Nichts mehr zu atmen

29. Januar 2023. Der Bergbau-Schacht, das war doch mal ein heroischer Ort: Kohle fürs Wirtschaftswunder, Buckeln für die Familie, schmutzige Hände, ehrliche Arbeit. Und nun? Ein Zufluchtsort für die Kinder der Klimakrise? Sanja Mitrović blickt mit "Unter Grund" in die Zukunft des Ruhrgebiets.

Von Sarah Heppekausen

"Unter Grund" von Sanja Mitrović am Theater Dortmund © Birgit Hupfeld

29. Januar 2023. Holzvertäfelte Wände, Zierbäumchen, Leuchtröhre, und Emaillebecher auf dem Tisch, oben drüber strahlt die Heilige Barbara. Es ist 2018, mit der Schließung der letzten aktiven Zeche Prosper-Haniel in Bottrop ist der Steinkohlebergbau im Ruhrgebiet Geschichte. Und wir sehen einen der letzten aktiven Bergmänner in seiner gediegenen Wohnung. Still und gedankenvoll gräbt er in der Erde, die in einer Kiste auf dem Tisch steht, um kleine Blumentöpfe zu bepflanzen. Aus dem Off spricht seine Tochter, deren größter Kindertraum es war, einen eigenen Schacht im Garten im graben. Ein Familiending. Alle Männer waren unter Tage, Großvater, Vater, Onkel, aber Frauen war es nicht erlaubt. Jahre später wird die Tochter es dann doch dürfen, aus Notwendigkeit, weil die Erde unbewohnbar wird.

Reise in die Zukunft des Klimawandels

Die Autorin und Regisseurin Sanja Mitrović inszenierte in Deutschland zuletzt 2019 an der Berliner Schaubühne beim FIND Festival. Damals zeigte sie ein Porträt in Deutschland lebender vietnamesischer Communities nach der Wiedervereinigung. Jetzt, am Dortmunder Theater mit "Unter Grund", schaut sie auf die Bergarbeiter im Ruhrgebiet – und mit ihnen auf den Klimawandel. Im Jahre 2040 und unter Grund werden die arbeitslos gewordenen Bergmänner wieder gebraucht, ihr Wissen, ihre Erfahrungen sollen helfen, eine Umsiedelung der Bevölkerung voranzutreiben. Weiter geht’s unter der Erde, wenn oben nicht genug Luft bleibt und nur die Reichen auf den Mars auswandern können.

UnterGrund1 805 BirgitHupfeld uZimmerpflanzen als Sauerstoffoase: Antje Prust, Valentina Schüler, Adi Hrustemović, Raphael Westermeier und Ekkehard Freye im Bühnenbild von Jasmina Holbus © Birgit Hupfeld

Die Zeiten springen, die Drehbühne kreist wie die Erde (diese allerdings seit ihrer Geburt schon 1.647.257.897.556 Male, teilt sie uns selbst mit) und Bühnenbildnerin Jasmina Holbus tauscht die Holzvertäfelung gegen kohlschwarze Schachtwände. Die Zimmerpflanzen bleiben, Sinnbilder einer Sauerstoffoase. Der Bergmann (Ekkehart Freye) exerziert mit den Unter-Grund-Probanden Atemübungen. Einem Minister, einer Aktivistin, einem Bauern und der Tochter erklärt er Arbeitskleidung und Ausrüstung, die "zum Alltag des einfachen Bergmanns gehörte" und heute "als Teil des deutschen Kulturerbes" erachtet werde.

Sprachrohre der Gegenwart

Sanja Mitrović hat im Vorfeld Interviews mit Bergleuten geführt. Das ermöglicht detaillierte Informationen und den konkreten biografischen Zugriff aufs Thema. Wenn die Tochter zum Vater sagt: "Die Solidarität, von der du mir erzähltest, in den seltenen Augenblicken, wenn du mit mir Eis essen warst, die Solidarität wurde zu meinem Existenzgrund, ich sehnte mich so sehr nach dieser Solidarität", dann ist das glaubwürdig, als Fakt.

Mitrović wird nie kitschig, nie rührselig im Text. Ihre Figuren sind reflektierte Sprachrohre der Gegenwart – die Aktivistin (Valentina Schüler) könnte mit ihren Argumenten gerade aus Lützerath kommen (solche direkten Bezüge gibt es aber nicht), der Minister (Raphael Westermeier) verdrückt sich, wenn es um Forderungen an die Reichen geht. Und Alexander Darkow zeigt einen arroganten Milliardär, der selbst nach einer Entführung der Aktivisti:innen auf diese Weicheier mit Apfelresten spuckt.

Die Erde spricht

Und trotzdem bleibt die eigentlich kluge, auch gewitzte Geschichtsstunde und Gegenwartsanalyse auf der Bühne zäh und spröde. Die Erde spricht als mehrstimmiger Chor zu uns, bleiern und jede Silbe überbetonend. Währenddessen flackert grünes Licht wie eine Warnung der Flora. Der meist anstrengende Sound wummert, dröhnt und fiept. Die Tochter (Antje Prust) ist lange nur als Stimme aus dem Off oder im großformatigen Videobild zu hören. Das hilft vielleicht bei der zeitlichen und räumlichen Einordnung, bremst aber die Handlung aus.

UnterGrund1 805 BirgitHupfeld uAm Ende aller Tage muss auch der Milliardär ranklotzen: Alexander Darkow © Birgit Hupfeld

Auch der Schritt des Ensembles ins Publikum (klar, das Experiment zur Frage, wie sehr wir nachfolgende Generationen bei Entscheidungen mitdenken, betrifft uns alle), zieht kaum das Tempo an. In ihren hautengen, mit Adern bemalten Anzügen bleiben uns diese Menschen trotz der Dringlichkeit ihrer Worte so fern, so weggebeamt entspannt. Einmal wird Adi Hrustemović als Bauer aber doch laut und energisch, wenn er klarstellt, dass er und der Bergmann keine Entscheidungsträger sind und waren, dass sie keine Schuld trifft, wenn das Grubenwasser aus den Schächten nicht mehr abgepumpt werden kann. Die Autorin lässt den Bauern deutlich sagen, was eine Stilllegung der Pumpen zu bedeuten hat: alles versinkt, das Trinkwasser ist verseucht.

Und dann kommt auch doch noch Schwung in die Sache. Zum filmreifen Finale fahren Regie, Bühne und Video die großen Bilder zum Steigerlied auf. Im Dokumentar-Video weinen die Bergmänner. Der Milliardär zieht mühsam die Bühne, auf dass die Erde sich weiterdrehe. Die anderen posieren, schießen Selfies, strahlen auf einmal. Der Bruch ist hart. Plötzlich Bewegung, plötzlich Pathos. Das tut aber gut.

 

Unter Grund
von Sanja Mitrović
Aus dem Serbischen von Maria Glišić
Regie: Sanja Mitrović, Bühne: Jasmina Holbus, Kostüme: Marija Marković Milojev, Musik: Marija Balubdžić, Dramaturgie: Hannah Saar, Mitarbeit Skript: Dimitrije Kokanov, Mitarbeit Recherche: Rohilat Kalmaz, Licht: Stefan Gimbel, Video: Alexander Hügel.
Mit: Ekkehart Freye, Antje Prust, Raphael Westermeier, Adi Hrustemović, Valentina Schüler, Alexander Darkow.
Premiere am 28. Januar 2023
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.theaterdo.de

 Kritikenrundschau

Sanja Mitrović finde "amüsante, manchmal verrückte Bilder für ein ernstes, vielschichtiges Thema", schreibt Wolfgang Platzeck in der WAZ (31.1.2023). Das gelinge vor allem durch "mit filmischen Mitteln" oder indem sie die "im Saal verteilten Darsteller zwischendurch großartige Klanginstallationen schaffen lässt". Doch das Stück ist "kein weiterer Grabgesang", es werde "nichts verklärt". Stattdessen führten "alle Fakten geradewegs in die Fiktion", so der zufriedene Kritiker.

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