Das Käthchen von Heilbronn - Residenztheater München
Rettung für die Hautlosen
2. Dezember 2022. In Elsa-Sophie Jachs vierter Kleist-Inszenierung ruft das Mädchen, das einem Grafen zum Schatten wird, bis der in diesem Schatten seine Vorsehung erkennt, noch weitere Schatten auf den Plan. Was bringen sie ans Licht?
Von Sabine Leucht
2. Dezember 2022. Irgendwann ist Kleist es leid. Nur einmal ist er der Dichterin Karoline von Günderrode begegnet, und auch das nur in der Fiktion. Trotzdem muss er sich jetzt schon geraume Zeit mit ihr herumschlagen. Es gibt Momente und längere Zeitabschnitte an diesem Abend, da geht es einem wie ihm und man möchte "die Sappho der Romantik" gerne wieder zwischen die Buchdeckel zurückdrängen, aus denen sie die Theorien der Regisseurin in dieses Stück hineingeholt haben. Und Kleist am liebsten gleich mit.
Möglichkeitsräume der Poesie
Elsa-Sophie Jach hat im Münchner Cuvilliéstheater dessen „Käthchen von Heilbronn“ inszeniert und die Titelfigur mit einem Mann besetzt, dem wundervollen Vincent zur Linden, der immer wieder buchstäblich aus dieser Rolle herausfällt, um als Käthchens Schöpfer in das fiktive Treffen zwischen Kleist und der Günderrode hineinzustürzen, von dem Christa Wolf in ihrem 1979 erschienenen Roman "Kein Ort. Nirgends" erzählt. Warum er das muss? Weil Kleist, Wolf und Günderrode zu Jachs Lieblingsautor:innen gehören. Und weil sie viel von Kleists Sich-falsch-Fühlen in der Welt im Käthchen erkennt und viel von Käthchens Beharrlichkeit in Kleists von einer "inneren Vorschrift" geleitetem Leben. Kleist habe sich in das Käthchen hineingeschrieben, ist eine ihrer Thesen. Und dann gibt es da noch die von romantischer Hoffnung getragene Frage: Könnte es auch für "Hautlose" wie ihn Verständnis, einen Partner, sogar Rettung geben? Vielleicht ja die Dichterin, mit der er das Pech in der Liebe teilte und die wie er den Freitod wählte, als selbst der Möglichkeitsraum der Poesie zu eng wurde.
Deshalb beginnt der Abend mit einem zu langen Film von Christa Wolfs Teegesellschaft, springt dann in die Femegerichtsszene des ersten Akts und gewinnt nach diesem holprigen Beginn zusehends mehr Geschmeidigkeit im Ebenenwechsel. Auch wenn es gefährlich ist, so einem logisch stolpernden "Stück von Sinn und Unsinn", wie Goethe es nannte, auch noch Steine zwischen die Füße zu werfen: Als Kunigunde die Konkurrentin in der Gunst des Grafen von Strahl in das brennende Schloss schickt, kreiert der Verschnitt dieser "Feuerprobe" mit Kleists Bericht von der Verbrennung seiner Werke einen richtiggehenden Suspense-Moment. Und am Schluss rettet eine Massenohnmacht Kleist / Käthchens eleganten Abgang aus dem immer problematischen, konstruierten Happy End.
Knecht und Käse
Für die große Lust am Budenzauber, die Kleists Ritterschauspiel auch auszeichnet, finden Jach und ihre Bühnenbildnerin Marlene Lockemann pfiffige Entsprechungen. So rennen beim Angriff der Reiterhorden die sieben Schauspieler über zwei rutschenartige Bahnen, die man auch ineinanderstecken kann. Umgekehrt fährt das grüne Plexiglasschloss am Ende in Einzelteile auseinander oder ein lebensechtes Pferd vom Bühnenhimmel. Bilder, die die Patchworkarbeit, die der Abend ist, räumlich werden lassen. Allein, was bringt der Aufwand? So verkopft die Prämissen dieser Inszenierung sind, so folgenlos bleiben sie für das, was man von ihm mitnimmt. Die Kleist-Günderrode-Szenen rauschen inhaltlich überwiegend durch, und auch manch szenisches Mittel scheint zu signalisieren: Hey, so wichtig ist das alles nicht! Schau, was ein lustiges Schattenspiel vom Femegericht, in dem sich Tattergreise die nicht vorhandenen Bärte graulen! Und lass uns doch mal ein paar Sätze mit offenen Enden bilden und das letzte Wort der pinkfarbenen Leuchtschrift überlassen, und plötzlich kommt statt "Knecht"…. "Käse" heraus.
Jach besitzt eine große Liebe für solche Spielereien. Für Schleifen, Puffärmel, Zigarrenrauch und Konfettikanonen. Und für Musik, die drei mit auf der Bühne sitzende Livemusiker immer wieder von der Atmo zum puckernden Stimmungsmotor anwachsen und in gesungene Statements, Wutausbrüche, Choräle, Trap und einen Liebes-Rap münden lassen.
Zaungast auf der eigenen Party
Und dann die Schauspieler. Alle gut! Drei besonders: Vassilissa Reznikoff, die die Kunigunde spielt, beschrieben als hybride "mosaische Arbeit" aus Körperteilen unterschiedlicher Herkunft, findet zwischen schnell abgerufenen Automatentänzchen und schriller Diva eine eigene Körperlichkeit und speit musikalisch Gift und Galle. Moritz von Treuenfels' Graf Wetter von Strahl besingt im bauchfreien Häkelwams mitten im grünen Plexiglasmärchenschloss stehend stolz "Die Einzige". Und diese Einzige, Vincent zur Lindens Käthchen in Spitze und langem Rock, ist ein herzallerliebst zurückhaltender Schatten für den geliebten Grafen, bleibt wie ein Zaungast auf der eigenen Party immer halb Beobachter und jederzeit bereit, ganz in die Kleist-Rolle zurückzuschnellen. Wie er das macht und die Zartheit zwischen den beiden, das sind Momente, für die es sich ins Theater zu gehen lohnt. Größere Gedankenräume allerdings gehen auch dann nicht auf.
Das Käthchen von Heilbronn
Von Heinrich von Kleist in einer Fassung von Elsa-Sophie Jach und Michael Billenkamp mit Texten aus "Kein Ort. Nirgends" von Christa Wolf
Regie: Elsa-Sophie Jach, Bühne: Marlene Lockemann, Kostüme: Johanna Stenzel, Musik: Samuel Wootton, Video: Jonas Alsleben, Licht: Barbara Westernach, Dramaturgie: Michael Billenkamp.
Mit Liliane Amuat, Linda Blümchen, Florian Jahr, Vassilissa Reznikoff, Moritz Treuenfels, Simon Zagermann, Vincent zur Linden und den Live-Musikern Maximilian Hirning, Juri Kannheiser, Manfred Mildenberger.
Premiere am 1. Dezember 2022
Dauer: 2 Stunden 20 Minuten, keine Pause
www.residenztheater.de
Kritikenrundschau
Regisseurin Elsa-Sophie Jach "hat ein stupendes Gespür für Szenenwechsel, für Schauspieler wie Moritz Treuenfels, Florian Jahr oder Simon Zagermann; das Bühnenleben prunkt gegen die implantierte Trübsal an, wird sie zwar nie ganz los, aber dennoch macht hier eine verschworene Bande zusammen lustvoll Theater", berichtet Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (2.12.2022).
Weder das "hochfluide Spiel" von Vincent zur Linden "noch die Verschränkung des romantischen Dramas mit dem Roman aus dem sozialistischen Teil Deutschlands geben aber sachdienliche Hinweise, warum sich Theater 212 Jahre nach der Uraufführung noch immer so hingebungsvoll um die schwäbische Ritterscharteke bemühen", schreibt Mathias Hejny in der Abendzeitung (2.12.2022). Den Reaktionen des Premierenpublikums nach zu urteilen, sei hier eine "Erfolgsproduktion“ entstanden. Das "grandiose Ensemble" sowie "die entschlossene Frische und das hohe Tempo" findet der Rezensent überzeugend, merkt aber auch kritisch an, dass die Inszenierung "unverbindlich zwischen parodistischer Distanzierung und süffisant geplaudertem Künstlerdrama" schwanke.
Ein "Spektakel mit Schauwerten und mal besseren, mal schlechteren Gesangs-, Rap- und Tanzeinlagen", das gleichwohl anfangs etwas langsam auf Betriebstemperatur komme, hat Michael Schleicher vom Merkur (2.12.2022) im Residenztheater gesehen. "Die Regisseurin nutzt ausgiebig und mit Freude den Handwerkskasten des Theaters. Sie ist eine Geschichtenerzählerin und Spielmacherin – ob Schattentheater, Konfettikanonen oder ein fliehendes Pferd ohne Bodenhaftung: Ihre Inszenierung hat keine Angst vor Albernheiten und macht gerade deshalb Spaß."
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Jach schneidet zwischen das Kleist-Drama Passagen aus Christa Wolfs „Kein Ort. Nirgends“ (1979) über die fiktive Begegnung des Dichters mit Karoline von Günderode. In den besten Momenten geht das Konzept auf: das arg konstruierte, märchenhafte Happy-End für Käthchen, die sich als uneheliches Kind des Kaisers herausstellt und ihren angebeteten Grafen Wetter vom Strahl bekommt, wäre 1:1 kaum noch spielbar und wird hier durch Kleists Lebensüberdruss und Todessehnsucht konterkariert. Dass das Konzept nicht an seiner Überfrachtung erstickt, ist auch dem Hauptdarsteller zu verdanken: Vincent zur Linden fiel schon in „Das Vermächtnis“ auf, das in Berlin zur Theatertreffen-Eröffnung zu sehen sein wird. Er ist als genderfluides Kleist/Käthchen-Doppelwesen nicht nur Zentrum des Abends, sondern Shooting-Star der Münchner Theaterszene. Über weite Strecken fügt die Parallel-Montage mit Wolfs fiktiver Biografie dem Kleist-Drama jedoch wenig Neues hinzu.
Vor allem in der zweiten Hälfte flieht Jach deshalb ins Spektakel und greift mit beiden Händen tief in die Kiste der Theatermittel. von einem hereinschwebenden, riesigen Pferd über Schattenspiele, die den ganzen Abend durchziehen, und Konfettiregen bis zu schönen Songs fährt die Regisseurin sehr viel auf, um das Interesse an ihrer Inszenierung auch für Nicht-Literaturwissenschaftler und Nicht-Kleist-Aficionados wach zu halten.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2023/04/06/das-kathchen-von-heilbronn-cuvilliestheater-munchen-kritik/