Im Körper der Anderen

1. Februar 2023. In ihrem Langspielfilmdebüt fragen Alex und Dimitrij Schaad mit einem Cast aus hervorragenden Theaterschauspieler:innen danach, was einen Menschen ausmacht. Und finden überraschende Antworten.

Von Georg Kasch

Zwei Paare, vier Körper vor der Vertauschung: Maryam Zaree, Dimitrij Schaad, Edgar Selge, Jonas Dassler, Mala Emde in "Aus meiner Haut" © X-Verleih

1. Februar 2023. Was ist denn nun mit dem Körper und der Seele? Verliebt man sich in einen Geist oder ein Geschlecht? Fragen, die Alex Schaad in seinem Langfilmdebüt "Aus meiner Haut" aufgreift. Das Drehbuch, gemeinsam mit seinem Bruder Dimitrij geschrieben, umkreist einen Debattenhauptstreitplatz der westlichen Welt heute: Identität. Und das auf eine äußerst clevere Weise. Denn was da zunächst Arthouse-realistisch einherschlendert, biegt bald scharf um die Science-Fiction-Ecke: Auf einer Insel im Meer, halb alternatives Paradies, halb Toteninsel, treffen sich rund um ein altes Gutshaus Gleichgesinnte, um – für eine kurze Zeit – die Körper miteinander zu tauschen.

Wir begegnen dieser Gegenwelt mit den naiven Augen Tristans, können uns gerade dank seines Befremdens einrichten in dieser Welt. Jonas Dassler spielt ihn als äußerst sanftmütigen Mann, der lieber das Gefühl in den Armen verliert, als seine schlafende Freundin aufzuwecken. Für die schwer depressive Leyla aber ist die Insel eine Verheißung. Schon im Vorspann sehen wir sie unter Wasser, atem- und bewegungslos erstarrt. Vom Körpertausch erhofft sie sich einen Ausweg aus ihrem Traurigkeitskerker. Es ist die letzte Chance, denn Leylas Freundin Stella, die jetzt im Körper ihres kürzlich gestorbenen Vaters steckt und nun die Inselgemeinschaft leitet, will dessen Guru-Rolle nur diesen Spätsommer lang spielen (Edgar Selge tastet sich ganz sanft an diese junge Frau im gealterten Männerleib). Leyla nutzt ihre Chance, auch wenn Tristan zögert: "Wir sind uns doch schon einig, dass das alles total strange ist!?!", sagt er. Stimmt.

Identitäts-Experiment auf einer Insel

Es sind Momente wie diese, völlig durchlässig gespielt, die dem magischen Realismus des Films seine Erdung verleihen, zusammen mit der Landschaft, den alten Gebäuden, halb Ostseeurlaub, halb Berliner Hinterhof-Fest. Derweil erinnern sowohl der turmartige Verwandlungstempel mit seinem Ritualbad als auch Richard Ruzickas sehnsüchtiger Sound zwischen Gregorianik und zeitgenössischer Chormusik daran, dass es um Gewaltiges geht. Dem Paar wird zum Tausch ein sehr ungleiches zugelost, Fabienne und Mo, sie lebenslustig und neugierig, er breitbeinig und laut; man fragt sich schon, was die beiden mal zusammengeführt hat.

2 AMH WALKER WORM Maryam Zaree u Edgar SelgeMaryam Zaree und Edgar Selge © X-Verleih

Natürlich ist dieser größtmögliche Kontrast – einfühlsam Liebender hier, Arschloch-Macho da – die beste Voraussetzung für ein Fest der Verwandlung. Und tatsächlich: Wie durch Dassler, in dem nun Mos Seele steckt, die kantigeren Bewegungen Raum greifen, ist ebenso herrlich mitzuerleben wie die plötzliche Sanftmütigkeit im Blick von Dimitrij Schaad. Lustvoll und neugierig erforschen Maryam Zaree und Schaad – nun als Tristan und Leyla – ihre neuen Körper, kleine Narben, die veränderte Stimmfärbung. Aber auch Mala Emde, als Leyla immer mit Schmerzrand, der sich manchmal rasend schnell auf ihrem gesamten Körper ausbreiten kann, wirkt als Fabienne gelöst, frei.

Chemie in den Köpfen

Tristan aber fremdelt weiter, weil sich beim Tausch nicht nur die Körper, sondern auch die Eigenschaften und Emotionen verändern. Er bricht das Experiment ab. Dabei unterschätzt er, wie alternativlos Leylas Sehnsucht danach ist, ihren Körper und ihre Depression hinter sich zu lassen. Sie findet einen neuen Tauschkörper, den von Roman, bei Thomas Wodianka selbst ein Trauernder, der an dieser Doppelbelastung fast zugrunde geht, während sie kraftvoll aufatmet. Wie so etwas möglich ist? Chemie! Dass Körper und Geist hier nämlich nicht säuberlich getrennt sind (wie einst im christlichen Abendland angenommen), sondern man in einem anderen Körper auch anders denkt und fühlt und sich ganz neue, unvorhergesehene Mischungen aus dem Eigenen und dem Fremden ergeben, gehört zu den originellen Ideen des Drehbuchs.

5 AMH WALKER WORM Dimitrij SchaadDimitrij Schaad – gerade als Tristan – in "Aus meiner Haut" © X-Verleih

Aus denen sich Folgefragen ergeben: Ist Mo geil auf sich selbst oder bi, wenn er sich in Tristans Körper seinem eigenen nähert? Als Leyla später in Romans Körper mit Tristan schläft – welches Geschlecht wiegt dann schwerer, das des Körpers oder das der Seele? Es sind diese Momente, in denen sich "Aus der Haut" als ein deutungsoffener, zutiefst queerer Film offenbart, als der er bereits ausgezeichnet wurde.

Mehr als binär

Nun ist die Auseinandersetzung mit Geschlecht und seiner Wandelbarkeit schon länger Thema in Literatur und Film. Virginia Woolf erprobte das unkompliziert in "Orlando" 1928 (verfilmt 1992), Pedro Almodovar erzählte es als Horrorkomödie in "Die Haut, in der ich wohne" 2011, zuletzt spielten es Hubert/Zanzim in ihrer Graphic Novel "In der Haut eines Mannes" von 2020 durch. Immer bringen diese Verwandlungen binäre Grenzen durcheinander, erweitern vor allem ungemein den Horizont jener Person, die sich einer Transformation unterzieht (und sei es so unfreiwillig wie bei Almodovar). Wie sie findet auch "Aus meiner Haut" eine Lösung, so einfach wie radikal, die den Identitätsbegriff kräftig durchschüttelt und einen lange nicht loslässt.

Aus meiner Haut
von Alex und Dimitrij Schaad
Regie: Alex Schaad, Drehbuch: Alex Schaad und Dimitrij Schaad, Produktion: Philipp Worm, Tobias Walker, Richard Lamprecht, Musik: Richard Ruzicka, Kamera: Ahmed El Nagar, Schnitt: Franziska Koeppel.
Mit: Jonas Dassler, Mala Emde, Maryam Zaree, Dimitrij Schaad, Edgar Selge, Adam Bousdoukos, Sema Poyraz, Thomas Wodianka.
Filmstart in Deutschland: 2. Februar 2023
Dauer: 1 Stunde 44 Minuten

www.x-verleih.de/filme/aus-meiner-haut/

 

Mehr von Dimitrij Schaad: Im Theaterpodcast #53 sprechen Susanne Burckhardt und Elena Philipp mit ihm und dem Regisseur Christian Petzoldt über den Unterschied zwischen Theater und Film

Kommentare  
Film - Aus meiner Haut: Sehenswert
Ein sehenswerter Film, der interessante Fragen aufwirft und von einem starken Ensemble aus dem Umfeld des Gorki Theaters getragen wird. Mit wohldosierten Nuancen machen die Spieler*innen deutlich, welche Persönlichkeit jeweils in einen fremden Körper wechselte.

Einige Volten schlägt der Film am Ende, bietet mehrere Auswege und Lösungen an, die er jeweils wieder verwirft, und lässt die entscheidenden Fragen bewusst unbeantwortet, um das Publikum zum Weiterdenken herauszufordern.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2023/01/15/aus-meiner-haut-film-kritik/
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