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Göttingen: Schauspieler gewinnt vor Bundesarbeitsgericht

22. Dezember 2022. Das Bundesarbeitsgericht hat am gestrigen Mittwoch im Rechtsstreit zwischen dem Deutschen Theater Göttingen und dem Schauspieler Nikolaus Kühn für die Seite der Arbeitnehmer:innen entschieden, wie Der Spiegel mitteilt. Künstlerisch Beschäftigten an Theatern sind die Gründe für eine Nichtverlängerung ihres Vertrags im offiziellen Anhörungsgespräch mitzuteilen, so das Urteil; informelle Gesprächen sind nicht ausreichend.

Damit ist die Revision des Deutschen Theaters Göttingen zurückgewiesen. Über fünf Instanzen hatte sich das Theater gegen die Klage gewehrt, die Nikolaus Kühn 2018 wegen unwirksamer Nichtverlängerung seines NV-Bühne-Vertrags gegen das Haus eingereicht hatte. Nach beinahe 14 Jahren als Schauspieler am Deutschen Theater Göttingen und damit kurz vor seiner Entfristung sollte Kühns Vertrag nicht mehr verlängert werden. Im offiziellen Anhörungsgespräch habe Intendant Erich Sidler dem Schauspieler laut Spiegel jedoch keine künstlerischen Gründe für diese Entscheidung genannt, sondern sich darauf berufen, dass die Sicht des Theaters zuvor bereits in informellen Gesprächen dargestellt worden sei.

NV-Bühne-Verträge sehen jedoch vor, dass Intendant:innen ihre Mitarbeiter:innen "hören" müssen, das heißt, mit ihnen sprechen und im persönlichen Gespräch künstlerische Gründe für die Nichtverlängerung nennen müssen. Diese Sicht bestätigt nun das Urteil des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt.

Zuvor hatte schon das Landesarbeitsgericht Köln Kühns Position und damit die Seite der Arbeitnehmer:innen bestätigt: "Der einzige Schutz gegen eine willkürliche, diskriminierende oder sachwidrige Nichtverlängerung sei die Beachtung der vorgegebenen Form", fasst Der Spiegel das Kölner Urteil zusammen.

Nikolaus Kühn, dessen Vertrag durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts entfristet ist, klagt nun vor dem Bühnenschiedsgericht Hamburg wegen Rufschädigung auf Schadenersatz, wie er nachtkritik.de sagt. Er war vom Deutschen Theater Göttingen nicht mehr auf der Bühne besetzt worden, sondern nurmehr zu Lesungen in Pflegeheimen abgeordnet worden, wie der Spiegel berichtete (Artikel hinter Paywall). Letzteres gehöre jedoch nicht zu seinen tariflichen Aufgaben, so Kühn, und wäre damit für das Haus honorarpflichtig. Laut Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA) ist das die erste Klage eines Schauspielers wegen Machtmissbrauch gegen einen Intendanten.

(Der Spiegel / eph)

Kommentare  
Göttinger Urteil: Glückwunsch
Lieber Nikolaus,
ich gratuliere dir von ganzem Herzen und wünsche dir auch mit der zweiten Klage alles Gute, sowie, dass das Göttinger Theater zur Vernunft kommt und dich wieder normal einsetzt.
Göttinger Urteil: Naumburg nicht vergessen
Freu mich extrem, aber nicht den Kollegen in Naumburg vergessen
Göttinger Urteil: Wo ein Kläger, da ein Richter!
Ein großartiges Urteil! Erstaunlich, dass es so lange gedauert hat, bis jemand einmal gegen eine Nichtverlängerung klagt. Man muss dazu wissen, dass der Tarifvertrag nicht nur sehr klar sagt, dass ein Anhörungsgespräch stattfinden muss, sondern auch, dass dem zu kündigenden Mitglied die Gründe dafür mitzuteilen sind - und zwar ausdrücklich so, dass diese Gründe für den Betroffenen nachvollziehbar sind. Das Theater Göttingen hätte das wissen können. Die Tatsache nämlich, dass viele Betroffene auf das Anhörungsgespräch verzichten, weil sie sich davon nichts erhoffen, bedeutet eben nicht, dass eine Nichtverlängerung ohne Begründung stattfinden kann. Wo (jetzt endlich und viel zu spät!) ein Kläger, da ein Richter. Gut so!
Göttinger Urteil: Sympathie
Was den Göttinger Intendanten Erich Sidler zu diesem unglücklichen Ritt durch die juristischen Instanzen bewogen hat, ist schwer nachvollziehbar. Bereits die außergerichtlichen Klärungsversuche scheinen ja Lösungsvorschläge zugunsten des Klägers ergeben zu haben. (...) Welcher immerhin vierzehn Jahre lang an einem Haus beschäftigte Schauspieler ist denn auf einmal so wenig für eine weitere künstlerische Arbeit qualifiziert, dass man ihn nicht angemessen weiterbeschäftigen könnte? (...) Da bleibt nur Kopfschütteln. Immerhin haben die abhängig beschäftigten Theaterkünslter nun einen Helden, dem es die Daumen zu drücken lohnt. Meine Sympathie hat der, der Nikolaus Kühn.
Göttinger Urteil: Das Mindeste
Die Gründe für eine Nichtverlängerung anzugeben, wäre - wenn man das Wohl seiner Schauspieler im Blickfeld hat - das Mindeste, was ein langdienender Mitarbeiter verlangen kann. Auch wenn die Gründe schon vorher "angedeutet" worden sind. Ein Intendant der eine solche Frage durch alle Instanzen jagt, müsste eigentlich schon beurlaubt sein - oder will sich das Theater diesen weiterhin leisten?
Göttinger Urteil: Angeblicher Musterfall
Vieles an diesem Fall ist ärgerlich:
ein Intendant führt ein rechtlich völlig unzureichendes Anhörungsgespräch. Keine Gründe vorzubringen, ist auch respektlos und unprofessionell. Anstatt diesen offenkundigen Fehler einzusehen, klagt er nun auf Kosten des Theaters durch alle Instanzen. Dabei bringt das Theater schmerzhaften Blödsinn vor, wie man habe den Schauspieler vor seinem Kollegen nicht angreifen wollen. Das aber ist die normale, rechtlich gewollte Konstellation des Anhörungsgesprächs.
Der Intendant scheint rechtlich verheerend beraten zu sein.
DER SPIEGEL schreibt den rechtlich irrelevanten Fall zum angeblichen Musterfall hoch.
Viele äußern sich als ginge es um die Zukunft des NV Bühne und nutzen den Fall für ihre Interessen.
Das Urteil ist exakt wie erwartet und es gibt keine weitere Erkenntnis, außer dass Herr Siedler offenbar keinerlei gutem Ratschlag zugänglich war. Wie kann man so stur verweigern, einen klaren Fehler einzusehen? (...)
Göttinger Urteil: Rechtsstaat
... ich kenne und schätze alle Beteiligten... ich habe auch mit allen gearbeitet. Es passiert nun mal, dass sich Leute ineinander verbeissen. Zur Klärung solcher Umstände sind Gerichte da. Sonst bräuchte man sie ja nicht.
... es gab weitaus lustigere Präzedenzen. Ende der 90er etwa hielt der neu bestallte Schauspielchef in (...) die Anhörungsgespräche höchst offiziell in einem Seecafé ab, zu dem man nur nach Errichtung eines Eintrittsgeldes von damals 5 Mark gelangen konnte. Die Betroffenen beschwerten sich zwar - das interessierte weiland aber keinen.
... wir leben in einem Rechtsstaat, dessen Mühlen zwar langsam, aber nichtsdestotrotz mahlen... und das ist auch gut so...
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