Schütten gegen das Idyll

28. Januar 2023. Henrik Ibsens "Ein Volksfeind" wird gerne als Warnung vor totalitären Diskursen und gelenkter Willensbildung bemüht. In St. Pölten erzählt Regisseurin Anne Bader das Drama um Wahrheit und alternative Falkten als Geschichte österreichischer "Verhaberung".

Von Theresa Luise Gindlstrasser

"Ein Volksfeind" in St. Pölten @ Franzi Kreis

27. Januar 2023. Am Leinwand-Idyll spiegeln sich schneebedeckte Berge und ein kalt-blauer Himmel im wild von Gräsern umrankten See. Und aus der Bühnenvertiefung, in der sie wellnessen, quillt anmutig Nebel. Sie, das sind der Redakteur Hovstad, der Mitarbeiter Billing und die Stadtvorsteherin. Denn in Anne Baders Inszenierung von Henrik Ibsens "Ein Volksfeind" ist der Stadtvogt mit der Schauspielerin Bettina Kerl besetzt. Aktueller könnte das Anfangsbild kaum sein: Am Sonntag wird in Niederösterreich gewählt. Und diese Woche wurde Robert Ziegler, Direktor des ORF-Landesstudios, vor eine interne Untersuchungskommission zitiert, um zu den Berichten über seine redaktionelle Einflussnahme im Sinne der ÖVP Stellung zu nehmen. In der Stadtvorsteherin die Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner und im gemeinsamen Plätschern mit den Zeitungsmachern die Verhaberung zu sehen, das funktioniert sehr gut.

Alles im Geist der Harmonie

So gut, dass das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird beziehungsweise der Theaterabend mit dem ersten Bild auserzählt ist. Wenn Doktor Stockmann später von Krankheitserregern im Kur-Wasser und von der Notwendigkeit berichtet, die Wasserleitung umzulegen, dann wird jedes Engagement von diesem schmierigen Hovstad und diesem noch viel schmierigerem Billing, die Wahrheit über das neue Bad an die Öffentlichkeit zu bringen, eine Heuchelei sein müssen. Was sich im Text über fünf Akte entwickelt – sich in ihren Positionen windende Figuren, die den "Volksfreund" Stockmann schließlich zum "Volksfeind"deklarieren –, ist bei dieser knapp 90-minütigen Fassung von Anfang an gesetzt.

EinVolksfeind2 805 Franzi Kreis uMedien und Politik gehen hier Hand in Hand: Tobias Artner, Laura Laufenberg, Bettina Kerl © Franzi Kreis

Da klingt es bully-haft wie eine Herausforderung zur Mutprobe und voll der sadistischen Freude am zukünftigen Untergang des Doktors, wenn Tim Breyvogel als Hovsted zur Veröffentlichung der Analyse auch gegen den Willen der Stadtvorsteherin anstachelt. Und Billing rückt nicht erst irgendwann mit der Sprache heraus, dass er sich um den Sekretärsposten beim Magistrat beworben hat, dass er es sich also nicht allzu sehr verscherzen will mit den Machthabenden, sondern der Schauspieler Tobias Artner assistiert der Stadtvorsteherin von Anfang an als beflissener Kameramann und unterstützt deren "Geist der Harmonie"- und "Riesenaufschwung"-Propaganda.

Unbekümmert im Nebel

Schwesterlein Stadtvorsteherin und Brüderlein Doktor stehen sich, wellness-weiß gekleidet wie alle, völlig ungleich gegenüber. Wo Bettina Kerl geraden Rückens Message Control praktiziert und bei Nicht-Parieren ihres Gegenübers schnell das eigene Aggressionspotential betont, weist Michael Scherff den Doktor Stockmann geschäftig vor sich hinlächelnd als einen in allen Lebenslagen Überforderten aus. "Ich habe aus Deiner Abhandlung nicht die Überzeugung gewinnen können, dass die Wasserverhältnisse des Bades so bedenklich sind, wie Du sie darstellst", sagt die Stadtvorsteherin und steigt demonstrativ unbekümmert in den Nebel.

EinVolksfeind1 805 Franzi Kreis uKuscheln vorm Alpenpanorama: Tim Breyvogel, Tilman Rose, Bettina Kerl, Tobias Artner © Franzi Kreis

Erst als sie den Doktor darauf aufmerksam macht, dass er seine berufliche Position ja wohl ihr zu verdanken habe, beginnt bei Scherff in den unruhigen Händen eine Wut zu sein, die sich später ungebremst als Tirade vor der Gemeinde entlädt. Damit ist Stockmann diskreditiert, so, wie von Anfang an klar.

Hat man immer eine Wahl?

Von den vielen Figuren Ibsens sind in Baders durch musikalisch unterlegte Blacks rhythmisierter Inszenierung insgesamt sechs miteinander im Spiel. Indem Tilman Rose den für Mäßigung und Mittelweg eintretenden Aslaksen, Vorsitzender des Vereins der Hausbesitzer, groß als eitlen Spießbürger mit patriotischem Hand-aufs-Herz-Tick überzeichnet, wird die Figur zum verlässlichen Comic-Relief-Faktor. Und Petra, Stockmanns Tochter, die Laura Laufenberg zwischen launenhaftem Protest und unbedingter Überzeugung hin und her schwanken lässt, steht für das Engagement einer jungen Generation: "Man hat immer eine Wahl".

Am Ende wird sie den Vater zu einer Schütt-Aktion motivieren. Schüttaktion gegen das Berge-Himmel-See-Idyll. Das jedoch davor schon mit einem plötzlichen Lichtwechsel wirkungsvoll als bloßes Shutterstock-Bild enttarnt worden war. Franziska Bornkamms Bühne erzählt pointiert: Die unberührte Natur ist berührt.

 

Ein Volksfeind
von Henrik Ibsen
Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel
Regie: Anne Bader, Bühne: Franziska Bornkamm, Kostüme und Video: Ece Anisoglu, Musik: Matthias Schubert, Dramaturgie: Julia Engelmayer.
Mit: Tobias Artner, Tim Breyvogel, Bettina Kerl, Laura Laufenberg, Tilman Rose, Michael Scherff.
Dauer: 1 Stunde 25 Minuten, keine Pause

www.landestheater.net

 

Kritikenrundschau

Der Volksfeind werde zum Ökodrama, "Gott sei Dank nicht nur", schreibt Anne-Catherine Simon in der Presse (30.1.2023). Die Regisseurin Anne Bader setze auch die Entwicklung von Petras Vater in Beziehung zu einer heutigen Lust an der Apokalypse. Die psychologischen und gesellschaftlichen Mechanismen kollektiver Lügen lassen das Stück zeitlos wirken. Stockmanns Frau und Söhne bleiben in der St. Pöltener Version ausgespart und damit auch der Konflikt zwischen seiner Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit und seiner Familie, "das verstärkt den Fokus".

"Es geht um alles, was uns heute berechtigte Sorgen macht: die Zerstörung der Umwelt, Missstände, Gier, Kapitalismus, Tourismus, Politik", so Susanne Zobl im Kurier (29.1.2023). Anne Bader demonstriere mit ihrer abgeschlankten Textfassung Ibsens Aktualität und Brisanz. "Gespielt wird vor der Projektion einer verschneiten Berglandschaft in einer Art Therme. Das funktioniert glänzend." In knappen Szenen, wie in Videoclips, werde schlüssig erzählt. Fazit: "Viel Applaus für die absolut sehenswerte Aufführung."

Kommentare  
Ein Volksfeind, St. Pölten: Frage
Obwohl ich die angebotene Stückeinführung angehört habe, blieben noch Fragen zur Inszenierung offen:
Die Kostüme der Schlussszene (alle drei Figuren bis auf die Bezirksvorsteherin) sitzen mit weißen Pudelmasken im Thermenbecken. Was soll mir als Zuschauer das sagen?
Schade, dass diese Inszenierung nicht selbsterklärend ist, bzw. dass auch in der angebotenen Einführung nicht darauf eingegangen wird. Den Inhalt des Stücks kann ich im Schauspielführer nachlesen, da brauch ich keine Erklärung dazu. Die Inszenierung und die Kostüme allerdings würden durch ein paar Hinweise vielleicht verständlicher werden.
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