Der Preis des glanzlosen Lebens

27. Januar 2023. Kunst und Liebe sind hier überflüssig: In Aldous Huxleys berühmter "schöner, neuer" Welt hat der Zweifel keinen Platz. Die beiden iranischen Autoren-Theatermacher Amir Reza Koohestani und Keyvan Sarreshteh verwandeln den Klassiker in ein leichtfüßiges Bühnenerlebnis.

Von Andreas Schnell

"Schöne neue Welt" in der Regie von Amir Reza Koohestani am Thalia Theater Hamburg © Armin Smailovic

27. Januar 2023. Eine Art Treibhaus oder ein vertikaler Garten, viel Grün in beweglichen Etageren vor einem Bildschirmraster, dessen Farben offenbar ferngesteuert werden können wie in einem Computerspiel. Ein junger Mann wischt versonnen von links nach rechts, von unten nach oben und verändert so die Farben der Flächen. Wie sich bald herausstellt, handelt es sich bei dem jungen Mann um John Savage, der gerade in der schönen neuen Welt angekommen ist, die Aldous Huxley in seinem berühmten Roman beschreibt.

Promiskuität erwünscht

Die Dramatiker Amir Reza Koohestani (der hier auch Regie führt) und Keyvan Sarreshteh haben das Werk für die Bühne bearbeitet und in eine bündige, eineinhalbstündige Spielfassung für drei Darsteller:innen gebracht. John (Johannes Hegemann), der "Wilde" aus Huxleys Roman, steht dabei im Zentrum des Geschehens. Mit ausführlichen Beschreibungen der Gesellschaft, wie sie Huxley seinen Zeitgenossen mahnend mit auf den Weg gab, hält sich dieser Abend nicht auf, erst später gibt es ein wenig zu hören über das Wie und Warum dieser Kastengesellschaft, in der schon vor der Geburt der soziale Stand festgelegt wird und die Familie als Keimzelle des Staats inklusive Zeugungsakt abgeschafft ist. Jeder gehört dem anderen, Promiskuität ist erwünscht, wer allzu oft mit der oder dem selben pennt, macht sich schwer verdächtig.

Schoene Neue Welt2 Armin SmailovicGenormte Kastengesellschaft © Armin Smailovic

Savage, einer der vielen sprechenden Namen, die Huxley seinen Figuren gab, kann mit alldem wenig anfangen. Aus dem "Reservat" in die "Zivilisation" kommend, verliebt er sich in Lenina, die ihn bei seiner Einreise befragt, untersucht, vermisst. Bernard Marx, der Dritte im Bunde, ist selbst an Lenina interessiert. Dieses Dreieck produziert Risse, Dinge, die als abweichendes Verhalten verpönt sind in dieser Welt – die es eigentlich nicht einmal geben dürfte: Eifersucht, Lügen, romantische Gefühle. All das steht dem höchsten Ziel dieser neuen Welt im Weg: Stabilität. Und da sind Kunst und Liebe nicht nur überflüssig, sondern auch gefährlich. Der Preis für ein Leben ohne Glanz, wie Bernard erklärt – aber eben auch ohne Zweifel.

Soma macht's möglich

Dass in der strikt durchgenormten Bevölkerung das Sehnen nach dem Anderen allerdings insgesamt nicht weggemendelt werden konnte, beweist der Erfolg des Erlebnisparks Wildnis, den Koohestani und Sarreshteh errichtet haben: Ein Bombenerfolg! Dort können die Menschen, die der offiziellen Doktrin nach eigentlich – dank der allzeit verfügbaren Droge Soma – ausgesprochen zufrieden ihrer Arbeit nachgehen und in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen herumvögeln, sehen, wie die "Wilden" leben.

Der Wald in Flammen

John Savage darf seine interkulturellen Kompetenzen als Leiter des Parks einbringen – schließlich kommt er aus der echten Wildnis. Und in dieser Wildnis gibt es so verruchte Dinge wie Theateraufführungen. Eine buchstäblich zündende Idee: Während Savage mit Lenina "Romeo und Julia" darbietet, geht der Wald – und womöglich auch gleich die schöne neue Welt – in Flammen auf. Statt sich aufzuhängen, flieht John mit Lenina und zieht mit ihr dem ganzen Zauber schlicht den Stecker. Das Spiel ist aus.

Schoene Neue Welt Armin SmailovicVerruchtes Leben in der "Wildnis" © Armin Smailovic

Das ist ein präziser, konzentrierter, leichtfüßiger und schön gespielter Theaterabend mit Witz. Und doch – fehlt hier vielleicht so etwas wie eine Katharsis? Die uns dringlich mitteilt, was so unerträglich an der schönen neuen Welt ist. Aber vielleicht ist das gar nicht so sehr die Frage. Schließlich beharrt diese "Schöne neue Welt" nicht nur auf der Unabdingbarkeit der Kunst. Sie formuliert vor allem zwar beinahe beiläufig, aber höchst anschaulich den Chauvinismus einer Gesellschaft, die sich allen anderen für überlegen hält – da versteht sich Integration von selbst. Der Rest der Welt soll bleiben, wo er ist, es sei denn, man bräuchte dessen Bevölkerung für das Vorankommen der besten aller Welten. Und das klingt leider allzu vertraut.

 

Schöne neue Welt
von Amir Reza Koohestani und Keyvan Sarreshteh nach Aldous Huxley
Regie: Amir Reza Koohestani, Dramaturgie: Susanne Meister, Bühne: Mitra Nadjmabadi, Kostüme: Gabriele Rupprecht, Video: Phillip Hohenwarter und Benjamin Krieg, Musik: Matthias Peyker.
Mit: Johannes Hegemann, Pauline Rénevier, Stefan Stern.
Premiere am 26. Januar 2023
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.thalia-theater.de

 

Kritikenrundschau

"Ein gigantischer Erlebnispark" öffnet sich vor den Augen von Annette Stiekele vom Hamburger Abendblatt (28.1.2023). "Der Autor und Regisseur Koohestani und sein Co-Autor Sarreshteh haben den Huxley-Roman mit großer Stringenz überschrieben. Die wesentlichen inhaltlichen Linien sind in ihrer klugen Adaption wie eine Folie sichtbar. Sie sind auch global lesbar." Koohestanis "Szenerie überzeugt mit ihrem Pseudorealismus, betont durch mal leicht futuristische, mal alltägliche Kostüme (Gabriele Rupprecht). Das Spiel des ausgezeichneten Ensemble-Trios wirkt auf raffinierte Weise ungekünstelt, aber gleichzeitig konsequent doppelbödig. Alles zusammen formt einen ebenso intelligenten wie unterhaltsamen Abend, erweitert um starke Video- und Sound-Sequenzen."

"Eine optimistische Geschichte vom Widerstand in einem Zwangssystem" sah Till Briegleb von der Süddeutschen Zeitung (31.1.2023), der die Produktion im Rahmen seines Berichts von den Lessingtagen am Thalia Theater erwähnt. Koohestanis Figuren "fackeln im Finale dieser unterhaltsamen Komödie die Simulation des Paradieses als Konsumwelt ab."

Kommentare  
Schöne neue Welt, Hamburg: Gelungen eintönig
Hallo Liebes Team,
ich fand ihr Theaterstück gelungen. Es passte gut zu den Verhältnissen in unserer heutigen Gesellschaft.
Leider war das Theaterstück für meinen Geschmack etwas zu eintönig und langweilig.
Ich fand es trotzdem gelungen.
Schöne neue Welt, Hamburg: Kreative Schlußnote
Das Theaterstück hat mich besonders durch sein eindrucksvolles Ende überzeugt. Die geschickte Auflösung der Handlung und die überraschende Wendung haben dem Stück einen starken Abschluss verliehen. Diese kreative Schlussnote hat das Gesamterlebnis für mich besonders gelungen gemacht.
Schöne neue Welt, Hamburg: Voller Gefühle
Das Theaterstück war sehr gelungen! Die Schauspieler haben gut gespielt und die Geschichte hat zu der heutigen Gesellschaft gepasst. Dennoch fande ich die Bühne und die Musik eher unpassend . Trotzdem ein gelungener Abend voller Gefühle und Kunst!
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