinheit. Felix Knoop als G. von Eisenstein brillierte mit Exaltiertheit und komödiantischer Überzeichnung der Figur und Thomas Niehaus, die Umbesetzung dieses Abends war ihm als Dr. Falk ein ebenbürtiger Gegner. Das Orchester war absolute Spitze und überraschte ständig mit spannenden Arrangements. Der Chor war eine perfekte Ergänzung.
Eine besondere Anerkennung gebührt den Maskenbildnerinnen für die fantastischen Tiermasken. Frech, frivol, spritzig wie auf einem Trip wurde, der Weg in den Untergang zelebriert und trotz aller Mahnungen des Frosches (Cathérine Seifert) waren wir mit von der Partie. Nichts gelernt? Weiter auf dem Weg ins Verderben?!
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