Neil LaButes beste Scharfschützin

von Dorothea Marcus

Bonn, 17. Dezember 2008. Ausgerechnet mit dem Theater Bonn verbindet den amerikanischen Erfolgsdramatiker Neil LaBute eine ungewöhnliche Freundschaft. Oder besser mit einer der besten Schauspielerinnen des Bonner Ensembles: bereits zum zweiten Mal hat er Stücke extra für Birte Schrein geschrieben und in Bonn zur Uraufführung bringen lassen. Die beiden führen eine Email-Freundschaft, seitdem Neil LaBute sie in der deutschen Erstaufführung seines Stücks "Wie es so läuft" sah - und so begeistert war, dass er der damals Schwangeren ein Stück für eine Schwangere schrieb.

"Helter Skelter" war im Februar 2007 ein großer Erfolg. Nun hat Neil LaBute gleich drei neue "Schrein-Dramen" abgeliefert, und wieder zeigt sie darin ihre Facetten von bedrohlich bis bodenständig, eiskalt und leicht durchgeknallt. Sie kann auf Kommando weinen, Tobsuchtsanfälle bekommen oder entrückt glücklich lächeln. Wie beim letzten Mal sind die Schauspieler York Dippe und Anke Zillich eigentlich nur - wenn auch brillantes - Beiwerk. Und wieder inszeniert die junge Jennifer Whigham, die auch bei "Helter Skelter" Regie führte.

Glücksversprechen, Abrechnungen, Verteilkämpfe

Neil LaBute ist bekanntermaßen ein Meister darin, die Abgründe der sozialen Kleinzelle in boulevardhafter Leichtigkeit auszuloten und die falschen Glücksversprechen der Familienzellen genüsslich zu entlarven. Auch diesmal geht es um Beziehungsenden, Verteilkämpfe und Abrechnungen - doch sowie der Zuschauer zu wissen glaubt, was gespielt wird, bringt LaBute eine unerwartete Wendung hinein, lässt an allem zweifeln, was vorher war und führt damit den Zuschauer aufs Glatteis. In "Die Furien" ist sogar das Bühnenbild das gleiche wie damals: eine nach hinten ansteigende Halfpipe aus Stoff, auf die zuerst die Worte "Stille, Dunkelheit" projiziert sind.

Neil LaButes Stücke, so lernen wir im Programmheft, beginnen und enden meist mit diesen Worten, sie führen gewissermaßen zur theatralischen Ursituation zurück. Es ist ein Glück, dass Jennifer Whigham ihr keine großen Kinkerlitzchen hinzufügt. Sie bleibt reduziert, inszeniert ohne viel Bühnenbild und Requisiten, arbeitet trotzdem nahe am Wahnsinn – sie erreicht das durch kleine Nuancenänderungen von Haltungen und Stimmlagen.

Zeit für miese Geständnisse

Am Tisch sitzt Paula und wartet auf ihren Freund Jimmy. Oder Exfreund? Auf jeden Fall scheint sie ihn loswerden zu wollen. Er kommt mit seiner Schwester Jamie als Unterstützung, sie haben die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen, und schon an eitlem Kinnbärtchen, Sportjacke und Schlampenlook ahnt man die szenigen Unterschichtsgestalten, ein wenig aus der Welt gefallen. Ständig souffliert die massige Schwester ihrem Bruder lautlos flüsternd den Kampftext ins Ohr, weil sie angeblich eine Halsentzündung hat.

Die eiskalt verachtenden Blickwechsel zwischen Schwester und Freundin, die eigentlich etwas Intimes erzählen möchte, sind eine Freude. Bald heulen und keuchen sie wüste Rachefantasien gegeneinander. Die Geschwister wirken wie ein symbiotisches und bedrohliches Komikerpaar, bei Paula dagegen weiß man nicht, ob sie ihren nahenden Tod nur erfunden hat, um ihren unberechenbaren Freund "freizugeben". Säuberlich packt sie den ungelesenen Arztbericht wieder ein, bevor sie geradezu erleichtert davonrauscht.

Aus dem Krieg fürs Leben lernen

In der Pause baut die absurde Schwester als krummer Geist mit Schutztüten über ihren hochhackigen Schuhen den Raum um und nascht verstohlen von Chips, die sie aus dem Kühlschrank holt und auf dem Tisch drapiert. Allein diese einfache Szene entfaltet heiteres Befremden. "Der große Krieg" ist das längste der drei Stücke, das aber trotz seiner ambitioniert historischen Metaphorik einige Längen hat.

Ein Ehepaar entsorgt die Reste seiner Ehe und hat sich für den großen Kampf richtig feingemacht - Birte Schrein in durchsichtigem Kleid und tiefem Ausschnitt, Yorck Dippe hat eine bravouröse Wandlung vom grenzdebilen Slacker zum smarten Karrieristen durchgemacht. Sie ziehen sich durch den Dreck und kreisen, manchmal fast ein wenig ermüdend und banal, den vernichtenden Bankrott ihrer neunjährigen Ehe ein. Er will es halbherzig nochmal versuchen, während sie ihn hemmungslos demütigt, selbstgefällig wie eine satte Katze. Die Chipsschale geht zu Bruch, auf einmal gerät die Beuteaufteilung ins Stocken: niemand will die Kinder haben.

Fleißig werden für die Rabeneltern europäische Referenzen aufgefahren, neben Schützengräben, Stellungskriegen und dem Potsdamer Abkommen sogar die Wannsee-Konferenz von 1942, kurz bevor sie im Brettspiel die Kinder aufteilen wollen. Doch da bricht Birte Schrein wie aus dem Nichts in Tränen aus und fällt grandios aus der Rolle. "Ich kann damit nicht umgehen als Schauspielerin", schluchzt sie, "ich schäme mich, in so einem Stück mitzuspielen." York Dippe will aber weiterspielen, "sind doch nur noch drei Seiten bis zum Schluss".

Sinn und Unsinn des Zwei-Mächte-Abkommens

Erst jetzt eskaliert es wirklich, die beiden prügeln aufeinander ein und entschuldigen sich ständig bei den Zuschauern. "Gehen Sie sofort zu Ihren Kindern" brüllt Birte Schrein uns schließlich bis zur Erschöpfung an und macht uns zu Zeugen und Schuldigen - während natürlich alle sitzenbleiben. Und so verwandelt sich die Ehe-Abwicklungs-Schlacht unversehens in eine Reflexion über die gefühlte (oder echte) Machtlosigkeit von Theater.

Das letzte Stück "Was ernstes" ist dann ganz kurz, nur zweieinhalb Seiten: eine Frau wartet in einem an die Wand projizierten Rahmen auf ihren "Traummann", der nie kommen wird und lebt vielleicht völlig in ihrer Fantasiewelt oder zumindest nur noch in Bildern, welche die Außenwelt für sie vorgesehen hat. Noch drei Minuten... dann ist er auch nicht da. Das alles changiert schön zwischen Schein und Sein, Irrsinn und Wirklichkeit. Und auch wenn die Stücke die menschlichen Abgründe nicht ganz apokalyptisch auf den Punkt bringen, wie man es sonst vom Autor gewohnt ist, so ist daraus doch ein konzentriert und fein gearbeiteter, schöner Schauspielerabend geworden.

 

Die Furien/Der große Krieg/Was Ernstes (UA)
von Neil LaBute, Deutsch von Lothar Kittstein und Jennifer Whigham
Regie: Jennifer Whigham, Kostüme: Uta Heiseke, Bühne: Gesine Kuhn, Kostüme: Uta Heiseke. Mit: Birte Schrein, Yorck Dippe, Anke Zillich.

www.theater.bonn.de

 

Mehr über Neil LaBute: Wir berichteten über Some girl(s), das Anina La Roche im Mai 2007 im Bern inszeniert hat.

 

Kritikenrundschau

Neil LaBute zeige wieder einmal, zu welchen Grausamkeiten scheinbar zivilisierte Menschen fähig sind, notiert Stefan Keim in der Frankfurter Rundschau (19.12.) ein wenig schaudernd nach Inaugenscheinnahme der Bonner Uraufführung. Die drei Einakter sind aus seiner Sicht zwar keine bedeutenden Werke sondern eher "dramatische Fingerübungen." Aber die könnten ja einen besonderen Reiz entfalten, findet er, "weil sich in solchen Texten oft das Wesen eines Dramatikers direkt erfahren lässt". Und so etwas erlebt Keim in Köln dann auch: am Ende von "Der große Krieg" trete LaButes Leib- und Magenschauspielerin Birte Schrein aus ihrer Rolle, weigere sich, die Scheußlichkeiten zu Ende zu spielen, und rufe die Zuschauer auf, nach Hause zu gehen um ihre Kinder in den Arm zu nehmen. Auch Schreins Partner Yorck Dippe wird als überragend gelobt. Regisseurin Jennifer Whigham inszeniere "mit wenigen Mitteln präzise Situationen", manchmal für Keims Geschmack dabei allerdings "zu respektvoll die Texte nachbuchstabierend".

"Typisch LaBute", findet auch Marion Löhndorf von der Neuen Züricher Zeitung (19.12.). Mit gewohnter Unmittelbarkeit sieht sie die drei Einakter jeweils auf ihr Ziel zusteuern, sich in die Nähe emotionaler Tabuzonen begeben und so die Erwartungen des Zuschauers unterlaufen. Wie immer zerre der Autor "unter dem Deckmantel der Bürgerlichkeit Verborgenes" um ein Vielfaches vergrössert hervor: in diesem Fall am Beispiel dreier gescheiterter und scheiternder Beziehungsgeschichten. Darin sieht Löhndorf "Banales und Ungeheuerliches" sich mischen, wodurch für sie Tragik und Komik oft in "enge, unbehagliche Nachbarschaft zueinander" rücken. Besonders "die wunderbar präzise spielende Birte Schrein" beeindruckt sie sehr, die für sie "alle denkbaren Realitäts- und Manipulationsebenen" sichtbar werden lässt.

Auch Andreas Rossmann zollt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (19.12.) der Uraufführung dieser Trilogie der Beziehungsendspiele viel Respekt, die er durch die Regisseurin Jennifer Whigham "mit unauffälliger Genauigkeit und psychologischer Akkuratesse" in Szene gesetzt sah. Zwar handelt es sich bei dieser Trilogie Rossmann zufolge eher um einen dramatischen "Bonsai-Garten", doch immerhin kann er darin einmal beobachten, wie Ingmar Bergmann auf Luigi Pirandello trifft. Als nämlich mitten im existenziellen Grabenkrieg zweier Eheleute der Mann plötzlich ruft: "Es ist Literatur!" ruft, und die Frau die Zuschauer auffordert, "nach Hause zu gehen und ihre Kinder zu umarmen". Auch die "intensiven Darsteller" laufen aus Rossmanns Sicht "in den sparsam-aparten Räumen von Gesine Kuhn" zu Hochform auf.


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